Spracharbeit Klasse 3 / 4 - Mainzer Kinder- und Jugendtheater
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<strong>Spracharbeit</strong> <strong>Klasse</strong> 3 / 4<br />
1. Lassen Sie für ein bekanntes Märchen einen neuen Schluss finden. Wie geht es nach<br />
dem Märchen weiter?<br />
z.B. Was wird aus den Bremer Stadtmusikanten? Werden es berühmte Popstars?<br />
Was wird aus Schneewittchen nach ihrer Heirat mit dem Prinzen?<br />
2. Lassen Sie zwei Märchen miteinander verknüpfen,<br />
z.B. Rotkäppchen <strong>und</strong> der Wolf <strong>und</strong> die sieben Geißlein.<br />
3. Verfremden Sie mit den <strong>Kinder</strong>n ein Märchen, indem Sie die Eigenschaften der<br />
Figuren ändern. z.B.: Das böse Rotkäppchen <strong>und</strong> der gute Wolf (im Anhang).<br />
Die fiesen <strong>Kinder</strong> Hänsel <strong>und</strong> Gretel <strong>und</strong> die gute Hexe .<br />
4. Erarbeiten Sie den Aufbau eines Märchens, besonders wichtig dabei ist die Rolle der<br />
Zahlen. Besonders häufig tauchen die Zahlen 3, 7 <strong>und</strong> 12 auf.<br />
Die Zahl 3 taucht auf:<br />
- Schneewittchen ( 3 Tötungsversuche der Mutter)<br />
- Rumpelstilzchen ( 3 Rateversuche der Namen / 3 Nächte, in denen die<br />
Müllerstochter spinnen muss)<br />
- Der Wolf <strong>und</strong> die sieben Geißlein ( 3 Versuche des Wolfes bei den Geißlein<br />
einzudringen)<br />
Lassen Sie die Märchen entsprechend auf die anderen Zahlen hin untersuchen.<br />
In welchen Wörtern stecken Zahlen?<br />
z.B.: ZWEIge, ACHTung,<br />
5. Lassen Sie Märchentexte mit verteilten Rollen lesen.<br />
Im Anhang finden Sie als Beispiele „Rotkäppchen <strong>und</strong> der Wolf“ <strong>und</strong> „Kalif Storch“<br />
als Textvorlagen mit verteilten Rollen. Im Musikunterricht könnte die Geschichte mit<br />
Hilfe von Musikinstrumenten vertont werden, indem Geräusche <strong>und</strong> Melodien<br />
eingefügt werden. Nehmen Sie das entstandene Hörspiel auf Kassette auf.<br />
6. Märchen wurden in der Regel nur mündlich tradiert. Das folgende Spiel kann das<br />
besonders verdeutlichen:<br />
Suchen Sie einen kurzen Märchentext aus, den die Schüler möglichst nicht kennen<br />
(siehe auch Vorlesetexte). 4-5 <strong>Kinder</strong> werden vor die Tür geschickt.<br />
Dem Rest der <strong>Klasse</strong> wird der Text vorgelesen. Das erste Kind wird herein gerufen.<br />
Diesem Kind wird von einem Kind der <strong>Klasse</strong> die Geschichte mündlich erzählt.<br />
Das erste Kind soll nun dem zweiten Kind, welches gerufen wird, die Geschichte<br />
erzählen, usw.<br />
Am Ende werden die ursprüngliche Geschichte <strong>und</strong> die letzte, nacherzählte Fassung<br />
der <strong>Kinder</strong> verglichen. Wie hat sich das Märchen beim Weitererzählen verändert?<br />
Auch hier kann mit dem Kassettenrecorder gearbeitet werden.<br />
1
Das freche Rotkäppchen <strong>und</strong> der gute Wolf<br />
Es war einmal ein hübsches kleines Mädchen. Das hieß Rotkäppchen. Es war ein<br />
freches <strong>und</strong> faules Kind. Rotkäppchen war oft ungezogen <strong>und</strong> ärgerte gerne die Tiere.<br />
Der Mutter gab es freche Antworten.<br />
Eines Tages sagte die Mutter: „Rotkäppchen, nimm diesen Korb <strong>und</strong> bringe der<br />
kranken Großmutter einige leckere Sachen!“ „Ach, immer ich“, maulte das faule<br />
