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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Zukunftstechnologien für die Nachwendejahre … 109<br />

schaftlich, sondern auch geistig und kulturell, politisch und ökonomisch stimmiges<br />

Panorama ihrer Zeit geben will. Da er stets sozialpolitisch engagiert ist, nähert<br />

er sich oft der Tendenzdichtung und schafft bleibende Werke erst dort, wo die<br />

Objektivität des gezeichneten Bildes ihm Fortleben als histor[ischer] Roman<br />

sichert und das aktualis[ierte] Streben den dichter[ischen] Formkräften untergeordnet<br />

wird. 9<br />

Dem Kriterium der Objektivität könnte in diesem Fall die kritisch-distanzierte<br />

Erzählhaltung der Erzählerin Annja entsprechen, dank deren Erzählfreude zahlreiche<br />

Episoden das umfassende Bild von der DDR-Vergangenheit färben. Die<br />

Vielzahl der Episoden könnte manchmal fast als Nachteil des Textes angesehen<br />

werden, doch durch die vielseitige und witzige Beschreibung wirken sie nicht<br />

störend.<br />

Das kritische DDR-Tableau wird mit der Darstellung der neunziger Jahre<br />

durch die den Text strukturierende Metaphorik des ‘Tiefkühlens’ verbunden.<br />

Diese, in zahlreichen Details zum Ausdruck kommende und auf verschiedenen<br />

Ebenen ausgeführte Metaphorik ist das textstrukturierende Element, das dem<br />

Roman auch die allgegenwärtige Komik verleiht. Außer dieser Metaphorik, als<br />

Ausdruck dichterischer Formkraft, kann die modifizierte Struktur des Kriminalromans<br />

die Dauerhaftigkeit des Werkes stärken. Denn die Kriminalgeschichte<br />

endet nicht mit der beruhigenden Offenbarung des Geheimnisses von Klaus.<br />

Zwar bringt Annja die Abwicklung des Kälteinstituts mit dem Zustand ihres<br />

Vaters in Zusammenhang, sie weiß aber noch immer nicht, ob der eingefrorene<br />

Klaus in der Tiefkühltruhe überhaupt tot ist, ob er Selbstmord begangen oder<br />

jemand ihn ermordet hat. Als die Oma stirbt, bringt Annja ihren erfrorenen Vater<br />

nach Berlin, worüber der Leser nur aus dem nachgestellten Polizeibericht erfährt.<br />

In diesem Protokoll steht, dass Annja verschwunden ist und die Polizei sie des<br />

Mordes an ihrem Vater verdächtigt. Im Gegensatz zur traditionellen Struktur des<br />

Kriminalromans, der implizit mit dem Enthüllungsmotiv am Ende die Auflösung<br />

der Diskrepanzen verspricht, kommt es in Moskauer Eis zu keinem beruhigenden<br />

Abschluss, wodurch auf das Bestehen der Schwierigkeiten und die Langwierigkeit<br />

gesellschaftlicher Änderungen aufmerksam gemacht wird.<br />

9<br />

Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 7 <strong>19</strong>89.

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