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21.11.2013 Aufrufe

Friederike Zelesko geboren in Böheimkirchen, Niederösterreich. Sprachstudium in London, Übersetzerin. War Regierungsangestellte an der Bergischen Universität Wuppertal. Schreibt Lyrik und Prosa und ist Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller und der Künstlerinnengemeinschaft GEDOK. Beiträge in Literaturzeitschriften, Anthologien, im Funk und einer Kolumne der Frankfurter Rundschau. Zuletzt in der Anthologie: Fern vom Lärm der Welt, Tag + Nacht Verlag, Köln. Foto: Claudia Schüller Dichterlesung Und es begab sich, dass der Turm, der Fingerzeig der Stadtkirche, in der Abendsonne errötete. Draußen verpackten silberne Altweibersommerfäden das Bild einer heiligen Stadt und es herrschte ein mildes Licht. Drinnen, in der Kirche, herrschte die Stimme des Dichters. Er las die Geschichte „Das Rätsel“ aus seinem Werk: „Das Buch Maria Magdalena“. Der Dichter ließ mit kraftvoller Stimme Worte durch die Kirche wehen. Nur jedes zweite Wort stieg in die Höhe zu den Zuhörern und Anhängern, die unten keinen Platz mehr fanden, so wie ich, und deshalb auf der Galerie saßen. Obwohl die Zuhörer und Anhänger des Dichters von der Galerie eine gute Sicht auf den Altarraum hatten, wo er vor dem Mikrofon saß, ging ein falsches Echo durch den Kirchenraum. Das Echo verzerrte die Worte bevor sie oben ankamen. Der Dichter konnte nichts dafür, dass sich seine Stimme auf dem langen Weg nach oben im Lautknäuel verwirrte. Die oberen Lautsprecher waren verstummt. Sie konnten auch nicht repariert werden, denn unten wusste man nichts. Niemand oben hatte den Mut, die Lesung aus dem heiligen Buch Maria Magdalena zu unterbrechen und zu rufen: Wir verstehen nichts. Wir wollen die ganze Wahrheit über diese Frau aus Magdala hören, die mutig hinaustrat aus dem Haus der Patriarchen und an die Freiheit und Liebe glaubte. Die Rechtecke der Kirchenbänke waren bis auf den letzten Platz besetzt. Von oben sahen sie aus wie zwei Flickenteppiche, bunt durchwirkt mit Noppen, die sich als Köpfe der Zuhörer und Anhänger entpuppten. Der Mittelgang, die Seitengänge, auch der Gang, der die letzten Bankreihen waagrecht durchschnitt, waren frei, und ich wäre am liebsten ganz vorne, von mir aus auf dem kühlen Steinboden der Kirche gesessen, um das Wort meines Dichters zu hören. Aber dazu war es jetzt zu spät. Die Zeit schritt unaufhaltsam voran. Wer zu spät kommt, oder zu spät geboren wird, den bestraft das Leben. Ich fühlte mich wirklich bestraft, denn ich war mit der Bahn von weither angereist, um ihm zu begegnen. Er, von dem ich schon so viel gelesen und gehört hatte, und der der Verfasser des Buches der Bücher war. Eine große Menschenmenge war gekommen und ich erkämpfte mir einen Platz auf der Galerie. Und nun hörte ich nichts. Ich legte meine Hand 48