Käppchen. Die Mutter bat es noch einmal. Schließlich machte sich das Kind auf den<br />
Weg, aber widerwillig. Es trödelte durch den Wald <strong>und</strong> traf den Wolf. Das böse<br />
Rotkäppchen zog das gutmütige Tier am Schwanz <strong>und</strong> sprach: „ Was willst du denn<br />
hier? Hau ab!“ Es trat ihm auf die Pfoten, so dass das arme Tier vor Schmerz<br />
jammerte. Rotkäppchen freute sich darüber <strong>und</strong> bewarf den Wolf auch noch mit<br />
Steinen. Dann sprach es : „Komm, wir gehen zur Großmutter <strong>und</strong> ärgern sie! Du<br />
kannst sie erschrecken <strong>und</strong> beißen!“ Dem Wolf gefiel das alles nicht. Er schnappte<br />
Rotkäppchen am Bein <strong>und</strong> hielt es fest, bis der Jäger kam. Rotkäppchen jammerte:<br />
„Hilfe, Hilfe! Der Wolf hat mich angefallen! Er will mich fressen!“ Doch der Jäger<br />
kannte das böse Kind <strong>und</strong> glaubte ihm nicht. Rotkäppchen heulte vor Wut <strong>und</strong> zerriss<br />
sein schönes, rotes Käppchen. Den Korb schleuderte es in den Wald. Der Jäger sprach:<br />
„ Lass das Kind los, lieber Wolf!“ Sofort rannte Rotkäppchen davon, doch nicht zur<br />
Großmutter. Da sammelte der Wolf die leckeren Sachen ein <strong>und</strong> trug den Korb zur<br />
Großmutter. Er pflegte sie <strong>und</strong> nach einiger Zeit war die Großmutter wieder ges<strong>und</strong>.<br />
Sie behielt den Wolf bei sich <strong>und</strong> sie lebten glücklich <strong>und</strong> zufrieden bis an ihr Ende.<br />
Rotkäppchen <strong>und</strong> der Wolf<br />
Märchen nach den Gebrüdern Grimm<br />
Hörspielfassung<br />
ERZÄHLER:<br />
MUTTER:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
Es war einmal ein kleines, süßes Mädchen, das jedermann lieb hatte.<br />
Großmutter, die es am allerliebsten hatte, schenkte ihm einmal ein<br />
Käppchen aus rotem Samt <strong>und</strong> weil ihm das so gut stand <strong>und</strong> es nichts<br />
anderes mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Eines Tages<br />
sprach seine Mutter zu ihm:<br />
Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen <strong>und</strong> eine Flasche<br />
Wein, bring das der Großmutter, sie ist krank <strong>und</strong> schwach <strong>und</strong> wird<br />
sich darüber freuen. Mach dich auf, geh hübsch sittsam <strong>und</strong> lauf nicht<br />
vom Weg ab, sonst fällst du <strong>und</strong> zerbrichst das Glas.<br />
Ja, Mutter, ich will schon alles gut machen, ich gebe dir die Hand<br />
darauf.<br />
2
ERZÄHLER:<br />
WOLF:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
WOLF:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
WOLF:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
WOLF:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
ERZÄHLER:<br />
Die Großmutter wohnte draußen im Wald <strong>und</strong> Rotkäppchen hatte eine<br />
gute halbe St<strong>und</strong>e zu gehen. Unterwegs begegnete ihm der Wolf. das<br />
kleine Mädchen wusste nicht, was für ein böses Tier das war <strong>und</strong><br />
fürchtete sich nicht vor ihm.<br />
Guten Tag, Rotkäppchen!<br />
Guten Tag, lieber Wolf!<br />
Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?<br />
Zur Großmutter.<br />
Was trägst du in dem Korb?<br />
Kuchen <strong>und</strong> Wein. Gestern haben wir gebacken <strong>und</strong> Großmutter soll<br />
auch davon haben.<br />
Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?<br />
Noch eine gute Viertelst<strong>und</strong>e weit im Walde, unter den drei großen<br />
Eichenbäumen, die wirst du ja kennen, da steht ihr Haus, umgeben von<br />
Nusshecken.<br />
Der Wolf ging ein Weilchen neben Rotkäppchen her <strong>und</strong> überlegte sich,<br />
wie er es wohl zuwege bringen könnte, noch vor Rotkäppchen das Haus<br />
der Großmutter zu erreichen.<br />
WOLF:<br />
ERZÄHLER:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
ERZÄHLER:<br />
GROSSMUTTER:<br />
WOLF:<br />
GROSSMUTTER:<br />
Ich muss es schlau anfangen <strong>und</strong> das dumme Ding irgendwie aufhalten.<br />
Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die ringsumher stehen.<br />
Willst du nicht für deine Großmutter welche pflücken?<br />
Rotkäppchen schlug die Augen auf <strong>und</strong> als es sah, wie die<br />
Sonnenstrahlen durch die Bäume hin <strong>und</strong> her tanzten <strong>und</strong> alles voll<br />
schöner Blumen stand, sagte es sich:<br />
Der Wolf hat recht! Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß<br />
mitbringe, wird sie sich freuen.<br />
Rotkäppchen ging vom Wege ab den Blumen nach <strong>und</strong> wenn es eine<br />
fand, dachte es, weiterhin stände eine schönere <strong>und</strong> so kam es immer<br />
tiefer in den Wald hinein. Der Wolf aber lief derweil geradeaus zu dem<br />
Haus der Großmutter <strong>und</strong> klopfte an die Tür.<br />
Wer ist da?<br />
Rotkäppchen! Ich bringe dir Kuchen <strong>und</strong> Wein. Mach auf!<br />
Drück nur auf die Klinke, dann geht die Türe auf.<br />
3
ERZÄHLER:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
ERZÄHLER:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
WOLF:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
WOLF:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
WOLF:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
WOLF:<br />
ERZÄHLER:<br />
JÄGER:<br />
ERZÄHLER:<br />
JÄGER:<br />
ERZÄHLER:<br />
Ah ... kleines Rotkäppchen, wenn du ahntest, was da mit deiner lieben<br />
Großmutter geschehen ist ...<br />
Rotkäppchen aber pflückte eine Blume nach der anderen <strong>und</strong> als es so<br />
viel zusammen hatte, dass es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die<br />
Großmutter wieder ein <strong>und</strong> es machte sich auf den Weg zu ihr.<br />
Es ist doch w<strong>und</strong>erlich ... die Tür steht ja offen. Ei, wie ängstlich wird<br />
es mir zumute <strong>und</strong> ich bin doch sonst so gern bei der Großmutter.<br />
Guten Morgen! ... Großmutter! ...<br />
Es bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett <strong>und</strong> zog die<br />
Vorhänge zurück. War das die Großmutter, was da im Bett lag? Sie trug<br />
doch nie die Haube so tief im Gesicht <strong>und</strong> sah auch sonst noch nie so<br />
merkwürdig aus.<br />
Großmutter, was hast du für große Ohren?<br />
Dass ich dich besser hören kann.<br />
Großmutter, was hast du für große Augen?<br />
Dass ich dich besser sehen kann.<br />
Großmutter, was hast du für große Hände?<br />
Dass ich dich besser packen kann.<br />
Großmutter, was hast du für einen entsetzlich großen M<strong>und</strong>?<br />
Dass ich dich besser fressen kann!!<br />
Kaum hatte der Wolf das gesagt, denn er war es, der im Bette der<br />
