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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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108<br />

Valéria Lengyel<br />

Fragen dient dem Verständnis des Romans, jedoch ohne ihn in eine Kategorie<br />

einzuordnen.<br />

Die Erzählerin Annja Kobe ist, wie auch die Autorin Annett Gröschner,<br />

<strong>19</strong>64 in Magdeburg geboren und später nach Ostberlin gezogen. Autobiographische<br />

Züge sind in Texten über die Wende häufig vorhanden. Die Herkunft<br />

des Autors wird zudem oft als ein Kriterium für die authentische Darstellung<br />

der Befindlichkeiten der Menschen aus Ostdeutschland in der Nachwendezeit<br />

gesehen. Es gibt von Autoren aus Westdeutschland nur wenige Beispiele von<br />

Darstellungen des Zurechtfindens bzw. der Schwierigkeiten der neuen Länder<br />

im vereinigten Deutschland. 6 Das mag daran liegen, dass die Erfahrungen der<br />

Einheit sich für sie bei weitem nicht mit dem Maß an Veränderung verbanden,<br />

wie das für ostdeutsche Autoren der Fall ist.<br />

Die in der Einleitung skizzierte Fabel hat außerdem Züge eines Kriminalromans,<br />

in dem die Erzählerin nach den Gründen für den Erfrierungstod des<br />

Vaters in der Tiefkühltruhe forscht. Nicht zuletzt könnte Moskauer Eis durch<br />

die groteske Ausgangssituation und durch die humoristische Darstellung als<br />

komische Literatur gesehen werden. Der Literaturwissenschaftler Matteo Galli<br />

weist darauf hin, dass die Bestimmung ‘komische Literatur’, „die seit jeher mit<br />

der ‘niedrigen’ Kultur verwandt ist“ 7 , kein Qualitätsurteil über Texte zur Wende<br />

sein darf. Viele von ihnen wollen nämlich „bewusst der komischen Literatur“ 8<br />

angehören, wie z. B. der schon erwähnte Roman Helden wie wir von Thomas<br />

Brussig. Komik und Sarkasmus sind oft, wie auch bei Brussig, eine bewusste<br />

Abgrenzung von Nostalgie und Pathos der Post-DDR-Literatur.<br />

Da die Erzählergegenwart die neunziger Jahre sind, könnte Moskauer Eis<br />

darüber hinaus ein ‘Zeitroman’ genannt werden. Diese Gattung ist laut Wilpert<br />

eine<br />

erweiterte Form des Gesellschaftsromans, die jedoch über die Darstellung allein<br />

der Gesellschaft oder e[ine] ihrer Schichten hinausgreift und ein nicht nur gesell-<br />

6<br />

Z. B.: Günter Grass: Ein weites Feld. Göttingen 2 <strong>19</strong>95 oder Friedrich Christian Delius:<br />

Die Birnen von Ribbeck. Reinbek bei Hamburg <strong>19</strong>91.<br />

7<br />

Matteo Galli: Schließlich sind wir alle mit denselben Serien aufgewachsen ...: Jureck Beckers<br />

„Wir sind auch nur ein Volk“. In: Fabrizio Cambi, Alessandro Fambrini (Hgg.): Zehn Jahre<br />

nachher. Poetische Identität und Geschichte in der deutschen Literatur nach der Vereinigung.<br />

Trento 2002, S. 59–60. Die Wende wird auch in anderen Medien komisch dargestellt, wie z. B.<br />

im Film Good bye, Lenin! (2002).<br />

8<br />

Galli: Schließlich sind wir, S. 60.

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