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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Rezensionen und Berichte<br />

wahrzunehmen, eine Doppelschichtigkeit, die den Texten der Langgässer eine<br />

heilsgeschichtliche Dimension gibt, die gemäß der geschichtsphilosophischen<br />

Vorstellungswelt der Dichterin auch ihre fragwürdige Seite hat. Nicht als freies<br />

selbstverantwortliches Individuum ist der Mensch in die Welt gestellt, sondern<br />

als prädestinierte Marionette auf dem Welttheater zwischen Gott und Satan. Es<br />

war gerade ihr theologisch-geschichtsphilosophisches Weltbild, das sie in ein für<br />

ihre Zeit bezeichnendes Dilemma geführt hat.<br />

Die Literaturwissenschaftlerin Sonja Hilzinger, die bereits Biographien<br />

von Anna Seghers, Inge Müller und Christa Wolf verfasst hat, schreibt nicht<br />

die erste Lebensgeschichte über Elisabeth Langgässer, aber es ist die bisher materialreichste,<br />

gründlichste und ergiebigste. Langgässer hat selbst in einem ihrer<br />

Briefe gesagt, sie sei eine der Stillen im Lande, aber so wie ihre dichterische<br />

Welt eine ausgesprochen kämpferische und dramatische ist, die so gut wie keine<br />

Idyllen kennt, so ist auch ihr Lebensschicksal hochdramatisch: ihr Aufwachsen<br />

in der rheinhessischen Landschaft, die spannungsreiche Parallelität ihrer Entwicklung<br />

mit der von Anna Seghers, ihre exemplarische deutschjüdische Familiengeschichte<br />

in der NS-Zeit, ihre Konflikte, Widersprüche, ihre Umstrittenheit<br />

– und das vermag die Biographin Sonja Hilzinger auch überzeugend dem Leser<br />

zu übermitteln. Vieles im Leben und Schaffen der Schriftstellerin war auch ihrer<br />

Biografin unverständlich, fremd, erschreckte sie geradezu. Aber sie wollte sich<br />

– so schreibt sie im Vorwort – als Biografin „auf ihre Seite stellen und alles tun,<br />

sie zu verstehen und verständlich zu machen“. So führte Hilzinger parallel zur<br />

Biografie ein Arbeitstagebuch, um „Gefühle wie Wut und Entsetzen, das Nachspüren<br />

eigener Verdrängungen und Momente unerwarteter Nähe“ festzuhalten<br />

und darüber zu reflektieren. Schade eigentlich, dass diese persönlichen Reflexionen<br />

nicht stärker in die Biographie eingebracht wurden, aber es ging ihr ja um<br />

eine an den Fakten und Dokumenten – weniger an Mutmaßungen und fiktiven<br />

Überlegungen – orientierte Darstellung. Indem sie die Biografie Langgässers in<br />

die Familien-, Zeit- und Literaturgeschichte einbettete und ihre „Innenwelten“<br />

zu erhellen suchte, wollte sie das Exemplarische dieses Lebens verdeutlichen:<br />

Hilzinger folgt den Lebensstationen Langgässers und damit „dessen Bewegungsgesetz,<br />

am Ende zu den Anfängen zurückzukehren, ein Lebenszyklus im<br />

wahrsten Sinne des Wortes“ – und das Zyklische war ja auch Langgässers literarisches<br />

Kompositionsprinzip. Dabei diente ihr die kommentierte Briefausgabe,<br />

die Elisabeth Hoffmann, die Enkelin Langgässers, zusammengestellt hat, als<br />

unentbehrliche Grundlage für ihre „biographische Erzählung“, wie sie dennoch

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