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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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116<br />

Valéria Lengyel<br />

durch die ausdrückliche Betonung des fiktionalen Charakters der Darstellung<br />

hervorgehoben. Jedwede Nostalgie nach der DDR ist dergestalt das Verlangen<br />

nach einem Bild der DDR, das in der Gegenwart – also im Nachhinein – und von<br />

einer Person kreiert wird. Dieses fiktionale Bild von der Vergangenheit erfüllt<br />

seine Funktion in der Gegenwart. In dem Problemkomplex der DDR-Nostalgie<br />

beruht diese Funktion darauf, das Unbehagen an der Nachwendezeit auszudrücken<br />

und einen Ersatz zu bieten.<br />

Damit von der DDR kein einseitig-nostalgisches Bild vermittelt wird,<br />

berichtet die Erzählerin mit Ironie, Humor, Hohn und Sarkasmus von der Vergangenheit.<br />

Bereits die allgegenwärtige Metaphorik kann als ein geglückter witziger<br />

Einfall betrachtet werden. Daran knüpfen sich solche Ausdrücke wie z. B.<br />

„die Moskauer Zeit in der DDR einführen“ (ME 48). Ebenfalls komisch wirkt<br />

jene Situation, in der Annja ihrem klapprigen Mercedes vor dem Anspringen<br />

zuredet: „Komm endlich, [...] du bist doch kein Trabant.“ (ME 128)<br />

Trotz der unterhaltenden und gleichzeitig Distanz produzierenden Komik<br />

des Textes muss erwähnt werden, dass dadurch bestimmte Ereignisse verharmlost<br />

werden. 16 Klaus musste in seiner Kindheit sein Spielzeugflugzeug zu Hause<br />

zweimal übermalen, einmal zu Beginn der Nazizeit und dann bei der Ankunft<br />

der Roten Armee (vgl. ME 107). Diese Episode zeigt, dass das Mitläufertum<br />

der Familie verharmlost wird. Ein weiteres Beispiel für die Bagatellisierung<br />

bestimmter historischer Tatsachen sind die Andeutungen, die sich auf die Scheinwahlen<br />

in der DDR beziehen. Gröschner berichtet, wie die Krankenschwestern<br />

bei den Wahlen „den alten Männern und Frauen die zitternden Hände festhielten,<br />

damit sie den Schlitz der Urne nicht verfehlten“ (ME 62). Trotz dieser wenigen<br />

Beispiele für Verharmlosung soll die Komik in Moskauer Eis als Vorteil des<br />

Romans betrachtet werden, wodurch eine nachträgliche kritische Sicht auf die<br />

DDR in einem unterhaltsamen Ton ermöglicht wird.<br />

16<br />

Vgl. Claudia Kramatschek: Alles gilt wie es war. Innenschau der Privatgeschichte. Annett<br />

Gröschners Debüt-Roman „Moskauer Eis“. In: Freitag <strong>Nr</strong>. 42, vom 13.10.2000. Verfügbar über:<br />

http://www.freitag.de/2000/42/00422801.htm (Zugriff am 1.07.2009).

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