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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Barbara Wróblewska<br />

Beruhigung. Unüberwindliche Schwermut hebt allmählich an, sich seiner Seele<br />

zu bemächtigen.<br />

Ich war in den Jahren über dreißig, und die Sachen begannen eine Wendung zu<br />

nehmen. [...] ich war manche Nacht, wenn die öde Luft durch den Himmel strich,<br />

traurig über die Welt und traurig über alle Dinge. (MU 169)<br />

Unversehens kommt ihm ein alter Kriegsmann zu Hilfe, der die Führung eines<br />

Tagebuches als geeignetes Heilmittel gegen allerlei Kümmernisse anpreist. Die<br />

Entscheidung, alle Begebenheiten, Gedanken und Vorsätze aufzuschreiben, stellt<br />

im bisherigen Entwicklungsprozess des Obristen einen grundsätzlichen Wendepunkt<br />

dar:<br />

[...] denn ich glaube, daß ich schier alles, was ich geworden, durch dieses Mittel<br />

geworden bin. (MU 170)<br />

Sein Charakter festigt sich, seine Ansichten werden im Laufe der Zeit immer<br />

reifer:<br />

Ich lernte nach und nach das Gute von dem Gepriesenen unterscheiden und das<br />

Heißerstrebte von dem Gewordenen. [...] Ich fing mit der Zeit auch an, im Leben<br />

auszuüben, was ich im Geiste denken gelernt hatte. (MU 171)<br />

Frühere Verwegenheit und jugendliches Ungestüm werden abgelegt, stattdessen<br />

erscheint Sanftmut als neue, erwünschte Verhaltensnorm.<br />

Kurz nach dem Abschied vom Heer lässt sich der Obrist in einem schönen<br />

Tal nieder und gründet eine Familie. Zur Lebensgefährtin wählt er eine Frau, die,<br />

mehrere Jahre unter Strenge der Verwandten leidend, den Geschmack der Liebe<br />

nie kennen lernte und anfänglich nur mit Misstrauen auf Gewogenheit ihres Gatten<br />

reagiert. Als „verzagende Braut“ (MU 173) steht sie an ihrem Vermählungstag<br />

unter ihren Angehörigen und sucht in den Augen des Bräutigams nach einem<br />

Beweis seiner Treuherzigkeit. Ihre tiefen seelischen Wunden machen sie unfähig,<br />

seinen Kuss zu Beginn des neuen Lebensabschnitts zu erwidern, deswegen<br />

beschließt der Obrist, von der Ratlosigkeit der Frau gerührt, sie zu ehren und zu<br />

schonen. Der äußerst taktvolle und zärtliche Umgang mit der Neuvermählten<br />

bedeutet für den Mann auch Verzicht auf jeden Versuch sexueller Annäherung.

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