Bildpunkt - Wir machen Kunst weil, es die feministische ...
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| ) );|(| punkt<br />
Zeitschrift der IG Bildende <strong>Kunst</strong><br />
Herbst 2007<br />
Widerstand. Macht. Wissen.<br />
03 Engagieren. Editorial<br />
04 Verlernen und <strong>die</strong> Strategie d<strong>es</strong> unsichtbaren Ausb<strong>es</strong>serns<br />
Bildung und Postkoloniale Kritik María do Mar Castro Varela<br />
08 Alle Macht der Freien Universität Kopenhagen<br />
Das Komitee d<strong>es</strong> 15. Juli 2001 / Henriette Heise & Jakob Jakobsen<br />
10 … in das kollektive Gedächtnis einzugreifen<br />
Im G<strong>es</strong>präch mit Eva Egermann und Charlotte Martinz-Turek<br />
P.b.b. Verlagspostamt 1060 Wien | Zul.Nr. 02Z030198M<br />
13 Get together<br />
Vernetzung kunst- und kulturschaffender Frauen in Wien Carla Knapp<br />
14 Reförmchen in Sicht? Kulturministerin Schmied und <strong>die</strong><br />
Künstlersozialversicherungsfondsg<strong>es</strong>etz-Novelle Daniela Koweindl<br />
15 IG Intern<br />
18 Termine<br />
19 Nie wieder Ulrichsberg! Eindrücke von den Antifaschistischen<br />
Aktionstagen in Klagenfurt/Celovec 2007 Josephine Broz<br />
21<br />
22<br />
26<br />
28<br />
30<br />
16<br />
32<br />
Lückent<strong>es</strong>t Vlatka Frketić<br />
Was <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> weiß und <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft<br />
nicht wissen will Sabine Ammon<br />
Skurrile skills und tolle tools Wissensg<strong>es</strong>ellschaft und <strong>Kunst</strong> Jens Kastner<br />
Educación Popular Marlen Eizaguirre<br />
Widerstand. Macht. Wissen im Buch Jens Kastner<br />
Poster Zanny Begg<br />
Rückseite Katharina Morawek<br />
Bildstrecke <strong>Wir</strong> <strong>machen</strong> <strong>Kunst</strong>, <strong>weil</strong> <strong>es</strong> <strong>die</strong> <strong>feministische</strong>/<br />
politische/g<strong>es</strong>ellschaftliche/meine Situation erfordert
Drei künstlerische Positionen begleiten jede Ausgabe d<strong>es</strong><br />
<strong>Bildpunkt</strong> und sind als eigenständige Kommentare und<br />
Reflexionen zum je<strong>weil</strong>igen Thema d<strong>es</strong> Heft<strong>es</strong> zu verstehen.<br />
Ausgewählt und zusammeng<strong>es</strong>tellt von Nora Sternfeld, Eva Dertschei<br />
und Carlos Toledo in Zusammenarbeit mit den KünstlerInnen.<br />
Poster: Zanny Begg<br />
Rückseite: Katharina Morawek<br />
Bildstrecke: <strong>Wir</strong> <strong>machen</strong> <strong>Kunst</strong>, <strong>weil</strong> <strong>es</strong> <strong>die</strong> <strong>feministische</strong>/<br />
politische/g<strong>es</strong>ellschaftliche/meine Situation erfordert.<br />
❚ „Ich fokussiere darauf, wie wir durch Kämpfe lernen und ich<br />
glaube, der einzige Weg, <strong>die</strong> Welt zu verstehen, ist zu versuchen,<br />
sie zu verändern“. Mit di<strong>es</strong>em Motto b<strong>es</strong>chreibt <strong>die</strong> australische<br />
Künstlerin Zanny Begg ihre Arbeit – das Mittelposter di<strong>es</strong>er<br />
Ausgabe d<strong>es</strong> <strong>Bildpunkt</strong>. Für <strong>die</strong> Ausstellung Self Education – Self<br />
Organization im National Centre of Contemporary Art in Moskau<br />
interviewte sie 2006 zahlreiche AktivistInnen im Hinblick auf<br />
Proz<strong>es</strong>se d<strong>es</strong> Lernens im Kontext politischer Kämpfe. Das Projekt<br />
zeigt <strong>die</strong> zahlreichen Verschränkungen zwischen oppositioneller<br />
Wissensproduktion, Selbstermächtigung und Consciousn<strong>es</strong>s. In<br />
Zusammenarbeit mit AktivistInnen entstand auch eine Serie von<br />
Buttons und Sticker. Zanny Begg be<strong>die</strong>nt sich damit bewusst populärer<br />
Bedeutungsträger der autonomen und antikapitalistischen<br />
Bewegung, <strong>die</strong> gewissermaßen als aktivistische Markierung funktionieren.<br />
Die Verbindung von Analyse, Reflexion und Prot<strong>es</strong>t<br />
findet so eine formale Entsprechung in der Bearbeitung g<strong>es</strong>talterischer<br />
Aspekte aktivistischer Prot<strong>es</strong>tme<strong>die</strong>n. Der Titel der Arbeit<br />
mag in di<strong>es</strong>em Sinn vielleicht auch für <strong>die</strong> Strategien der Künstlerin<br />
gelten: Wenn du dich daran machst, <strong>die</strong> Welt zu verändern,<br />
verändert <strong>die</strong> Welt auch dich. http://www.zannybegg.com<br />
❚ Die Maskenvorlage auf der Rückseite di<strong>es</strong><strong>es</strong> Hefts – ein Euleng<strong>es</strong>icht<br />
zum Ausschneiden und Zusammenbauen – entwickelte<br />
Katharina Morawek. Von di<strong>es</strong>er Maske kann Gebrauch gemacht<br />
werden: zur unmittelbaren Herstellung ein<strong>es</strong> temporären, strategischen<br />
„<strong>Wir</strong>“ durch vielfach<strong>es</strong> Ausschneiden. Katharina Morawek<br />
arbeitet künstlerisch an der Schnittstelle von G<strong>es</strong>taltung und<br />
Wissensproduktion. Mit der Einladung zum Eintritt in <strong>die</strong> multiple<br />
Weisheits-Identität nimmt sie Bezug auf künstlerische und<br />
aktivistische Strategien, in denen politische Forderungen mit der<br />
Proklamation ein<strong>es</strong> anderen Wissens einhergehen wie bei den<br />
Guerilla Girls und den Zapatistas: „Wenn ihr wissen wollt, wer<br />
hinter der Maske steckt, schaut in einen Spiegel“. Die Masken<br />
<strong>die</strong>nen dabei einer radikalen Abwehr d<strong>es</strong> „immer schon gewusst<br />
worden seins“ derer, <strong>die</strong> in hegemonialen Diskursen und Wissensregimen<br />
zu Objekten gemacht werden. Eine Haltung einzunehmen<br />
bedeute also nicht, mit b<strong>es</strong>timmten Attributen ausg<strong>es</strong>tattet<br />
zu sein, sondern sei eine immer nur partielle Ermittlung.<br />
Donna Haraway spricht von der „Politik d<strong>es</strong> situierten Wissens“.<br />
Es handle sich dabei, so Katharina Morawek, nicht um „mein<br />
Wissen“ oder „dein Wissen“, sondern um den Ausdruck ein<strong>es</strong><br />
g<strong>es</strong>ellschaftlichen Verhältniss<strong>es</strong>.<br />
<strong>Wir</strong> <strong>machen</strong> <strong>Kunst</strong>, <strong>weil</strong> <strong>es</strong> <strong>die</strong> <strong>feministische</strong>/politische/g<strong>es</strong>ellschaftliche/meine<br />
Situation erfordert sind Bilder der Arbeiten<br />
ein<strong>es</strong> Gender Studi<strong>es</strong>-<strong>Kunst</strong>ausstellungsprojekts von und<br />
mit StudentInnen der <strong>Kunst</strong>universität Linz, geleitet von Johanna<br />
Schaffer an der Abteilung für <strong>Kunst</strong>g<strong>es</strong>chichte und <strong>Kunst</strong>theorie/Gender<br />
Studi<strong>es</strong>. Ausgangspunkt d<strong>es</strong> Projekts war <strong>die</strong> künstlerische<br />
und politische Befragung der Brisanz und Aktualität der<br />
Gender Studi<strong>es</strong> und der <strong>feministische</strong>n Theorien. „<strong>Wir</strong> <strong>machen</strong><br />
Filme, wenn <strong>es</strong> <strong>die</strong> politische Situation erfordert“, sagt eine der<br />
Protagonistinnen in Hanna Laura Klars Film Das schwache G<strong>es</strong>chlecht<br />
muß stärker werden (Ulm, 1969). In Anlehnung an di<strong>es</strong>en<br />
Satz, den Film und <strong>die</strong> G<strong>es</strong>chichte <strong>feministische</strong>r Theorien und<br />
Bildproduktionen entstand der Titel ihrer Ausstellung. Alle Arbeiten,<br />
<strong>die</strong> für <strong>die</strong> Ausstellung herg<strong>es</strong>tellt wurden, wählten als Untersuchungs-<br />
und Experimentierfeld <strong>die</strong> Produktion von Normen,<br />
vor allem jener normativer G<strong>es</strong>chlechtlichkeit.<br />
http://www.<strong>machen</strong>kunst<strong>weil</strong>.ufg.ac.at
Engagieren. Editorial<br />
3<br />
❚ In seiner letzten Rede im Mai 2001 plä<strong>die</strong>rte der Soziologe Pierre<br />
Bour<strong>die</strong>u dafür, „Wissen in engagiert<strong>es</strong> Wissen (zu) überführen.“<br />
Da blickte er bereits auf einige Jahre d<strong>es</strong> politischen Aktivismus<br />
zurück, der spät<strong>es</strong>tens mit seinem Engagement während der<br />
Streiks in Frankreich Ende d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> 1995 begonnen hatte. War<br />
Bour<strong>die</strong>u zuvor der Idee wissenschaftlicher Objektivität verpflichtet,<br />
hat der Widerstand gegen <strong>die</strong> neoliberalen Umstrukturierungen<br />
offenbar nicht nur seine Einstellung zum Wissen, sondern<br />
auch das Wissen selbst verändert, vielleicht sogar neu<strong>es</strong><br />
Wissen hervorgebracht. So jedenfalls ließe sich der Titel di<strong>es</strong>er<br />
Ausgabe l<strong>es</strong>en: Dass Widerstand Wissen generiert. Widerstand.<br />
Macht. Wissen erweitert damit <strong>die</strong> gängige Vorstellung, <strong>die</strong> Bildung<br />
zur Voraussetzung von Handlungsbefähigung macht („Wissen<br />
macht Widerstand“). Die Texte di<strong>es</strong><strong>es</strong> <strong>Bildpunkt</strong> widmen sich<br />
also der Frage, ob bzw. wie b<strong>es</strong>timmte – engagierte, kritische, widerständige<br />
– Praktiken Wissen herstellen.<br />
Im machtfreien Raum g<strong>es</strong>chieht das selbstverständlich nicht. Dem<br />
wurde im Ansatz der educación popular b<strong>es</strong>onders Rechnung getragen,<br />
den Marlen Eizaguirre b<strong>es</strong>chreibt. In der educación popular<br />
verbinden sich letztlich beide oben angeführten Richtungen<br />
(„Wissen macht Widerstand macht Wissen“). Ob und wie so etwas<br />
wie „alternativ<strong>es</strong> Wissen“ entsteht, haben wir im G<strong>es</strong>präch<br />
mit Eva Egermann und Charlotte Martinz-Turek diskutiert. Aus<br />
ähnlichen Diskussionsproz<strong>es</strong>sen ist vor einigen Jahren auch <strong>die</strong><br />
Copenhagen Free University hervorgegangen, deren Manif<strong>es</strong>t uns<br />
Henriette Heise und Jakob Jakobsen zur Verfügung g<strong>es</strong>tellt haben.<br />
Die darin verhandelten Wechselwirkungen zwischen ästhetischen<br />
und g<strong>es</strong>ellschaftlichen Verhältnissen sind auch Thema der<br />
künstlerischen Arbeit von Zanny Begg.<br />
Aber leben wir eigentlich in einer Wissensg<strong>es</strong>ellschaft? Zwei<br />
Beiträge diskutieren di<strong>es</strong><strong>es</strong> zeitdiagnostische Label, Sabine Ammon<br />
stellt dabei das b<strong>es</strong>ondere Wissen der <strong>Kunst</strong> heraus und erläutert,<br />
warum <strong>es</strong> bislang weitgehend ignoriert wird. Ignoranz<br />
spielt auch bei María do Mar Castro Varela eine wichtige Rolle,<br />
und zwar als „<strong>die</strong> andere Seite d<strong>es</strong> Wissens“. Aus der Sicht der<br />
postkolonialen Kritik stellt Castro Varela <strong>die</strong> repr<strong>es</strong>sive Funktion<br />
von Bildung und Kultur heraus und entwirft dann <strong>die</strong> politische<br />
Perspektive d<strong>es</strong> „Verlernens“.<br />
Die Bildstrecke hat Johanna Schaffer mit Stu<strong>die</strong>renden der<br />
<strong>Kunst</strong>universität Linz g<strong>es</strong>taltet. Die Glosse stammt, wie in jedem<br />
zweiten Heft, von Vlatka Frketić. Wie immer werden am Schluss<br />
einige relevante Bücher zum Thema vorg<strong>es</strong>tellt. Und wie immer<br />
prägt auch di<strong>es</strong>mal <strong>die</strong> Bezugnahme auf gleichermaßen ästhetische<br />
und künstlerische wie auch sozialbewegte Praktiken – wie<br />
sie exemplarisch in der Arbeit von Katharina Morawek auf der<br />
Rückseite di<strong>es</strong>er Zeitung zum Ausdruck kommt – den <strong>Bildpunkt</strong>.<br />
Und das Bemühen, mit einer Mischung aus lokalen und internationalen<br />
AutorInnen/KünstlerInnen an Debatten hier wie dort zu<br />
partizipieren. Mag sein, wir leisten damit einen Beitrag zu dem,<br />
was Bour<strong>die</strong>u in b<strong>es</strong>agter Rede beim engagierten Wissen, etwas<br />
blumig formuliert, für das Entscheidende hielt, nämlich „an der<br />
kollektiven Erfindung der kollektiven Strukturen ein<strong>es</strong> erfinderischen<br />
Geist<strong>es</strong> zu arbeiten.“ ●<br />
Jens Kastner, Koordinierender Redakteur
Amel And<strong>es</strong>sner, Interview mit Mirko, Realitäts-Performance. Amel And<strong>es</strong>sners Erfindung: Mirko wird lebendig; er wird zur Drag Queen, zum Performer. Amel zum von ihm kreierten Charakter.<br />
Verlernen und <strong>die</strong> Strategie d<strong>es</strong> unsichtbaren Ausb<strong>es</strong>serns<br />
Bildung und Postkoloniale Kritik María do Mar Castro Varela<br />
❚ Die Transformation d<strong>es</strong> Hier<br />
und Jetzt ist ohne Bildungsproz<strong>es</strong>se<br />
nicht denkbar, und so ist<br />
<strong>es</strong> auch kaum ein Zufall, dass<br />
Befreiungsbewegungen häufig<br />
bedeutsame reformpädagogische<br />
Ideen hervorgebracht haben.<br />
Auch innerhalb postkolonialer<br />
Kritik finden sich eine Reihe pädagogischer Überlegungen,<br />
<strong>die</strong> bisher allerdings nur wenig Beachtung erfahren haben. Die<br />
postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak, <strong>die</strong> sich selbst als<br />
Lehrerin bezeichnet, b<strong>es</strong>chreibt Bildung als einen dialektischen<br />
Proz<strong>es</strong>s von Lernen und Verlernen (Spivak 1996). Immer wieder<br />
hebt sie in ihren Texten und Interviews hervor, welche Möglichkeiten<br />
postkoloniale Kritik für eine pädagogische Reflexion bereit<br />
hält und umgekehrt, wie notwendig pädagogische Reflexionen für<br />
<strong>die</strong> Inganghaltung von Dekolonisierungsproz<strong>es</strong>sen sind. In di<strong>es</strong>em<br />
Zusammenhang wird Bildung und werden Bildungsinstitutionen<br />
nicht in simplistischer Manier als bloß befreiend gefeiert, sondern<br />
immer gleichzeitig einer rigorosen Kritik unterworfen.<br />
Postkoloniale Theorie inter<strong>es</strong>siert sich insb<strong>es</strong>ondere für <strong>die</strong> epistemische<br />
Gewalt – das, was Spivak einmal provokativ als mindfucking<br />
charakterisiert hat. In den Analysen werden d<strong>es</strong>halb <strong>die</strong><br />
Bedeutung von Bildung für Demokratisierungs- und Dekolonisierungsproz<strong>es</strong>se<br />
betont und zugleich pädagogische Unternehmen<br />
als risikoreich ernst genommen. Fragen, <strong>die</strong> sich dabei einstellen<br />
sind etwa: Wie können <strong>die</strong> Ausgegrenzten erreicht werden, ohne<br />
ihnen dabei gleichzeitig eine spezifische Perspektive aufzuzwin-<br />
gen? Wie können Lernproz<strong>es</strong>se in Gang g<strong>es</strong>etzt werden, <strong>die</strong> sich<br />
einer Disziplinierung d<strong>es</strong> Geist<strong>es</strong> widersetzen? Ist eine gewaltfreie<br />
Pädagogik möglich? Wie können Räume d<strong>es</strong> Denkens g<strong>es</strong>chaffen<br />
werden, <strong>die</strong> dissensfreundlich sind?<br />
Bildung und Zivilisierungsmission<br />
Für Edward Said sind Kulturproduktionen immer engst mit dem<br />
politischen Charakter der G<strong>es</strong>ellschaft verwoben, und <strong>es</strong> ist gerade<br />
<strong>die</strong> Unsichtbarkeit di<strong>es</strong>er Beziehung, <strong>die</strong> di<strong>es</strong>e für <strong>die</strong> ideologischen<br />
Arenen so nützlich <strong>machen</strong>. Imperiale Diskurse propagierten<br />
ein metaphysisch<strong>es</strong> Recht d<strong>es</strong> Imperiums zur gewaltsamen<br />
Unterdrückung der Kolonisierten, was wiederum eine dichte Bezugnahme<br />
zwischen imperialen Zielen und einer nationalen Kultur<br />
notwendig machte, <strong>die</strong> über eine weit verbreitete Rhetorik<br />
der Universalität von Kultur b<strong>es</strong>iegelt wurde (vgl. Said 1993). Kulturproduktionen<br />
können infolged<strong>es</strong>sen nie unschuldig sein, zeigen<br />
sie sich doch gezeichnet durch <strong>die</strong> hegemonialen Strukturen,<br />
in denen sie hervorgebracht wurden. Als ein<strong>es</strong> der wichtigsten<br />
politischen Ziele bezeichnet Said d<strong>es</strong>wegen <strong>die</strong> „De-Universalisierung“<br />
der imperialen Kultur, <strong>die</strong> durch möglichst konkrete Kon-
Widerstand. Macht. Wissen. 05<br />
Den Geist dekolonisieren<br />
Für Spivak bedeutet Bildung vor allem eine Strategie zur Neuordnung<br />
von Begehren, <strong>die</strong> ohne Druck und Zwang operiert: an<br />
uncoercive re-arrangement of d<strong>es</strong>ir<strong>es</strong>. Womit eine pädagogische<br />
Methodenreflexion immer ein Nachdenken über das, was in den<br />
Lernenden wie und mit welchen Konsequenzen neu-geordnet<br />
wird, implizieren muss. Im Fokus d<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>s<strong>es</strong> steht dabei, ob<br />
das Re-arrangieren der Begehren tatsächlich gewaltfrei bewerkstelligt<br />
wurde. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> nicht ganz einfache Unterfangen kann nur<br />
gelingen, wenn <strong>die</strong>, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Rolle der Vermittelnden übernehmen,<br />
sich als Teil d<strong>es</strong> G<strong>es</strong>amtproblems begreifen und sich nicht nur als<br />
Lehrende, sondern auch als Lernende verstehen.<br />
In di<strong>es</strong>en Zusammenhang ist <strong>es</strong> instruktiv, <strong>die</strong> andere Seite d<strong>es</strong><br />
Wissens zu betrachten: <strong>die</strong> Ignoranz. Wo Spivak von der g<strong>es</strong>tatteten,<br />
ja der belohnten Ignoranz spricht – jener Ignoranz also, <strong>die</strong><br />
nicht blamiert, sondern gegenteilig <strong>die</strong> eigene Position der Macht<br />
stabilisiert –, spricht <strong>die</strong> kanadische Philosophin Lorraine Code<br />
von der Macht der Ignoranz. Eine Ignoranz, <strong>die</strong> im wissenschaftlichen<br />
Diskurs gerne als Objektivität b<strong>es</strong>chrieben wird. 1817 schrieb<br />
Jam<strong>es</strong> Mill etwa <strong>die</strong> History of India, von der er selbst sagte, dass<br />
nur seine vollkommene Ignoranz gegenüber dem indischen Kontext<br />
<strong>es</strong> ihm ermöglichte, di<strong>es</strong><strong>es</strong> so wichtige Buch zu schreiben.<br />
For Code ist di<strong>es</strong><strong>es</strong> Beispiel geradezu emblematisch für eine Politik<br />
der Unwissenheit.<br />
In Anbetracht der vorherrschenden Ignoranz kann Lernen nur <strong>die</strong><br />
Dialektik von Lernen und Verlernen bedeuten. Während klassische<br />
Pädagogikvorstelllungen versuchen, Ignoranz zu bekämpfen, adr<strong>es</strong>siert<br />
eine postkoloniale Pädagogik offensiv <strong>die</strong> g<strong>es</strong>tattete und betupperwarena<br />
alias verena hentmayr, 2007. tupperware als aufbewahrungszustand von vorurteilen, standardisierungen und fakten. v.l.n.r.: halbe weiblichkeit, kernfamilie, bikinizone. www.tupperwarena.at<br />
textualisierungen und Bildungsproz<strong>es</strong>se erreicht wird. Die konkrete<br />
Kontextualisierung einer jeden kulturellen Produktion untergräbt<br />
<strong>die</strong> unangezweifelte Annahme d<strong>es</strong> universellen Charakters,<br />
indem sie <strong>die</strong> Quellen derselben offen legen.<br />
Die Rolle, <strong>die</strong> der Kultur und auch der Bildung als Stützpfeiler d<strong>es</strong><br />
Imperialismus zukommt, kann, so Spivak und Said unisono, unmöglich<br />
überbewertet werden, wird der Imperialismus doch erst<br />
durch di<strong>es</strong>e als zivilisatorische Mission eing<strong>es</strong>chrieben. Kultur erscheint<br />
als moralische Macht, <strong>die</strong> eine Art ideologische Befriedung<br />
herstellt, <strong>die</strong> u.a. durch Bildungsproz<strong>es</strong>se vermittelt wird<br />
(vgl. auch Viswanathan 1987). Das autoritative Gebäude selbstherrlicher<br />
Kultur, das im 19. Jahrhundert von Europa ausgehend<br />
aufgebaut wurde, erwi<strong>es</strong> sich als dermaßen stabil, dass seine<br />
Beteiligung an der imperialen Zivilisierungsmission nie wirklich<br />
hinterfragt wurde. Dekolonisierungsproz<strong>es</strong>se müssen d<strong>es</strong>wegen<br />
geradezu zwangsläufig <strong>die</strong> Dekolonisierung von Bildung miteinschließen.<br />
Insofern problematisiert postkoloniale Pädagogik zu<br />
Recht <strong>die</strong> in das Bildungsprojekt eingebettete, gelernte Verg<strong>es</strong>senheit<br />
und thematisiert <strong>die</strong> Komplizenschaft mit den imperialistischen<br />
und nationalistischen Projekten. Dabei ist <strong>es</strong> unmöglich,<br />
über Dekolonisierung der Bildung nachzudenken, ohne <strong>die</strong> sozialen<br />
Strukturen, in denen Bildung eingelassen ist, mit zu berücksichtigen.<br />
Ein erster Schritt in di<strong>es</strong>e Richtung ist getan, wenn <strong>die</strong><br />
eigene soziale Positionierung und Privilegierung hinterfragt wird.<br />
Wie bin ich zu dem oder der geworden, der oder <strong>die</strong> ich jetzt bin?<br />
Und auf w<strong>es</strong>sen Kosten bin ich das geworden? Welche Perspektiven<br />
versperren mir meine eigenen Privilegien? Was ist für mich<br />
nicht wahrnehmbar? Welche<br />
Räume darf ich betreten? Wem<br />
bleiben di<strong>es</strong>elben versperrt?
