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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Zukunftstechnologien für die Nachwendejahre … 1<strong>19</strong><br />

Aber irgendwas ist mit dem Institut, das spüre ich. Sie machen doch jetzt alles<br />

kaputt. Hier im Haus sind schon fünf arbeitslos.(ME 112)<br />

Andere abgenutzte Sätze stammen z. B. vom Hausarzt: „Jaja, die Welt ist eben<br />

größer geworden“ (ME 201) oder von Passanten: „was jetzt hier für Leute herumlaufen...<br />

früher war noch Recht und Ordnung...“ (ME 139). Diese vereinfachenden<br />

und unfruchtbaren Bemerkungen charakterisieren die Denkweise der<br />

Magdeburger Bürger im Text. Annjas vielseitige und unkommentierte Bemerkungen<br />

hingegen scheinen objektiver und konstruktiver zu sein. Sie berichtet<br />

über das Verhältnis zwischen Preisdruck und der sich verschlechternden Qualität<br />

der Eiskrem der Firma ‘Väterchen Frost’ 17 . Durch Ersatzstoffe wird das Eis zwar<br />

bunter, sein Geschmack wird allerdings schlechter. Um solche Eiskrem verkaufen<br />

zu können, müsse Annja laut ihrem Chef ihre ‘Verkaufstechnik’ entwickeln.<br />

Während Annjas Vater jahrzehntelang an der Verbesserung des Eiskremgeschmacks<br />

gearbeitet hat, muss sich Annja nun mit der schlechten Qualität der<br />

Firma abfinden. Des Weiteren zeigt sich der Wertewandel der Nachwendezeit<br />

darin, dass im Gebäude des ehemaligen Kälteinstituts eine „Spielhölle“ errichtet<br />

wird. An diesen Textstellen werden die konsumorientierten Interessen bloßgestellt,<br />

die in Moskauer Eis den Wertewandel unterstützen und einen Qualitätsverlust<br />

verursachen.<br />

In ihren Kommentaren zum Kapitalismus werden aber auch Menschen<br />

kritisiert, die sich den Regeln dieses Wirtschaftsystems ohne weiteres angepasst<br />

haben. In dem Magdeburger Krankenhaus, aus dem die Oma als Pflegefall<br />

hinausgewiesen wurde, übt sich nun der Chefarzt „in der neuen unverbindlichen<br />

Freundlichkeit“ (ME 13). Oder Annjas Freundin, ebenfalls Eisverkäuferin,<br />

beschwert sich über die einst höflichen Verkaufsstellenleiter, die nach der Wende<br />

grob die Sorte ‘Moskauer Eis’ zurückweisen und „diesmal vor ihren neuen<br />

Chefs“ (ME 266) buckeln. Hier werden also einerseits Personen kritisiert, die<br />

sich unter den neuen Verhältnissen verbiegen lassen, um davon eigene Nutzen zu<br />

haben. Andererseits zeigt sich hier die strukturelle Macht dieses Wirtschaftssystems,<br />

die Menschen pervertieren kann, die sich durchsetzen wollen.<br />

Im Text kommen einige Hinweise auf Umbenennungen vor, die auf die<br />

Veränderungen hinweisen und die Abwesenheit der Vergangenheit andeuten. Die<br />

folgenden Beispiele betreffen Geschäfte, wie z. B. das damalige Backwarenkom-<br />

17<br />

So heißt der russische Weihnachtsmann auf Deutsch.

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