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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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38<br />

Dorota Sośnicka<br />

auch selber mit seinen Werken ebenso Friedrich Nietzsche wie auch Carl Gustav<br />

Jung und Sigmund Freud anregte. Seine Prosatexte, die nicht selten stilistisch<br />

dem Werk Gottfried Kellers und Conrad Ferdinand Meyers nahe stehen, gehen<br />

gleichzeitig über den Rahmen des realistischen Erzählens hinaus und weisen<br />

Elemente auf, die für die europäische Moderne durchaus charakteristisch sind.<br />

Hinzu kommt seine umfangreiche Publizistik, in der er – ähnlich wie in manchen<br />

seiner Prosatexte – eine scharfe Kritik am schweizerischen ‘Seldwylergeist’ übte.<br />

Angesichts seines so verschiedene Genres und Stile verknüpfenden Werkes stellt<br />

sich somit die Frage, ob in Carl Spitteler ein Epigone der klassischen Literatur<br />

zu sehen ist, dessen Idee, ein großes Menschheitsepos zu schaffen, den Idealen<br />

der europäischen Moderne zuwiderlief, oder doch der eigentliche Bahnbrecher<br />

und Begründer der modernen Erzählkunst in der Schweizer Literatur, die um<br />

die Wende vom <strong>19</strong>. zum 20. Jahrhundert von der realistischen Poetik und der<br />

Trivialliteratur geprägt war.<br />

Wenigstens bis zum Jahre <strong>19</strong>14 war Spitteler kaum bekannt; sein Werk<br />

galt eher als ein Geheimtipp für einen kleinen Kreis eingeweihter, rückwärtsgewandter<br />

Idealisten, die in der Zeit fortschreitender Technisierung und Industrialisierung<br />

sowie beginnender Massenkultur in ihm eine Symbolfigur der<br />

formal strengen, traditionsverpflichteten und idealistischen Dichtung sahen.<br />

So gefeiert wurde Spitteler insbesondere von seinem langjährigen Freund und<br />

Vertrauten Joseph Viktor Widmann (1842–<strong>19</strong>11), dem Schweizer Schriftsteller<br />

und Redakteur der Berner Tageszeitung „Der Bund“, der in der schweizerischen<br />

und österreichischen Presse unermüdlich dafür plädierte, in Spittelers Alexandrinerepos<br />

Olympischer Frühling (<strong>19</strong>00–<strong>19</strong>05) ein künstlerisches Phänomen<br />

höchsten Ranges, ja, geradezu ein epochales literarisches Ereignis zu würdigen.<br />

Eine begeisterte Aufnahme beim deutschen kunstbeflissenen Bildungsbürgertum<br />

verdankte Spitteler zugleich dem österreichischen Musiker und Schriftsteller,<br />

Felix Weingartner (1863–<strong>19</strong>42), der als einer der ersten eine enthusiastische<br />

Arbeit über seine Werke veröffentlichte. In seiner Schrift Carl Spitteler: Ein<br />

künstlerisches Erlebnis (<strong>19</strong>04) hat er u. a. dem Wunsch Ausdruck verliehen,<br />

dass des Schweizers Epen „Geheimschriften bleiben für Auserwählte, die sich in<br />

stillen, weltenfernen Stunden erbauen mögen“ 2 . Gleichzeitig stellte er fest, dass<br />

„ihr tatsächliches Populärwerden eine höhere Kultur voraussetzte, als sich das<br />

2<br />

Felix Weingartner: Carl Spitteler: Ein künstlerisches Erlebnis. München <strong>19</strong>04. Zit. nach:<br />

Roger Scharpf: Carl Spitteler (1845–<strong>19</strong>24) und die Anfänge der modernen Erzählkunst in der<br />

Schweiz. Bern u. a. <strong>19</strong>99, S. 16.

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