| ) );|(| punkt<br />
06<br />
wusst durch Bildung produzierte Ignoranz: jen<strong>es</strong> Unwissen also,<br />
Anna Maria Brandstätter, Öl/Leinwand, 120 x 80 cm, 2007. Di<strong>es</strong>e Arbeit ist eine Aufforderung darüber nachzudenken,<br />
inwiefern Normen unser Leben beeinflussen und wie sie sich auf unsere Selbstb<strong>es</strong>timmung auswirken.<br />
welch<strong>es</strong> sozial belohnt wird und auch nicht Halt macht vor den so<br />
genannten Bildungseliten (vgl. Spivak 1999). Lehren wird innerhalb<br />
der postkolonialen Kritik zu einer strategischen Frage. Es muss eine<br />
konkrete Wahl darüber getroffen werden, was gelehrt und wie<br />
<strong>es</strong> gelehrt wird und <strong>es</strong> muss reflektiert werden, wie der/<strong>die</strong> Lehrende<br />
sich im Proz<strong>es</strong>s der Vermittlung positioniert und verändert.<br />
Anstatt den Lernenden Theorien zu geben, sollte <strong>es</strong> Spivak zufolge<br />
eher darum gehen, zu vermitteln, dass Wissen, wie jede andere<br />
Strategie, nie universal und folgenlos einsetzbar ist. Jede Situation<br />
ist einzigartig und fragt nach einer b<strong>es</strong>onderen Taktik, für <strong>die</strong><br />
Wissen bereitg<strong>es</strong>tellt werden muss. Spivak verdeutlicht di<strong>es</strong>, indem<br />
sie b<strong>es</strong>chreibt, was passiert, wenn <strong>die</strong> Ränder das Zentrum der<br />
Erziehungsinstitutionen betreten, wenn <strong>die</strong> Unterdrückten nicht<br />
mehr schweigen und der akademische Kanon durch dekonstruktive<br />
und <strong>feministische</strong> L<strong>es</strong>arten irritiert wird. Die Institutionen, <strong>die</strong><br />
sie auch als Erziehungsmaschinerie (teaching machine) bezeichnet,<br />
werden durch das Einbrechen der Ränder in Bewegung gebracht,<br />
so Spivak, und <strong>es</strong> ist wichtig zu beobachten, wie <strong>die</strong> einzelnen<br />
Teile d<strong>es</strong> Erziehungskomplex<strong>es</strong> darauf reagieren (vgl. Spivak 1993).<br />
Auf der anderen Seite b<strong>es</strong>chreibt sie Lernen als ein Trainieren d<strong>es</strong><br />
Geist<strong>es</strong> und beharrt darauf, dass <strong>die</strong> Übung d<strong>es</strong> Geist<strong>es</strong> harte Arbeit<br />
erfordert. In zahlreichen Interviews gibt sie zu bedenken, dass<br />
<strong>es</strong> unsinnig und gefährlich sei, zu glauben, dass <strong>es</strong> genügen würde,<br />
sich „etwas einfallen zu lassen“. Wenn <strong>es</strong> darum geht, <strong>die</strong> Gedanken<br />
zu dekolonisieren, müssen di<strong>es</strong>e vielmehr b<strong>es</strong>tändig in Schwingung<br />
versetzt werden. Ein kleiner didaktischer Trick hier und da konterkariert<br />
eher <strong>die</strong> Ernsthaftigkeit d<strong>es</strong> Unternehmens, untergräbt das<br />
Ziel der Dekolonisierung. Es geht auch nicht um <strong>die</strong> Proklamierung<br />
der Veränderung der Verhältnisse – di<strong>es</strong> hält Spivak lediglich<br />
für eine G<strong>es</strong>te der Überlegenheit –, sondern darum zu lernen, wie<br />
das, was das Hier und Jetzt ausmacht, aus der spezifischen Logik<br />
der Marginalisierten heraus erfahrbar gemacht werden kann. Es<br />
b<strong>es</strong>teht eine Notwendigkeit für ein unsichtbar<strong>es</strong> Ausb<strong>es</strong>sern (invisible<br />
mending). Sie b<strong>es</strong>chreibt di<strong>es</strong>e Form der Bildung als das<br />
Einweben unsichtbarer Fäden in <strong>die</strong> bereits vorhandene Textur.<br />
Das dabei entstehende Muster ist nicht vorab b<strong>es</strong>timmt, und der<br />
Proz<strong>es</strong>s d<strong>es</strong> Webens kommt nie zu einem Ende, wobei <strong>die</strong> Webenden<br />
im Proz<strong>es</strong>s gleichzeitig Arbeitende und zu bearbeitender<br />
Stoff sind. Um di<strong>es</strong> bewerkstelligen zu können, wird von denen,<br />
<strong>die</strong> Lehren, vor allem Geduld gefordert, denn <strong>die</strong> Proz<strong>es</strong>se verlaufen<br />
langsam, ja schleichend, so wie <strong>die</strong> historische Gewalt, <strong>die</strong> in<br />
<strong>die</strong> soziale Textur eingelassen ist, b<strong>es</strong>tändig und flexibel ist. <strong>Wir</strong>d<br />
das ang<strong>es</strong>trebt, was Spivak eine transnationale Bildung genannt<br />
hat, so bleibt <strong>die</strong> Hinterfragung der eigenen Privilegien Notwendigkeit<br />
(vgl. Spivak 1995), denn dann geht <strong>es</strong> nicht um eine Bildung,<br />
<strong>die</strong> auf bloße Informationsakkumulation aufbaut, sondern<br />
um ein Lernen und Verlernen. Der <strong>Kunst</strong>, <strong>die</strong> Regeln zu brechen,<br />
kommt dabei eine b<strong>es</strong>ondere Funktion zu – sowohl <strong>die</strong> Regeln<br />
der wissenschaftlichen Disziplin(ierungen) als auch <strong>die</strong> Regeln<br />
d<strong>es</strong> Erwarteten, d<strong>es</strong> Common Sense, d<strong>es</strong> Normalen. Die Praxis d<strong>es</strong><br />
„Regelnbrechens“ b<strong>es</strong>chreibt Spivak folgerichtig als eine ethische<br />
Verpflichtung. Die dominanten pädagogischen Strategien innerhalb<br />
der Bildungs- und Kulturinstitutionen wie auch <strong>die</strong> Erwartungen<br />
der Lernenden/Stu<strong>die</strong>renden, ihre Vorstellungen darüber,<br />
was Lernen bedeutet, behindern<br />
jedoch sehr häufig <strong>die</strong> Infrag<strong>es</strong>tellungen<br />
d<strong>es</strong> Systems<br />
und <strong>die</strong> in dasselbe eingebetteten<br />
Disziplinarmaßnahmen.<br />
Wer <strong>die</strong> Regeln bricht, darf<br />
d<strong>es</strong>wegen nicht hoffen, dass<br />
das Brechen der Regeln allen<br />
attraktiv erscheint. Nicht wenige<br />
sind zufrieden mit dem<br />
So-wie-<strong>es</strong>-ist, verweigern den<br />
Willen zum Widerstand. So ist<br />
für viele <strong>die</strong> historisch gewachsene<br />
Struktur d<strong>es</strong> „<strong>Wir</strong> und <strong>die</strong><br />
Anderen“ durchaus attraktiv –<br />
ganz gleich auf welcher Seite<br />
sie stehen, sie profitieren davon.
Widerstand. Macht. Wissen. 07<br />
„Die Vielfalt der Beziehungs-Systeme“ ein Film von Helmut Küblböck untersucht anhand von 113 Beziehungsbeispielen <strong>die</strong> (Un)Möglichkeit sozialer Regelsysteme. Linz, 2007<br />
Ein Verlernen bei sich und anderen zu initiieren, erfordert d<strong>es</strong>wegen<br />
auch immer eine Art Experimentierfreudigkeit und Räume,<br />
<strong>die</strong> Experimente zulassen. Was dann entstehen kann, sind Funken<br />
„gewaltfreier Vermittlung“, bei der Dissens konstruktiv wahrgenommen<br />
wird und nicht Konsens <strong>die</strong> Erwartung darstellt.<br />
In gewisser Weise haftet der Spivak’schen Idee postkolonialer<br />
Pädagogik ein utopisch<strong>es</strong> Moment an. Dann nämlich, wenn sie sagt,<br />
dass <strong>es</strong> darum geht, das System in Frage zu stellen, ohne ein ander<strong>es</strong>,<br />
b<strong>es</strong>ser<strong>es</strong> zu propagieren. Das klingt nach Ernst Bloch, demzufolge<br />
Hoffnung immer enttäuscht werden muss, wird sie sonst<br />
doch totalitär (vgl. Castro Varela 2007). So betrachtet weist <strong>die</strong><br />
Taktik d<strong>es</strong> Lernens und Verlernens und <strong>die</strong> Strategie d<strong>es</strong> unsichtbaren<br />
Ausb<strong>es</strong>serns in Richtung nicht-dominanter Zukünfte. ●<br />
María do Mar Castro Varela ist Diplom-Psychologin und Diplom-<br />
Pädagogin. Sie hat in Politikwissenschaften promoviert und ist Mitgründerin<br />
d<strong>es</strong> Instituts für Migrations- und Ungleichheitsforschung<br />
(IMUF). Im Wintersem<strong>es</strong>ter 2007/08 tritt sie eine Prof<strong>es</strong>sur für<br />
Soziale Arbeit und Allgemeine Pädagogik mit dem Schwerpunkt<br />
Gender- und Queer Studi<strong>es</strong> an der Alice-Salomon-Fachhochschule<br />
in Berlin an. Gemeinsam mit Nikita Dhawan hat sie 2005 <strong>die</strong> erste<br />
Einführung in <strong>die</strong> Postkoloniale Theorie in deutscher Sprache veröffentlicht.<br />
Zur Zeit arbeitet sie u.a. an einer Veröffentlichung<br />
zum Thema „Pädagogik und Postkoloniale Kritik“.<br />
Literatur<br />
Castro Varela, María do Mar: Unzeitgemäße Utopien. Migrantinnen<br />
zwischen Selbsterfindung und Gelehrter Hoffnung, Bielefeld 2007 (transcript).<br />
Said, Edward: Culture and Imperialism, London 1993 (Chatto & Windus).<br />
Spivak, Gayatri C.: Outside in the Teaching Machine, New York / London 1993<br />
(Routledge).<br />
Spivak, Gayatri C.: Teaching for the tim<strong>es</strong>, in: Jan Nederveen Pieterse /<br />
Bhikhu Parekh (Hg.): The Decolonization of Imagination: Culture, Knowledge<br />
and Power, London 1995 (Zed): S. 177–202.<br />
Spivak, Gayatri C.: The Spivak Reader, Hg. von Donna Landry / Gerald<br />
Maclean, New York / London 1996 (Routledge).<br />
Spivak, Gayatri C.: A Critique of Postcolonial Reason: Towards a History of the<br />
Vanishing Pr<strong>es</strong>ent, Calcutta / New Delhi 1999 (Seagull).<br />
Viswanathan, Gauri: Masks of Conqu<strong>es</strong>t: Literary Study and British Rule in<br />
India, London 1987 (Faber).
Alle Macht der Freien Universität Kopenhagen Das Komitee d<strong>es</strong> 15. Juli 2001 / Henriette Heise & Jakob Jakobsen<br />
Christine Pavlic, Home sweet home, Installation, 2007. 1 von hinten heraus stechen 2 zurück stechen und 3 heraus ziehen 4 wieder einstechen, 5 (=1) heraus ziehen.<br />
❚ Von all den Angelegenheiten, an denen wir uns mit oder ohne<br />
Eigeninter<strong>es</strong>se beteiligen, ist <strong>die</strong> tastende Suche nach neuen Lebensweisen<br />
vielleicht das Einzige, das uns noch mit Leidenschaft<br />
erfüllen kann. Die ästhetischen Disziplinen haben sich in di<strong>es</strong>er<br />
Hinsicht als himmelschreiend unzulänglich erwi<strong>es</strong>en und sie<br />
zeichnen sich durch äußerste Distanz aus, wenn <strong>es</strong> um grundlegende<br />
Fragen geht. Der Weg vorwärts ist jedoch nicht in der Auflösung<br />
der ästhetischen Disziplinen zu suchen – der Weg vorwärts<br />
heißt, mehr von ihnen zu verlangen. Auf unserer Suche<br />
nach neuen Lebensweisen verführen uns <strong>die</strong> Chemie d<strong>es</strong> Unglücksbewusstseins<br />
und überschüssige Energien immer noch dazu,<br />
experimentelle Institutionen zu gründen und einen Diskurs<br />
neu zu formulieren, in d<strong>es</strong>sen Rahmen wir das Wort „Ästhetik“<br />
verwenden. Die Freie Universität Kopenhagen ist eine solche Institution<br />
bzw. ein solcher Diskurs.<br />
[…] Die Freie Universität Kopenhagen ist eine Stimme im Gemurmel<br />
vieler. <strong>Wir</strong> sind nicht zwei oder drei Einzelpersonen, sondern<br />
eine Institution, <strong>die</strong> im Proz<strong>es</strong>s d<strong>es</strong> Produziertwerdens und d<strong>es</strong><br />
Produzierens durch verschiedene g<strong>es</strong>ellschaftliche Beziehungen<br />
driftet. <strong>Wir</strong> sind <strong>die</strong> Menschen im Haus. Di<strong>es</strong>e Position schafft eine<br />
ständigen Veränderungen unterworfene Konfiguration, <strong>die</strong><br />
durch viele Kontexte, Plattformen, Stimmen, Aktionen, aber auch<br />
durch Inaktivität, Verweigerung, Rückzug, Exodus gekennzeichnet<br />
ist. […] Unsere Subjektivität (was man sagt und was man<br />
tut) steigt aus den materiellen Bedingungen unser<strong>es</strong> Alltagslebens<br />
auf und wird von den vermittelten Grundprinzipien d<strong>es</strong> öffentlichen<br />
Bereichs abgezogen. Im öffentlichen Bereich fangen sich alle<br />
Argumente in den Grundprinzipien d<strong>es</strong> individualisierten Bürgers<br />
und werden durch sie gefiltert. Was aber, wenn man sich nicht<br />
wie ein vernünftiger Bürger fühlt? Die Freie Universität Kopenhagen<br />
ist ein „Inter<strong>es</strong>sensbereich“, der aus dem materiellen Leben,<br />
das wir erleben, stammt und immer schon, vor jedem Bürgerstatus<br />
politisiert ist. Unsere Reichweite ist gleichermaßen lokal<br />
und global, wir suchen G<strong>es</strong>innungsgenossen um <strong>die</strong> Ecke und auf<br />
der ganzen Welt.<br />
Unser Ausgangspunkt ist das Hier und Jetzt: das Zirkulieren in<br />
der heutigen politischen Wissensökonomie und ihre Folgen und<br />
<strong>die</strong> Wünsche, <strong>die</strong> in den Strömungen und Netzwerken di<strong>es</strong>er Landschaft<br />
verteilt, akkumuliert, umgeleitet und aufgehalten werden.<br />
Die Tatsache, dass <strong>die</strong> höhere Bildung nicht mehr ausschließliche<br />
Domäne d<strong>es</strong> Bürgertums und seiner Kinder ist und, dass <strong>die</strong> ArbeitnehmerInnen<br />
heute allgemein hoch qualifiziert sind, hat zu<br />
„Massenintellektualität“ geführt. Die Massenintellektualität und<br />
<strong>die</strong> heutigen immateriellen Produktionsmethoden, <strong>die</strong> verlangen,<br />
dass ArbeitnehmerInnen in einem Umfeld arbeiten können, in<br />
dem sie abstrakte Produkte herstellen, welche durch Wissen und<br />
Subjektivität gekennzeichnet sind, hat unser Inter<strong>es</strong>se ganz b<strong>es</strong>onders<br />
geweckt. Nicht, dass wir einen Job wollen, aber wir erkennen,<br />
dass di<strong>es</strong>e Entwicklung unser Gefühlsleben beeinflusst.<br />
[…] In der Produktion geht <strong>es</strong> zunehmend und auf verschiedenen<br />
Ebenen um <strong>die</strong> Fähigkeit, Entscheidungen zwischen mehreren<br />
Alternativen zu treffen, wobei der Entscheidungsproz<strong>es</strong>s eine<br />
gewisse Verantwortung mit sich bringt. In der Wissensökonomie<br />
produktiv zu sein, bedeutet: Von den Arbeitenden wird erwartet,<br />
dass sie aktive Subjekte werden; man muss sich ausdrücken, man<br />
muss sprechen, kommunizieren, zusammenarbeiten usw. Die Produktionsmethode<br />
wird immateriell und steht mit Kommunika-
Katharina Loidl, Die Macht der Illusion – Ein Found-Footage-Video in mehreren Teilen, welch<strong>es</strong> sich signifikanter Filmsequenzen aus Dracula-Verfilmungen von 1922 bis 2006 be<strong>die</strong>nt.<br />
tionsproz<strong>es</strong>sen in Verbindung,<br />
<strong>die</strong> von den Arbeitenden verlangen,<br />
dass sie kritisch sind und<br />
Subjektivität ausdrücken. Es ist<br />
keine überraschende Einsicht,<br />
dass der Ethos d<strong>es</strong> Staat<strong>es</strong> im<br />
Hinblick auf den Bürger fast<br />
identisch ist mit dem Ethos der<br />
kapitalistischen Produktion im<br />
Hinblick auf den Arbeitenden.<br />
Die politische Wissensökonomie<br />
von heute nimmt G<strong>es</strong>talt an.<br />
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit<br />
auf <strong>die</strong> Methode der ästhetischen<br />
Produktion richten, so<br />
müssen wir erkennen, dass Künstlerinnen und Künstler zu Vorbildern<br />
der Arbeitenden in der Wissensökonomie werden. KünstlerInnen<br />
bringen traditionell ihre Seelen in <strong>die</strong> Arbeit ein, und das<br />
ist genau <strong>die</strong> Qualifikation, <strong>die</strong> das moderne Management sucht,<br />
wenn neue Arbeitskräfte rekrutiert werden sollen. Das Unternehmertum,<br />
<strong>die</strong> selbständige Unabhängigkeit und <strong>die</strong> geheiligte Individualität<br />
von KünstlerInnen sind <strong>die</strong> Traumqualifikationen der<br />
WissensarbeiterInnen von morgen: gewerkschaftlich nicht organisierte,<br />
b<strong>es</strong>tens ausgebildete Individuen ohne Solidarität, <strong>die</strong> sich<br />
als TaglöhnerInnen verdingen. Der heroische Künstler der Avantgarde<br />
von g<strong>es</strong>tern wird der Streikbrecher von morgen. <strong>Wir</strong> sehen,<br />
wie <strong>es</strong> rund um uns passiert, und wir tun <strong>es</strong> selbst, mit oder ohne<br />
Eigeninter<strong>es</strong>se.<br />
Ein weiterer Aspekt ist <strong>die</strong> Tatsache, dass ein großer Teil der<br />
ästhetischen Produktion heute dazu instrumentalisiert wird, <strong>die</strong><br />
Ideologie der Wissensökonomie zu reproduzieren. Das g<strong>es</strong>chieht<br />
oft, wenn sich KünstlerInnen mit neuen Technologien b<strong>es</strong>chäftigen,<br />
wenn sich KünstlerInnen mit g<strong>es</strong>ellschaftlicher Erneuerung<br />
b<strong>es</strong>chäftigen, wenn KünstlerInnen <strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum<br />
produzieren, oder allgemein dann, wenn KünstlerInnen sich für<br />
<strong>die</strong> gute und erbauliche Sache einsetzen. KünstlerInnen bejahen,<br />
ob nun vorsätzlich oder nicht, <strong>die</strong> derzeitige Hegemonie: Sie bilden<br />
<strong>die</strong> Speerspitze neuer Marktstandards oder <strong>machen</strong> sich dort<br />
nützlich, wo Staat und Kapital auslassen. Die Freie Universität<br />
Kopenhagen ist b<strong>es</strong>trebt, andere Strategien zu entwickeln, Strategien<br />
d<strong>es</strong> Rückzugs und d<strong>es</strong> Prot<strong>es</strong>ts. „Rückzug“ steht für eine<br />
Aktivität, <strong>die</strong> nicht auf direkter Opposition basiert, sondern einer<br />
Ablehnung der Macht, einer Verweigerung d<strong>es</strong> Gehorsams. „Prot<strong>es</strong>t“<br />
steht für eine Aktivität, mit der Antagonismen aufgedeckt<br />
werden sollen, welche unter der Oberfläche für <strong>die</strong> G<strong>es</strong>ellschaft<br />
charakteristisch sind und sich dort herauskristallisieren können.<br />
[…] Es scheint, dass <strong>die</strong> Wissensökonomie mit einer Auffassung<br />
der ästhetischen Disziplinen arbeitet, in der <strong>es</strong> nur ein Produkt<br />
innerhalb ein<strong>es</strong> Überbaus gibt. Ist eine Stadt geplant, ein Gebäude<br />
gebaut, ein Produkt entwickelt, dann sind <strong>die</strong> KünstlerInnen<br />
gefordert. Di<strong>es</strong>e Auffassung ist derzeit bei Staat, <strong>Kunst</strong>institutionen<br />
und vielen KünstlerInnen weit verbreitet. Die <strong>Kunst</strong> ist eine<br />
g<strong>es</strong>ellschaftliche Praxis, aber ist sie nur ein g<strong>es</strong>ellschaftlich<strong>es</strong><br />
Konstrukt zum Wohle der Volksg<strong>es</strong>undheit? <strong>Wir</strong> haben <strong>die</strong> Absicht,<br />
<strong>die</strong> Diskussionen um <strong>die</strong> Ästhetik wieder zurück an <strong>die</strong><br />
Basis zu tragen. Massenintellektualität und Globalisierung bieten<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit, eine Strategie der Avantgarde wieder einzuführen,<br />
<strong>die</strong> nicht auf der Universalität der heroischen Avantgarde<br />
beruht, sondern sich in Form kollektiver und polymorpher kreativer<br />
Kräfte in der Herstellung g<strong>es</strong>ellschaftlicher Beziehungen<br />
entwickelt. Ästhetik über <strong>die</strong> Disziplinen hinaus. Ästhetik als<br />
Faktum d<strong>es</strong> Lebens. ●<br />
Henriette Heise und Jakob Jakobsen sind bildende KünstlerInnen<br />
und leben und arbeiten an der Copenhagen Free University<br />
(www.copenhagenfreeuniversity.dk). Der gemeinsame Text<br />
stammt aus dem Jahr 2001.
