Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19
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46<br />
Dorota Sośnicka<br />
schen (1862) und Unphilosophische Gedanken (<strong>19</strong>10/11) zeugen. Als jedoch die<br />
Schwester Nietzsches, Elisabeth Förster-Nietzsche, in ihrem Aufsatz Nietzsche<br />
und die Kritik die Behauptung aufstellte, Spitteler sei entscheidend von Nietzsche<br />
beeinflusst worden, fühlte sich der Schweizer Autor genötigt, sich mit dem<br />
in den „Süddeutschen Monatsheften“ publizierten Artikel Meine Beziehungen zu<br />
Nietzsche (<strong>19</strong>08) an die Öffentlichkeit zu wenden. Hier antwortete er vor allem<br />
auf den Vorwurf einer Abhängigkeit seines Erstlings von Nietzsches Also sprach<br />
Zarathustra (1883), welcher nach einer nächsten Veröffentlichung von Prometheus<br />
und Epimetheus (1881/82) 27 erhoben wurde. Diesen Vorwurf widerlegte<br />
er, indem er u. a. darauf verwies, dass sein Epos viel früher entstanden war und<br />
bereits zwei Jahre vor dem Erscheinen des berühmten Werkes des deutschen<br />
Philosophen herausgebracht wurde.<br />
In seinem zweibändigen, in rhythmisierender Prosa verfassten Epos Prometheus<br />
und Epimetheus mit dem Untertitel Ein Gleichnis füllte Spitteler den<br />
antiken Mythos mit modernem Sinngehalt und verknüpfte ihn zugleich mit griechischen,<br />
biblischen und orientalischen Vorstellungen von der Seele und dem<br />
Verhältnis des Menschen zum Guten und zum Bösen. Im Mittelpunkt des Werkes<br />
stehen als absolut herausragende Gestalten die beiden Brüder, wobei sich Prometheus<br />
gleich am Anfang an Epimetheus wendet, den Eid abzulegen, nicht wie ‘die<br />
Vielen’ zu werden und in absoluter Einsamkeit zu verharren. Als der Engel Gottes<br />
von Prometheus verlangt, seine auf Individualismus pochende Seele gegen<br />
ein der Gesellschaft dienendes Gewissen einzutauschen, lehnt er es ab und wird<br />
daher von dem Engel Gottes und dessen Freundin Doxa verbannt. Nach einer<br />
Begegnung mit seiner ‘Göttin Seele’, die ihm als „ein Weib von überirdischer<br />
Gestalt“ 28 erscheint, geht er in ein fremdes Land und verdingt sich dort als Bauernknecht.<br />
Epimetheus dagegen willigt in den Tausch ein, heiratet Pandora und<br />
27<br />
Das Epos Prometheus und Epimetheus wurde nach der Erstausgabe 1881/82 noch sechs<br />
Mal aufgelegt: den Ausgaben von <strong>19</strong>06 und <strong>19</strong>11 folgten bis zum Jahre <strong>19</strong>23 vier weitere; <strong>19</strong>31<br />
erschien das Epos in englischer und <strong>19</strong>40 in französischer Übersetzung. <strong>19</strong>24 veröffentlichte<br />
Spitteler eine Umarbeitung seines Erstlings unter dem Titel Prometheus der Dulder, in der die<br />
Handlung straffer und übersichtlicher gestaltet wurde und der Autor ein größeres Gewicht darauf<br />
legte, Prometheus als ein nur aus sich selbst schöpfendes und selbstverantwortetes Individuum<br />
erscheinen zu lassen. Zugleich hat der Autor seinem Werk die Form eines jambischen Alexandriners<br />
verliehen. Auf die „z. T. verblüffenden Motivähnlichkeiten“ zwischen Spittelers und Nietzsches<br />
Werk, wobei vieles dafür spricht, dass Nietzsche vor der Veröffentlichung seines Werkes<br />
das Epos von Spitteler kannte, verweist u. a. Philipp Theison in Totalität des Mangels. Carl Spitteler<br />
und die Geburt des modernen Epos aus der Anschauung. Würzburg 2001, S. 95.<br />
28<br />
Carl Spitteler: Prometheus und Epimetheus. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 1. Zürich<br />
<strong>19</strong>45, S. 28.