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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Die enthaltsame Liebe … 27<br />

Triebhaftigkeit befremdet die Frau, die „vor dem harten Felsen der Gewalttat“<br />

(MU 298) zurückweicht, aber auch den Doktor selbst:<br />

Ach, ich bin ja sonst nicht so zornig – es ist meine Art nicht so. Ein Rückfall in<br />

meine Kindheit mußte es sein, wo mich, wie der Vater sagte, meine früh verstorbene<br />

Mutter verweichlichte, daß ich oft, wenn mir ein Hindernis entgegenkam,<br />

mich zu Boden warf und tobte. (MU 290)<br />

Stürmische und maßlose Leidenschaft trübt ihm jeden klaren Blick in die Welt:<br />

Und da war es, wo eine solche Vergessenheit aller Dinge des Himmels und der<br />

Erde über mich kam!! [...] Es war nun alles gleich. Ich wollte die Dinge der Welt<br />

zerreißen, vernichten, strafen. (MU 295)<br />

Rachegedanken steigen in ihm auf: „[...] sie sollte es nur sehen, daß [...] ich sie<br />

strafe, das falsche, wankelmütige Herz [...]“ (MU 154). In dem Freitod glaubt<br />

Augustinus einen Ausweg gefunden zu haben. Dem Böses ahnenden Obristen<br />

gelingt es jedoch im letzten Augenblick, den Selbstmord zu vereiteln und dem<br />

Doktor die Frevelhaftigkeit seines Verhaltens bewusst zu machen:<br />

Es ist eine sehr lasterhafte Tat gewesen, die ich habe begehen gewollt, und sie<br />

hat meine Seele tief erschreckt. – Ich habe sonst meine Geschäfte ruhig getan<br />

und weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin, daß ein solcher Gedanke in meinem<br />

Haupte entstehen konnte. (MU 295)<br />

Das Bewusstsein seines sündhaften Vorhabens versetzt den Doktor in den Zustand<br />

einer tiefen seelischen Bedrückung. Schwermut, in der er seit dem gescheiterten<br />

Selbstmordversuch versunken lebt, erweist sich jedoch als eine notwendige Voraussetzung<br />

für die Wendung der bedrängten Seele zum Heil.<br />

Das ist immer so, [...] daß aus dem harten Steine Zorn der weiche Funken Wehmut<br />

kömmt. So fängt Gott die Heilung an. (MU 161)<br />

Die beruhigenden und Trost spendenden Worte des Obristen werden dem von<br />

innerlichem Schmerz niedergedrückten Arzt zum richtigen „Ansporn des<br />

Lebens“ 14 :<br />

14<br />

Mayer: Adalbert Stifter, S. 104.

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