… in das kollektive Gedächtnis einzugreifen<br />
Widerstand. Macht. Wissen im G<strong>es</strong>präch. Mit Eva Egermann und Charlotte Martinz-Turek<br />
Wettexwäsche eine siebenteilige, haptische Zwischenrauminstallation, über Alltag, Ausfluss und Fusselfähigkeit von Antonia Prochaska 2007<br />
❚ Sowohl im <strong>Kunst</strong>feld als auch in den Sozialwissenschaften – aber<br />
auch im Rahmen aktivistischer Praxen – scheinen Debatten um <strong>die</strong><br />
Mehrdimensionalität d<strong>es</strong> Wissens derzeit auf der Tag<strong>es</strong>ordnung zu<br />
stehen. Viele gängige „polyperspektivische Ansätze“ beziehen allerdings<br />
<strong>die</strong> Verhältnisse der Wissensformen untereinander und <strong>die</strong><br />
b<strong>es</strong>tehenden Wissens- und Definitionsmachtverhältnisse in der G<strong>es</strong>ellschaft<br />
nur wenig ein. Mit dem Titel Widerstand. Macht. Wissen<br />
nehmen wir in di<strong>es</strong>er Ausgabe d<strong>es</strong> <strong>Bildpunkt</strong> Bezug auf <strong>die</strong> Debatten<br />
um <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, fragen aber auch nach den Potenzialen,<br />
<strong>die</strong> in der Erarbeitung und Verbreitung alternativer Wissensformen<br />
sowie in der Entwicklung von Gegen-Wissen liegen.<br />
<strong>Bildpunkt</strong>: Eva, du arbeit<strong>es</strong>t als Künstlerin in verschiedenen<br />
Me<strong>die</strong>n und in mehreren Kollektiven wie etwa der Manoa Free<br />
University sowie als Redaktionsmitglied der Zeitschrift MALMOE<br />
unter anderem zu Themen wie Wissensproduktion. Was ist eigentlich<br />
„alternativ<strong>es</strong> Wissen“?<br />
E. E.: Ich finde <strong>es</strong> sehr schwierig di<strong>es</strong>e Begriffe, <strong>die</strong> hier fallen,<br />
Wissen, Gegen-Wissen oder alternativ<strong>es</strong> Wissen zu unterscheiden.<br />
Worauf bezieht man sich denn, wenn man von alternativem<br />
oder Gegen-Wissen spricht? Unklar ist das d<strong>es</strong>halb, <strong>weil</strong> sich<br />
Sprache und Alltagsdiskurse immer wieder verändern und der<br />
neoliberale Umbau der G<strong>es</strong>ellschaft natürlich mit einer gewissen<br />
Rhetorik einhergeht. Da kommt <strong>es</strong> zu Bedeutungsverschiebungen,<br />
so dass ursprünglich als emanzipatorisch g<strong>es</strong>ehene Begriffe und<br />
Formate der alternativen Wissensproduktion wie Autonomie, Kollektivität,<br />
Selbstorganisation, Selbstb<strong>es</strong>timmung, Flexibilität und<br />
Mobilität dabei übernommen und in <strong>die</strong> Logik der Kapitalverwertung<br />
integriert werden. Peter Hartz beispielsweise spricht im<br />
Hartz IV-Papier ja auch von einer (Job)Revolution. Das ist das,<br />
08<br />
was Antonio Gramsci als „passive Revolution“ bezeichnet. Begriffe<br />
sowie Bildung sind umkämpft. Worum <strong>es</strong> allerdings bei „alternativem<br />
Wissen“ gehen könnte, kann ich mir anhand der beiden<br />
Begriffe „Herrschaftswissen“ und „Befreiungswissen“ schon b<strong>es</strong>ser<br />
vorstellen. Herrschaftswissen wäre jen<strong>es</strong> Wissen, das dazu<br />
<strong>die</strong>nt, <strong>die</strong> hegemonialen Verhältnisse zu reproduzieren und zu<br />
f<strong>es</strong>tigen und das der herrschenden Klasse vorbehalten bleibt. Bildung<br />
u.a. als Mittel sozialer Segregation. Heute wäre das beispielsweise<br />
das Wissen um gewinnbringende Kapitalanlagen oder<br />
di<strong>es</strong>e vielen Elite- und Excellenzprogramme. Befreiungswissen<br />
wäre im Gegensatz dazu das Wissen um <strong>die</strong> herrschenden Verhältnisse,<br />
<strong>die</strong> eigene Verstrickung darin, sowie <strong>die</strong> sozialen Kämpfe<br />
darum. Widerständige Erfahrungen und Reflexion darüber in<br />
den ArbeiterInnen-, Frauen- und anderen sozialen Bewegungen,<br />
in der Gegenwart als auch in der G<strong>es</strong>chichte.<br />
<strong>Bildpunkt</strong>: Befreiungswissen ist demnach also nicht nur ein Wissen,<br />
das <strong>die</strong> b<strong>es</strong>tehenden Verhältnisse reflektieren, sondern sie<br />
auch verändern will und zwar aus einer konkreten g<strong>es</strong>ellschaftlichen<br />
Situation heraus. Charlotte, du unterricht<strong>es</strong>t Wissensmanagement<br />
an der Fachhochschule für Wissensmanagement (FH) und<br />
hast dich mit Systemen d<strong>es</strong> Wissens in Ausstellungen und Archiven<br />
auseinanderg<strong>es</strong>etzt. Was ist aus deiner Sicht „alternativ<strong>es</strong> Wissen“?<br />
C. M.-T.: Ich möchte gleich <strong>die</strong> Logik der Kapitalverwertung aufgreifen,<br />
denn <strong>die</strong> Diskurse an der Fachhochschule folgen einzig<br />
und allein di<strong>es</strong>er Logik. Die dortige Wissensvermittlung <strong>die</strong>nt<br />
ausschließlich der Effektivitätssteigerung d<strong>es</strong> Betrieb<strong>es</strong>, <strong>es</strong> geht<br />
nicht um Fragen verschiedener SprecherInnenpositionen, sondern<br />
um das Abrufen scheinbar objektiven Wissens aus Datenbanken.<br />
In einem solchen institutionellen Rahmen wird <strong>die</strong> Frage nach dem
Widerstand. Macht. Wissen. 11<br />
Zustandekommen und der g<strong>es</strong>ellschaftlichen Eingebundenheit von<br />
Wissen überhaupt nicht verstanden: Es ist kein Problem, dort über<br />
<strong>die</strong> Institution Museum und <strong>die</strong> darin stattfindende Wissensproduktion<br />
zu sprechen. Versucht man aber, di<strong>es</strong>e Reflexion über <strong>die</strong><br />
Herstellung von Wissen auf <strong>die</strong> Institution FH oder <strong>die</strong> Arbeitgeber<br />
der StudentInnen – zumeist aus dem Profit-Bereich – zu übertragen,<br />
stößt man sofort auf Widerstände.<br />
<strong>Bildpunkt</strong>: Solche Konfrontationen<br />
mit den hegemonialen<br />
Institutionen oder auch den<br />
Apparaten der Werteko<strong>die</strong>rung<br />
gibt <strong>es</strong> ja auch im künstlerischen<br />
und musealen Feld. Wie<br />
wird deiner Meinung nach hier<br />
Wissen wahr gemacht?<br />
C. M.-T.: Die Produktion von<br />
Wahrheiten findet schrittweise<br />
statt. Zuerst gibt <strong>es</strong> da <strong>die</strong> Institution<br />
Museum, <strong>die</strong> einen Rahmen<br />
vorgibt und dadurch bereits eine vermeintlich unhintergehbare<br />
Autorität ausstrahlt. Hinzu kommen Systematisierungen und<br />
Klassifizierungen, <strong>die</strong> in Archiven vorgenommen werden. Und<br />
schließlich sind <strong>die</strong> Objekte einer Ausstellung selbst natürlich<br />
sehr verführerische Komponenten der Wahrheitsproduktion, <strong>weil</strong><br />
sie gewissermaßen eine „materielle Zeugenschaft“ ablegen. Wenn<br />
erst einmal entschieden ist, was wie und in welchem Kontext gezeigt<br />
wird, trägt <strong>die</strong> Anonymität der Institution zur Produktion<br />
von Wahrheit bei, <strong>die</strong> sich beispielsweise in nicht namentlich<br />
gekennzeichneten und damit Objektivität suggerierenden Ausstellungstexten<br />
äußert. Eine b<strong>es</strong>ondere Form nehmen in der<br />
Wahrheitsproduktion zudem so genannte realistische Ausstellungsinszenierungen<br />
ein, in denen über <strong>die</strong> möglichst „wirklichkeitsgetreue“<br />
Darstellung g<strong>es</strong>chichtlicher Sachverhalte ein<br />
komplex<strong>es</strong> Bild vermittelt werden soll, ohne dass aber subjektive<br />
Herangehensweisen und objektive Auslassungen, Lücken und<br />
Brüche thematisiert würden.<br />
<strong>Bildpunkt</strong>: Ihr habt verschiedene Aspekte d<strong>es</strong> Herrschaftswissens<br />
erwähnt, in Form der neoliberalen Umstrukturierung d<strong>es</strong> Bildungssystems<br />
oder als normative Kraft von Ausstellungen. Es<br />
stellt sich daran anschließend <strong>die</strong> Frage, ob <strong>es</strong> nicht auch Potenziale<br />
für das so genannte Befreiungswissen im Museum und im<br />
Ausstellungskontext gibt und falls ja, welche.<br />
E. E.: Im Prinzip glaube ich schon, dass <strong>es</strong> solche Potenziale gibt.<br />
Natürlich gibt <strong>es</strong> da viele Fragen. Wie wird das Wissen produziert,<br />
vom wem und wem <strong>die</strong>nt <strong>es</strong>? Inwiefern werden Rahmenbedingungen,<br />
Repräsentation und Ökonomie mitkommuniziert und gedacht?<br />
Werden <strong>die</strong> B<strong>es</strong>ucherInnen als politische Subjekte ang<strong>es</strong>prochen?<br />
Welche Räume und Öffentlichkeiten werden produziert, usw.?<br />
Was den Ausstellungsbereich betrifft, gibt <strong>es</strong> jedenfalls noch genug<br />
marginalisiert<strong>es</strong> Wissen, das aus dem allgemeinen Kanon<br />
ausgeklammert wird.<br />
C. M.-T.: Die Wehrmachtsausstellung ist aus meiner Sicht ein<br />
gut<strong>es</strong> Beispiel für eine Ausstellung, der <strong>es</strong> gelungen ist, in das<br />
kollektive Gedächtnis einzugreifen. Hier wurde <strong>es</strong> tatsächlich<br />
bewerkstelligt, das Kanonwissen zu verschieben und <strong>die</strong> Vergangenheitsnarrationen<br />
über <strong>die</strong> Nazi-Zeit in Österreich zu verändern.<br />
Über <strong>die</strong> Vermittlungsarbeit lassen sich sicherlich auch neue<br />
Wissensformen platzieren.<br />
<strong>Bildpunkt</strong>: Ihr seid ja beide auch als Lehrende und Wissensvermittlerinnen<br />
tätig, mit welchen Erfahrungen seid ihr in Bezug auf<br />
<strong>die</strong> Vermittlung von Wissen konfrontiert?<br />
C. M.-T.: Ich möchte dabei zunächst unterscheiden zwischen institutioneller<br />
und nicht-institutioneller Arbeit. Vor allem in der<br />
nicht-institutionellen Arbeit, <strong>die</strong> sich nicht erst am starken<br />
Rahmen der Institution abarbeiten muss, sehe ich durchaus<br />
Möglichkeiten, kritische Wissensvermittlung zu betreiben. In<br />
meiner Arbeit mit Jugendlichen beispielsweise geht <strong>es</strong> darum,<br />
auch strukturelle – g<strong>es</strong>ellschaftliche und politische – Rahmenbedingen<br />
zu diskutieren und als veränderliche wahrnehmbar zu <strong>machen</strong>.<br />
Es geht darum zu zeigen, dass mächtige Diskurse zwar<br />
mächtig sind, dass <strong>es</strong> aber auch möglich ist, eine eigene Position<br />
ihnen gegenüber zu entwickeln und als Akteur oder Akteurin in<br />
sie einzugreifen.<br />
E. E.: Nach der Einführung d<strong>es</strong> Universitätsg<strong>es</strong>etz<strong>es</strong> 2002 habe<br />
ich angefangen bei der Manoa Free University mitzuarbeiten, <strong>weil</strong><br />
<strong>es</strong> notwendig schien, autonome Strukturen zu schaffen. Sobald<br />
man sagt, man macht eine Uni selbst und arbeitet mit Wissen,<br />
beginnt ein Proz<strong>es</strong>s der Auseinandersetzung darüber. In di<strong>es</strong>em<br />
Rahmen sind einige kollektive Projekte entstanden. Mittler<strong>weil</strong>e<br />
sind wir UntermieterInnen in einem leer stehenden Gebäude ein<strong>es</strong><br />
Universitätscampus, das <strong>die</strong> Uni für <strong>die</strong> Lukrierung von Drittmitteln<br />
weitervermietet. Eine absurde Situation, <strong>weil</strong> wir somit<br />
mittendrin sind in den Proz<strong>es</strong>sen der Ökonomisierung. Im Moment<br />
ist <strong>die</strong> MFU allerdings „out of busin<strong>es</strong>s“.<br />
<strong>Bildpunkt</strong>: Der Titel Widerstand. Macht. Wissen verbindet nicht
| ) );|(| punkt<br />
Ein Video über Fr@uengruppen in Österreich von Sabrina Kern, 2007, mehr demnächst. An di<strong>es</strong>er Stelle noch einen herzlichen Dank an <strong>die</strong> libertären Donauländen-Linux-Nerds!<br />
12<br />
nur drei Themen, sondern stellt auch – wird „macht“ als Verb gel<strong>es</strong>en<br />
– eine Behauptung auf: Die alt-sozialistische Vorstellung,<br />
dass Wissen oder Bildung zu Widerstand führt, wird umgedreht<br />
und <strong>es</strong> wird behauptet, dass widerständige Praktiken selbst neue <strong>Bildpunkt</strong>: Innerhalb der postkolonialen Theorie gibt <strong>es</strong> <strong>die</strong> Idee<br />
Wissensformen produzieren. Stimmt ihr dem zu?<br />
E. E.: Ich denke, <strong>es</strong> stimmt beid<strong>es</strong>. Erster<strong>es</strong> ist auch logisch, da <strong>es</strong><br />
<strong>die</strong> Entwicklung ein<strong>es</strong> kritischen Bewusstseins braucht, um handlungsfähig<br />
und widerständig zu sein, und das finde ich gar nicht<br />
so „alt-sozialistisch“. Ich denke andererseits aber auch, dass in<br />
den Kämpfen verschiedener sozialer Bewegungen Erfahrungen<br />
gemacht werden, <strong>die</strong> wiederum neu<strong>es</strong> „alternativ<strong>es</strong> Wissen“ produzieren.<br />
Und di<strong>es</strong> passiert durch kollektive Erfahrungen und<br />
nicht durch ExpertInnenwissen.<br />
C. M.-T.: In unserer Arbeit mit einer Klasse der Handelsakademie<br />
in Lambach OÖ zum Thema „Kriegerdenkmäler“ haben wir <strong>die</strong> Erfahrung<br />
gemacht, dass <strong>die</strong> SchülerInnen durch ihre eigene Praxis<br />
zu neuem Wissen gelangt sind: Mit der Aufgabe betraut, in den<br />
Archiven zu den Denkmälern zu forschen, sind sie auf dermaßen<br />
viele Schwierigkeiten und Widerstände g<strong>es</strong>toßen, dass sie selbst<br />
erfahren konnten, dass <strong>es</strong> mit di<strong>es</strong>em Thema in Österreich offensichtlich<br />
ein Problem gibt. Di<strong>es</strong>e Art d<strong>es</strong> Wissenserwerbs, der auf<br />
konkreten Erfahrungen fußt, funktioniert ganz anders, als wenn<br />
wir ihnen nur von der Problematik erzählt hätten.<br />
d<strong>es</strong> „Verlernens“ von b<strong>es</strong>timmtem, unterdrückerischem Wissen.<br />
Welch<strong>es</strong> Wissen müsste eurer Ansicht nach ver-lernt werden?<br />
E. E.: „Geht’s der <strong>Wir</strong>tschaft gut, geht’s uns allen gut“ – <strong>es</strong> gibt<br />
eine Menge von Problemfeldern, <strong>die</strong> anders verhandelt werden<br />
müssten. So beispielsweise auch das Wissen um Heimat und<br />
Staatsbürgerschaft.<br />
C. M.-T.: Mir scheint <strong>es</strong> ein ziemlich hoher Anspruch zu sein,<br />
Wissen wirklich verlernen zu wollen. Mir geht <strong>es</strong> eher darum, einen<br />
reflektierten Umgang damit zu finden und <strong>es</strong> neu und anders<br />
zu definieren. ●<br />
Das G<strong>es</strong>präch fand am 10. August 2007 in Wien statt, wurde von<br />
Nora Sternfeld und Jens Kastner geführt und in Absprache mit<br />
den Teilnehmerinnen gekürzt und überarbeitet.<br />
Eva Egermann ist bildende Künstlerin und lebt in Wien.<br />
Charlotte Martinz-Turek ist Kulturwissenschafterin, <strong>Kunst</strong>- und<br />
Kulturvermittlern und lebt in Wien.