Großmutter lag, tat er einen Satz <strong>und</strong> verschlang das arme<br />
Rotkäppchen.<br />
Dann legte er sich wieder ins Bett, schlief ein <strong>und</strong> fing an laut zu<br />
schnarchen.<br />
Ein wenig später ging der Jäger an dem haus vorbei <strong>und</strong> dachte:<br />
Wie die alte Frau schnarcht, ich will mal sehen, ob ihr was fehlt.<br />
Dann trat er in die Stube <strong>und</strong> wie er vor das Bett kam, sah er, dass der<br />
Wolf darin lag.<br />
Hier finde ich dich also, dich habe ich schon lange gesucht.<br />
Nun wollte er seine Büchse anlegen, aber da fiel ihm ein, der Wolf<br />
könnte die Großmutter gefressen haben <strong>und</strong> sie wäre vielleicht noch zu<br />
retten. So schoss er nicht, sondern nahm eine Schere <strong>und</strong> fing an dem<br />
schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte<br />
4
getan hatte, da sah er das rote Häubchen leuchten <strong>und</strong> noch ein paar<br />
Schnitte, da sprang das ganze Rotkäppchen heraus <strong>und</strong> rief:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
ERZÄHLER:<br />
JÄGER:<br />
ERZÄHLER:<br />
JÄGER:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
JÄGER:<br />
GROSSMUTTER:<br />
ROTKÄPPCHEN:<br />
Ach, wie war ich erschrocken, wie war es so dunkel im Bauch des<br />
Wolfs.<br />
Und da ... ihr werdet es kaum glauben, holte der Jäger auch die alte<br />
Großmutter noch lebendig heraus.<br />
Rotkäppchen, bring geschwind große Steine, dass wir dem Wolf damit<br />
seinen Bauch füllen.<br />
Wie der Wolf aufwachte, wollte er fort springen, aber mit den schweren<br />
Steinen konnte er das <strong>und</strong> fiel so arg hin ... dass er tot liegen blieb.<br />
Großmutter, da habt ihr aber Glück gehabt.<br />
Lieber Jäger, wir danken dir.<br />
Ich ziehe dem Wolf noch den Pelz ab, den nehme ich mir mit.<br />
Und nun wollen wir den schönen Kuchen essen, den Rotkäppchen<br />
gebracht hat <strong>und</strong> den guten Wein trinken, damit wir uns von dem<br />
Schreck erholen.<br />
Und ich will mein Lebtag nicht wieder allein vom Weg ab in den Wald<br />
laufen, wenn es mir die Mutter verboten hat ...<br />
≈<br />
KALIF STORCH<br />
Märchen aus 1001 Nacht<br />
Hörspielfassung<br />
ERZÄHLER:<br />
KALIF:<br />
Eines Tages, als der Kalif von Bagdad Langeweile hatte, da fiel ihm<br />
ein, dass er vor nicht allzu langer Zeit im Hofe seines Palastes von<br />
einem Krämer eine zierliche Schatulle aus Elfenbein gekauft hatte.<br />
Er ließ sie öffnen <strong>und</strong> fand darin eine kleine Dose mit schwärzlichem<br />
Pulver <strong>und</strong> dazu ein Papier mit sonderbarer Schrift, die er nicht lesen<br />
konnte.<br />
Großwesir, ist dir jemand bekannt, der diese Schrift entziffern könnte?<br />
5
GROSSWESIR:<br />
KALIF:<br />
GROSSWESIR:<br />
KALIF:<br />
SELIM:<br />
KALIF:<br />
SELIM:<br />
KALIF:<br />
ERZÄHLER:<br />
GROSSWESIR:<br />
KALIF:<br />
Gnädiger Herr <strong>und</strong> Gebieter, an der großen Moschee wohnt ein<br />
Gelehrter, er heißt Selim; man sagt von ihm, er versteht alle Sprachen.<br />
Lass ihn kommen, Großwesir, vielleicht kennt er diese geheimnisvollen<br />
Züge.<br />
Gnädiger Herr, dieser Mann hier, der die Ehre hat, vor dir zu knien, ist<br />
Selim der Gelehrte.<br />
Selim, sieh´ dir mal diese Schrift an. Kannst du sie lesen, so bekommst<br />
