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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Barbara Wróblewska<br />

Es ist eine wahre Freude für mich geworden, die Gespräche dieses Mannes anhören<br />

zu können, und es tat mir auch wohl, von dem, was ich dachte, was ich erforschte<br />

und was ich für die Zukunft vorhatte, zu ihm reden zu können. (MU 259)<br />

Ausgefüllt werden die gemeinsam verbrachten Stunden mit Spaziergängen in<br />

der Umgebung, langen Gesprächen „von den verschiedensten Dingen der Welt“<br />

(MU 270), dem Lesen von Büchern und Schriften „aus verschiedenen alten und<br />

merkwürdigen Zeiten“ sowie mit der Betrachtung der Kunstwerke, deren „Vollkommenheiten“<br />

der Doktor erst durch die Bekanntschaft mit dem Obristen zu<br />

empfinden lernt.<br />

Die Seelenverwandtschaft, die Augustinus mit der schönen Tochter des<br />

Nachbarn allmählich zu verbinden beginnt, erweckt zum Leben seine tief<br />

schlummernden erotischen Bedürfnisse. Nicht zufällig nimmt er die Aufnahme<br />

und Intensivierung der Beziehung mit Margarita als Ende der einfachen und<br />

schuldlosen Zeit und Anbruch einer glückseligen wahr (vgl. MU 287). Auffallend<br />

ist jedoch, dass dem Liebesgeständnis der Helden kein Versuch einer körperlichen<br />

Annäherung folgt. Im Umgang der beiden Partner miteinander herrscht<br />

nach Wolfgang Lukas weitgehende Tendenz zur „radikalen Entsexualisierung“ 7<br />

ihres Verhaltens vor. Gelehrt und gelernt wird vor allem in dieser Beziehung.<br />

Der Doktor vermittelt der Frau die Namen der Pflanzen und Gesteine, die sie sich<br />

einprägt, um sie dann vor dem Geliebten fehlerlos herzusagen. Ihrerseits führt<br />

Margarita den Doktor in die ihm wenig vertraute Welt der Kunst ein. Der einzige<br />

körperliche Kontakt beschränkt sich auf das Handhalten, auch wird nach der<br />

Liebeserklärung die gegenseitige Zuneigung kein einziges Mal thematisiert:<br />

Wenn andere eine Neigung zueinander haben, suchen sie dieselbe zu verheimlichen,<br />

wir aber taten dieses nicht, sagten aber auch nichts und lebten so miteinander<br />

fort. Wir haben auch zu uns selber nichts mehr von unserer Zuneigung gesagt, seit<br />

jenem Abende, wo wir im Eichenhage einander vertrauten, daß wir uns sehr lieben.<br />

Ich hatte nicht den Mut, sie von dem Obristen zu meinem Weibe zu begehren<br />

– es kam mir auch vor, daß es noch nicht Zeit sei. (MU 286)<br />

Doch dann meldet sich bei dem Doktor ganz unerwartet „eine gefährliche Instabilität<br />

des Herzens“ 8 zu Wort. Für eine markante Ankündigung der inneren Zer-<br />

7<br />

Lukas: Geschlechterrolle und Erzählerrolle, S. 375.<br />

8<br />

Rudolf Wildbolz: Adalbert Stifter. Langeweile und Faszination. Stuttgart <strong>19</strong>76, S. 64.

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