Kulturpolitik 13<br />
Get together<br />
Vernetzung kunst- und kulturschaffender Frauen in Wien Carla Knapp<br />
❚ <strong>Wir</strong> bauen gerade ein wien-weit<strong>es</strong> Netzwerk<br />
von Künstlerinnen und kulturschaffenden<br />
Frauen auf und laden alle Inter<strong>es</strong>sierte<br />
herzlich ein zu unseren ersten beiden Treffen<br />
im Herbst. Ausgangspunkt di<strong>es</strong>er Künstlerinnen-Vernetzung<br />
war das Projekt im Rahmen<br />
d<strong>es</strong> F<strong>es</strong>tivals Soho in Ottakring 2007: Vernetzungs-Plattform<br />
für kunst- und kulturschaffende<br />
Frauen im 16. Bezirk.<br />
Die Idee war, während d<strong>es</strong> F<strong>es</strong>tivals ein<br />
„Caféhaus“ in einem Atelier der Friedmanngasse<br />
einzurichten, das den Künstlerinnen in<br />
Ottakring <strong>die</strong> Möglichkeit bietet, sich in angenehmer<br />
Atmosphäre und bei einer Tasse<br />
Kaffee <strong>die</strong> Ausstellungen im Atelier anzusehen<br />
und mit anderen <strong>Kunst</strong>schaffenden ins<br />
G<strong>es</strong>präch zu kommen. Künstlerinnen aus<br />
den unterschiedlichsten Bereichen sollten<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit haben, über persönliche,<br />
politische, künstlerische wie strukturelle Anliegen<br />
zu sprechen. Zum Abschluss gab <strong>es</strong><br />
eine offen moderierte Diskussionsrunde. Es<br />
zeigte sich, dass <strong>die</strong> anw<strong>es</strong>enden Künstlerinnen<br />
groß<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se hatten, andere <strong>Kunst</strong>schaffende<br />
kennen zu lernen, Informationen<br />
auszutauschen, Tauschg<strong>es</strong>chäfte und Netzwerke<br />
zu entwickeln. Es waren auch Künstlerinnen<br />
aus anderen Bezirken anw<strong>es</strong>end, so<br />
dass wir b<strong>es</strong>chlossen, <strong>die</strong> Vernetzungs-Initiative<br />
auf ganz Wien auszuweiten. Einige berichteten<br />
von früheren Vernetzungs-Modellen<br />
unter <strong>Kunst</strong>- und Kulturschaffenden<br />
während Soho in Ottaktring, in den Bund<strong>es</strong>ländern<br />
und in Wien.<br />
Fast einig waren sich <strong>die</strong> Frauen darin, dass<br />
viele solcher Initiativen oft mangels Zeit für<br />
<strong>die</strong> notwendige Organisation nicht mehr<br />
weiter b<strong>es</strong>tehen. Gerade weibliche <strong>Kunst</strong>und<br />
Kulturschaffende leben häufig in<br />
prekären Lebensverhältnissen und müssen<br />
„Lohnarbeiten“, um sich das Leben und ihre<br />
künstlerische Arbeit finanzieren zu können.<br />
Oft sind sie auch zusätzlich durch Kinderbetreuung<br />
zeitlich weiter eing<strong>es</strong>chränkt. Da<br />
das „<strong>Kunst</strong>-Schaffen“ für viele oft ein sehr<br />
einsam<strong>es</strong> und zurückgezogen<strong>es</strong> Arbeiten bedeutet,<br />
äußerten viele den Wunsch, sich im<br />
Herbst wieder zu treffen. Sonja Russ von der<br />
Rema Print und ich erklärten uns bereit, <strong>die</strong><br />
nächsten beiden Treffen zu organisieren. Für<br />
den ersten Abend am 20. September 2007<br />
haben wir Gabriele Gerbasits (G<strong>es</strong>chäftsführerin<br />
der IG Kultur Österreich) eingeladen,<br />
<strong>die</strong> über <strong>die</strong> derzeitigen Fördermöglichkeiten<br />
für <strong>Kunst</strong>- und Kulturschaffende in Österreich<br />
referieren wird. Am 20. November 2007<br />
wird Daniela Koweindl (IG Bildende <strong>Kunst</strong>)<br />
über b<strong>es</strong>tehende Möglichkeiten sozialer Ab-<br />
sicherung für Künstlerinnen berichten sowie<br />
zu aktuellen Debatten um Alternativen und<br />
Perspektiven rund um soziale Rechte.<br />
Alle kunst- und kulturschaffenden Frauen<br />
sind zu di<strong>es</strong>en ersten beiden Themenabenden<br />
im Herbst 2007 herzlich eingeladen. Im<br />
Anschluss an <strong>die</strong> Referate ist Zeit für persönliche<br />
Fragen, Austausch und Kennenlernen.<br />
Der Eintritt ist frei. <strong>Wir</strong> freuen uns auf<br />
Euer Kommen! ●<br />
Carla Knapp ist Filmemacherin und<br />
entwickelt kunstpolitische Projekte.<br />
Terminhinweis:<br />
Do, 22. November 2007, 19h<br />
Sozialversicherung für Künstlerinnen<br />
Allgemeine Infos und Aktuell<strong>es</strong> zur<br />
bevorstehenden G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>novelle<br />
Ort: 1160 Wien, Friedmanngasse 36<br />
(im Hinterhof, Aufgang: Atelier Zwettler)<br />
Erreichbar mit U6/J/46.
14 Kulturpolitik<br />
Reförmchen in Sicht?<br />
Kulturministerin Schmied und <strong>die</strong> Künstlersozialversicherungsfondsg<strong>es</strong>etz-Novelle Daniela Koweindl<br />
❚ Über zwei Jahre ist <strong>es</strong> her, seit der Künstlersozialversicherungsfonds<br />
(KSVF) erste<br />
Rückzahlungsforderungen ausg<strong>es</strong>prochen hat,<br />
um KünstlerInnen längst bezogene Zuschüsse<br />
wieder streitig zu <strong>machen</strong>. Neun Monate<br />
ist <strong>es</strong> her, seit Kulturministerin Claudia<br />
Schmied eine G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>novelle angekündigt<br />
hat, um Sofortmaßnahmen gegen di<strong>es</strong>e widersinnige<br />
Rechtslage zu setzen. Doch was<br />
ist daraus geworden? Was wird in Zukunft<br />
anders werden? <strong>Wir</strong>d etwas anders werden?<br />
Zwei Ereignisse zu Jahr<strong>es</strong>beginn ließen in<br />
Bezug auf das KSVF-Debakel aufhorchen. Am<br />
9. Jänner erschien eine parlamentarische Anfragebeantwortung,<br />
<strong>die</strong> Aufschluss über Details<br />
zu den KSVF-Rückzahlungsforderungen<br />
gab. G<strong>es</strong>amtausmaß: 4 515 170,30 Euro. Bis<br />
zu 1 489 KünstlerInnen jährlich sind betroffen.<br />
Mehr als zwei Drittel davon, <strong>weil</strong> sie das im<br />
KSVF-G<strong>es</strong>etz vorg<strong>es</strong>chriebene Mind<strong>es</strong>teinkommen<br />
aus künstlerischer Tätigkeit wider<br />
Erwarten nicht erreichten. Soweit das Ergebnis<br />
aufgrund der zu di<strong>es</strong>em Zeitpunkt vorgelegenen<br />
Einkommensdaten für <strong>die</strong> Jahre 2001<br />
bis 2005. Doch <strong>es</strong> lagen noch nicht alle Daten<br />
vor. Eine halbe Million Euro hatten KünstlerInnen<br />
damals bereits zurückgezahlt. Die<br />
r<strong>es</strong>tlichen vier Millionen waren noch offen.<br />
Zwei Tage nach di<strong>es</strong>er Anfragebeantwortung<br />
war SchwarzBlau endgültig Vergangenheit<br />
und <strong>die</strong> Rede vom KSVF als „Erfolgsg<strong>es</strong>chichte“<br />
nicht mehr Teil der offiziellen Regierungspolitik.<br />
Claudia Schmied trat als<br />
neue Kulturministerin auf den Plan, bezeichnete<br />
<strong>die</strong> durch das KSVF-G<strong>es</strong>etz verursachte<br />
Situation als untragbar und plä<strong>die</strong>rte – entsprechend<br />
der lang gehegten SPÖ-Position<br />
– für eine Abschaffung der Mind<strong>es</strong>teineinkommensgrenze<br />
aus künstlerischer Tätigkeit<br />
als Zuschussvoraussetzung. Seither wird den<br />
Inter<strong>es</strong>senvertretungen regelmäßig versichert,<br />
dass eine G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>novelle notwendig<br />
ist. Und zwar dringend. Die Inter<strong>es</strong>senvertretungen<br />
wissen das, schließlich stellen sie<br />
seit Jahren ebendi<strong>es</strong>e Forderung. Gut, dass<br />
auch <strong>die</strong> Ministerin den Handlungsbedarf<br />
erkennt. Einen Forderungskatalog mit Sofortmaßnahmen<br />
haben <strong>die</strong> Inter<strong>es</strong>senvertretungen<br />
längst ausgearbeitet, bleibt nur noch,<br />
di<strong>es</strong>en endlich umzusetzen. Umso b<strong>es</strong>ser, dass<br />
<strong>die</strong> Ministerin <strong>die</strong> wichtigsten Forderungen<br />
daraus auch zu ihren Anliegen erklärt.<br />
Monate vergehen. Nach den anfangs großen<br />
Zug<strong>es</strong>tändnissen sinken im Hause Schmied<br />
<strong>die</strong> Vorhaben auf Kellerniveau. Ende Juni<br />
findet <strong>die</strong> Ministerin Zeit für ein G<strong>es</strong>präch:<br />
knapp 2 Stunden für den Kulturrat Österreich<br />
(Zusammenschluss von 14 Inter<strong>es</strong>senvertretungen).<br />
Abschaffung der im KSVF-G<strong>es</strong>etz<br />
geforderten Mind<strong>es</strong>teinkommensgrenze?<br />
Kein Thema mehr. Abschaffung von Rückzahlungen?<br />
Auch längst abgehakt, ein paar<br />
Ausnahmeregelungen müssen reichen. Ausweitung<br />
der Zuschüsse auf Kranken- und<br />
Unfallversicherung? Nicht mit di<strong>es</strong>er Novelle.<br />
Dass aber eine übernächste G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>änderung<br />
in absehbarer Zeit ganz und gar unrealistisch<br />
ist, gibt auch <strong>die</strong> Kulturministerin zu.<br />
Dass sie selbst wenige Monate zuvor noch<br />
ganz andere Vorhaben verkündete, entlockte<br />
Schmied ein lapidar<strong>es</strong> „ja, ich weiß“. Nach<br />
dem Sommer, so hieß <strong>es</strong> nun, soll ein G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>entwurf<br />
zur Begutachtung vorliegen.<br />
Bis zum Redaktionsschluss lag nichts vor.<br />
Nichts Neu<strong>es</strong> ist in Sicht. Nur das vorsichtige<br />
Aufatmen im <strong>Kunst</strong>- und Kulturbereich nach<br />
sieben Jahren d<strong>es</strong>aströser Kulturpolitik<br />
scheint vorüber. Lange hat <strong>es</strong> nicht gedauert,<br />
bis SPÖ-Forderungen aus Oppositionstagen<br />
keine Gültigkeit mehr hatten. Und schnell hat<br />
auch <strong>die</strong> Neo-Ministerin <strong>die</strong> (Gusenbauer-)<br />
Traditionen der leeren Worte übernommen.<br />
Willkommen im Club der roten Dichter. ●<br />
Daniela Koweindl ist kulturpolitische Sprecherin<br />
der IG Bildende <strong>Kunst</strong> und im Vorstand<br />
d<strong>es</strong> Kulturrat Österreich aktiv.
IG Bildende kunst intern 15<br />
Was von Morak blieb: <strong>Kunst</strong>bericht 2006<br />
❚ von Martin Krenn<br />
<strong>Kunst</strong>ministerin Claudia Schmied (SPÖ) hat am 11. Juli<br />
im Ministerrat den <strong>Kunst</strong>bericht 2006 präsentiert.<br />
2006 wurden allerdings <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong>förderungen d<strong>es</strong><br />
Bund<strong>es</strong> noch unter <strong>Kunst</strong>staatssekretär Morak bzw.<br />
<strong>Kunst</strong>kanzler Schüssel getätigt, w<strong>es</strong>halb Claudia<br />
Schmid auch betonte: „Eine Kommentierung der vorliegenden<br />
Zahlen nehme ich in di<strong>es</strong>em Bericht nicht<br />
vor, da sie nicht meine Arbeit darstellen.“<br />
Sehr wohl kommentiert und zwar durchwegs negativ<br />
wurde der Bericht allerdings von verschiedenen Inter<strong>es</strong>sensvertretungen.<br />
Der <strong>Kunst</strong>bericht 2006 zeigt<br />
auf, wie sich konservative Kulturpolitik nach sieben<br />
Jahren in Zahlen ausdrückt. Ein Pr<strong>es</strong>tigeprojekt, wie<br />
<strong>die</strong> Ausstellung Sculptural Architecture in Austria in<br />
Peking und Guangzhou wurde mit 526 800 Euro unverhältnismäßig<br />
hoch gefördert. Einsparungen gab<br />
<strong>es</strong> dafür bei Personenförderungen: in der bildenden<br />
<strong>Kunst</strong> 12% weniger Geld als im Vorjahr. Die massivste<br />
Kürzung in der bildenden <strong>Kunst</strong> (minus 52,1%) erfolgte<br />
bei den Ausgaben für Staats-, Arbeits- und<br />
Projektstipen<strong>die</strong>n, sodass 2006 nur noch 173 900 Euro<br />
zur Verfügung standen.<br />
Was passiert, wenn unter rechts-konservativer <strong>Kunst</strong>kanzlerschaft<br />
sieben Jahre Kulturpolitik gemacht<br />
wird? Ich erinnere mich an ein Fernsehinterview mit<br />
Kanzler Schüssel im Jahr 2000, in dem er betont gelassen<br />
versicherte, <strong>die</strong> KünstlerInnen bräuchten trotz<br />
der Koalition mit der FPÖ keine Angst zu haben, niemand<br />
würde verfolgt werden. Tatsächlich ist mein<strong>es</strong><br />
Wissens niemand aufgrund seiner/ihrer künstlerischen<br />
Praxis von der Regierung verfolgt worden, allerdings<br />
haben viele aufgehört als KünstlerInnen zu<br />
arbeiten. Beträchtliche Rückzahlungsforderungen d<strong>es</strong><br />
Künstlersozialversicherungsfonds, zum wiederholten<br />
Mal mit einem Projektansuchen abgelehnt, Energie<br />
raubende Nebenjobs, steigende Mieten usw. führen<br />
schnell einmal zu einer längeren bis anhaltenden<br />
„Zwangspause“, da man sich den „Luxus“ <strong>Kunst</strong> zu<br />
<strong>machen</strong> schlichtweg nicht mehr leisten kann.<br />
Vielleicht dachte Schüssel damals vielmehr daran,<br />
dass <strong>die</strong> Regierung eigentlich Angst vor den KünstlerInnen<br />
hatte. Denn Förderungen für kritische bzw.<br />
unbequeme <strong>Kunst</strong> wurden systematisch gekürzt, regierungskritische<br />
<strong>Kunst</strong>- und Kulturinstitutionen<br />
durch Subventionseinsparungen ausgehungert und<br />
letztlich wurde durch das neue Fremdenrecht KünstlerInnen<br />
aus Nicht-EU/EWR-Ländern seit 2006 de<br />
facto <strong>die</strong> Niederlassung in Österreich verweigert.<br />
Der <strong>Kunst</strong>bericht 2006 ist auch ein Art Abschlusszeugnis.<br />
Der Bericht drückt in Budgetzahlen <strong>die</strong><br />
F<strong>es</strong>tivalisierung von zeitgenössischer <strong>Kunst</strong> bei<br />
gleichzeitiger Ausschaltung oppositioneller Initiativen<br />
aus. Di<strong>es</strong>er Kulturpolitik muss ein Ende g<strong>es</strong>etzt werden.<br />
Die IG Bildende <strong>Kunst</strong> erwartet von Bund<strong>es</strong>ministerin<br />
Schmied starke Impulse für eine zukunftsweisende<br />
Kultur- und Förderpolitik, eine Absage an<br />
konservative Eventkulturpolitik und stattd<strong>es</strong>sen finanzielle<br />
Rahmenbedingungen, <strong>die</strong> auch unbequeme<br />
nichtkommerzielle <strong>Kunst</strong>- und Kulturproduktion möglich<br />
<strong>machen</strong>.<br />
! Martin Krenn ist Vorsitzender der IG Bildende <strong>Kunst</strong>.<br />
●<br />
Ausstellungsprogramm 2008 Der Galerie Ig<br />
Bildende <strong>Kunst</strong>: Ausgewählte Projekte<br />
❚ Die IG Bildende <strong>Kunst</strong> hat eingeladen, Konzepte für<br />
das Ausstellungsprogramm 2007 einzureichen. Folgende<br />
Projekte hat der Vorstand der IG Bildende<br />
<strong>Kunst</strong> zur Realisierung ausgewählt:<br />
❚ Sexfli<strong>es</strong><br />
! Kuratiert von Gaby Bila-Günther.<br />
! Mit Bildern, Texten, Installationen und (Musik)-<br />
Performanc<strong>es</strong> behandelt das Projekt Lust, Sex und<br />
Erotik aus weiblicher Perspektive. Ziel der Ausstellung<br />
ist <strong>es</strong> nicht, Frauen auf sexuelle Objekte zu reduzieren,<br />
sondern ihre geballte sexuelle Energie und<br />
Freiheit sowie ihre Obs<strong>es</strong>sionen, Fetische, Fantasien,<br />
Tabus und Träume in Form von künstlerischen Beiträgen<br />
öffentlich zu diskutieren. Lady Gaby, als radikale<br />
Performerin auf <strong>Kunst</strong>- und Kulturf<strong>es</strong>tivals in ganz<br />
Europa zu Hause, verwandelt den Galerieraum in einen<br />
Erotiksalon, in dem Frauenbilder, sexuelle Erfahrungen<br />
und Konf<strong>es</strong>sionen illustriert werden sollen.<br />
❚ Nichtstun – Widerstand dafür dagegen<br />
(Arbeitstitel)<br />
! Kuratiert von Claudia Burbaum, Gabi Kellermann,<br />
Jan Sauerwald.<br />
! Nichtstun wird zumeist definiert als Nicht-Arbeiten.<br />
Das Projekt will jedoch über <strong>die</strong> ersten Assoziationen<br />
wie Entspannung, Lange<strong>weil</strong>e, Genuss, Freizeit,<br />
Müßiggang, Entschleunigung, Faulsein, Ruhe oder<br />
Sinnieren hinausgehen und rückt Formen d<strong>es</strong> widerständigen<br />
Nichtstuns und d<strong>es</strong> Widerstands gegen erzwungen<strong>es</strong><br />
Nichtstun in den Vordergrund – Nichtstun<br />
als aktiv<strong>es</strong> Unterlassen, als Verweigerung, stille Renitenz,<br />
Streik oder Prot<strong>es</strong>t. Ein Ziel ist <strong>die</strong> Umwertung<br />
von Nichtstun als Nicht-Arbeit hin zu einer differenzierten<br />
Bedeutung, <strong>die</strong> das widerständige Potential<br />
d<strong>es</strong> Nichtstuns mit einschließt.<br />
❚ nicht all<strong>es</strong> tun. Ziviler und sozialer Ungehorsam<br />
! Kuratiert von Jens Kastner und Bettina Spörr.<br />
! „… wenn aber das G<strong>es</strong>etz so b<strong>es</strong>chaffen ist, dass<br />
<strong>es</strong> notwendigerweise aus dir den Arm d<strong>es</strong> Unrechts<br />
an einem anderen macht, dann, sage ich, brich das<br />
G<strong>es</strong>etz.“ Die kurze Schrift Über <strong>die</strong> Pflicht zum Ungehorsam<br />
gegen den Staat (1849) von Henry David<br />
Thoreau gehört zu den einflussreichsten Texten sozialer<br />
Bewegungen d<strong>es</strong> 20. Jahrhunderts. Die darin<br />
formulierte Aufforderung zum G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>bruch wurde<br />
zum Kern zivilen Ungehorsams. Wenn auch in Zeiten<br />
der gouvernementalen Regime heute weniger der<br />
Staat als klar auszu<strong>machen</strong>der Gegner angegriffen<br />
wird, so existieren gegenwärtig – von illegalen Grenzübertritten<br />
bis zum Netzaktivismus – doch eine Vielzahl<br />
unterschiedlichster Formen und Praktiken zivilen<br />
(oder sozialen) Ungehorsams. Das Projekt untersucht<br />
zivilen Ungehorsam an den Schnittstellen und Überlappungen<br />
zwischen künstlerischer Produktion und<br />
sozialen Bewegungen.<br />
❚ Ausführlichere Information, Termine und Vorschau<br />
auf das g<strong>es</strong>amte Ausstellungsprogramm 2008 in Kürze<br />
unter www.igbildendekunst.at.<br />
●<br />
Neue Mitglieder<br />
❚ <strong>Wir</strong> begrüßen unsere neuen Mitglieder<br />
Ulli Baumgartner, Carmen-Maria Carmona-Fernández,<br />
Cem Firat, Nora Hofbauer, Bernd Koller, Karl Krachler,<br />
Herbert Lacina, Martina Lehner, Nina Levett, Birgitta<br />
Merl, Louise Prinz, Gabriele Schwaiger, Sabina<br />
Überall, Flora Watzal, Julia Willms.<br />
! IG Bildende <strong>Kunst</strong> – Die Inter<strong>es</strong>senvertretung der<br />
bildenden KünstlerInnen. Solidarisieren, Mitglied<br />
werden, Vorteile genießen. Jahr<strong>es</strong>beitrag ¤ 69,<br />
Stu<strong>die</strong>rende zahlen <strong>die</strong> Hälfte. Info unter<br />
www.igbildendekunst.at.<br />
●
18 Termine<br />
Ausstellungen in der Galerie<br />
