Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

Internet als Ort globaler Literaturübermittlung ... 125
Den Grundstein für die Errichtung dieser weltumspannenden digitalen
Bibliothek legte 1971 der Sohn eines Professors für englischsprachige Literatur,
Michael Hart, der das amerikanische Project Gutenberg ins Leben rief, indem er
eine virtuelle Bibliothek schaffen wollte, die einem möglichst breiten Leserkreis
zugänglich sein sollte. Seit 1994 existiert sein Ableger in Deutschland – das von
dem Hamburger Informatiker Günter Hille geleitete Projekt Gutenberg-DE, das
ebenso wie das amerikanische Vorbild als Freizeitprojekt funktioniert. Binnen
etlicher Jahre entwickelte es sich zum größten deutschsprachigen Online-Volltextarchiv
– zu einer phantastischen digitalen Fundgrube von copyrightfreien
Werken.
Die Vorteile des Projekts Gutenberg-DE liegen eindeutig in seiner
Beschaffenheit als Textarchiv. Es gewährleistet kostenlosen und raschen Zugriff
auf die Werke zahlreicher bedeutender Autoren und garantiert dadurch Zeitersparnis,
Komfort und die Sicherheit, den erwünschten Text sofort und problemlos
von zu Hause aus zu erreichen. In den Zeiten des schnellen Lebenstempos
ist diese Möglichkeit nicht zu unterschätzen. Außer dem ansehnlichen Bestand
an deutschsprachiger klassischer Literatur 5 sind hier wissenschaftliche Texte,
wie philosophische Texte, und auch fremdsprachige Dichter oder Philosophen,
wie Platon, Baudelaire und Shakespeare, zum Teil sogar in ihrer Originalsprache,
vertreten. 6 Eine so beeindruckende Menge von Werken ist Ausdruck der
unglaublich großen Möglichkeiten des Internets, Informationen zu vermitteln
und zu speichern.
Das Projekt stieß auf so großes Interesse, dass die es verwaltenden Server
der Universität Hamburg nicht mehr in der Lage waren, es weiterhin zu führen. 7
Heute ist es auf der Spiegel-Online-Seite zu finden. Das Nachrichtenmagazin
5
Das Archiv umfasst heutzutage mehr als 5700 Bücher (über 2.000.000 Buchseiten), darunter
ungefähr 21.000 Gedichte, 1800 Märchen, 1200 Fabeln und 5000 Sagen, d. h. literarische Texte
von mehr als 1100 Klassikern, wie z. B. von Goethe, Schiller, Lessing, Kafka, Mann oder den Gebrüdern
Grimm. Vgl. Gunter Hille u. Partner GbR (Hgg.): Projekt Gutenberg-DE. Informationen.
Verfügbar über: http://gutenberg.spiegel.de/index.php?id=14; Stand vom April 2010 (Zugriff am
29.04.2010).
6
Im Projekt Gutenberg-DE kommen die durch das Internet beschleunigten Globalisierungsprozesse,
die ihre Widerspiegelung unter anderem in der Entdeckung der Literatur verschiedener
Länder finden, sehr stark zum Ausdruck. Es richtet sich nämlich nicht nur auf die deutsch-, sondern
auch auf die fremdsprachige Literatur in deutscher Übersetzung.
7
Vgl. Ernst Rohmer: Links zum Kanon. Die literarische Tradition und ihre Präsenz im Netz.
In: Harro Segeberg, Simone Winko (Hgg.): Digitalität und Literalität. Zur Zukunft der Literatur.
München 2005, S. 31–56, hier S. 36.