Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19
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Valéria Lengyel<br />
Verhandlungen über die Vereinigung des Kälteinstituts mit einigen anderen zu<br />
einem Ernährungsinstitut geführt hatte. Über die genauen Umstände der Schließung<br />
des Kälteinstituts erfährt der Leser aus einem persönlich von dem Vater<br />
verfassten Bericht, der auf dem Schreibtisch seiner Wohnung lag. Dabei ändert<br />
sich das personale Erzählverhalten und der Erzähler wählt nun die Optik des<br />
Vaters. In einem ironisch-traurigen Ton erzählt er darüber, wie die Mitarbeiter<br />
das Institut gemäß westlicher Normen auf den neuesten Stand gebracht hatten,<br />
um es doch retten zu können. Die strenge Kontrolle der Kommission aus dem<br />
Bundesministerium erinnerte ihn an den Besuch einstiger Politbüromitglieder –<br />
sie mussten den Spiegel von der Wand des Labors abnehmen – , aber das Institut<br />
wurde dann doch als „förderungsfähig eingestuft“ (ME 212). Trotz alledem hat<br />
das Ministerium für Landwirtschaft das Kälteinstitut mit den anderen schließen<br />
lassen und „als einziges Institut sollte das Ölinstitut weiter bestehen“ (ME 265).<br />
Zum Leiter der Abwicklungsmaßnahmen wurde Klaus Kobe, der seit 30 Jahren<br />
im Institut gearbeitet hatte, ernannt. Der Bericht wurde nach der endgültigen<br />
Evakuierung verfasst. Im Dezember des Jahres friert sich Klaus ein und seine<br />
treueste Mitarbeiterin begeht Selbstmord.<br />
Anhand der Darstellung der Auflösung des Kälteinstitutes wird zugleich<br />
Kritik am Kapitalismus geübt. Kapitalismuskritik kommt in zahlreichen Texten<br />
vor, die die Nachwendeschwierigkeiten der Menschen aus den neuen Bundesländern<br />
reflektieren. Oft verschmelzen dadurch die Kritik an diesem Wirtschaftssystem<br />
und die Nostalgie nach DDR-Zeiten, indem sowohl die Forderungen des<br />
Kapitalismus als auch das DDR-Bild einseitig und übertrieben gezeigt werden.<br />
In Moskauer Eis gibt es nur wenige Stellen, die scheinbar sachliche Kritik am<br />
Kapitalismus enthalten, z. B. Klaus’ Begründung, warum er nach der Wende<br />
hartnäckig auf seiner alten Tiefkühltruhe beharrte:<br />
Er würde gerne wissen, wie lange sie noch halte. Damit wolle er beweisen, dass<br />
man in der DDR sorgsamer mit bestimmten Ressourcen der Erde umgegangen<br />
sei, währenddessen das Wesen der kapitalistischen Marktwirtschaft die Hersteller<br />
dazu zwinge, Sollbruchstellen in die Kühlgeräte einzubauen, um den Warenfluss<br />
in Gang zu halten. (ME 26)<br />
Eine andere, weniger weiterführende Kritik enthalten u. a. die Worte der Oma,<br />
die kaum an der Nachwendezeit teilhatte: