22.11.2013 Aufrufe

Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

30<br />

Barbara Wróblewska<br />

dung gerecht werden, so müssen seine erworbenen beruflichen Kenntnisse eine<br />

ständige Verbesserung erfahren. Und das gerät nur dann gut, wenn der Doktor<br />

ausreichend Eifer in sich findet, um in die Gesetze der Natur eindringen und<br />

deren Wesen begreifen zu können:<br />

Man muß die Gebote der Naturdinge lernen, was sie verlangen und was sie verweigern,<br />

man muß in der steten Anschauung der kleinsten Sachen erkennen, wie<br />

sie sind, und ihnen zu Willen sein. [...] Ich will sehr eifrig in den Büchern lesen<br />

und das lernen, was sie enthalten – und ich will hinter dem Hirsche, hinter dem<br />

Hunde hergehen und zusehen, wie sie es machen, daß sie genesen. Die Kräuter der<br />

Berge kenne ich; jetzt will ich auch die anderen Dinge ansehen und will die Krankheiten<br />

betrachten, was sie sprechen, was sie zu uns sagen und was sie heischen.<br />

(MU 302)<br />

Der Heilungsprozess lässt Augustinus erkennen, dass der Mensch nur durch die<br />

Aufgabe seiner selbstischen Haltung die Prinzipien der kosmischen, göttlichen<br />

und sittlichen Ordnung zu erfassen vermag. Wer der Gesetzmäßigkeit der Welt<br />

innewird, kann sein individuelles Leid bezwingen, ohne zum Missetäter zu<br />

entarten 22 :<br />

Und groß und schreckhaft herrlich muß das Ziel sein, weil dein unaussprechbar<br />

Wehe, dein unersättlich großer Schmerz nichts darinnen ist, gar nichts – oder ein<br />

winzig Schrittlein vorwärts in der Vollendung der Dinge. (MU 152)<br />

Der Läuterung des Charakters, die sich bei dem Helden in entsagungsvoller<br />

Resignation vollzieht, folgt die Sublimierung seines Liebesgefühls. Die leere<br />

Stelle nach dem Verlust der Geliebten bleibt unbesetzt, aber die physische Einsamkeit<br />

des Doktors wird dann durch die Erhebung der heiligen Margarita zur<br />

‘Schutzherrin’ des Hauses und durch die Aufstellung ihres Bildnisses in einem<br />

zur Hauskapelle eingerichteten Wohnraum wesentlich abgeschwächt. Nicht<br />

zufällig trägt die Schutzpatronin den gleichen Namen wie die verlorene Partnerin.<br />

In dem Kult der Heiligen wahrt Augustinus’ Liebe zu Margarita ihre Kontinuität.<br />

Zugleich evolviert das frühere triebhafte Gefühl zu einer reinen und jeder<br />

Sinnlichkeit beraubten Verehrung. Als nach dreijähriger Trennung der Doktor<br />

die Frau wieder trifft, wagt er sie kaum anzufassen:<br />

22<br />

Vgl. Konrad Steffen: Adalbert Stifter. Deutungen. Basel, Stuttgart <strong>19</strong>55, S. 87.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!