du ein neues Festkleid von mir. Kannst du es nicht, so bekommst du<br />
zwölf Backenstreiche <strong>und</strong> fünf<strong>und</strong>zwanzig Hiebe auf die Fußsohlen,<br />
weil man dich dann umsonst Selim den Gelehrten nennt.<br />
Dein Wille geschehe, oh Herr! Das ist Lateinisch.<br />
Nun, so sage mir, was die Schrift bedeutet.<br />
Wie du es befiehlst, oh Herr. „Wer von dem Pulver aus der Dose<br />
schnupft <strong>und</strong> dabei spricht: „Mutabor“, der kann sich in alle Tiere<br />
verwandeln <strong>und</strong> versteht auch die Sprache. Will er wieder in seine<br />
menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich dreimal gen Osten<br />
<strong>und</strong> spreche wieder das Zauberwort Mutabor. Aber hüte er sich,<br />
während der Verwandlung zu lachen, sonst entschwindet es seinem<br />
Gedächtnis <strong>und</strong> er bleibt ein Tier.“<br />
Selim, schwöre mir, dieses Geheimnis niemandem zu verraten, wenn<br />
dir dein Leben lieb ist. Großwesir, lasse diesen gelehrten Mann zu<br />
meinem Hofschneider führen, damit man ihm das Festkleid anfertige,<br />
das ich ihm versprochen habe.<br />
Großwesir, morgen früh gehen wir miteinander hinaus auf die Felder.<br />
Dort schnupfen wir aus der W<strong>und</strong>erdose <strong>und</strong> belauschen dann, was in<br />
der Luft <strong>und</strong> im Wasser, im Walde <strong>und</strong> auf dem Felde gesprochen wird.<br />
Wie freue ich mich darauf, Großwesir!<br />
Am anderen Morgen konnte der Kalif vor Neugierde kaum abwarten bis<br />
die Morgenzeremonie seines Hofstaates vorüber war. Eilig zog er sich<br />
mit seinem Großwesir zurück, steckte die Dose mit dem Zauberpulver<br />
in den Gürtel <strong>und</strong> durch einen unterirdischen Geheimgang verließen die<br />
beiden unbemerkt den Palast.<br />
Würde es Euch vielleicht Vergnügen machen, oh Herr, mit mir zu<br />
einem Teich zu gehen, wo ich oft schon viele Störche gesehen habe. Ihr<br />
lustiges Geklapper erregte stets meine Aufmerksamkeit. Wie wäre es,<br />
wenn wir Störche würden?<br />
Wohlgesprochen, es kann doch höchst vergnüglich sein zu hören, was<br />
für Gespräche diese Langfüßler miteinander führen.<br />
Da ist die Dose, Großwesir, nimm du auch eine Prise, wir wollen<br />
schnupfen. Aber nur um des Himmels Willen nicht gelacht, sonst sind<br />
wir verloren! Und jetzt, Großwesir, rufen wir das Zauberwort:<br />
6
KALIF UND<br />
GROSSWESIR:<br />
ERZÄHLER:<br />
KALIF:<br />
GROSSWESIR:<br />
KALIF:<br />
GROSSWESIR:<br />
KALIF:<br />
GROSSWESIR:<br />
KALIF:<br />
GROSSWESIR:<br />
ERZÄHLER:<br />
GROSSWESIR:<br />
ERZÄHLER:<br />
KALIF:<br />
GROSSWESIR:<br />
Mu----ta---bor!<br />
Da schrumpften ihre Beine <strong>und</strong> wurden dünn <strong>und</strong> rot, die Arme wurden<br />
zu Flügeln, der Hals fuhr aus den Achseln <strong>und</strong> ward eine Elle lang <strong>und</strong><br />
den Körper bedeckten weiche Federn.<br />
Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir, beim Barte des<br />
Propheten, so etwas habe ich im Leben noch nicht gesehen.<br />
Danke untertänigst, aber wenn ich es wagen darf, möchte ich<br />
behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch hübscher aus<br />
denn als Kalif.....Ha, ha, ha! .Oh Herr! Uns ist ja verboten, während der<br />
Verwandlung zu lachen.<br />
Ha, ha, ha ! Potz Mekka <strong>und</strong> Medina! Das wäre ein schlechter Spaß,<br />
