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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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60<br />

Regina Hartmann<br />

sement Lebensgenuss findet und Vergnügungssucht zu ihrer Lebensmaxime<br />

macht. Das wird hervorgehoben durch das folgende Bild, das den „Rauch“ der<br />

zahllosen Schornsteine als „Wolken der Fabrik“ versteht, die aufziehen in den<br />

Himmel der Stadt, allerdings in einen ihres Gottes. Die Rauchfahnen sind für<br />

ihn „Duft von Weihrauch“, das bedeutet, die Fabrikschlote sind seine Kirchen.<br />

In dieses Wortfeld gehören auch die „Winde“, die sich „schwarz um seine Stirn“<br />

„lagern“, „das Wetter“, das „in seinen Augenbrauen“ „schwelt“, und die „Stürme“,<br />

die um sein Haupt wehen. Von Strophe zu Strophe verändert sich das Bild von<br />

schwarzem Wind und Rauch, in dem ja schon Feuer als Ursache steckt, zum<br />

„Schwelen“ – also einem nur von Asche bedecktem Brand – bis zu „Feuer“ und<br />

„Glutqualm“. Das Gericht des Stadt-Gottes kündigt sich durch eine Drohgebärde<br />

an, der ein „Meer von Feuer“ folgt. Wie in der Johannes-Offenbarung fällt Feuer<br />

vom Himmel, das die „große Hure Babylon“ 11 , „die Mutter der Hurerei und aller<br />

Greuel auf Erden“ 12 , die „Behausung der Teufel“ 13 zerstört. Bei Heym ist es das<br />

dahinjagende Feuermeer, das wie die vier apokalyptischen Reiter daherkommt,<br />

die Unglück verkörpern. Der „Glutqualm braust“ – mit geräuschvoller Schnelligkeit<br />

erfasst er die Stadt und „frisst sie auf“. Das alles spielt sich im Übergang<br />

vom „dunkle(n) Abend“ in die „Nacht“ ab, „bis spät der Morgen tagt“. In der<br />

Apokalypse finden sich mehrfach oppositionelle Kontrastierungen, so Schmutz<br />

(Babylon) und Reinheit (das neue Jerusalem), Dunkel und Licht und andere. Die<br />

Lichtmetapher ist dabei an die Anwesenheit Gottes gebunden, während Dunkelheit<br />

das Wirken Satans im weitesten Sinne symbolisiert. In Heyms Versen, die<br />

das Geschehen in Dunkelheit stattfinden lassen, taucht Licht bezeichnenderweise<br />

nur als Andeutung, am spät tagenden Morgen auf. Vom neuen Jerusalem ist nach<br />

der Vernichtung der Stadt nur eine schwache Hoffnung geblieben.<br />

Die tradierten apokalyptischen Bilder, Symbole, Textstrukturen werden<br />

von Heym und anderen Expressionisten, wie sie beispielsweise in der von Kurt<br />

Pinthus herausgegebenen Lyrikanthologie Menschheitsdämmerung von <strong>19</strong><strong>19</strong><br />

versammelt sind, nicht ohne Grund aufgegriffen. Die Begründung liegt in den<br />

schon oben angesprochenen Erfahrungen der Zeitgenossen mit der gesellschaftlichen<br />

Wirklichkeit, die solche Auslegungen wach riefen. Die Unüberschaubarkeit<br />

der Großstädte, denen eine menschgemäße Dimension als Lebensraum quasi<br />

11<br />

Offb. 17,5.<br />

12<br />

Ebd.<br />

13<br />

Offb. 18,2.

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