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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Die enthaltsame Liebe … 23<br />

in einer Gegend nieder, deren Bewohner ärztliche Fürsorge nicht kennen. Sein<br />

Ziel ist von vornherein klar:<br />

Ich kam nicht in die Gegend meiner Heimat zurück, um mich da zu bereichern,<br />

sondern um in all diesen Tälern [...] zu wirken und denen, die da leben, Wohltaten<br />

zu erweisen. 6<br />

Das Zutrauen, das die ungebildeten Waldbewohner Augustinus entgegenzubringen<br />

beginnen, verdankt der junge Arzt mehreren Umständen: seiner ländlichen<br />

Herkunft, dem Vermögen, mit jedem Menschen umzugehen, und vornehmlich<br />

seiner Bereitschaft, den Landsleuten nicht nur bei Krankheiten, sondern in allen<br />

anderen Angelegenheiten beizustehen:<br />

Wenn ich Dank verdiene, so könnte es eher sein, weil ich auch zuweilen außer<br />

meinem ärztlichen Berufe mich bestrebe, den Leuten einiges Gute zu tun.<br />

(MU 253)<br />

Unter so vielen Menschen, die den Doktor umgeben und bei denen er bald zu<br />

höchstem Ansehen kommt, empfindet Augustinus doch eigene geistige Vereinsamung.<br />

Die Zugehörigkeit zu der dörflichen Gemeinde und deren Anerkennung<br />

bedeuten ihm zwar viel, bleiben jedoch ohne wesentlichen Einfluss auf seinen<br />

seelischen Werdegang. Der junge Arzt, der allen Dörflern jederzeit mit Ratschlägen<br />

und Anregungen zur Seite steht, braucht selbst jemand, mit dessen Hilfe er<br />

eine höhere Stufe in seiner Persönlichkeitsentwicklung erreichen könnte. Nach<br />

einigen Jahren leitet die Annäherung mit dem Obristen eine neue Etappe in dem<br />

Prozess der Individualitätsgestaltung des Doktors ein:<br />

Es ist gut, daß dieser Mann gekommen sei, daß ich mit ihm reden könne, daß ich<br />

mit ihm umgehe und von ihm etwas lerne. (MU 255)<br />

Das, was Augustinus an den sich häufenden Kontakten mit seinem<br />

alternden Nachbarn besonders hoch schätzt, ist die Möglichkeit eines regen<br />

Gedankenaustauschs:<br />

6<br />

Adalbert Stifter: Die Mappe meines Urgroßvaters. In: Stifters Werke. Berlin, Weimar <strong>19</strong>88,<br />

Bd. 1, S. <strong>19</strong>0. Im Folgenden zitiert als MU mit der Seitenzahl.

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