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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Rezensionen und Berichte 2<strong>19</strong><br />

Der tote Jude und das Schild:<br />

Sonja Hilzinger hat eine eindringliche Biografie<br />

über Elisabeth Langgässer geschrieben *<br />

Sonja Hilzinger: Elisabeth Langgässer. Eine Biografie. Berlin: Verlag für<br />

Berlin-Brandenburg, 2009, 498 S. mit 20 s/w-Abbildungen<br />

Wer kennt diese Kurzgeschichte mit dem Titel Saisonbeginn nicht? Am<br />

Ortseingang des Kurortes in den Bergen stehen sie beide nebeneinander: der<br />

gekreuzigte Jude Jesus und das Schild, dessen Aufschrift erst im letzten Satz<br />

enthüllt wird: „In diesem Kurort sind Juden unerwünscht.“ Kreuzigung und<br />

Judenverfolgung in der Nazizeit werden in Parallelität gesetzt. Dieser Ort ist<br />

ein modernes Golgatha, eine Hinrichtungsstätte. Was ist aus der christlichen<br />

Botschaft in der Zeit der Judenverfolgung geworden? Das Juden-unerwünscht-<br />

Schild ist wie eine Verhöhnung des leidenden Jesus. Dieser wird zwar verehrt,<br />

aber seine Liebesbotschaft ignoriert. Er leidet Schmerzen am Kreuz und wird<br />

zusätzlich verhöhnt durch das Schild, auf das er ständig sehen muss. In der Reaktion<br />

der Dorfbewohner auf das Schild kommt die Reaktion vieler Deutscher auf<br />

die Judenverfolgung zum Ausdruck.<br />

Nach <strong>19</strong>45 galt die Autorin dieser Kurzgeschichte – sie erschien in der<br />

Prosa-Sammlung Torso (<strong>19</strong>47) –, Elisabeth Langgässer, als eine typische Vertreterin<br />

der deutschen Nachkriegsliteratur. Als NS-Verfolgte (Halb-Jüdin) schrieb<br />

sie in einem Pessimismus oder Realismus, der die Shoa immer im Hintergrund,<br />

oft auch als Thema hatte. Dabei sparte sie nicht an Kritik an den Autoren der<br />

inneren Emigration und an ihrer eigenen Haltung in der NS-Zeit, die sie als<br />

„Tändeln mit Blumen und Blümchen über dem scheußlichen, weit geöffneten,<br />

aber eben mit diesen Blümchen überdeckten Abgrund der Massengräber“<br />

bezeichnete. Aber schon zu ihren Lebzeiten wurde sie vielfach verkannt und war<br />

wiederholten Angriffen ausgesetzt. Ihr religiöses Welterleben, das das Wesen<br />

des Menschen von Sünde und Gnade, Verführung und Erlösung bestimmt sieht,<br />

schränkt doch den Rezipientenkreis weitgehend ein. Der Leser hat im Symbolwert<br />

der Welt der Natur und der Dinge die Handlung der großen Zusammenhänge<br />

*<br />

Diese Rezension erschien ursprünglich in „Die Berliner Literaturkritik“ vom 10.09.2009<br />

und ist auch unter der Adresse http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/neue-biografie-elisabeth-langgaesser.html<br />

zugänglich. (Anm. der Redaktion)

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