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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Valéria Lengyel<br />

Dabei werden allerdings die sich ‘verkrümmenden’ Menschen, wie z. B. der<br />

Großvater mehr kritisiert, als das jeweilige politische System.<br />

Im Gegensatz zu Paul steht sein hartnäckiger Sohn Klaus. Das Beispiel der<br />

Vaterfigur zeigt, dass Engstirnigkeit und Beharren auf realitätsfernen Vorstellungen<br />

sowohl im Leben eines Menschen als auch auf staatlicher Ebene zum Scheitern<br />

und zur Lächerlichkeit führen können. Zwar ist die Ausdauer von Klaus<br />

einmalig und beispielhaft dargestellt, was beim Leser Mitleid für ihn erwecken<br />

kann. Doch kann der Vater wegen seiner Starrsinnigkeit nicht als unschuldiges<br />

Opfer der Geschehnisse betrachtet werden. Weil die Figur auf ihren Idealen<br />

beharrt und die wirtschaftlichen Missstände ignoriert, kann ihr Schicksal mit<br />

dem der DDR verglichen werden.<br />

Durch die psychologisch differenzierte Beschreibung des Verhaltens von<br />

Klaus wird gezeigt, wie aus dem berühmten Forscher ein lächerlicher Einzelgänger<br />

wird, der sich nach dem Auszug seiner Frau und mit dem Verlust seines<br />

Arbeitsplatzes einfriert. In den sechziger Jahren ist er ein arbeitsbesessener<br />

Forscher, der neue Methoden des Feinfrostes entwickelt und sogar zu Hause<br />

experimentiert. Mit der Einführung des „Neuen Ökonomischen Systems“ werden<br />

die Forschungen des Kälteinstitutes „über Nacht gestoppt“ (ME 98) und der<br />

Vater muss nun Eiskrem herstellen. Die Breite und Dimension seines Tätigkeitsbereiches<br />

werden demzufolge eingeengt und durch den bleibenden Mangel an<br />

Zutaten wird er dazu gezwungen, Eiskrem von niedriger Qualität herzustellen.<br />

Er versucht, einmal in Richtung Albanien auszubrechen, was ihm nicht gelingt.<br />

Sein einziger Erfolg wird das Erfinden von Moskauer Eis, das er weiterhin im<br />

Institut herstellt, bis dies nach der Wende geschlossen wird. So endet die tragikomische<br />

Darstellung der Karriere des renommierten Kälteforschers Klaus Kobe.<br />

Die Möglichkeit einer Karriere in der DDR wird auch in den Kapiteln über<br />

Annjas damaligen Freund Jan erzählt. Er ist ein junger begabter Schmetterlingsschwimmer,<br />

der an den Olympischen Spielen in Los Angeles teilnehmen sollte.<br />

Seines Vaters Ziel ist, ihn<br />

an die Spitze des DDR-Schwimmsports zu katapultieren. [...] Aber eines Tages<br />

haute Jan einfach ab. Er setzte sich in eine Kneipe und betrank sich. (ME 231)<br />

Jan versucht, sich mit Annja zu trösten, kann sich aber im ‘normalen Leben’<br />

nicht zurechtfinden. Er vermisst die Anerkennung seiner Schwimmerfolge und<br />

betrauert die verlorenen Chancen auf eine Karriere. Er wird ein aggressiver Alko-

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