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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Die enthaltsame Liebe … 29<br />

Augustinus die Eifersuchtsszene ans Tageslicht holte. Wie ein Vorwurf lauten<br />

Margaritas Worte: „Ich habe geglaubt, daß Ihr sehr gut und sehr sanft seid.“<br />

(MU 297) Andererseits stellen sie für den Mann eine Herausforderung dar, diese<br />

„privilegiert weibliche Eigenschaft“ 20 anzustreben. Und erst dann, wenn die erotische<br />

Natur des Doktors zugunsten der sanftmütigen gebändigt wird, gilt seine<br />

„irritable Subjektivität“ 21 als überwunden. Ein erstes Zeichen des Abgehens von<br />

dem leidenschaftlichen Überschwang kündigt sich in dem Geständnis des Doktors<br />

an, in dem er die Schuld an der Verfehlung nicht mehr der Frau, sondern sich<br />

selbst aufbürdet:<br />

[...] alles ist aus − − und sie, gerade sie hat mir so große Schmerzen gemacht; aber<br />

es ist nicht sie, ich erkenne es jetzt wohl, sondern ich, ich allein. (MU 287)<br />

Verzicht auf Realisierung des sexuellen Begehrens lenkt die Aufmerksamkeit<br />

des Helden auf die ihn umgebende Wirklichkeit:<br />

So will ich denn nun Tal ob Pirling, dachte ich, über dem der traurige Himmel ist,<br />

ausbauen und verschönern, hier will ich machen, was meinem Herzen wohltut,<br />

hier will ich machen, was meinen Augen gefällt – die Dinge, die ich herstelle, sollen<br />

mich gleichsam lieben. (MU 305)<br />

Auf keinen Fall geht hier der Schmerz der Trennung und Einsamkeit in lähmende<br />

Passivität über. Im Gegenteil: Er löst bei dem Doktor Kräfte aus, die ihn zu<br />

gewissenhafterer Pflichterfüllung und tatkräftigem Wirken für die Mitmenschen<br />

mobilisieren:<br />

Auch mit Menschen ist es mir anders geworden. Es sind mir die Augen aufgegangen,<br />

daß viele um mich wohnen, die ich zu beachten habe. Ich bin mit diesem und<br />

jenem zusammen gekommen, ich habe dieses und jenes geredet, habe Rat gegeben<br />

und empfangen und habe von den Schicksalen der Welt erfahren: wie sie hier<br />

leben, wie sie dort leben, wie sie hier Freude haben und dort leiden und hoffen.<br />

(MU 308)<br />

Seine Arbeit betrachtet Augustinus jetzt als eine Berufung, die ihm „die Gottheit<br />

gegeben hatte“ (MU 302). Will er allerdings den Anforderungen dieser Begna-<br />

20<br />

Ebd.<br />

21<br />

Wildbolz: Adalbert Stifter, S. 64.

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