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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Der Schweizer Literaturnobelpreisträger Carl Spitteler … 49<br />

der Psychoanalyse übernommene Beschreibung psychischer Prozesse verdankte<br />

der Schweizer Schriftsteller vielmehr eigenen Erlebnissen und Überlegungen,<br />

wovon eben sein stark autobiographisch geprägter Roman Imago zeugen kann.<br />

In diesem Roman beschreibt der Autor – bisweilen durchaus ironisch und humorvoll<br />

– die Geschichte seiner jugendlichen, imaginierten Liebe zu seiner Cousine<br />

Ellen Vetter-Brodbeck, doch gleichzeitig diskutiert er die Beziehung von Kunst<br />

und Leben sowie die Opposition Künstler – Gesellschaft. Den Roman kommentierte<br />

er selber mit folgenden Worten:<br />

Für meine Lebensgeschichte, also für meine Biographen wird es das allerwichtigste<br />

Dokument sein. Ich erscheine in allen meinen Werken verhüllt und maskiert,<br />

hier zeige ich meiner Seele kleinste Faser. 33<br />

Dieses Bekenntnis des Autors ist insofern aufschlussreich, als in dem Roman – in<br />

deutlicher Anknüpfung an das Epos Prometheus und Epimetheus und dessen<br />

Symbolik – tatsächlich die Wiedergabe des Innenlebens des Romanprotagonisten<br />

Viktor dominiert. Meistens wird Viktor in imaginierten Gesprächen mit seiner<br />

‘Phantasie’ und seiner ‘Vernunft’, mit seinem ‘Herzen’ und seiner ‘Strengen<br />

Frau Seele’ gezeigt, oder mit seinem Körper, den er „kameradschaftlich Konrad<br />

zu nennen“ 34 pflegt. Fast ununterbrochen führt Viktor einen ‘Seelendialog’,<br />

doch parallel dazu werden seine unterschiedlichen psychischen Reaktionen<br />

geschildert, wobei die einzelnen Aspekte seiner Innerlichkeit ihre eigene Stimme<br />

erhalten, so dass Bewusstes und Unbewusstes in einen (inneren) Dialog miteinander<br />

treten. Bisweilen unternimmt sogar Viktor „einen Rundgang durch die<br />

Arche Noah seiner Seele, vom obersten Stock bis in die Kellergewölbe des Unbewußten“<br />

(I 314), um seine tiefsten Gedanken und die verborgenen Wünsche vor<br />

sich selbst zu enthüllen. Auf diese – bisweilen auch humoristische Weise – deckt<br />

also der Autor die komplizierte Struktur der menschlichen Psyche auf und zeigt<br />

zugleich den unaufhörlichen inneren Konflikt eines sehr sensiblen, künstlerisch<br />

veranlagten Menschen zwischen seiner Einbildungskraft und seinem Intellekt,<br />

zwischen seinen Empfindungen und seinen Trieben sowie den Einfluss seines<br />

Unterbewusstseins auf sein Handeln und Verhalten.<br />

33<br />

Zit. nach: Fromm: Carl Spitteler: Prometheus der Dulder.<br />

34<br />

Carl Spitteler: Imago. In: ders.: „Prometheus der Dulder“ und „Imago“, S. 227–372, hier<br />

S. 242. Im Folgenden zitiert als I mit der Seitenzahl.

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