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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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100<br />

Klaus Hammer<br />

dem einstigen Angeklagten, dass das Recht sich eben lebendig weiterentwickle,<br />

aber aus dem früheren Unrecht niemals Recht werde, so dass die Strafe durchaus<br />

gerecht gewesen sei. Erst auf Seite 68 erfährt der Leser, warum Dallow damals<br />

verurteilt wurde, und da weiß er schon: Es gibt Beunruhigenderes an Dallow<br />

als seine Haft und die Gründe für sie. Gelangweilt und desinteressiert ist er vor<br />

allem. Unrecht ist ihm geschehen, aber selbst das erscheint eher gleichgültig,<br />

langweilig als aufregend. Es ist ein Buch über Banalität, aber es ist kein banales<br />

Buch. Die männliche und politisierte Ausführung der Kälte, die im Fremden<br />

Freund so erschreckte, Normalität und Banalität haben Dallow eingeholt, sie sind<br />

stärker als die unerhörte Begebenheit seiner Haft. Aber die Normalität hat ihren<br />

gefährdeten und gefährlichen Untergrund. Dallow wie die Frau Doktor im Fremden<br />

Freund halten sich heraus. Und beide haben eine Erfahrung gemeinsam, sie<br />

gehört zu dem beunruhigenden Untergrund der Normalität. Es ist die Erfahrung<br />

mit der bestürzenden Aggressivität von Jugendlichen. Der fremde Freund Henry<br />

wurde von einem Siebzehnjährigen erschlagen. Dallow beobachtet Jugendliche<br />

in der Straßenbahn:<br />

Plötzlich wurde sein Kopf gegen die Fensterscheibe gestoßen [...]. Es sind Kinder,<br />

sagte er sich, ich kann mich nicht von Kindern zusammenschlagen lassen. 20<br />

Unter der Oberfläche der Normalität sitzen Aggression, Brutalität, Verunsicherung.<br />

Stärker noch als die Frau Doktor ist der Mann Dallow von der Normalität<br />

bestimmt. Er hatte gemeint, ihr entkommen zu können, und nicht gewusst: Sie<br />

saß in ihm.<br />

DAS LEBEN ALS PURES SPIEL MIT IMMER HÖHEREM EINSATZ<br />

Das Napoleonspiel ist recht eigentlich ein langer Brief des Angeklagten<br />

Wörle, eines Juristen von Hause aus, an seinen Verteidiger, Herrn Fiarthes. Dieser<br />

soll dem des Mordes angeklagten Zunftkollegen noch vor der Hauptverhandlung<br />

zu einer Entlassung aus der Haft verhelfen. Was war geschehen? Wörle hat am<br />

12. Mai <strong>19</strong>88 einen Mord in einer Westberliner U-Bahn ausgeführt. Mit einem<br />

Billardstock wurde der Kaufhausangestellte Bernhard Bagnall umgebracht, der<br />

dem Mörder nahezu unbekannt war. Das Opfer ist<br />

20<br />

Ebd., S. 95.

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