Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

ZESZYTY NAUKOWE UNIWERSYTETU SZCZECIŃSKIEGO
NR 617 COLLOQUIA GERMANICA STETINENSIA NR 19 2011
BARBARA WRÓBLEWSKA
Uniwersytet Szczeciński
DIE ENTHALTSAME LIEBE
IN ADALBERT STIFTERS
DIE MAPPE MEINES URGROSSVATERS
Jahrzehntelang lebte Adalbert Stifter in dem Bewusstsein breiter Leserkreise
vor allem als harmloser Idyllendichter und Autor eingehender Naturschilderungen.
Erst seit ihn Thomas Mann einen „der merkwürdigsten,
hintergründigsten, heimlich kühnsten und wunderlich packendsten Erzähler
der Weltliteratur“ 1 genannt hatte, begann man Stifter als einen Dichter zu entdecken,
dem die Abgründe des Seelischen nicht unbekannt waren. Man merkte,
dass sich hinter der oft einfachen, ja nahezu naiven Handlung seiner Erzählungen
eine ganze Fülle von ungeahnter Verstrickungen und Unklarheiten des
menschlichen Daseins verbirgt. Doch die Stifter’schen Gestalten restlos zu
erfassen, macht Schwierigkeiten, denn so ausführlich und detailliert der Dichter
die Natur schildert, so wortkarg erweist sich die Darstellung der emotionalen
Sphäre seiner Helden. „Ausdruck durch Verschweigen“ 2 nennt Wolfgang Matz
diese vom Dichter bei Beschreibung innerer Zustände der Gestalten gern angewandte
Erzähltechnik. Das Seelische wird hier verhüllt oder nur angedeutet,
dessen Ergründung dem Leser überlassen. Eine solche auf Verschlüsselung des
Inhalts beruhende Verfahrensweise kommt deutlich zum Vorschein im Bereich
1
Thomas Mann: Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans. Frankfurt a. M.
1960, S. 99.
2
Wolfgang Matz: Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge. München
2005, S. 241.