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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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34<br />

Barbara Wróblewska<br />

Doch diese seelische Ohnmacht, in der der Obrist mit Gott hadert, dauert nicht<br />

lange. Allmählich begreift er die Nichtigkeit des menschlichen Lebens der<br />

Allmacht der Natur gegenüber:<br />

Dann schien die Sonne, wie alle Tage, es wuchs das Getreide, das sie im Herbste<br />

angebaut hatten, die Bäche rannen durch die Täler hinaus – nur daß sie allein dahin<br />

war, wie der Verlust einer goldenen Mücke. (MU 181)<br />

Seine bisherige Haltung, Mittelpunkt der Welt zu sein, gibt der Mann auf und<br />

fügt sich in stiller Ergebung dem Willen Gottes:<br />

[...] ich habe mir damals eingebildet, Gott brauche einen Engel im Himmel und<br />

einen guten Menschen auf Erden: deshalb mußte sie sterben. (MU 181)<br />

Stifter weiß, dass nur das aufrichtige, unselbstische Gefühl der Ehegatten<br />

den Tod eines der Partner zu überwinden vermag. Am 12. Juni 1856 schreibt er<br />

an Gustav Heckenast:<br />

Wer in der Gattin nur seine eigene Lust besaß, nicht sie, bei dem ist es freilich<br />

anders, der hat kein Bild der Verstorbenen, und kann nichts Besseres tun, als sich<br />

sehr bald eine neue Gattin anzuschaffen. 24<br />

Triumph der geistigen Liebe über den Reiz körperlicher Neigungen bewirkt, dass<br />

der Obrist bewusst dem Trost in einer anderen Beziehung entsagt. Verzicht auf<br />

das Sinnliche lenkt den Reifungsprozess des Helden in eine neue Richtung ein.<br />

Das Wesen seiner Frau soll jetzt das seine werden: „[...] ich wolle so gut werden<br />

wie sie, und wolle tun, wie sie täte, wenn sie noch lebte“ (MU 181). Endgültigen<br />

Abschied von seiner leidenschaftlichen Natur versinnbildlicht der Umzug des<br />

Obristen in eine Gegend, wo<br />

ein schöner ursprünglicher Wald da ist, in dem man viel schaffen und richten kann,<br />

[...] weil eine Natur, die man zu Freundlicherem zügeln und zähmen kann, das<br />

Schönste ist, das es auf Erden gibt. (MU 182)<br />

Jede Triebhaftigkeit fällt von dem Mann unwiederbringlich ab. Seine Aufmerksamkeit<br />

gilt jetzt der Erziehung der kleinen Tochter und Kultivierung des<br />

24<br />

Adalbert Stifter: Briefe. Zürich <strong>19</strong>47, S. 251.

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