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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Der Schweizer Literaturnobelpreisträger Carl Spitteler … 45<br />

Lehrer am Pädagogium in Basel: der Germanistikprofessor Wilhelm Wackernagel,<br />

der seinem Schüler ein gründliches Rhetorikwissen vermittelt hatte, sowie<br />

insbesondere sein Geschichtslehrer Jacob Burckhardt, der den Sechzehnjährigen<br />

zu einem Verzicht auf das Verfassen von Dramen überredet haben sollte und ihn<br />

gleichzeitig auf die italienische Renaissance-Epik aufmerksam machte, hauptsächlich<br />

auf den Rasenden Roland (Orlando furioso, 1516–1532) von Ludovico<br />

Ariosto. So sollte Spitteler bereits als Gymnasiast beschlossen haben, ein modernes,<br />

der Zeit angepasstes Epos zu schaffen. Dieser Entschluss führte jedoch zu<br />

einem schweren Konflikt mit dem Vater, der als ein hochgestellter Beamter und<br />

späterer Unternehmer den Wunsch hegte, aus seinem Sohn einen gut ausgebildeten<br />

Juristen zu machen. Daher begann Spitteler 1863 mit einem Jurastudium<br />

in Basel, das er aber schon nach einem Jahr abbrach; er trennte sich von seiner<br />

Familie und nahm schließlich ein Theologiestudium in Zürich auf, das er in Heidelberg<br />

und Basel fortsetzte. Von den philosophischen Schriften Burckhardts<br />

und Schopenhauers weltanschaulich geprägt, betrachtete sich jedoch Spitteler<br />

als einen Atheisten und ‘Antitheologen’ 26 , so dass er nach abgeschlossenem Studium<br />

die ihm zugewiesene Pfarrstelle ablehnte und als Privatlehrer in der Familie<br />

eines finnischen Generals nach Sankt Petersburg ging, von wo er Kontakte zu<br />

finnischen und baltischen Adelskreisen in Russland und Finnland anknüpfte und<br />

auch mehrmals Deutschland und Belgien besuchte – das slawische und finnischnordische<br />

Lokalkolorit fing er später in manchen seiner Erzählungen ein.<br />

In Russland verfasste Spitteler sein erstes Epos Prometheus und Epimetheus,<br />

zu dessen Leitmotiv er das Recht des Einzelnen zur Selbstbestimmung<br />

unabhängig von den gesellschaftlichen Normen und Gesetzen machte. In die<br />

Schweiz kehrte er erst nach dem Tod des Vaters 1879 zurück und gab hier 1881<br />

sein Epos unter dem Pseudonym Carl Felix Tandem heraus. Seine großen Hoffnungen,<br />

die er an dieses Werk knüpfte, wurden jedoch enttäuscht: Die Veröffentlichung<br />

blieb weitestgehend unbeachtet, auch wenn sich Gottfried Keller,<br />

Conrad Ferdinand Meyer und sogar Friedrich Nietzsche von Spittelers Debütwerk<br />

beeindruckt zeigten. Übrigens blieb der Schweizer Schriftsteller mit dem<br />

deutschen Philosophen eine Zeitlang in einem losen Briefkontakt, obgleich er<br />

eine eher distanzierte Haltung zu Nietzsches Schaffen einnahm. Mehr schätzte<br />

er die Arbeiten Burckhardts und Schopenhauers, wovon nicht nur seine großen<br />

Werke, sondern auch seine philosophischen Abhandlungen Würde des Men-<br />

26<br />

Vgl. Fromm: Carl Spitteler: Prometheus der Dulder.

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