IG Bildende <strong>Kunst</strong> Gumpendorfer Straße 10–12,<br />
1060 Wien; Öffnungszeiten: Di–Fr 13–18h<br />
❚ Friends, Fo<strong>es</strong> and Collaborators<br />
20. 9. – 9. 11. 2007<br />
! KünstlerInnen: Eva Brunner-Szabo, Andrea Faciu,<br />
Gregor Graf, Ciprian Mur<strong>es</strong>an, Pia Schauenburg, Peter<br />
Szabo.<br />
! Kuratiert von Attila Tordai-S. und Dagmar Höss.<br />
! Zum dritten Mal findet unter der Programmschiene<br />
„here and there“ eine internationale Kooperation<br />
statt, di<strong>es</strong>mal mit Studio Protokoll in Cluj, Rumänien.<br />
Wie in den vergangenen Jahren basiert di<strong>es</strong>e Kooperation<br />
darauf, nachhaltig institutionellen, kuratorischen<br />
sowie künstlerischen Austausch über nationale<br />
Grenzen hinweg zu ermöglichen. Di<strong>es</strong>e Ausstellung<br />
steht am Beginn d<strong>es</strong> Projekt<strong>es</strong> und wird mit einer gemeinsamen<br />
Präsentation in Rumänien abg<strong>es</strong>chlossen.<br />
Die Begriffe Freund und Feind haben unter den Vorzeichen<br />
der globalen Entwicklungen seit dem Ende<br />
d<strong>es</strong> „Kalten Krieg<strong>es</strong>“ eine neue Aktualität gewonnen:<br />
Durch <strong>die</strong> Erosion der ökonomischen Basis vieler w<strong>es</strong>tlicher<br />
Nationen, steht das Sozialstaatsmodell infrage<br />
und <strong>die</strong> Angst vor dem Verlust d<strong>es</strong> Wohlstand<strong>es</strong> kreiert<br />
immer neue Feindbilder. Das Projekt b<strong>es</strong>chäftigt<br />
sich mit der Konstruktion d<strong>es</strong> Freund- und Feindbild<strong>es</strong><br />
und den Kollaborateuren, <strong>die</strong> mit ihrer „Zusammenarbeit<br />
mit dem Gegner“ selber zum Feind werden.<br />
❚ Ausstellungen der Mitglieder der IG Bildende <strong>Kunst</strong><br />
siehe www.igbildendekunst.at/show.<br />
●<br />
Strategien Sozialer Absicherung Workshop<br />
! Freitag, 28. 9. 2007, 17–21h<br />
IG Bildende <strong>Kunst</strong>, 1060 Wien, Gumpendorfer Str. 10–12<br />
! Die soziale Lage von – bei weitem nicht nur –<br />
KünstlerInnen ist prekär, soziale und ökonomische<br />
Absicherung unzureichend bis nicht vorhanden. Doch<br />
welche Möglichkeiten gibt <strong>es</strong>, prekären Lebens- und<br />
Arbeitsbedingungen zu entkommen bzw. sich dagegen<br />
zur Wehr zu setzen? Im Workshop sollen individuelle<br />
und kollektive Strategien sowie mögliche gemeinsame<br />
Aktivitäten (aktuell insb<strong>es</strong>ondere in<br />
Hinblick auf <strong>die</strong> bevorstehende Novelle d<strong>es</strong> Künstlersozialversicherungsfondsg<strong>es</strong>etzt<strong>es</strong>)<br />
erörtert werden.<br />
Bei Inter<strong>es</strong>se ist eine Fortsetzung (z.B. Einrichtung<br />
ein<strong>es</strong> Arbeitskreis<strong>es</strong>) geplant.<br />
! Inputs und Moderation: Daniela Koweindl,<br />
Andrea Salzmann<br />
! Rückfragen: Daniela Koweindl<br />
office@igbildendekunst.at<br />
●<br />
Get Together<br />
Netzwerk <strong>Kunst</strong> Kultur Frauen Wien<br />
❚ Ein Wien-weit<strong>es</strong> Netzwerk von Künstlerinnen und<br />
kulturschaffenden Frauen befindet sich im Aufbau.<br />
Alle inter<strong>es</strong>sierten Frauen aus dem <strong>Kunst</strong>bereich sind<br />
herzlich eingeladen zu den Themen-Abenden. Im<br />
Anschluss an <strong>die</strong> Referate ist Zeit für persönliche<br />
Fragen, Austausch und Kennenlernen.<br />
! Donnerstag, 22. 11. 2007, 19h: Sozialversicherung<br />
für Künstlerinnen. Infos und Aktuell<strong>es</strong>. Referentin:<br />
Daniela Koweindl (IG Bildende <strong>Kunst</strong>)<br />
! 1160 Wien, Friedmanngasse 36 (im Hinterhof,<br />
Aufgang: Atelier Zwettler)<br />
●<br />
Sos Fremdenrecht Pr<strong>es</strong>seg<strong>es</strong>präch<br />
! Dienstag, 13. 11. 2007, 10h<br />
Radiocafé, 1040 Wien, Argentinierstraße 30a<br />
❚ Mit dem neuen Fremdenrecht (seit 1. 1. 2006) wurde<br />
<strong>die</strong> Niederlassungsbewilligung für KünstlerInnen,<br />
WissenschafterInnen und JournalistInnen abg<strong>es</strong>chafft,<br />
<strong>die</strong> Einreisebedingungen für TournéekünstlerInnen<br />
aus Drittländern verschärft. Die Plattform<br />
Worldmusic Austria hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet,<br />
<strong>die</strong> sich mit den Folgen der neuen Rechtslage<br />
auseinandersetzt. Beim Pr<strong>es</strong>seg<strong>es</strong>präch werden <strong>die</strong><br />
Podiumsgäste (<strong>Kunst</strong>- und Kulturschaffende, Rechtsanwältin)<br />
anhand von Beispielen <strong>die</strong> Auswirkungen<br />
auf <strong>die</strong> Praxis erläutern. Worldmusic Austria fordert<br />
<strong>die</strong> sofortige Aufhebung di<strong>es</strong>er rechtlichen Diskriminierung<br />
von KollegInnen. <strong>Kunst</strong>- und Kulturschaffende<br />
sind eingeladen, am Pr<strong>es</strong>seg<strong>es</strong>präch teilzunehmen<br />
und sich di<strong>es</strong>er Forderung anzuschließen.<br />
●<br />
<strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum Wien<br />
Präsentationsforum: All<strong>es</strong> PUBLICwienSpace!<br />
! Mittwoch, 24. 10. 2007, ab 18h30<br />
Wolke 7 Prekarium, Kaiserstraße 34, 1070 Wien<br />
❚ In Kooperation mit Wolke 7 und der G<strong>es</strong>prächsreihe<br />
city system/s laden wir zur Langen Videonacht der<br />
<strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum Wien. Der Veranstaltung<br />
ging ein Open Call 2007 voran, der Einreichungen<br />
mit Dokumentationsvideos zu <strong>Kunst</strong>-im-öffentlichen-<br />
Raum-Projekten in Wien seit 1998 einlud. Weitere Infos<br />
und Programm unter www.publicwienspace.net<br />
und www.wolke7.at.<br />
●<br />
Aktuelle Ausschreibungen<br />
In Klammer steht je<strong>weil</strong>s der Einreichtermin. Mitglieder<br />
der IG Bildende <strong>Kunst</strong> erhalten aktuelle Ausschreibungen<br />
regelmäßig per Email im Rahmen der<br />
[Mitgliederinfo] zug<strong>es</strong>chickt.<br />
❚ Förderpreis für innovative Stadtteilkulturarbeit:<br />
Linz Kultur/4 (1. 10.)<br />
www.linz.at/kultur/kultur_linzkultur4.asp<br />
❚ <strong>Kunst</strong>wettbewerb: Paradoxien d<strong>es</strong> Öffentlichen<br />
(1. 10.) www.duisburger-akzente.de/de/<br />
wettbewerb_paradoxien.php<br />
❚ Videokunst Förderpreis Bremen (15. 10.)<br />
www.filmbuero-bremen.de/13.0.html<br />
❚ Karl Hofer Preis 2007 (15. 10.) www.udk-berlin.de<br />
❚ TKI open 08 _ Pampa (19. 10.)<br />
www.tki.at/neu<strong>es</strong>.html#1182762937<br />
❚ Call for Papers: GLBT Identity and the New Media<br />
(31. 10.) www.univie.ac.at/gender/index.php?id=18<br />
❚ Staatsstipendium Video- und Me<strong>die</strong>nkunst<br />
(31. 10.) www.bmukk.gv.at/kunst/index.xml<br />
❚ Ateliers W<strong>es</strong>tbahnstraße (1070 Wien) d<strong>es</strong><br />
BMUKK (1. 11.) www.bmukk.gv.at/kunst/index.xml<br />
❚ Staatsstipendium für künstlerische Fotografie<br />
2008 (2. 11.) www.bmukk.gv.at/kunst/index.xml<br />
❚ Anton-Faistauer-Preis für Malerei (3. 11.)<br />
www.salzburg.gv.at/themen/ks/kultur/ausschr.htm<br />
❚ Biennale der numerischen Künste (15. 11.)<br />
www.valdargent.com/artsnumconcall.htm<br />
❚ Call for Papers: Queer Studi<strong>es</strong> Easter Symposium<br />
2008 (15. 11.)<br />
www.enkidumagazine.com/eventos/qs<strong>es</strong>/intro_en.htm<br />
❚ Dachstein Cult Awards 2008 (31. 12.)<br />
www.artnetwork.at/index_de.html<br />
❚ International Artist-In-R<strong>es</strong>idence Programs<br />
(Datenbank) www.transartists.nl
Kulturpolitik<br />
19<br />
Nie wieder Ulrichsberg!<br />
Eindrücke von den Antifaschistischen Aktionstagen in Klagenfurt/Celovec 2007 Josephine Broz<br />
❚ Jed<strong>es</strong> Jahr im Herbst ist der Ulrichsberg<br />
in der Nähe von Klagenfurt/Celovec Schauplatz<br />
einer g<strong>es</strong>penstischen Veranstaltung:<br />
Mehrere Hundert Alt- und Neonazis, Burschenschafter,<br />
Mitglieder von Kameradschaftsverbänden,<br />
Landsmannschaften und<br />
deutschnationalen Heimatverbänden treffen<br />
sich hier, um ihren gefallenen „Kameraden“<br />
aus Wehrmacht und Waffen-SS zu gedenken.<br />
Seit einigen Jahren allerdings nicht<br />
mehr ung<strong>es</strong>tört – Demonstrationen, Aktionen<br />
und Recherchearbeit <strong>machen</strong> den Rechten<br />
und Rechtsextremen das Leben schwer.<br />
Viele gute Gründe dagegen zu sein<br />
Es gibt mehr als einen Grund, dem Ulrichsbergtreffen,<br />
das am Sonntag, den 16. September<br />
2007 zum 49. Mal stattfand, Widerstand<br />
entgegenzusetzen. Das Treffen steht,<br />
wie kaum eine zweite Veranstaltung, als<br />
Symbol für <strong>die</strong> Verbindung verschiedener Inhalte<br />
zum revisionistischen Kärntner Konsens:<br />
Zunächst ist <strong>die</strong> so genannte Heimkehrergedenkstätte<br />
am Ulrichsberg mit<br />
ihrem „Ehrenhain“, in dem Tafeln u.a. dem<br />
Gedenken an verschiedene Wehrmachtsund<br />
SS-Einheiten (darunter viele „Europäische<br />
Freiwillige“, also SS-Truppen aus verschiedenen<br />
europäischen Staaten), der SSärztlichen<br />
Akademie in Graz oder den Ritterkreuzträgern<br />
(höchste militärische Auszeichnung<br />
d<strong>es</strong> NS-Staat<strong>es</strong>) gewidmet sind, an<br />
sich ein skandalös<strong>es</strong> Symbol der Glorifizierung<br />
d<strong>es</strong> Nationalsozialismus. Dazu kommt<br />
das dementsprechende Publikum: Zwischen<br />
Kärntner PolitikerInnen tummeln sich Neonazis<br />
aus den Freien Kameradschaften, MitarbeiterInnen<br />
d<strong>es</strong> NPD-Verlags Deutsche<br />
Stimme und Veteranen d<strong>es</strong> Zweiten Weltkriegs,<br />
<strong>die</strong> bis heute den deutschen Angriffs-<br />
und Vernichtungskrieg zum Verteidigungskrieg<br />
gegen „den Bolschewismus“<br />
umlügen wollen. Auf dem Ulrichsberg zeigt<br />
sich aber – trotz vorsichtiger Modernisierungsbemühungen<br />
– auch eine rabiate<br />
Frontstellung gegen <strong>die</strong> slowenischsprachigen<br />
KärntnerInnen, <strong>die</strong> mit Rückgriff auf<br />
den Mythos d<strong>es</strong> Kärntner „Abwehrkampf<strong>es</strong>“<br />
legitimiert wird. Es ist nur konsequent, dass<br />
das größte Feindbild der Ulrichsberggemeinschaft<br />
(UBG) bis heute <strong>die</strong> Kärntner und<br />
slowenischen PartisanInnen und ihr Beitrag<br />
zur Befreiung vom Nationalsozialismus sind.<br />
D<strong>es</strong> Soldaten Ehre …<br />
„D<strong>es</strong> Soldaten Ehre ist seine Treue“, di<strong>es</strong>er<br />
leicht abgewandelte Wahlspruch der SS ziert<br />
eine der Tafeln im „Ehrenhain“ – und das<br />
österreichische Bund<strong>es</strong>heer scheint da kein<strong>es</strong>wegs<br />
anderer Meinung zu sein. Bis heute<br />
stellt das Militär nicht nur Fahrzeuge zur<br />
Verfügung, um TeilnehmerInnen der Ulrichsbergfeier<br />
auf den Berg zu karren, sondern<br />
postiert auch eine Ehrenwache vor der Kirchenruine<br />
und sorgt für <strong>die</strong> musikalische<br />
Untermalung der Feierlichkeiten sowie – in<br />
G<strong>es</strong>talt von Militärseelsorgern – für <strong>die</strong> spirituelle<br />
Seite.<br />
Militärpr<strong>es</strong>s<strong>es</strong>precher Arno Kronhofer argumentierte<br />
im Zuge einer Pr<strong>es</strong>seaktion, <strong>die</strong><br />
von antifaschistischen AktivistInnen im Vorfeld<br />
der Prot<strong>es</strong>te gegen das Ulrichsbergtreffen<br />
durchgeführt wurde, allen Ernst<strong>es</strong>, dass<br />
das Bund<strong>es</strong>heer am Ulrichsberg einen „antifaschistischen<br />
Beitrag“ leisten würde. Dass<br />
der sozialdemokratische Verteidigungsminister<br />
Darabos anscheinend nicht vorhat, etwas<br />
an di<strong>es</strong>em Zustand zu ändern, kann verwundern<br />
– immerhin untersagte er im<br />
Frühling 2007 Militärangehörigen <strong>die</strong> Teilnahme<br />
an der Gebirgsjägerfeier im bayrischen<br />
Mittenwald, bei der <strong>es</strong> längst nicht so<br />
offen nazistisch zugeht wie am Ulrichsberg.<br />
Es muss als Hohn verstanden werden, wenn<br />
Darabos einen Tag nach der Feier am Berg in<br />
der Klagenfurter Khevenhüllerkaserne eine<br />
Gedenktafel für <strong>die</strong> Opfer d<strong>es</strong> dortigen Kon-
20 Kulturpolitik<br />
zentrationslagers enthüllt, während tags davor<br />
seine Soldaten Ehrenwache vor Tafeln<br />
stehen, auf denen sich ehemalige SS-Einheiten<br />
„dankbar“ an ihren Aufenthalt in eben<br />
di<strong>es</strong>er Kaserne erinnern. So begrüßenswert<br />
das Gedenken an <strong>die</strong> Opfer d<strong>es</strong> „verg<strong>es</strong>senen“<br />
Konzentrationslagers ist (ein Gedenken,<br />
das den jahrelangen Anstrengungen<br />
von kritischen Kärntner HistorikerInnen zu<br />
verdanken ist), so wenig kann di<strong>es</strong>e Doppelmoral<br />
akzeptiert werden.<br />
Vielfältige antifaschistische Aktionen<br />
Um gegen den braunen Kärntner Konsens<br />
vorzugehen, sorgten AntifaschistInnen<br />
schon ab Freitag in Klagenfurt/Celovec für<br />
vielfältige Aktionen. Den Auftakt bildete eine<br />
Demonstration, bei der um <strong>die</strong> 250 TeilnehmerInnen<br />
lautstark und bunt ihre Forderung<br />
nach Freiräumen in der miefigen<br />
Kärntner Land<strong>es</strong>hauptstadt vertraten.<br />
Die Gelegenheit zur direkten Konfrontation<br />
mit der Ulrichsberggemeinschaft bot sich<br />
dann am Samstag Vormittag, als einige AntifaschistInnen<br />
spontan eine angekündigte<br />
Schifffahrt der UBG blockierten. Im Lieg<strong>es</strong>tuhl<br />
liegend oder Federball spielend wurde<br />
der Steg b<strong>es</strong>etzt, bis <strong>die</strong> rechte G<strong>es</strong>ellschaft<br />
von der Exekutive zu einer anderen Ableg<strong>es</strong>telle<br />
umgeleitet wurde. Doch auch auf dem<br />
Wasser konnten sie sich nicht sicher fühlen:<br />
von Elektrobooten aus schallten PartisanInnenlieder<br />
über den See und Transparente<br />
machten deutlich, was AntifaschistInnen von<br />
ihnen halten: „RevionistInnenpack, widerlich<strong>es</strong>!“<br />
Ernsthaft ging <strong>es</strong> nachmittags in der<br />
Buchhandlung Haček zu, <strong>die</strong> ihre Räumlichkeiten<br />
für eine von dem Historiker Valentin<br />
Sima moderierte ZeitzeugInnenveranstaltung<br />
zur Verfügung stellte. Romana Verdel und<br />
Ther<strong>es</strong>ia Pörtsch, zwei Kärntner Sloweninnen<br />
berichteten hier in beeindruckender<br />
Weise von ihren persönlichen Erfahrungen<br />
im Nationalsozialismus, aber auch mit den<br />
Kärntner Zuständen nach 1945: von SlowenInnenfeindlichkeit,<br />
<strong>die</strong> sich bereits in der<br />
unmittelbaren Nachkriegszeit breit machte,<br />
vom so genannten „Ortstafelsturm“ 1972,<br />
von Anfeindungen, aber auch von den<br />
Spannungen zwischen slowenischsprachigen<br />
KärntnerInnen, von denen manche sich<br />
selbst als „Windische“ definierten und versuchten,<br />
<strong>die</strong> deutschsprachigen KärntnerInnen<br />
an SlowenInnenfeindlichkeit noch zu<br />
übertreffen.<br />
Abends brachen einige AntifaschistInnen<br />
spontan nach Krumpendorf auf, um dort gegen<br />
das berüchtigte Treffen der Kameradschaftsverbände<br />
und ähnlicher G<strong>es</strong>talten zu<br />
prot<strong>es</strong>tieren. Durch massive Polizeipräsenz<br />
am Bahnhof Krumpendorf wurden sie allerdings<br />
an der Ausübung ihr<strong>es</strong> Rechts auf Versammlungsfreiheit<br />
gehindert – <strong>es</strong> kam zu<br />
brutalen Schlagstockeinsätzen, Tritten und<br />
Faustschlägen von Seiten der Polizei. Die<br />
AntifaschistInnen wurden brachial abgedrängt,<br />
bis selbst der Polizei – ang<strong>es</strong>ichts<br />
der lebensgefährlichen Situation, in <strong>die</strong> sie<br />
<strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> dicht gedrängt an der<br />
äußersten Bahnsteigkante zu stehen kamen,<br />
gebracht hatte – mulmig wurde. Bei der –<br />
von der Ulrichsberggemeinschaft in ihrem<br />
offiziellen Programm angekündigten – Veranstaltung<br />
im Gemeind<strong>es</strong>aal von Krumpendorf<br />
zeigte sich übrigens deutlich, was von<br />
den wiederholten Beteuerungen der UBG,<br />
sie habe sich von der Kameradschaft IV (Kameradschaft<br />
der Waffen-SS) distanziert, zu<br />
halten ist: Ein Vertreter eben di<strong>es</strong>er K IV<br />
hielt hier einen eigenen Redebeitrag, der an<br />
Deutlichkeit in Sachen Rechtsextremismus<br />
nichts zu wünschen übrig ließ. Als hätte <strong>es</strong><br />
noch weiterer Beweise für das nach wie vor<br />
b<strong>es</strong>tehende enge Verhältnis bedurft, hing<br />
tags darauf im anlässlich der Ulrichsbergfeier<br />
geöffneten „Ehrenhain“ ein frischer Kranz,<br />
„in treuem Gedenken“ gewidmet von der<br />
Kameradschaft IV Land<strong>es</strong>verband Steiermark-<br />
Südburgenland.<br />
Doch auch <strong>die</strong> Bergfeier wird den alten und<br />
jungen Rechten von AntifaschistInnen vermi<strong>es</strong>t.<br />
Kein Redner bei der Veranstaltung,<br />
der nicht auf <strong>die</strong> DemonstrantInnen Bezug<br />
genommen hätte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Auffahrt auf den<br />
Berg kräftig verzögern und <strong>die</strong> vorbeifahrenden<br />
Veteranen und ihre ideologischen<br />
Nachfahren mit Parolen eindecken. Auch der<br />
martialisch über der Landschaft kreisende<br />
Polizeihubschrauber ist da machtlos.<br />
Nächst<strong>es</strong> Jahr will <strong>die</strong> Ulrichsberggemeinschaft<br />
das 50. Jubiläum ihrer Gedenkstätte<br />
begehen – wer Rechtsextremismus und NS-<br />
Verherrlichung ablehnt, kann sich schon<br />
jetzt zu den Antifaschistschen Aktionstagen<br />
2008 eingeladen fühlen. ●<br />
Josephine Broz ist Teil der AK gegen den<br />
Kärntner Konsens. Der AK ist ein loser<br />
Zusammenschluss von g<strong>es</strong>chichtspolitisch<br />
inter<strong>es</strong>sierten AktivistInnen, der seit 2005<br />
antifaschistische Aktionstage gegen das revisionistische<br />
Treffen am Ulrichsberg in<br />
Kärnten/Koroska organisiert.<br />
PS: Berichte, Fotos und Hintergrundinformationen<br />
sind unter www.u-berg.at zu finden.<br />
Broschüren d<strong>es</strong> AK können unter<br />
kontakt@u-berg.at b<strong>es</strong>tellt werden.