wenn ich ein Storch bleiben müsste. Wie hieß doch der Zauberspruch?<br />
Besinne dich sofort auf das dumme Wort, ich weiß es nicht mehr.<br />
Mein Gebieter, wir müssen uns dreimal gen Osten neigen <strong>und</strong> dazu<br />
sprechen: „M---Mu--- Mu--“. Ihr könnt mich köpfen lassen, beim Barte<br />
des Propheten, ich weiß es auch nicht.<br />
Oh, Jammer! Aus unserer Storchenhaut können wir nicht mehr heraus...<br />
Als Störche können wir auch nicht mehr in die Stadt zurück, denn wer<br />
würde einem Storch glauben, dass er der Kalif von Bagdad sei.<br />
Und die Einwohner von Bagdad würden auch keinen Storch zum<br />
Kalifen haben wollen...Was soll da geschehen, Großwesir?<br />
Ich denke, oh Herr, wir wollen zum Grabe des Propheten; vielleicht,<br />
dass an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird.<br />
Da erhoben sich die beiden Störche <strong>und</strong> flogen der Gegend von Medina<br />
zu. Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gut gehen, denn die beiden<br />
Störche hatten noch keine Übung.<br />
Herr...ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus, Ihr fliegt<br />
gar zu schnell! Auch ist es schon Abend <strong>und</strong> wir täten wohl, ein<br />
Unterkommen für die Nacht zu suchen!<br />
Der Kalif gab der Bitte seines Dieners Gehör <strong>und</strong> da sie unten im Tal<br />
eine Ruine erblickten, die ein Obdach zu gewähren schien, flogen sie<br />
dahin.<br />
Hier wollen wir uns ein warmes Plätzchen suchen...<br />
Herr <strong>und</strong> Gebieter! Mir ist ganz unheimlich zumut, denn hier nebenan<br />
hat es ganz vernehmlich geseufzt <strong>und</strong> gestöhnt.<br />
7
KALIF:<br />
ERZÄHLER:<br />
NACHTEULE:<br />
ERZÄHLER:<br />
KALIF:<br />
NACHTEULE:<br />
KALIF:<br />
NACHTEULE:<br />
GROSSWESIR:<br />
NACHTEULE:<br />
KALIF:<br />
NACHTEULE:<br />
KALIF:<br />
NACHTEULE:<br />
KALIF:<br />
Ja.... ich höre es deutlich...als wenn jemand weinen würde...Lasst uns<br />
nachsehen, Großwesir, woher die Klagelaute kommen!<br />
Voll Erwartung gingen sie dem Laut nach <strong>und</strong> kamen bald zu einer Tür,<br />
die nur angelehnt war. Sie stießen sie mit dem Schnabel auf <strong>und</strong> blieben<br />
überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach, das<br />
nur durch ein kleines Gitterfenster spärlich beleuchtet war, sahen sie<br />
eine große Nachteule am Boden sitzen.<br />
Willkommen, ihr Störche, ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner<br />
Errettung; denn mir ist einst prophezeit worden, durch Störche werde<br />
mir ein großes Glück kommen.<br />
Als sich die beiden Störche von ihrem Erstaunen erholt hatten,<br />
verneigten sie sich vor der Eule.<br />
Nachteule! Wenn ich deine Worte richtig verstanden habe, so sehe ich<br />
in dir eine Leidensgefährtin.<br />
Wie du es sagst, oh Herr. Ihr sollt wissen, mein Vater ist der König von<br />
Indien <strong>und</strong> ich bin seine einzige Tochter. Ein böser Zauberer, dessen<br />
Sohn mich vergeblich zur Frau begehrte, hat mich ins Unglück gestürzt.<br />
Seitdem lebe ich als Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von<br />
der Welt.<br />
Wo finde ich die Lösung zu diesem Rätsel?<br />
Ich wüsste vielleicht, oh Herr, wie Ihr sie finden könntet.<br />
So sprich, teuerste Prinzessin.<br />
