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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Der Schweizer Literaturnobelpreisträger Carl Spitteler … 39<br />

menschliche Geschlecht bisher erringen konnte“, womit er jene Legende begründete,<br />

die seitdem schon immer Spittelers Texte begleiten sollte, einer kritischen<br />

Auseinandersetzung mit ihnen von vornherein im Wege stehend. Eine derartige<br />

hymnische und kritiklose Bewunderung für die Werke Spittelers führte schließlich<br />

dazu, dass er <strong>19</strong>12 für den literarischen Nobelpreis vorgeschlagen wurde.<br />

Die Schwedische Akademie lobte damals seine durch „wunderbare Zartheit“ 3<br />

überzeugende Lyrik und ergreifende Prosa, insbesondere aber sein Hauptwerk,<br />

das umfangreiche mystisch-symbolische Epos Olympischer Frühling, mit dem<br />

der Autor „ein vollständig neues mythologisches System geschaffen“ 4 habe.<br />

Gleichzeitig bemängelte man aber, dass über den Epen des Schweizers eine<br />

„unleugbare Unklarheit“ ruhe und dass sie daher dem durchschnittlichen Leser<br />

nicht zugänglich seien. Aufgrund der kritischen Stimmen wurde also Spittelers<br />

Auszeichnung mit dem literarischen Nobelpreis zunächst abgelehnt. Zwei Jahre<br />

später war die Schwedische Akademie zwar durchaus bereit, den bedeutenden<br />

Preis an den Schweizer Epiker zu verleihen, letztendlich jedoch beschloss sie,<br />

im Kriegsjahr keinen literarischen Nobelpreis zu vergeben. In den Jahren <strong>19</strong>15<br />

und <strong>19</strong>17 wurde schon der Autor des vielgelobten Epos Olympischer Frühling<br />

heftig angegriffen, und zwar aufgrund seiner berühmten Antikriegsrede Unser<br />

Schweizer Standpunkt 5 , die er am 14. Dezember <strong>19</strong>14 vor der Sektion Zürich der<br />

Neuen Helvetischen Gesellschaft 6 gehalten hatte.<br />

Dies war die einzige politische Rede Carl Spittelers, der bis zum Ausbruch<br />

des Ersten Weltkriegs politische Auftritte jeder Art gemieden hatte und erst auf<br />

die Bitten besorgter Mitbürger beschloss, aus seiner Einsamkeit herauszutreten<br />

und die Schweizer hinsichtlich ihrer Haltung gegenüber den kriegführen-<br />

3<br />

Zit. nach: Aldo Keel: Literatur-Nobelpreis und seine Macher. Die Schwedische Akademie<br />

öffnet ihr Archiv. In: Neue Zürcher Zeitung <strong>Nr</strong>. 80 vom 8.04.2002, S. 6.<br />

4<br />

Ebd.<br />

5<br />

Carl Spitteler: Unser Schweizer Standpunkt. In: ders.: Gesammelte Werke. Hg. im Auftrag<br />

der Schweizer Eidgenossenschaft v. Gottfried Bohnenblust, Wilhelm Philipp Etter, Wilhelm<br />

Altwegg u. Robert Faesi. Bd. 8. Zürich <strong>19</strong>47, S. 577–594. Zur Wirkung und Bewertung dieser<br />

Rede vgl. u. a. Werner Lauber: Unser Schweizer Standpunkt. In: Spitteler: Gesammelte Werke.<br />

Bd. 10/2: Geleitband 2. Zürich <strong>19</strong>58, S. 509–517.<br />

6<br />

Die Neue Helvetische Gesellschaft wurde einige Monate vor Ausbruch des Ersten<br />

Weltkriegs gegründet – mit dem Ziel, die geistigen Werte der Schweiz und Lösungen wichtiger<br />

landesbezogener Fragen zu fördern sowie eine verantwortungsbewusste, durch gemeinsamen<br />

Geist und Willen getragene Zusammengehörigkeit der Schweizer zu ermöglichen. Vgl. Johann<br />

Ulrich Schlegel: Carl Spitteler, oder kann man gleichzeitig Europäer und Schweizer sein?<br />

In: Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur. Rundbrief 151. Verfügbar über: http://www.<br />

stab-ch.org/index.php?page=rundbrief-151 (Zugriff am 10.09.2008).

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