Lückent<strong>es</strong>t Vlatka Frketić<br />
21<br />
Margit Riezinger, boxen für latente und manif<strong>es</strong>te blasen – über <strong>die</strong> schwierigkeit der selbstbehauptung. b1: nadeln-luftballons; b2: zementiert<strong>es</strong> fernglas; b3: zuschreibungen-abgrenzungen<br />
❚ (Oham und Itsch in der Küche)<br />
Oham (richtigstellend): Nein, so geht das nicht. Zuerst <strong>die</strong> Butter,<br />
dann das Öl. Und zuletzt ein Schuss Milch.<br />
Itsch (neckisch): Woher willst du das wissen?<br />
Oham (selbstsicher): Das steht in di<strong>es</strong>em Buch. Überlieferung!<br />
Itsch: Quatsch! Das nennt sich heute kulturell<strong>es</strong> Gedächtnis 1 !<br />
Oham: Und schmeckt <strong>es</strong> so b<strong>es</strong>ser?<br />
Itsch (genervt): Hör mal. Es geht nicht um den G<strong>es</strong>chmack. Die<br />
stetige Einseitigkeit in di<strong>es</strong>er Zubereitung führt zu mentaler<br />
Verstopfung 2 .<br />
Oham: Kannst du nicht mal auf Altbewährt<strong>es</strong> und Authentisch<strong>es</strong><br />
vertrauen?<br />
Itsch (klipp und klar): Nein!<br />
Oham: Die Reihenfolge der Zutaten gibt das Ergebnis.<br />
Itsch: Welch<strong>es</strong> Ergebnis?<br />
Oham: Das, das du kennst, erwart<strong>es</strong>t! Und bekommst – vorausg<strong>es</strong>etzt,<br />
du hältst dich daran. Es wurde schon immer so zubereitet.<br />
Itsch: Ja, ja. Ich kenne Sachen, <strong>die</strong> immer schon so waren.<br />
Oham (zwinkernd): Dazu gehört auch zum Beispiel, dass ich stehend<br />
pinkle und du sitzend.<br />
Itsch (gleichgültig): Zu einem Baum sage ich nicht nein. Aber eine<br />
elektrisch gewärmte Klobrille 3 ist schon sehr anziehend.<br />
Oham: Hm. So einfach geht das nicht.<br />
Itsch: Es geht darum nein zu sagen, wenn <strong>es</strong> keine Optionen für<br />
ein nein gibt.<br />
Oham: Dann kannst du offenbar nicht nein sagen! Damit bist du<br />
auf der Verliererseite 4 .<br />
Itsch: Was verstehst du unter Verlierer?<br />
Oham (belehrend): Wenn du der regulierten und konventionalisierten<br />
Praxis nicht entsprichst.<br />
Itsch: Ups! Ich bin doch kein strukturiert<strong>es</strong> 5 Ensemble.<br />
Oham (ungläubig): Warum glaubst du, etwas B<strong>es</strong>onder<strong>es</strong> zu sein?<br />
Itsch: no comment 6 .<br />
Oham: Das ist sehr überheblich und weltfremd.<br />
Itsch (in meine Richtung zwinkernd): Ich sehe mich als diachron<br />
veränderliche semiotische Praxis. Ich kann mich in jeder multimodalen<br />
Dimension manif<strong>es</strong>tieren.<br />
Oham (verzweifelt): Du spielst Ott 7 .<br />
Itsch: Nein, sicher nicht. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> G<strong>es</strong>präch 8 lang<strong>weil</strong>t mich.<br />
Oham: Mhm! Was hatt<strong>es</strong>t du eigentlich gegen mein Rezept?<br />
Itsch: Gar nichts. Es schmeckt ganz gut. ●<br />
Vlatka Frketić verqueert nicht mehr nur den Antirassismus, sondern<br />
All<strong>es</strong> und Überhaupt.<br />
1 kulturell<strong>es</strong> Gedächtnis; 2 mentaler Verstopfung; 3 elektrisch gewärmte Klobrille;<br />
4 Verliererseite, 5 strukturiert<strong>es</strong>; 6 no comment; 7 Ott; 8 G<strong>es</strong>präch
Was <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> weiß und <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft nicht wissen will Sabine Ammon<br />
Nora Riedl, Y<strong>es</strong> to all – by pandora, 3-geteilt<strong>es</strong> klappbilderbuch, A4, 12 motive<br />
❚ Seit der öffentlichen Ausrufung der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft ist Wissen<br />
zu einem der meist gebrauchten und meist missbrauchten<br />
Wörter geworden. Übersehen wird gerne, dass di<strong>es</strong>er Begriff all<strong>es</strong><br />
andere als eindeutig ist und je nach Façon d<strong>es</strong> Sprechers / der<br />
Sprecherin jeglicher Begründungsabsicht genüge getan werden<br />
kann. Dehnbar wie Kaugummi, kittet er Leerstellen und verhilft<br />
beliebigen Argumentationen zum Sieg<strong>es</strong>zug. Was dabei auf der<br />
Strecke bleibt, ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der<br />
Frage, was denn überhaupt all<strong>es</strong> Wissen sei und in di<strong>es</strong>em Sinne<br />
von der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft für sich in Anspruch genommen werden<br />
darf. Denn hier zeigt sich <strong>die</strong> eigentliche Frage der Wissens-<br />
22<br />
g<strong>es</strong>ellschaft: Wenn sie von der Wichtigkeit d<strong>es</strong> Wissens als zentralem<br />
Baustein g<strong>es</strong>ellschaftlicher Entwicklung ausgeht, wenn<br />
Wissen mit einem Mal eine bislang nicht erreichte Wertschätzung<br />
und Förderung erfährt, dann ist <strong>es</strong> unverzichtbar zu klären, was<br />
sich hinter dem Wissensbegriff überhaupt verbirgt. Von welchem<br />
Wissen ist hier <strong>die</strong> Rede? Welch<strong>es</strong> Wissen will <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft<br />
überhaupt – und welch<strong>es</strong> braucht sie? Decken sich hier<br />
Wunsch und <strong>Wir</strong>klichkeit? Solange di<strong>es</strong>e Fragen ungeklärt bleiben,<br />
ist <strong>es</strong> für Scharlatane und Wunderheiler einfach, <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft<br />
als neu<strong>es</strong> Allheilmittel zu verkaufen. Bleibt der<br />
Gegenstand der Diskussion unklar, kann auch nicht sinnvoll über<br />
<strong>die</strong> Auswirkungen von Wissen auf g<strong>es</strong>ellschaftliche Entwicklungen<br />
diskutiert werden. Jede Auseinandersetzung läuft Gefahr, eine<br />
Scheindebatte zu werden, <strong>die</strong> letztlich alte Konzepte unter einem<br />
neuen Etikett verkauft.<br />
Warum fällt <strong>es</strong> uns so schwer, den Wissensbegriff zu fassen? Ein<br />
Teil d<strong>es</strong> Problems liegt darin, dass wir unhinterfragt alte Vorstellungen<br />
transportieren. Wissen wird vereinfacht gleichg<strong>es</strong>etzt mit<br />
naturwissenschaftlichem Wissen, und selbst aus di<strong>es</strong>em Gebiet<br />
nur mit einem kleinen Bereich, dem mathematisierbaren Faktenwissen.<br />
Dass <strong>die</strong> engen und idealisierenden Vorstellungen nicht<br />
tragfähig sind, hat <strong>die</strong> Forschung aus so unterschiedlichen Bereichen<br />
wie Wissenschaftstheorie und -g<strong>es</strong>chichte, Philosophie, Psychologie,<br />
Kognitions- und Kulturwissenschaften gezeigt. Neben<br />
naturwissenschaftlich<strong>es</strong> Faktenwissen treten Orientierungswissen,<br />
Handlungswissen, Alltagswissen, moralisch<strong>es</strong> Wissen, emotional<strong>es</strong><br />
Wissen, nichtsprachlich<strong>es</strong> Wissen, ein „Wissen-Wie“ der<br />
Fähig- und Fertigkeiten – <strong>die</strong> Liste lässt sich fortsetzen. Doch <strong>es</strong><br />
scheint, als wolle <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft von di<strong>es</strong>en Wissensar-
Widerstand. Macht. Wissen. 23<br />
Michaela Mandel, a grrrl’s fetish, Animationsfilm, 12 min. Die Patientin sagte „Tenniskleid“, Freud verstand „Penisneid“. Ein Film über <strong>die</strong> Folgen ein<strong>es</strong> verhängnisvollen Hörfehlers.<br />
ten nichts wissen – zu ihrem eigenen Nachteil, wie ich am Beispiel<br />
d<strong>es</strong> künstlerischen Wissens kurz darlegen möchte.<br />
Wie kann ein Bild, ein Haus, ein Musikstück oder ein literarisch<strong>es</strong><br />
Werk zum Wissen beitragen? So einfach <strong>die</strong> Frage zu stellen ist,<br />
so wenig offensichtlich findet sich zunächst eine Antwort. Denn<br />
sie zielt nicht auf Informationen der Art, wann, wo und als Teil<br />
welcher Stilrichtung <strong>die</strong> Künstlerin das Werk erstellt hat oder<br />
welche Aussage der Künstler mit seinem Oeuvre beabsichtigt. Die<br />
Frage nach dem Wissen in den Künsten richtet sich vielmehr auf<br />
ihre Funktion beim Erlangen von Erkenntnis. Ob <strong>die</strong> Künste einen<br />
Beitrag zu unserem Wissen leisten, entscheidet ihre Rolle in<br />
Erkenntnisproz<strong>es</strong>sen. <strong>Wir</strong>d Wissen als Ergebnis kognitiver Vorgänge<br />
betrachtet, welch<strong>es</strong> g<strong>es</strong>icherte Erkenntnisse über unsere<br />
Welt vermittelt, müssen wir in Bezug auf <strong>die</strong> Künste prüfen, ob<br />
auch hier kognitive Proz<strong>es</strong>se angetroffen werden. Wenn ja, sind<br />
<strong>die</strong> Künste dadurch in der Lage, Aufschluss über <strong>die</strong> Welt zu geben,<br />
ein Wissen von der Welt zu vermitteln?<br />
Es ist vor allem <strong>die</strong> Zeichenphilosophie d<strong>es</strong> 20. Jahrhunderts, <strong>die</strong><br />
sich di<strong>es</strong>en Problemen zugewendet hat. Sie konnte mit allem<br />
Nachdruck deutlich <strong>machen</strong>, dass sich Zeichensysteme nicht auf<br />
<strong>die</strong> Wissenschaften b<strong>es</strong>chränken. Im Gegenteil, sprachähnliche<br />
Strukturen lassen sich in weiten Bereichen d<strong>es</strong> Lebens nachweisen,<br />
wird <strong>die</strong> einfachste Zeichenfunktion – <strong>die</strong> Fähigkeit, auf etwas<br />
Bezug zu nehmen, für etwas ander<strong>es</strong> zu stehen – zu Grunde<br />
gelegt. Ein Gebäude kann Standf<strong>es</strong>tigkeit exemplifizieren, wenn<br />
das Tragverhalten durch eine exponierte Formensprache herausgearbeitet<br />
worden ist; ein Konzert Fröhlichkeit ausdrücken, wenn<br />
Harmoniefolgen, Klangfärbung und Rhythmen metaphorisch<br />
durch ihre Leichtigkeit und Unb<strong>es</strong>chwertheit auf di<strong>es</strong>en Zustand<br />
verweisen. Gemälde können denotieren, wie im Falle von Personen-<br />
und Landschaftsportraits, <strong>die</strong> auf konkrete Menschen und<br />
Orte Bezug nehmen: Das Arsenal nicht-sprachlicher Zeichen ist<br />
reichhaltig, Zeichen sind hier nicht weniger anzutreffen als in den<br />
bekannten sprachlichen Verwendungen.<br />
Dass Zeichensysteme insb<strong>es</strong>ondere auch in den Künsten anzutreffen<br />
sind, konnte Nelson Goodman in seinem wegweisenden<br />
Werk Sprachen der <strong>Kunst</strong> (1968) zeigen. Zentral ist hierbei <strong>die</strong><br />
Th<strong>es</strong>e, dass durch den Umgang mit Zeichen Erkenntnisse gewonnen<br />
werden. Immer, wenn wir<br />
mit Zeichen umgehen, wenn<br />
wir sie anwenden, wenn wir<br />
sie aufeinander beziehen, sie<br />
untereinander kombinieren<br />
oder neue Verwendungen konstruieren,<br />
wenn wir mit ihrer<br />
Hilfe Abgrenzungen vornehmen<br />
oder Zusammenhänge<br />
herstellen, dann sind kognitive<br />
Fähigkeiten im Spiel. <strong>Wir</strong> t<strong>es</strong>ten,<br />
welche Rolle das Symbol<br />
in seinen vielfältigen Einbindungen<br />
spielt. In welchen Systemen<br />
ist <strong>es</strong> aktiv? Wie klassifiziert<br />
<strong>es</strong>, wie wird <strong>es</strong> selbst<br />
klassifiziert? <strong>Wir</strong> prüfen, in<br />
welchen Zusammenhang <strong>es</strong> passt und in welchen nicht. Was ergibt<br />
eine stimmige Komposition, was eine sinnvolle Gliederung?<br />
Mit Hilfe von Symbolen zerlegen wir und fügen wieder zusammen,<br />
legen f<strong>es</strong>t, was als Entität und Art gilt. So ist <strong>es</strong> möglich, Dinge<br />
zu identifizieren, wiederzuerkennen und ihre Konstanz über<br />
<strong>die</strong> Zeit f<strong>es</strong>tzustellen. Durch unterschiedliche Gewichtungen stechen<br />
manche Arten hervor und andere werden unwichtig, unterschiedliche<br />
Betonungen und Akzente legen Relevanzen f<strong>es</strong>t.<br />
Nachbarschaften und Abfolgen werden durch Ordnungsvorgänge<br />
erreicht, Verzerrungen können b<strong>es</strong>timmte Aspekte b<strong>es</strong>onders herausheben.<br />
Auf di<strong>es</strong>e Art und Weise strukturieren Symbolproz<strong>es</strong>se Gegenstandsbereiche,<br />
Symbolsysteme entstehen. Doch nicht jed<strong>es</strong> aufg<strong>es</strong>tellte<br />
System ist bereits ein Wissenssystem, willkürliche oder
| ) );|(| punkt<br />
24<br />
sinnlose Anordnungen können nicht als solche gelten. Wichtig wird<br />
Karin Steinbinder Sprache Körper Politik – Selbstdarstellung und Dekonstruktion<br />
Schlagwörter <strong>machen</strong> Passanten aufmerksam … und regen zum reflektieren an …<br />
daher, wie kohärent und konsistent das neue System ist, wie <strong>es</strong> sich<br />
einpasst, aber auch, ob <strong>es</strong> überhaupt relevant ist und welche <strong>Wir</strong>kung<br />
<strong>es</strong> entwickelt: Hat <strong>es</strong> Antworten auf unsere Fragen, hilft <strong>es</strong>,<br />
Probleme zu lösen – oft ist hierfür der erste Schritt, sie durch andere<br />
Aspekte und Schwerpunkte in einem neuen Licht zu sehen –,<br />
werden Orientierungen gegeben, eröffnen sich neue Möglichkeiten?<br />
Nun wird deutlich, warum <strong>die</strong> Künste zu unserer Erkenntnis beitragen<br />
können. Eine Auseinandersetzung mit den Künsten verlangt<br />
gleichermaßen kognitive Fähigkeiten wie alle anderen Bereiche,<br />
in denen Symbolsysteme anzutreffen sind – sie<br />
unterscheiden sich hierin nicht von der Physik, der Biologie oder<br />
der Mathematik. Doch erfordern sie nicht nur <strong>die</strong> gleichen kognitiven<br />
Fähigkeiten, sondern in den Symbolsystemen werden ebenso<br />
Erkenntnisse vermittelt, <strong>die</strong> Künste funktionieren kognitiv. Sie<br />
schärfen Unterscheidungen oder <strong>machen</strong> sie erst sichtbar und<br />
verdeutlichen Zusammenhänge. Sie schließen Sichtweisen auf,<br />
leiten komplexe Bezugnahmen über mehrere Symbolsysteme hinweg,<br />
transferieren Bekannt<strong>es</strong> in eine unbekannte Umgebung.<br />
Vielfältige Verknüpfungen stellen überraschende Zusammenhänge<br />
her und ermöglichen damit andere Problemzugänge und neue<br />
Verfahren. Durch Strukturierungen und Kategorisierungen können<br />
herkömmliche Muster aufgebrochen und ungewohnte Wege<br />
eröffnet werden – und auf di<strong>es</strong>e Weise einen Beitrag zu unserem<br />
Verständnis und unserem Wissen von der Welt leisten.<br />
Verabschieden müssen wir uns dabei von einem veralteten Wissensbegriff,<br />
einem Wissensbegriff, der als Ziel aller kognitiven Anstrengungen<br />
ein Einheitswissen anstrebt, das vollständig systematisiert<br />
den gleichen Methoden und Kriterien gehorcht. Wissen ist sehr viel<br />
weiter zu fassen. Anstelle d<strong>es</strong> einen Wissens treten viele Wissen,<br />
welche jed<strong>es</strong> für sich eine eigene Sicht auf <strong>die</strong> Welt verkörpern.<br />
Di<strong>es</strong>er Pluralismus lässt verschiedene Weisen zu, charakteristische<br />
Zugänge, Aspekte und Schwerpunkte. Da <strong>die</strong> inhärente Richtigkeit<br />
der Wissenssysteme aber dynamisch ist, muss sie ständig neu<br />
überprüft werden. Wissen in di<strong>es</strong>em Sinne ist gekennzeichnet<br />
durch Offenheit, <strong>es</strong> ist ein Wissen, das sich durch verändernde<br />
Bedingungen fortwährenden Korrekturen unterwerfen muss.<br />
Soweit eine skizzenhafte Annäherung an <strong>die</strong> Einsichten der Zeichentheorie.<br />
Doch da <strong>die</strong> Diskussion um <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft<br />
immer auch eine Diskussion um Gewinn und Nützlichkeit ist, reicht<br />
di<strong>es</strong>e Antwort heute nicht mehr. SkeptikerInnen werden einwenden,<br />
schön und gut, Wissen in den Künsten: zug<strong>es</strong>tanden – aber<br />
brauchen wir <strong>es</strong>?! Was vermag künstlerisch<strong>es</strong> Wissen, dass sich<br />
nicht durch naturwissenschaftlich<strong>es</strong> erreichen ließe? Die Notwendigkeit<br />
der Geist<strong>es</strong>wissenschaften ist immer wieder herausg<strong>es</strong>tellt<br />
worden, um dem Verfügungswissen<br />
der Naturwissenschaften<br />
eine Orientierung zu geben,<br />
von einer Notwendigkeit<br />
in Bezug auf <strong>die</strong> Künste ist wenig<br />
zu hören. Provokative Th<strong>es</strong>en<br />
fordern für wissenschaftlichen<br />
Fortschritt einen<br />
Pluralismus möglichst vieler<br />
Wissensarten, Verfahren und<br />
Methoden. Erst der Kontrast<br />
mit anderen Sichtweisen, erst<br />
das Erschließen neuer Quellen<br />
