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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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50<br />

Dorota Sośnicka<br />

Im Roman sehen wir also Viktor, der „mit Pathos [...] geprägt und mit Größe<br />

gestempelt“ (I 252) nach längerer Abwesenheit im Ausland in sein Heimatstädtchen<br />

zurückkehrt, um hier gegenüber seiner untreuen Geliebten, Theuda Neukomm,<br />

die Rolle des ‘Richters’ zu spielen. Vor einigen Jahren hat er mit ihr<br />

ein paar gemeinsame Stunden verbracht, die er in seiner Erinnerung „Parusie“ 35<br />

(I 247) nennt, und obwohl für Theuda diese Begegnung kaum von Bedeutung<br />

war, machte Viktor aus ihr seine heimliche, geistige Geliebte. In seiner Phantasie<br />

erblickte er nämlich, wie seine ‘Strenge Herrin’ Theuda mit dem Namen ‘Imago’<br />

taufte und dann im „Namen des Geistes, der da höher ist als die Ordnung der<br />

Natur, im Namen der Ewigkeit, die heiliger ist als das vergängliche Gesetz der<br />

Menschen“ die Beiden „als Braut und Bräutigam“ (I 252) miteinander verband.<br />

Seitdem wird Imago zu seiner treuen Begleiterin. Doch auf die Nachricht von<br />

Theudas Heirat mit einem Anderen erkrankt Imago, so dass Viktor in seine Heimat<br />

zurückkehrt, um hier seine untreue Geliebte zu zwingen, vor ihm die Augen<br />

aus Scham „niederzuschlagen“ (I 232). Theuda, die sich der Phantasien Viktors<br />

gar nicht bewusst ist, tut es natürlich nicht; hinzu kommt, dass sie ihn völlig<br />

ignoriert. Daher gibt er ihr – der „Verräterin der Parusie!“ und der „Vergifterin<br />

Imagos!“ (I 300) – den Namen „Pseuda, das heißt: die Falsche“ (I 255), und von<br />

Rachegefühlen geleitet – und bald auch von unglücklicher Liebe und körperlicher<br />

Begierde geplagt – sucht er stets ihre Gesellschaft, so dass er sogar an<br />

den von sich gehassten und verspotteten Zusammenkünften der kleinstädtischen<br />

‘intellektuellen Elite’ teilnimmt, die hochtrabend ‘Idealia’ genannt werden.<br />

Schließlich muss aber Viktor resigniert zugeben: „Von den Fröschen wolltest du<br />

sie erlösen, und nun bist du selber der Frosch.“ (I 294) So – infolge des Verrats<br />

seiner hohen geistigen Ideale und der Erniedrigungen, die ihm Theuda und die<br />

Mitglieder der Idealia zufügen – erhöht sich sein „Gefühl zur Passion“ (I 346).<br />

Denn obwohl seine Vernunft ihn immer deutlicher erkennen lässt, dass Theuda,<br />

die sich verschiedenen philiströsen Neigungen und Beschäftigungen hingibt, seiner<br />

vergeistigten Liebe gar nicht würdig ist, so entwirft vor ihm seine Phantasie<br />

wunderschöne Bilder des gemeinsamen Glücks, und in seinen Träumen verrät<br />

ihm das Unterbewusstsein den wahren – erotischen – Charakter seiner Bestrebungen.<br />

In dieser Situation will Viktor nicht einmal auf die Warnungen seiner<br />

35<br />

In der hellenistischen Philosophie bedeutet das Wort ‘Parusie’ das wirksame Gegenwärtigsein<br />

von Gottheiten und Herrschern und bei Platon die Anwesenheit bzw. Gegenwart der Ideen<br />

in den Dingen. (Vgl. Langenscheidt: Griechisch-deutsches Wörterbuch Altgriechisch-Deutsch.<br />

Hg. v. Hermann Menge, 42. verb. Aufl. Berlin <strong>19</strong>85, S. 323 u. 330.)

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