21.11.2013 Aufrufe

Download - Druckservice HP Nacke KG

Download - Druckservice HP Nacke KG

Download - Druckservice HP Nacke KG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Vielleicht waren es die Erfolge im<br />

antifaschistischen Kampf, die über die<br />

Sorgen der Zeit, hinwegtrösteten: über das<br />

langsame Ausbluten des Dorfes, später über<br />

die Trauer um den Tod der Verwandten im<br />

jugoslawischen Krieg, über das Erstarren des<br />

Sozialismus im Ismus, schließlich über die<br />

Schließung der Sardinenfabrik im 40 Kilometer<br />

entfernten Sali und damit den Wegfall<br />

der letzten Arbeitsplätze.<br />

Bozava<br />

Noch ist Bozava wie Soline eine Welt der<br />

Vergangenheit. Die Töchter und Söhne der<br />

Nostalgie können hierher fahren auf der Suche<br />

nach einer imaginären Kindheit, die hier<br />

noch wirklich ist: Die Gassen des Dorfes sind<br />

zu schmal für Autos. Die elektrischen Leitungen<br />

sind über Land verlegt und der Strom<br />

wird über gläserne und porzellanene Verteiler<br />

in die Häuser geleitet. In dem wohnzimmergroßen<br />

Markt des Ortes steht Zelja Milin,<br />

eine hagere, resolute Dame im ewig blauen<br />

Kittel hinter der Kasse. Sie packt die Waren<br />

in Tüten. Nach wenigen Tagen kennt sie jeden<br />

Ankömmling und kein Einkauf vergeht,<br />

in dem wir uns nicht über das Wetter, die<br />

wechselnden Winde und die ebenso wechselnden<br />

Wahrscheinlichkeiten austauschen,<br />

ob in den kommenden Tagen Fleisch zu<br />

erwarten ist. Während die Windvorhersagen<br />

eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, sind die<br />

Ankündigungen der Fleischlieferungen ein<br />

Roulettespiel, abhängig von den undurchschaubaren<br />

Gesetzen des kroatischen Zeitund<br />

Logistik-Managements. Es ist eine Welt,<br />

in der noch nicht alles und jedes jederzeit<br />

verfügbar ist. Es gibt keine Bankautomaten;<br />

beim Zahlen wandern Scheine und<br />

Münzen von Hand zu Hand. Die Rückseite<br />

der Zwei-Kuna-Münze ziert ein Thunfisch.<br />

Doch Fisch kann man damit in Bozava nicht<br />

kaufen. Denn die Menschen in Bozava sind<br />

Selbstversorger und Alleskönner. Sie bauen<br />

ihre Häuser selbst, machen ihren Wein und<br />

Schnaps selbst und sie fischen selbst, wenn<br />

bei Dugi Otok die rote Sonne im Meer<br />

versinkt.<br />

Bozava, umgeben von Kiefernwäldern,<br />

Agaven und Tamarisken, mit seinen bunt<br />

leuchtenden Häusern, die einst die Tristesse<br />

des sozialistischen Alltags türkis und mintgrün,<br />

pompejirot und pfirsichfarben überstrahlten,<br />

öffnet sich der Zukunft: Und die<br />

heißt Tourismus. Schon ankern neben dem<br />

alten Fischerhafen Yachten aus ganz Europa.<br />

Auf der einen Seite der Bucht liegt bereits<br />

seit längerer Zeit eine Hotelanlage und auf<br />

der gegenüberliegenden Seite wachsen am<br />

Hang Apartments. Fast jedes Haus wirbt<br />

mit einem Hinweisschild Sobe, Zimmer. Und<br />

doch gehört am Abend, wenn die Sonne<br />

untergegangen ist, der Dorfplatz den Alten<br />

und Kindern. Mädchen halten Katzen-Babys<br />

im Arm und die Jungs aus Bozava spielen mit<br />

ihren Altersgenossen aus Italien, Ungarn oder<br />

Deutschland Fußball. Für halbe Stunden des<br />

Glücks sind sie Diego Armando Maradona<br />

oder Zinedine Zidane oder Lionel Messi.<br />

Biserka<br />

Biserka stammt aus Bozava und arbeitet als<br />

Deutschlehrerin an einer Schule in Zagreb.<br />

Doch in den Sommerferien verbringt sie die<br />

Zeit in Bozava, wo sie geboren wurde und<br />

wo ihre Eltern leben. Biserka spricht - was<br />

für viele Menschen hier ein Tabu ist - über<br />

den Krieg, von dem sie sagt, dass sie ihn<br />

bis heute eigentlich nicht begreifen kann.<br />

Die Serben, erzählt sie, sind nicht nach Dugi<br />

Otok gekommen. Zadar aber haben sie mit<br />

Mörsern und Granaten beschossen und aus der<br />

Luft bombardiert. Als es in der Stadt auf dem<br />

Festland mit den Bombardements losging,<br />

hatten die Menschen auf Dugi Otok Angst.<br />

Sie suchten die Häuser mit den stabilsten<br />

Kellern und versammelten sich in der<br />

Kirche. Der Pfarrer sagte ihnen, wann<br />

Angriffe bevorstehen und dass sie dann in<br />

die ausgesuchten Keller gehen sollten. Sie<br />

gingen. Immer wieder. Aber der Krieg ging<br />

an ihnen vorbei. Dugi Otok blieb im Windschatten<br />

der Geschichte. Doch die Spuren<br />

der Angst sind in die Seelen eingeschrieben.<br />

Wer den Krieg nicht erlebt hat, kann ihn sich<br />

nicht vorstellen, sagt Biserka. Als es in Zadar<br />

hieß, dass die Stadt bombardiert würde,<br />

nahmen die Eltern ihre eigenen Kinder als<br />

lebendige Schutzschilde. Die Kinder wurden<br />

nicht evakuiert. Ein Irrtum, zynisch fast wie<br />

die Angriffe auf eine wehrlose Stadt selbst.<br />

Die Logik des Krieges kennt die Gebote der<br />

Menschlichkeit nicht. Das zu wissen, wäre<br />

ein Gebot der Menschlichkeit gewesen.<br />

Doch Menschlichkeit ist stets das erste<br />

Opfer des Krieges. Das hatten die Bewohner<br />

der schönen Stadt Zadar vergessen, die anderthalb<br />

Jahre ohne Wasser und Licht war.<br />

Vor allem für die schwangeren Frauen und die<br />

jungen Mütter mit ihren Babys war es eine<br />

schlimme Zeit, erinnert sich Biserka.<br />

58

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!