würde zu Neuerungen in den<br />
Wissenschaften führen, häufig<br />
ermöglicht durch einen Bruch<br />
mit dem B<strong>es</strong>tehenden. Und<br />
hier wird das Konzept „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“<br />
an einer empfindlichen<br />
Stelle getroffen: <strong>es</strong><br />
sieht im Wissen und seiner Er-
Widerstand. Macht. Wissen. 25<br />
Magdalena Wögerbauer, Klein<strong>es</strong> Familien Malbuch, 2007, 14 x 14,8 cm, 8 Seiten, Auflage 400 Stk.<br />
weiterung den zentralen Antriebsfaktor g<strong>es</strong>ellschaftlicher Entwicklung.<br />
Um den Fortb<strong>es</strong>tand zu gewährleisten, sind sich ständig<br />
erneuernde Innovationszyklen <strong>es</strong>sentiell, kreative Wissenserweiterung<br />
wird zum Motor der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft. Damit rücken<br />
Wissensgenerierungsproz<strong>es</strong>se ins Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />
Wie lässt sich Innovation fördern, Kreativität steigern? Wie sprudeln<br />
Ideen? Wie schafft man <strong>es</strong>, ausgetretene Wissenspfade zu<br />
verlassen und Neuland zu erobern?<br />
Von den Künsten lernen – so könnte <strong>die</strong> Antwort auf di<strong>es</strong>e Frage<br />
heißen. Die syntaktische und semantische Dichte künstlerischer<br />
Wissenssysteme hat zur Folge, dass sie sich weniger eindeutig<br />
zeigen und der Interpretationsproz<strong>es</strong>s aufwändiger wird. Im Ausprobieren<br />
richtiger Bezüge sind insb<strong>es</strong>ondere <strong>die</strong> Symbolsysteme<br />
der <strong>Kunst</strong> geeignet, f<strong>es</strong>tgefahrene Strukturen zu durchbrechen<br />
und ungewohnte Zusammenhänge herzustellen. Die Aneignung,<br />
der Umgang und <strong>die</strong> Erschaffung künstlerischen Wissens verlangt<br />
im b<strong>es</strong>onderen Maße Kreativität. Statt schneller Zuordnungen ist<br />
ein genau<strong>es</strong> Hinsehen verlangt und ein intensiv<strong>es</strong> Auseinandersetzen.<br />
Die Fülle der symbolisierenden Aspekte bringt eine Fülle<br />
an Facetten und Hinsichten hervor, unter denen ein Werk erschlossen<br />
werden kann. Mehrstufige Symbolketten und ihre vielfältigen<br />
Funktions- und Systemwechsel verbinden unterschiedliche<br />
Erkenntnisbereiche. Als Folge entstehen vielfältige<br />
Wechselwirkungen und ein ungewohnt<strong>es</strong>, inspirierend<strong>es</strong> Zusammenwirken<br />
über Disziplingrenzen hinweg. Es sind di<strong>es</strong>e Proz<strong>es</strong>se,<br />
wie sie im b<strong>es</strong>onderen Maße in den Künsten anzutreffen sind, <strong>die</strong><br />
Kreativität freisetzen und Innovationsvorgänge anstoßen.<br />
Vom Wissen der Künste lernen, heißt also nicht nur, von ihrem<br />
„Wissen-Was“ profitieren, um sich von ihren ungewohnten, oft<br />
sperrigen Sichtweisen auf neue Ideen bringen zu lassen. Sondern<br />
auch aus ihrem „Wissen-Wie“ Nutzen zu ziehen, aus ihren Techniken,<br />
ihren eigenen Zugängen zur Entwicklung von Neuem, aus<br />
ihrem Einsatz von Kreativität, aus ihrem Wagnis, Ungewohnt<strong>es</strong><br />
und Verdrängt<strong>es</strong> zu erschließen. Hier liegen <strong>die</strong> Stärken künstlerischen<br />
Wissens. Auch wenn di<strong>es</strong>e Überlegungen einer genaueren<br />
Untersuchung bedürfen, zeichnet sich schon jetzt ab, dass di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />
Wissen, das <strong>die</strong> heutige Debatte um <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft so<br />
gerne unterschlägt, sich als entscheidender, notwendiger B<strong>es</strong>tandteil<br />
einer Wissensg<strong>es</strong>ellschaft zeigt.<br />
Ist von den Künsten <strong>die</strong> Rede, dann häufig nur im Zusammenhang<br />
mit der Freizeitg<strong>es</strong>taltung. Ein Konzertb<strong>es</strong>uch zur Entspannung<br />
nach vollbrachtem Tag<strong>es</strong>werk, <strong>die</strong> neu<strong>es</strong>te Bildersammlung als<br />
Wochenendausflug und <strong>die</strong> Klassiker der Literatur, um beim Cocktailg<strong>es</strong>präch<br />
geistreich und niveauvoll zu erscheinen. Die <strong>Kunst</strong><br />
als Acc<strong>es</strong>soire mit Wohlfühl-Faktor für’s Gemüt, ansonsten überflüssig<br />
und ihr Budget geeignet, um Finanzlöcher in Haushaltsetats<br />
zu stopfen. Um der gängigen Einschätzung entgegenzutreten,<br />
ist di<strong>es</strong>er Beitrag g<strong>es</strong>chrieben worden. Es ist Zeit, von einer überholten<br />
Vorstellung Abschied zu nehmen und anzuerkennen, dass<br />
<strong>die</strong> Künste neben ihrem Beitrag zum Erkenntnisproz<strong>es</strong>s ein groß<strong>es</strong><br />
Innovations- und Kreativitätspotential darstellen. Die Wissensg<strong>es</strong>ellschaft,<br />
wenn sie eine sein will, braucht di<strong>es</strong><strong>es</strong> Wissen dringend<br />
– nicht nur <strong>die</strong> Freizeitg<strong>es</strong>ellschaft in der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft. ●<br />
Sabine Ammon ist Philosophin und Architektin. Sie lebt und<br />
arbeitet in Berlin.<br />
Der Text basiert auf dem Aufsatz Was weiß <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong>? – Zur Relevanz künstlerischen<br />
Wissens in der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.):<br />
Die Verfasstheit der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, Münster 2006: S. 72–81.
Skurrile skills und tolle tools<br />
Wissensg<strong>es</strong>ellschaft und <strong>Kunst</strong> Jens Kastner<br />
was wirklich passiert wenn Essiggurken aus dem Glas wollen, performance über schlechte<br />
arbeitsbedingungen & <strong>die</strong> globale individualisierung der <strong>es</strong>siggurken, Karoline Rudolf, 2007<br />
❚ Für Ulrich Beck ist <strong>die</strong> Rede von der „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“ ein<br />
„Euphemismus der Ersten Moderne“. Der Soziologe weiß <strong>es</strong> offenbar<br />
b<strong>es</strong>ser als viele seiner KollegInnen, <strong>die</strong> behaupten, <strong>die</strong> gegenwärtigen<br />
G<strong>es</strong>ellschaften hätten ein solch<strong>es</strong> Präfix ver<strong>die</strong>nt.<br />
Statt Risiko-, Informations-, Dienstleistungs- oder postindustrieller,<br />
postmoderner, spätkapitalistischer also „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“.<br />
Mit seiner Ablehnung di<strong>es</strong><strong>es</strong> zeitdiagnostischen Labels verallgemeinert<br />
Beck allerdings bloß <strong>die</strong> abgedroschene Koketterie Sokrat<strong>es</strong>’:<br />
Nicht nur er, sondern tendenziell alle wüssten, dass sie<br />
nichts wissen, w<strong>es</strong>halb <strong>die</strong> „Zweite Moderne“ also eine „Nicht-<br />
Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“ sei. So oder so, offenbar hat sich der Status<br />
d<strong>es</strong> Wissens in den letzten Dekaden dermaßen gewandelt, dass<br />
26<br />
<strong>die</strong> zuständigen WissenschaftlerInnen ihn problematisieren: Die<br />
Bedeutung wissenschaftlichen, theoretischen Wissens sei nicht<br />
nur in der industriellen Produktion und im Bereich der Dienstleistungen<br />
gewachsen, sondern habe auch den Alltag durchdrungen.<br />
Zum einen sei der allgemeine Zugang zu Wissen und Informationen<br />
erleichtert worden, gleichzeitig sei aber auch <strong>die</strong> Menge an<br />
potenziellem Wissen enorm gewachsen. Das mache wiederum ExpertInnenwissen<br />
unabdingbar für individuelle Orientierungen.<br />
Letztlich ist vielleicht Wissen sogar <strong>die</strong> entscheidende Produktivkraft<br />
der gegenwärtigen Ökonomien. Der Umgang mit Wissen gewinnt<br />
dadurch auf verschiedenen Ebenen an Bedeutung: Öffentliche<br />
Zugänglichkeit von Wissen steht d<strong>es</strong>sen privater<br />
Verwertung gegenüber, der/<strong>die</strong> Einzelne hingegen ist mit der<br />
möglichen Erweiterung von Handlungsoptionen auf der einen<br />
und mit den Zumutungen ihrer angeblichen oder tatsächlichen<br />
Vervielfachung auf der anderen Seite konfrontiert.<br />
Es ist <strong>die</strong> eine Frage, ob <strong>die</strong> Diagnose richtig g<strong>es</strong>tellt ist. Wie sie<br />
beurteilt wird und was daraus folgt, sind hingegen andere. Ein<br />
Großteil der VertreterInnen d<strong>es</strong> Labels „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“ findet<br />
di<strong>es</strong>e dann auch ganz o.k.: Der ungeheuer erweiterte Zugang<br />
zum Wissen erweitere <strong>die</strong> Handlungsmöglichkeiten d<strong>es</strong>/der Einzelnen<br />
und mache sie/ihn „vom passiven Akteur zum aktiven<br />
Mitg<strong>es</strong>talter“, meint zum Beispiel der Soziologe Nico Stehr. Die<br />
Philosophin Nancy Fraser macht eine „verbreitete Politisierung<br />
von Kultur“ in der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft aus, in der mehr „Ansprüche<br />
auf Anerkennung“ formuliert würden. Und <strong>die</strong> Grünennahe<br />
Heinrich-Böll-Stiftung meint gar, <strong>die</strong> Entfaltung d<strong>es</strong> Begriffs<br />
der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft führe zu g<strong>es</strong>ellschaftlichen Perspektiven,<br />
<strong>die</strong> „auf den Willen und <strong>die</strong> Befähigung der Menschen zu Selbst-
Widerstand. Macht. Wissen. 27<br />
Marianne Pührerfellner, Denormalisierung löst im Normalismus Alarm aus …, Digitaldruck auf Leinwand, 70 x 70 cm, 2007 (www.i-nemuri.org)<br />
b<strong>es</strong>timmung und Selbstorganisation setzt.“ Aber auch aus den<br />
Reihen oder Ecken, <strong>die</strong> weiterhin meinen, wir leben zu allererst in<br />
einer kapitalistischen und nicht unbedingt in einer „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“,<br />
wird in <strong>die</strong> positive Wertung d<strong>es</strong> veränderten Status<br />
d<strong>es</strong> Wissens eing<strong>es</strong>timmt. So vertraut beispielsweise der postoperaistische<br />
Theoretiker Paolo Virno auf <strong>die</strong> „konkrete Aneignung<br />
und Neuformulierung d<strong>es</strong> Wissens und Könnens, das heute<br />
(noch) in den administrativen Staatsapparaten begraben ist“.<br />
Bei so viel Begeisterung für <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, werden Fragen<br />
nach der Legitimität b<strong>es</strong>timmten Wissens, seiner Repräsentation<br />
und den unterschiedlichen Zugängen zu verschiedenen Formen<br />
d<strong>es</strong> Wissens häufig vernachlässigt. In der Behauptung,<br />
Wissen sei gegenwärtig „immer größeren Bevölkerungsschichten<br />
direkt oder indirekt zugänglich“ (Stehr), bleibt zumind<strong>es</strong>t unerwähnt,<br />
dass <strong>die</strong> Voraussetzungen für den Zugang zu und den<br />
Umgang mit Wissen radikal unterschiedliche sind.<br />
Es gilt als allgemeine Tendenz der „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“, dass<br />
Kompetenzen in Sachen Kommunikation und Symbolanalyse eine<br />
enorme Aufwertung erfahren und letztlich unabdingbar werden –<br />
für das soziale Leben ebenso wie für <strong>die</strong> ökonomische Wertschöpfung.<br />
Und hier, beim Umgang mit Symbolen, kommunikativen<br />
skills und kreativen tools, kommt natürlich <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> ins<br />
Spiel. Obwohl in der Moderne als traditioneller Widerpart der<br />
Wissenschaft gehandelt, ist auch <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> vom Wandel d<strong>es</strong> Wissens<br />
betroffen. Dabei sind frühe Flirts künstlerischer Avantgarden<br />
mit technizistischen Utopien oder <strong>die</strong> vielschichtigen Überlappungen<br />
angewandter <strong>Kunst</strong> mit den Naturwissenschaften in Architektur<br />
und Handwerk sozusagen nur <strong>die</strong> Ränder d<strong>es</strong> Spielfelds.<br />
Auch geht <strong>es</strong> nicht in erster Linie um <strong>die</strong> Bebilderung oder Vermittlung<br />
wissenschaftlichen – oder anderen – Wissens.<br />
Im Zentrum stehen vielmehr einerseits <strong>die</strong> der bildenden <strong>Kunst</strong><br />
eigenen Formen der Wissensproduktion. Di<strong>es</strong>e können durchaus<br />
im Wechselspiel mit wissenschaftlichem Wissen entwickelt sein,<br />
d<strong>es</strong>sen g<strong>es</strong>ellschaftliche Wahrnehmung hinterfragen oder seinen<br />
Wahrheitsgehalt in Frage stellen. Ebenso hat der Bezug auf<br />
kunstimmanente Frag<strong>es</strong>tellungen b<strong>es</strong>timmt<strong>es</strong> Wissen hervorgebracht.<br />
Das ist sicherlich der Umgang mit Symbolen, auf den im<br />
Anschluss an <strong>die</strong> Zeichentheorie stark abgehoben wird. Aber<br />
auch <strong>die</strong> Recherche hat als künstlerische Methode an Gewicht gewonnen.<br />
Erkundete damit zunächst <strong>die</strong> konzeptuelle <strong>Kunst</strong> seit<br />
den 1960er Jahren Mechanismen d<strong>es</strong> eigenen Feld<strong>es</strong>, wurden später<br />
auch verschiedenste andere g<strong>es</strong>ellschaftliche Bereiche untersucht.<br />
Dabei steht bis heute auch <strong>die</strong> Aneignung und Verwertung<br />
von Wissen selbst im Mittelpunkt, wie z.B. in In<strong>es</strong> Doujaks documenta<br />
12-Arbeit, <strong>die</strong> Biopiraterie und Gender-Diversitäten verknüpft.<br />
Oder <strong>es</strong> geht um <strong>die</strong> Entmystifizierung komplexer g<strong>es</strong>ellschaftlicher<br />
Wissenszusammenhänge, wie sie Andreas Siekmanns<br />
g<strong>es</strong>chredderte Stadtmarketing-Maskottchen bei den Münsteraner<br />
Skulptur Projekten präsentiert haben. In beiden Fällen ermöglicht<br />
<strong>die</strong> ästhetische Umsetzung zudem <strong>die</strong> Entwicklung neuen, über<br />
<strong>die</strong> konkret gegebenen Informationen hinaus gehend<strong>es</strong> Wissens.<br />
Was <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> aber andererseits zu einem nicht unbedeutenden<br />
Feld innerhalb der „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“ macht, ist <strong>die</strong> Behauptung,<br />
dass <strong>es</strong> gerade künstlerische Praktiken und Werte sind, <strong>die</strong><br />
sich in soziale Bereiche ausgedehnt haben, <strong>die</strong> zuvor ziemlich unberührt<br />
von ihnen waren. Dass eine auf Freiheit, Autonomie und<br />
Flexibilität ausgerichtete „Künstlerkritik“ (Luc Boltanski / Éve<br />
Chiapello) Eingang in <strong>die</strong> Forderungen und Praktiken sozialer Bewegungen<br />
seit den 1960er Jahren gefunden hat, ist vielleicht weniger<br />
überraschend. Zur Ausdehnung „künstlerischer“ Praktiken<br />
gehört aber auch <strong>die</strong> allseits gefeierte und geforderte Kreativität,<br />
<strong>die</strong> selbst der prekär B<strong>es</strong>chäftigten noch abverlangt wird, <strong>die</strong> im<br />
wiener W<strong>es</strong>tbahnhof für eine Fastfoodkette Butterbrote schmiert<br />
und d<strong>es</strong>halb „Sandwich Artist“ heißt. Kurz: Die immaterielle Arbeit<br />
sei zur hegemonialen Form der Arbeit geworden, <strong>die</strong> Produktion<br />
habe <strong>die</strong> Fabrik verlassen und finde innerhalb der G<strong>es</strong>ellschaft<br />
statt. Und zwar in Form einer Kombination aus intellektuellen<br />
Fähigkeiten, handwerklichem G<strong>es</strong>chick, unternehmerischer Entscheidungsfindung<br />
und sozialer Kooperation.<br />
Ist jen<strong>es</strong> kooperative Kommunizieren, wie Virno meint, <strong>die</strong> allgemeine<br />
Basiskompetenz, <strong>die</strong> unter Bedingungen zum Vorschein<br />
kommt, in denen Orientierungslosigkeit und Fremdheit „unausweichliche<br />
und dauerhafte Erfahrung“ aller sei? Und ist das „reflexive<br />
Nichtwissen“ (Beck) ein alle verbindend<strong>es</strong> Spezifikum der<br />
Gegenwartsg<strong>es</strong>ellschaften? Unterschiedlichen sozialen, politischen<br />
und kulturellen Ausgangsbedingungen jedenfalls wird in<br />
di<strong>es</strong>en Ansätzen keine große Aufmerksamkeit gewidmet. Um solchen<br />
fundamentalen Ungleichheiten gerecht zu werden, sind andere<br />
zeitdiagnostische Labels vielleicht tauglicher. Wer weiß. ●<br />
Jens Kastner ist Soziologe und <strong>Kunst</strong>historiker und lebt in Wien.
