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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Zukunftstechnologien für die Nachwendejahre … 113<br />

holiker und misshandelt Annja. Sie verfasst daraufhin einen Text über den Sportfanatismus<br />

und dessen Folgen in der DDR und hängt ihn an der Wandzeitung des<br />

Gymnasiums auf. Nach dem darauf folgenden Skandal kann sie zwar noch das<br />

Abitur machen, jedoch nicht mehr studieren. In ihrer Kritik an der Sportbesessenheit<br />

und an staatlich organisiertem Doping hebt sie die dadurch entstandenen,<br />

bleibenden physischen und psychischen Schäden der Leistungssportler hervor.<br />

Als Grund dafür werden nicht nur die vom Staat geförderte Sportbesessenheit,<br />

sondern auch der Fanatismus des einzelnen DDR-Bürgers 13 angesehen.<br />

Die zwanghafte Vorstellung von der unbedingten Behauptung der DDR in<br />

Wirtschaft und Sport wird auch von der Mutter verurteilt. Barbara wollte bereits<br />

vor dem Mauerbau die DDR verlassen, blieb aber wegen Klaus’ Heiratsantrag.<br />

Sie kann ihren besessenen Mann und seine Prinzipien allerdings schwer aushalten,<br />

wie z. B. seine Vorstellungen über Ernährung. Laut Barbara: „Kühltechnik<br />

hin oder her, es muss auch was Frisches auf den Tisch“ (ME 88). Trotz des Missfallens<br />

ihres Mannes wird sie Eisverkäuferin in einer Eisdiele, in der nicht Klaus’<br />

Eiskrem verkauft wird. Während eines Streites zu Hause, als sie ihren Mann<br />

„Möchtegernwissenschaftler“ (ME 86) nennt und ihn mit seinen lächerlichen<br />

Zielen konfrontiert, nennt Annja ihre Mutter „Eiskremhure” (ME 87), worauf<br />

Barbara beide für immer verlässt.<br />

Während ihr Mann immer etwas einfrieren will, ist Barbara im Roman<br />

ein Symbol für das Leben. Sie fühlt sich als Frau zu Hause vernachlässigt und<br />

vermisst Liebe und Menschlichkeit. Statt Klaus und Annja, die sie „Eisblöcke”<br />

(ME 179) nennt, sucht sie für sich „fröhliche und temperamentvolle” (ME 179)<br />

Menschen. Sie distanziert sich also von den realitätsfernen Idealen ihres Mannes<br />

und sucht einen anderen Weg, um unter den gegebenen Umständen zurechtzukommen.<br />

14 In ihrer Ablehnung der Utopie ist ihre Kritik zweidimensional. Sie<br />

13<br />

„Durch solche Leute wie dich ist er doch erst zu dem geworden, was er jetzt ist. Leute, die<br />

sportfanatisch sind wie du, die jeden Erfolg der DDR-Mannschaft zu ihrem eigenen Sieg machen...<br />

[...] Soll ich dich mal mitnehmen zu den Verlierern, die in den Kneipen sitzen? Die denken<br />

immer noch, dass sie die Größten sind, weil man ihnen das jahrelang eingetrichtert hat. Hast du<br />

schon einmal auch nur eines der Mädchen gesehen, die aufgehört haben mit dem Schwimmen?<br />

Die haben Stimmen wie Männer, sind fett wie Elefanten und kriegen ihre Regel nicht mehr, weil<br />

sie irgendwelches Zeug schlucken mussten, um noch besser zu werden. Und alles nur, damit einer<br />

von hundert bei Olympischen Spielen den Exportartikel spielen kann, den ihr in der Wirtschaft<br />

nicht mehr zustande bringt.“ (ME 240)<br />

14<br />

Indem sie ihr Glück in der kleinen Dimension des Alltags sucht, wie z. B. in Gesellschaft<br />

von charmanten Menschen und sich als Frau behaupten will, zeigt sie mit den Frauenfiguren der<br />

DDR-Schriftstellerinnen ähnliche Charakterzüge, z. B. mit den Gestalten Christa Wolfs. Vgl.<br />

dazu die Romane Nachdenken über Christa T. oder Kassandra von Christa Wolf.

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