Nehmt es nicht ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich euren<br />
Wunsch erfüllen.<br />
Sprich sie aus!<br />
Auch ich möchte von meinem Unglück erlöst werden; die kann aber nur<br />
geschehen, wenn einer von euch mir seine hand reicht.<br />
Ich bin entschlossen, Prinzessin, Eure Bedingung zu erfüllen!<br />
So hört zu! Alle Monate einmal versammeln sich die Zauberer des<br />
Landes in dieser Ruine, um zu schmausen <strong>und</strong> im ihre schändlichen<br />
Werke einander zu erzählen. Ihr könntet sie dabei belauschen; vielleicht<br />
hört ihr dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt. Ihr hättet zu<br />
keiner besseren Zeit kommen können, denn sie versammeln sich in<br />
dieser Nacht.<br />
Oh, teuerste Prinzessin, zeige uns den Ort....<br />
8
ERZÄHLER:<br />
1:ZAUBERER:<br />
Die Eule verließ mit den Störchen das Gemach <strong>und</strong> führte sie durch<br />
lange, finstere Gänge zu jenem Saal, wo sich die Zauberer in dieser<br />
Nacht versammeln sollten. Endlich strahlte ihnen aus einer<br />
halbverfallenen Mauer ein heller Schein entgegen. Durch eine Öffnung<br />
konnten sie einen großen Saal übersehen. In der Mitte des Saales stand<br />
ein r<strong>und</strong>er Tisch, um den die Zauberer saßen. Die Störche hörten<br />
gerade, wie ein Zauberer den anderen fragte:<br />
Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?<br />
2. ZAUBERER: Ein recht schweres lateinisches, es heißt: „Mutabor“.<br />
ERZÄHLER:<br />
KALIF:<br />
ERZÄHLER:<br />
KALIF UND<br />
GROSSWESIR:<br />
ERZÄHLER:<br />
PRINZESSIN:<br />
KALIF:<br />
ERZÄHLER:<br />
Die Störche gerieten außer sich vor Freude. Sie liefen auf ihren langen<br />
Füßen so schnell dem Tor der Ruine zu, dass die Eule kaum folgen<br />
konnte. Dort sprach der Kalif gerührt zur Eule:<br />
Retterin meines Lebens <strong>und</strong> des Lebens meines Fre<strong>und</strong>es, nimm mich<br />
zum ewigen Dank für das, was du uns getan hast, zum Gemahl an.<br />
Dann aber wandten sich die Störche nach Osten <strong>und</strong> neigten ihre langen<br />
Hälse dreimal der Sonne entgegen, die soeben hinter dem Gebirge<br />
heraufstieg <strong>und</strong> riefen aus vollem Halse:<br />
Mu--ta-- bor!<br />
Im Nu waren sie verwandelt <strong>und</strong> in der hohen Freude des<br />
neugeschenkten Lebens lagen Herr <strong>und</strong> Diener lachend <strong>und</strong> weinend<br />
einander in den Armen. Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich<br />
umsahen. Eine schöne Prinzessin, herrlich geschmückt, stand vor ihnen.<br />
Lächelnd gab sie dem Kalifen die Hand.<br />
Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?<br />
Es ist mein größtes Glück, dass ich Storch gewesen bin.<br />
Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Dort hatte man<br />
inzwischen den Kalifen <strong>und</strong> seinen Großwesir für tot ausgegeben <strong>und</strong><br />
das Volk war daher hoch erfreut, als es seinen geliebten Herrscher in<br />
bester Ges<strong>und</strong>heit wieder sah.<br />
Lange <strong>und</strong> vergnügt lebte der Kalif mit seiner Frau, der Prinzessin, <strong>und</strong><br />
immer wieder mussten sie ihren zahlreichen <strong>Kinder</strong>n die Geschichte<br />
erzählen, wie er als Storch seine w<strong>und</strong>erschöne Gemahlin in Gestalt<br />
einer Nachteule gef<strong>und</strong>en hatte.<br />
≈<br />
9