Educación Popular Marlen Eizaguirre<br />
26<br />
Magdalena Steinleitner, Wie ist der Widerstand im Begriff der Wiederholung zu denken? (Judith Butler: Psyche der Macht), Assoziationsblätter 20 x 20, 2007<br />
❚ Die educación popular ist ein Ansatz, der Bildung als einen partizipativen<br />
und transformierenden Proz<strong>es</strong>s versteht, in der das<br />
Erlernen und <strong>die</strong> Wissensaneignung auf der praktischen Erfahrung<br />
der Personen und der Gruppen selbst basiert. Ausgehend<br />
von der Sensibilisierung und dem Verständnis der Beteiligten gegenüber<br />
den Faktoren und Strukturen, <strong>die</strong> ihr Leben b<strong>es</strong>timmen,<br />
geht <strong>es</strong> darum, ihnen bei der Entwicklung von Strategien, Fähigkeiten<br />
und Techniken zu helfen, <strong>die</strong> nötig sind, um eine an der<br />
Veränderung der Realität orientierte Partizipation zu ermöglichen.<br />
Die Ursprünge di<strong>es</strong>er Strömung, <strong>die</strong> einen großen theoretischen<br />
und praktischen Einfluss auf <strong>die</strong> Entwicklung(spolitik) hatte, finden<br />
sich bereits in den 1960er Jahren in den Arbeiten d<strong>es</strong> brasilianischen<br />
Pädagogen Paulo Freire und in den Erfahrungen einer<br />
Vielzahl von – vornehmlich lateinamerikanischen – Organisationen.<br />
Ausgehend von der F<strong>es</strong>tstellung einer ungerechten und von<br />
Ungleichheit geprägten <strong>Wir</strong>klichkeit, b<strong>es</strong>tand ihr Anliegen darin,<br />
auf der Basis praktischer Erfahrung mit und von den Unterschichtmilieus<br />
(sector<strong>es</strong> popular<strong>es</strong>) aus pädagogische Werkzeuge<br />
zu schaffen, <strong>die</strong> <strong>es</strong> di<strong>es</strong>en ermöglichen würden, an ihrer konkreten<br />
Realität mitzuwirken, sie zu organisieren und zu verändern<br />
und ihr Leben zu verb<strong>es</strong>sern. Das Hauptziel der educación popular<br />
b<strong>es</strong>teht darin, an der Konstruktion einer eigenständigen –<br />
nicht nur formalen sondern realen – Demokratie mitzuwirken, in<br />
der alle Personen und Bevölkerungsgruppen <strong>die</strong> tatsächlichen<br />
Fähigkeiten und Möglichkeiten b<strong>es</strong>itzen, an Verhältnissen zu partizipieren,<br />
um befreiende soziale Veränderungen zu Gunsten der<br />
Entwicklung und einer gerechteren, solidarischeren und kooperativeren<br />
Welt anzustoßen, <strong>die</strong> zudem in größerer Harmonie mit<br />
der Natur existiert.<br />
Auf di<strong>es</strong>e Weise ist Bildung als ein transformatorischer Proz<strong>es</strong>s zu<br />
verstehen, in dem <strong>die</strong> beteiligten Personen selbst <strong>die</strong> maßgeblichen<br />
AkteurInnen sind. Di<strong>es</strong>er Proz<strong>es</strong>s b<strong>es</strong>teht aus verschiedenen<br />
Phasen, <strong>die</strong> sich immer wieder neu b<strong>es</strong>tärken und kontinuierlich<br />
neu b<strong>es</strong>timmen: a) <strong>die</strong> Realität und <strong>die</strong> eigene Praxis kritisch hinterfragen,<br />
b) neue Formen d<strong>es</strong> Handelns erkennen und entwickeln,<br />
c) <strong>die</strong> Handlung neu konzipieren, um <strong>die</strong> Realität zu verb<strong>es</strong>sern<br />
und d) auf <strong>die</strong> Realität einwirken.<br />
Ein ander<strong>es</strong> Merkmal der educación popular sind ihre Methoden.<br />
Sie b<strong>es</strong>tehen aus Techniken und Dynamiken, <strong>die</strong> von der eigenen<br />
<strong>Wir</strong>klichkeit und Erfahrung der Menschen ausgehen. Mit ihrer<br />
Hilfe wird das Inter<strong>es</strong>se der Gruppe geweckt und aufrechterhalten<br />
und <strong>die</strong> Beteiligung, <strong>die</strong> Reflexion, der Dialog und <strong>die</strong> Analyse innerhalb<br />
ihrer ermöglicht. In di<strong>es</strong>em Sinne liefert auch der Pädagoge<br />
/ <strong>die</strong> Pädagogin nicht alle Antworten, sondern hilft lediglich<br />
dabei, dass <strong>die</strong> Gruppe <strong>die</strong> nötigen Fragen formuliert und ihre eigenen<br />
Antworten darauf findet. Di<strong>es</strong>e Methode hängt direkt mit<br />
der offenen, flexiblen, partizipativen, gruppenorientierten, praktischen<br />
und erfahrungsorientierten Art der educación popular zusammen,<br />
so wie auch mit den Zielen und Werten, für <strong>die</strong> sie eintritt:<br />
partizipative Demokratie, organisatorische Entwicklung,<br />
Handlungsbefähigung, Transformation und <strong>die</strong> Veränderung d<strong>es</strong><br />
wirklichen Lebens.<br />
Einige andere Kennzeichen der educación popular sind <strong>die</strong> Folgenden:<br />
a) <strong>die</strong> Vielfalt der Gedankengebäude, <strong>die</strong> sie beeinflusst<br />
haben (Humanismus, Basischristentum, Theologie der Befreiung,<br />
Marxismus etc.), b) ihre praktische Konkretisierung in gemeinsamen,<br />
offenen und vielfältigen Erfahrungen ebenso wie ihre kon-
Widerstand. Macht. Wissen. 29<br />
als auch ihre Bedürfnisse und ihre Fähigkeiten analysieren können,<br />
was unter den partizipativen Ansätzen oder der ländlichpartizipativen<br />
Diagnose fungiert.<br />
stant<strong>es</strong> Bemühen um <strong>die</strong> Konzeptualisierung und Vertiefung ihrer<br />
theoretischen Basis, c) <strong>die</strong> Produktion neuer methodischer und<br />
didaktischer Instrumente im Einklang mit den Zielen und der<br />
Realität der Personen, an <strong>die</strong> sie sich richtet, d) <strong>die</strong> bewusste und<br />
durchgängige Ausrichtung ihrer erzieherischen Praxis an der Stärkung<br />
der organisatorischen Proz<strong>es</strong>se innerhalb der Unterschichtsmilieus<br />
und ihr Beitrag zur Entwicklung neuer (gemeinschaftlicher,<br />
kooperativer, gewerkschaftlicher etc.) Organisationsformen,<br />
e) <strong>die</strong> Bekräftigung der politisch-pädagogischen Dimension in ihrer<br />
erzieherischen Intervention.<br />
Im Bereich der Entwicklung(spolitik) hat <strong>die</strong> educación popular<br />
auf verschiedenen Ebenen wichtige Beiträge geleistet: A) Erstens<br />
hat di<strong>es</strong>er Ansatz <strong>die</strong> Praxis in der Gemeinschaftsarbeit entscheidend<br />
beeinflusst und tut di<strong>es</strong> noch immer, nicht nur in Lateinamerika,<br />
sondern auf der ganzen Welt. B) Darüber hinaus hat er<br />
<strong>die</strong> Arbeit der Bildung/Erziehung für <strong>die</strong> Entwicklung in den Ländern<br />
d<strong>es</strong> Nordens entscheidend geprägt. C) Seit den 1980er Jahren<br />
hat <strong>die</strong> educación popular <strong>die</strong> Ausrichtung vieler Entwicklungsprojekte<br />
inspiriert, in denen sie <strong>die</strong> Partizipation der BildungsempfängerInnen<br />
nach deren Entwurf und Betreiben und ausgehend<br />
von deren Bedürfnissen und Prioritäten gefördert hat. D)<br />
Gleichzeitig waren sowohl <strong>die</strong> Philosophie, <strong>die</strong> <strong>die</strong> educación popular<br />
inspiriert hat, wie auch <strong>die</strong> Erfahrungen, <strong>die</strong> von ihr ausgingen,<br />
<strong>die</strong> Wurzeln für neue Grundsatzkonzepte in der gegenwärtigen<br />
Terminologie der Entwicklung(spolitik), sowohl im Hinblick<br />
auf <strong>die</strong> Personen als auch <strong>die</strong> Gemeinden, <strong>die</strong> sich in einem Veränderungsproz<strong>es</strong>s<br />
befinden. E) Schließlich hat <strong>die</strong> educación popular<br />
auch zur Ausarbeitung zahlreicher Techniken beigetragen,<br />
<strong>die</strong> <strong>es</strong> ermöglichen, dass <strong>die</strong> Gemeinden selbst sowohl <strong>die</strong> Realität<br />
Die educación popular hat in den vergangenen Jahrzehnten diverse<br />
Etappen durchgemacht. In den 1960er Jahren b<strong>es</strong>tand das<br />
zentrale Ziel darin, Organisationen zu schaffen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Fähigkeit<br />
zur Veränderung der <strong>Wir</strong>klichkeit b<strong>es</strong>aßen. In den 1970er Jahren<br />
blieb di<strong>es</strong><strong>es</strong> Ziel b<strong>es</strong>tehen, auch wenn <strong>die</strong> Schwerpunkte sich auf<br />
<strong>die</strong> Stärkung der bereits existierenden Organisationen und Basisbewegungen<br />
verlagerte, und daran gearbeitet wurde, soziale Proz<strong>es</strong>se<br />
wie jene voranzubringen, <strong>die</strong> Salvador Allende in Chile oder<br />
<strong>die</strong> Sandinistas in Nikaragua an <strong>die</strong> Macht brachten. In den 1980er<br />
Jahren hingegen wurde <strong>die</strong> Notwendigkeit konstatiert, <strong>die</strong> Prof<strong>es</strong>sionalität<br />
der existierenden Bildungsgruppen zu erhöhen. In<br />
den 1990er Jahren geriet <strong>die</strong> educación popular schließlich in <strong>die</strong><br />
Krise, ausgelöst durch <strong>die</strong> Schwächung der Utopien und der ausprobierten<br />
Modelle sozialen Wandels am Ende d<strong>es</strong> Kalten Krieg<strong>es</strong>.<br />
Dennoch ist seit Mitte der 1990er Jahre eine gewisse Wiederaufwertung<br />
der educación popular zu beobachten. Auch wenn viele<br />
sie als einen an <strong>die</strong> vergangenen revolutionären Erfahrungen in<br />
der Dritten Welt geknüpften Anachronismus und als vollkommen<br />
unangem<strong>es</strong>sen für <strong>die</strong> entwickelten G<strong>es</strong>ellschaften ansehen, erkennen<br />
andere ihre Relevanz auch für <strong>die</strong> G<strong>es</strong>ellschaften d<strong>es</strong><br />
Nordens: Mit einer entsprechenden Anpassung an ihre sozialen,<br />
politischen und ökonomischen Realitäten, kann <strong>die</strong> educación popular<br />
ein angem<strong>es</strong>sen<strong>es</strong> Instrument dafür sein, um Transformationen<br />
anzustoßen, mit denen auch <strong>die</strong> Erste Welt und <strong>die</strong> g<strong>es</strong>amte<br />
Menschheit sich im neuen Kontext der Globalisierung zu konfrontieren<br />
hat. ●<br />
Marlen Eizaguirre ist Soziologin, Koordinatorin der NGO für Entwicklungszusammenarbeit,<br />
Alboan, und lebt in Bilbao/Bilbo.<br />
Aus dem Spanischen übersetzt von Jens Kastner.
Widerstand. Macht. Wissen im Buch Jens Kastner<br />
Sabine Ammon, Corinna Heineke, Kirsten Selbmann (Hg.): Wissen in Bewegung.<br />
Vielfalt und Hegemonie in der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, Weilerswist 2007<br />
(Velbrück Wissenschaft).<br />
Ulrich Beck: Weltrisikog<strong>es</strong>ellschaft, Frankfurt a. M. 2007 (Suhrkamp Verlag).<br />
Heinrich Böll Stiftung (Hg.): Die Verfasstheit der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, Münster<br />
2007 (Verlag W<strong>es</strong>tfälisch<strong>es</strong> Dampfboot).<br />
Irene Dölling, Dorothea Dornhof, Karin Esders, Corinna Genschel, Sabine<br />
Hark (Hg.): Transformationen von Wissen, Mensch und G<strong>es</strong>chlecht. Transdisziplinäre<br />
Interventionen, Königstein/Taunus 2007 (Ulrike Helmer Verlag).<br />
Jacqu<strong>es</strong> Rancière: Der unwissende Lehrmeister. Fünf Lektionen über <strong>die</strong> intellektuelle<br />
Emanzipation, Wien 2007 (Passagen Verlag).<br />
❚ Wissen ist in Verhältnissen zu denken. Es ist nicht bloß ein zu<br />
Handlungen ermächtigend<strong>es</strong> System oder eine ausbeutbare R<strong>es</strong>source,<br />
sondern „gebunden an Zeit und Ort, gekoppelt an g<strong>es</strong>ellschaftliche<br />
Verhältnisse.“ Darauf weisen Ammon, Heineke und<br />
Selbmann hin und widmen ihren Sammelband zudem einem erweiterten<br />
Wissensbegriff. Nicht nur wissenschaftliche, sondern<br />
auch alltägliche, kulturelle, künstlerische und nichtwissende Wissensformen<br />
werden untersucht. Die Frage, wie sich „Hegemonien<br />
b<strong>es</strong>timmter Wissensformen etablieren“, durchzieht dabei einen<br />
Großteil der Beiträge. Sie drehen sich um erkenntnistheoretische,<br />
entwicklungspolitische und sozialbewegte Frag<strong>es</strong>tellungen. Weil<br />
<strong>es</strong> AktivistInnen sozialer Bewegungen so scheine, als würden Unsicherheiten<br />
im eigenen Wissen politisch<strong>es</strong> Handeln blockieren,<br />
würden sie ihr Nichtwissen gerne leugnen. Das behauptet Ulrich<br />
Beck, der das Nichtwissen zwar allgemein für den Schlüsselkonflikt<br />
der reflexiven Moderne hält. Spezifisch „verdrängt<strong>es</strong> oder<br />
nicht-gewußt<strong>es</strong> Nichtwissen“ finde sich aber häufig bei „Experten<br />
und Gegenexperten, neuen (oder alten) religiösen und sozialen<br />
Bewegungen“ und verweise auf deren begrenzten Horizont. Etwas<br />
konkreter und deutlich weniger diffamierend als beim soziologischen<br />
Meisterdenker g<strong>es</strong>taltet sich <strong>die</strong> Debatte um das Wissen<br />
künstlerischer und sozialer Bewegungen hingegen in den drei<br />
Aufsatzbänden. So wird <strong>die</strong> Legitimität von Laienwissen für den<br />
b<strong>es</strong>seren Umgang mit g<strong>es</strong>ellschaftlichen Risiken (Selbmann) oder<br />
gar, im Sinne einer „Pluralisierung der Perspektiven“ (Arne<br />
Hintz), im biomedizinischen Diskursen eingeklagt. Die Bildungskommission<br />
der Heinrich Böll-Stiftung setzt überhaupt auf <strong>die</strong><br />
„Stärkung zivilg<strong>es</strong>ellschaftlicher Strukturen“. Der von der Grünen-nahen<br />
Stiftung herausgegebene Band gehört sicherlich zu<br />
den umfassendsten und informiert<strong>es</strong>ten Konvoluten zur Wissens-<br />
g<strong>es</strong>ellschaft. Darin wird der gegenwärtigen Ökonomisierung d<strong>es</strong><br />
Wissens ebenso nachgegangen wie bildungspolitischen Diskussionen<br />
und dem Verhältnis von Ethik und Wissen(schaft) in den<br />
Bio- und Körperpolitiken. Dass eine Diagnose der Gegenwart „ohne<br />
g<strong>es</strong>chlechterkritische Perspektive nicht zu haben“ (Hark) ist,<br />
behauptet und b<strong>es</strong>pricht hingegen das Buch von Dölling u.a. sehr<br />
eindringlich. Wie „Bilder <strong>die</strong> Ordnungen d<strong>es</strong> Wissens installieren<br />
oder auch d<strong>es</strong>tabilisieren können“ (Dornhof), ist dabei nur eine<br />
von vielen Frag<strong>es</strong>tellungen. Eine philosophische Erörterung d<strong>es</strong><br />
Wissens und seiner Vermittlung leistet Jacqu<strong>es</strong> Rancière. Im Anschluss<br />
an den Aufklärer Joseph Jacotot entwirft Rancière dabei<br />
ein antipädagogisch<strong>es</strong> Manif<strong>es</strong>t, das seine Idee ursprünglicher<br />
Gleichheit fortführt. Wissen müsse nicht gelehrt, also erklärt werden,<br />
denn <strong>die</strong> Erklärung sei „der Mythos der Pädagogik (…).“<br />
Nicht erläutern und vermitteln sei also <strong>die</strong> radikale Folgerung aus<br />
der Aufklärung, sondern <strong>die</strong> Botschaft Jacotots: dass man lehren<br />
kann, worin man unwissend ist. Rancièr<strong>es</strong> Begeisterung für Jacotot<br />
legt auch den Voluntarismus seiner eigenen Gleichheitsvorstellung<br />
offen. Über Jacotots „Methode der Gleichheit“ heißt <strong>es</strong>,<br />
sie sei „zuallererst eine Methode d<strong>es</strong> Willens. Man konnte, wenn<br />
man <strong>es</strong> wollte, allein und ohne erklärenden Lehrmeister durch <strong>die</strong><br />
Spannung sein<strong>es</strong> eigenen Begehrens oder durch den Zwang der<br />
Situation lernen.“ Was zunächst sympathisch antiautoritär klingt,<br />
dürfte wohl auch konservativen BildungspolitikerInnen zur Freude<br />
gereichen. ●<br />
Jens Kastner ist <strong>Kunst</strong>historiker und Soziologe und lebt in Wien.<br />
Er ist Koordinierender Redakteur d<strong>es</strong> <strong>Bildpunkt</strong>.
an.schläge tv<br />
das <strong>feministische</strong> Magazin<br />
an.sturm, an.probe, an.geheftet an.sehen;<br />
an.beraumt: monatlich auf OKTO..<br />
www.okto.tv/anschlaege<br />
Impr<strong>es</strong>sum Me<strong>die</strong>ninhaberin, Verlegerin, Herausgeberin:<br />
Gumpendorfer Straße 10–12, A-1060 Wien; www.igbildendekunst.at<br />
❚ Redaktion (bildpunkt@igbildendekunst.at): Jens Kastner (Koordination),<br />
Nora Sternfeld, Daniela Koweindl, Carlos Toledo und Eva Dertschei<br />
❚ Grafische G<strong>es</strong>taltung: Toledo i Dertschei (Mitarbeit: Lena Artaker)<br />
❚ Druck: Druckerei Drava, Klagenfurt/Celovec<br />
❚ Abo: Inland ¤ 12, Ausland ¤ 16; office@igbildendekunst.at, +43/(0)1/524 09 09<br />
❚ www.igbildendekunst.at/bildpunkt<br />
❚ <strong>Bildpunkt</strong> ist Kooperationspartner von linksnet.de<br />
❚ Zum Cover: Pro Ausgabe wird der Titel d<strong>es</strong> Schwerpunktthemas in einer anderen<br />
Schrifttype g<strong>es</strong>etzt. Die hier verwendete Schrift ist <strong>die</strong> Sassoon Primary<br />
(www.clubtype.co.uk). Sie wurde von Dr. Rosemary Sassoon (1931) g<strong>es</strong>taltet.<br />
Sie promovierte an der Univ<strong>es</strong>ity of Reading in Reading/Berkshire, UK. Als<br />
Expertin für Kalligraphie, speziell für Kinder, entwickelte sie di<strong>es</strong>e Schrift (1986)<br />
mit und für Kinder. Sie versucht den „marktwirtschaftlichen“ Anspruch d<strong>es</strong><br />
schnelleren Lernens (von „L<strong>es</strong>en und Schreiben“) zu entsprechen (siehe Why<br />
Sassoon, Sassoon & Williams, Surrey 2000). Hier werden naturwissenschaftliche<br />
Erkenntnisse angewandt (u.a. bei der Betonung der Unterschiede von<br />
Buchstaben, z.B. wegen der Schwierigkeit beim L<strong>es</strong>en durch <strong>die</strong> Spiegelung<br />
von „b“ und „d“), um das lernen zu erleichtern. Aber wie Zuzana Licko bereits<br />
1991 provozierend bemerkte: „You read b<strong>es</strong>t what you read most“. Damit löste<br />
sie, zusammen mit anderen Typographen, eine neue Diskussion um „L<strong>es</strong>barkeit“<br />
aus. Das „wirkliche Wissen“ soll nach Paolo Freire (1929) in der Pädagogik<br />
der Unterdrückten (N.Y. 1970) bewusstseinsbildend für <strong>die</strong> Masse der AnalphabetInnen<br />
sein. Aber wenn das Wissen befreiend sein soll, dann muss Bertolt<br />
Brechts Die Mutter – Leben der Revolutionärin Pelagea Wlassowa aus Twer<br />
(nach dem gleichnamigen Roman, 1906, von Maxim Gorki, 1868) zitiert werden<br />
(1932): „Das ,A‘ bei der Ausbeutung ist genau wie das ,A‘ bei Arbeiter.“ ● TiD<br />
Kann man<br />
<strong>Kunst</strong> lehren?<br />
...........................................................................................................<br />
prof<strong>es</strong>sorenInnen wolfgang baatz | martin beck | erwin bohatsch<br />
monica bonvicini | gregg bordowitz | sabeth buchmann | gunter<br />
damisch | carola dertnig | <strong>die</strong>drich <strong>die</strong>derichsen | harun farocki<br />
elke gaugele | marina grzinic | mona hahn | matthias herrmann<br />
tom holert | michelle howard | judith huemer | gerda kaltenbruner<br />
christian kravagna | peter leeb | bart lootsma | dorit margreiter<br />
marion von osten | manfred pernice | josephine pryde | daniel<br />
richter | constanze ruhm | elisabeth samsonow | markus schaefer<br />
hans scheirl | manfred schreiner | nasrine seraji | peter sloterdijk<br />
wolfgang tschapeller | erich wonder | amelie von wulffen | heimo<br />
zobernig<br />
www.akbild.ac.at