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Moment sehe ich Bozava, während Ina<br />

von der schönsten Zeit des Jahres erzählt,<br />

im Bilde des Glücks. Und inmitten dieses<br />

schönen Moments fällt mir ein Aperçu<br />

Gottfried Benns ein: Der Consensius omnium<br />

ist mir nicht einmal einen Kohlweißling wert,<br />

wie er über jedem Bauernhof schwebt. Nun<br />

schweben sie bei uns aber nicht mehr, die<br />

Kohlweißlinge, und jeder Schmetterling, wie<br />

sie es in meiner Kindheit noch zu Hunderten<br />

gab, rührt mich. Und so wird der Kohlweißling<br />

ein halbes Jahrhundert später – in den<br />

deutschen Zeiten sozialer Kälte – wertvoll wie<br />

auch der Consensius omnium, den der antidemokratische<br />

Benn zu Unrecht verachtete.<br />

Ina hat Philosophie in Zadar studiert,<br />

das an der dalmatinischen Küste, nur<br />

anderthalb Fährstunden von Dugi Otok<br />

entfernt liegt. Zu Beginn ihres Studiums<br />

lag der Schwerpunkt noch auf Analytischer<br />

Philosophie. Nur ein Professor, Heidegger-<br />

Schüler, lehrte Ontologie. Nach dem Ende<br />

des jugoslawischen Krieges begann der junge<br />

kroatische Staat mit der Neuorientierung<br />

der Universitäten. Die Christdemokraten<br />

hatten die ersten parlamentarischen Wahlen<br />

gewonnen. Fünfzig Jahre zwangsverordneter<br />

Sozialismus hatte ein Sinnvakuum<br />

hinterlassen. Und das konnte, ähnlich wie<br />

in Deutschland nach 1945, die Kirche am<br />

schnellsten füllen. Die Macht der Tradition.<br />

Dementsprechend vollzog sich auch in der<br />

philosophischen Fakultät in Zadar ein Paradigmawechsel.<br />

Der Lehrplan wurde traditionell<br />

ausgerichtet: Griechische Philosophie,<br />

Scholastik, Ontologie und Existentialismus.<br />

Ausgerechnet der Professor, der beim Urvater<br />

der Existenzphilosophie, bei Heidegger,<br />

studiert hatte und in den Zeiten des<br />

Sozialismus seine philosophischen Wurzeln<br />

nicht verraten hatte, wurde der Lehrauftrag<br />

entzogen. Das hatte einen einfachen Grund:<br />

Er war Serbe.<br />

Ina bedauert es, dass er gehen musste.<br />

Weil sie es falsch und ungerecht findet. Und<br />

obwohl sie Heidegger nicht mag. Sie mag<br />

Philosophien, which are in strong contact with<br />

life.<br />

Ina ist eine emanzipierte, kluge und<br />

schöne Frau und sie ist – wie viele Philosophinnen<br />

und Philosophen auf der ganzen<br />

Welt – arbeitslos. Philosophie produziert<br />

keine Artefakte und reine Ideen kann man<br />

schwer verkaufen und so wartet Ina in diesem<br />

Sommer auf eine entscheidende Wende in<br />

ihrem Leben.<br />

Der Busfahrer von Dugi Otok<br />

Man muss sich den Busfahrer von Dugi<br />

Otok als einen glücklichen Menschen vorstellen:<br />

ein moderner Sysiphos. Sein Berg ist der<br />

Fahrplan, der sich nach der Fähre richtet, die<br />

nur zweimal zwischen der Insel und Zadar<br />

verkehrt und die Reisenden mit ihren zumeist<br />

klimatisierten Automobilen ausspuckt.<br />

So ist der altersschwache und überhitzte Bus<br />

fast immer leer. Die Insulaner haben eigene<br />

Autos und wer keines hat, ist meist alt und<br />

bleibt am Ort. Selten habe ich mehr als zwei<br />

Personen in dem Bus gesehen und gut könnte<br />

es sein, dass der Busfahrer von Dugi Otok<br />

sich die Sinnfrage stellt. Ebenso gut könnte<br />

es aber auch sein, dass er genau das nicht tut,<br />

dass er absieht von allen Fragen der Effizienz<br />

und einfach die Panoramaaussicht von der<br />

schönsten Inselstraße der Welt, wie er sagt,<br />

genießt. Es könnte sein, dass ihn der Anblick<br />

der Buchten von Veli Rat und Soline, auf<br />

die er aus der Höhe schwebend zufährt, zu<br />

einem Menschen macht, der sich im Olymp<br />

wähnt. Es könnte aber auch sein, dass der<br />

Blick auf die vielen Inseln, die zwischen Dugi<br />

Otok und dem Festland liegen, lediglich<br />

zu einem zufriedenen und freundlichen<br />

Menschen machen, der das wechselnde Licht<br />

liebt, das die wechselnden Winde bringen:<br />

Die Klarheit und Transparenz des Maestral,<br />

der vom Meer her weht und der die Inseln<br />

in plastischer Klarheit hervortreten lässt<br />

und den Yugo, den warmen Wind, der vom<br />

Süden her weht und die Wellen aufpeitscht,<br />

der Gewitter und Wetterwechsel ankündigt<br />

und die Eilande in einen impressionistischen<br />

Dunst taucht, in dem sie miteinander zu<br />

verschweben scheinen. Es könnte sein, dass<br />

der Busfahrer von Dugi Otok süchtig ist<br />

nach diesem Naturschauspiel, denn in den<br />

Fahrpausen, während der Fährverkehr ruht,<br />

sah ich ihn stets mit seiner Frau vor seinem<br />

winzigen Haus sitzen, den Blick auf Meer<br />

und Inselwelt gerichtet.<br />

Als unsere Hausherren nach ihrem eigenen<br />

Urlaub auf der Insel heim nach Zadar<br />

mussten, fand ich unsere Hauskatze, der wir<br />

den Namen Kazimir gegeben hatten, vor<br />

dem als Ersatzteillager genutzten alten Bus<br />

wieder, der neben dem Haus des Busfahrers<br />

abgestellt war. Ich fuhr langsam vorbei und<br />

war froh, dass es Kazimir noch gab. Der Busfahrer<br />

beobachtete uns, lächelte und grüßte<br />

uns freundlich. Wann immer wie ihn auf<br />

unseren Fahrten trafen, trat dieses freundliche<br />

Lächeln auf sein Gesicht, das Ausdruck<br />

eines geheimen Wissens war. Und indem ich<br />

die Insel verlasse, entlasse ich den Busfahrer<br />

aus dem mythischen und philosophischen<br />

Klischee und denke ihn mir einfach als einen<br />

freundlichen und herzensguten Menschen,<br />

den ich gerne wieder sehen möchte.<br />

Heiner Bontrup<br />

Fotos: Heiner Bontrup<br />

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