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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Die Offenbarung des Johannes … 61<br />

abhanden gekommen war, ein Gefühl der Einsamkeit und Verlorenheit des Einzelnen<br />

in der Hektik und Anonymität großstädtischen Lebens provozierten eine<br />

kategorische Ablehnung einer solchen Lebensweise; und oft genug geben sich<br />

die expressionistischen Vernichtungsphantasien als Leidensdruck zu erkennen,<br />

der sich in aggressiver Sprachgebung Luft macht.<br />

In diesen Begründungszusammenhang gehören auch eine Reihe den Krieg<br />

thematisierender Gedichte, wie z. B. Georg Heyms Der Krieg, das wohlgemerkt<br />

bereits <strong>19</strong>11 entstanden war und von Pinthus dann in seine Anthologie aufgenommen<br />

worden ist. Dieses Gedicht als Vorahnung kommenden Unheils zu deuten,<br />

geht am Kern der Dinge vorbei und lässt beispielsweise völlig außer acht,<br />

dass Heym – wie viele Zeitgenossen, die den Kriegsausbruch jubelnd begrüßt<br />

haben – einen Krieg herbei gesehnt hat, weil er darin eine Zeitenwende sah.<br />

So hält er <strong>19</strong>11 in seinem Tagebuch fest: „Ich hoffte jetzt wenigstens auf einen<br />

Krieg.“ 14 Hierin äußert sich ein Lebensgefühl, das Ekel gegenüber „Geschäft,<br />

Geschwätz und Spielerei“, „Schein- [...] und Luxuswesen“ 15 empfindet – wie<br />

Friedrich Gundolf an Stefan George schreibt. Und dies war keinesfalls allein<br />

„ästhetische Attitüde, sondern verzweifelte Abscheu, der sich zu einer Endzeitstimmung<br />

verdichtete, in der das ‘Weltende’, das tatsächliche Ende der alten Welt<br />

erhofft wurde“ 16 . Das liest sich in Heyms berühmtem Gedicht so:<br />

Der Krieg (<strong>19</strong>11)<br />

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,<br />

Aufgestanden unten aus Gewölben tief.<br />

In der Dämmrung steht er, groß und unbekannt,<br />

Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.<br />

[...]<br />

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,<br />

Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.<br />

Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,<br />

Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.<br />

[...]<br />

14<br />

Heym: Dichtungen und Schriften, Bd. 3, S. 164.<br />

15<br />

Stefan George – Friedrich Gundolf: Briefwechsel. München u. Düsseldorf <strong>19</strong>62, S. 255,<br />

257.<br />

16<br />

Vondung: Die Apokalypse in Deutschland, S. 368.

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