hinter mein Ohr, formte es zu einem Trichter. So ein Trichter funktioniert bei schwerhörigen Menschen schon seit alters her. Nichts zu machen. Auch da verstand ich nur jedes dritte Wort. Magdala … kostbares Salböl … folgte ihm … auf den Knien liegend … emporgehoben … als erste den auferstandenen Herrn gesehen…Verkünderin der frohen Botschaft... Apostelin… Vorsteherin… Urgemeinde … Sonnenaufgang... überirdisch... Statt eines Sonnenaufgangs floss der glühende Widerschein des Sonnenuntergangs irdisch in das Kirchenschiff. Kein Schiff ohne Wendeltreppen. Die einzige Wendeltreppe, die sich in diesem Schiff hinaufschraubte, war die Treppe zur Hochkanzel. Eine Predigtkanzel in schwindelerregender Höhe von fünf Metern mit einem Geländer aus metallisch glänzendem Glas, das auch den Kanzelplatz in einer schönen, weichen Rundung umfasste. Die Kanzel wirkte zurückgenommen. Nicht sie, sondern das gesprochene Wort sollte die Aufmerksamkeit erwecken. Das gesprochene Wort einer Frau und nicht das der heiligen Nachfolger des Herrn, die alles verdrehten und sich an die patriarchalische Macht klammerten, sollte gehört werden. Wie um dies zu unterstreichen, entdeckte ich Schriftzüge auf der matten Glasscheibe des Treppengeländers. Manche konnte ich entziffern, manche waren mir fremd. Nicht mein Ohr, sondern mein Auge war jetzt das Sinnesorgan, das umständehalber und fast verzweifelt auf Entdeckungsreise ging. Dies hier ist eine offene Kirche, stand groß gleich am Eingang und lud mich ein, auf der Suche nach einem stillen Platz im hektischen Treiben der heiligen Stadt über die Diffamierung und Herabsetzung des weiblichen Geschlechts durch die Nachfolger des Herrn nachzudenken, der den Frauen während seines unauslöschlich niedergeschriebenen Erdendaseins den Platz einräumte, der ihnen vorher verwehrt war. In diesem großen, mit hellem Holz gestalteten Kirchenraum lässt sich Selbstbewusstsein von Frauen in der Stille üben. Vielleicht ist dies aber auch ein Fehler und das Selbstbewusstsein der Frauen, auch meines, müsste lauter schreien. Meine Aufmerksamkeit bahnte sich wieder den Weg zur Kanzel. Ich glaubte ganz unten hebräische oder aramäische Schriftzüge zu erkennen, die ich nicht lesen konnte. So kamen die Übersetzer der Heiligen Schrift mit ins Spiel. Auch sie konnten nichts dafür, dass sich die Geschichte von der Frau aus Magdala von der Wahrheit immer weiter entfernte, wie im Gesellschaftsspiel Stille Post, über viele Treppen und Hürden hinweg, von Sprachen, wie aramäisch, koptisch, griechisch, syrisch, lateinisch und schließlich deutsch. Deutsch war meine Muttersprache, der ich vertraute, und ich glaubte einfach nicht, dass ein Wort, das nicht in die Zeit der Reformation passen wollte, einer Willkür zum Opfer fallen könnte. Die Turmspitze der Kirche zitterte erregt. Der Abendwind berührte zärtlich die von der untergehenden Sonne rosig gefärbte Haut der Kirchenfenster. Ihre Glut versank tief im Schoß der Dächer der heiligen Stadt, unter denen Gläubige ihr Abendbrot brachen. Die Reihen der Zuhörer und Anhänger der Lesung aus dem Buch der Maria Magdalena bebten ebenfalls vor Erregung. Gerade wurden sie an ein barockes Bild erinnert. Ich verstand nur den Namen des niederländischen Malers und das Bild erschien sofort vor meinen Augen. Der Maler zeigte die Frau zu Füßen des Herrn, so wie sich Braut und Bräutigam nach einer heiligen Hochzeit begegneten, fast nackt und in großer Schönheit. Die Hüfte des Herrn umschlang das purpurne Tuch der Könige. Die Frau, in weißes Linnen gehüllt, offenbarte ihre Unschuld. Züchtig kreuzte sie ihre Arme über ihre Nacktheit und bändigte gleichzeitig die Fülle ihres Haars. Durch einen Spalt von Zeigefinger und Mittelfinger der linken Hand lugte wie zufällig eine rosige Brust hervor. Die Zeit schritt unaufhaltsam voran. Sie zählte keine reuigen Sünder, sondern Menschen, die guten Willens sind. Der Herr vergibt für alle Zeit, denn die Liebe ist die größte Macht. So sprach der Dichter und sein letztes Wort stieg auf die Kanzel und erreichte endlich den Platz auf der Galerie, wo ich saß. Die frohe Botschaft der Frau aus Magdala war mächtig geworden. Auch nach der Lesung aus dem Buch Maria Magdalena kam ich nicht in die Nähe des Dichters. Zu lange brauchte ich für den Abstieg von oben. Er war bereits umringt von den namhaften Vätern der heiligen Stadt. Sie schüttelten lange seine Hände. Im Foyer der Kirche, das in seinem hellen Holzton warm leuchtete, wurde Wein gereicht und salziges Brot und auf dem Büchertisch lag das Werk des Dichters. An diesem Abend wurde es zum Vorzugspreis angeboten und wer nicht in Eile war, konnte es sich signieren lassen. Friederike Zelesko Sandra Neufeld RINKE TREUHAND GmbH – www.rinke.eu SERVICE-PAKETE WERDEN NACH DEN WÜNSCHEN UNSERER MANDANTEN MODULAR ABGESTIMMT – AUCH IM BEREICH DER PERSONALWIRTSCHAFT SCHAFFEN WIR FREI- RÄUME UND SICHERHEIT. NACHHALTIG GUT BERATEN. 49

Friederike Zelesko<br />

geboren in Böheimkirchen, Niederösterreich.<br />

Sprachstudium in London, Übersetzerin.<br />

War Regierungsangestellte an der Bergischen<br />

Universität Wuppertal.<br />

Schreibt Lyrik und Prosa und ist Mitglied<br />

im Verband Deutscher Schriftsteller und der<br />

Künstlerinnengemeinschaft GEDOK. Beiträge<br />

in Literaturzeitschriften, Anthologien, im Funk<br />

und einer Kolumne der Frankfurter Rundschau.<br />

Zuletzt in der Anthologie: Fern vom<br />

Lärm der Welt, Tag + Nacht Verlag, Köln.<br />

Foto: Claudia Schüller<br />

Dichterlesung<br />

Und es begab sich, dass der Turm, der Fingerzeig<br />

der Stadtkirche, in der Abendsonne<br />

errötete. Draußen verpackten silberne Altweibersommerfäden<br />

das Bild einer heiligen Stadt<br />

und es herrschte ein mildes Licht. Drinnen, in<br />

der Kirche, herrschte die Stimme des Dichters.<br />

Er las die Geschichte „Das Rätsel“ aus<br />

seinem Werk: „Das Buch Maria Magdalena“.<br />

Der Dichter ließ mit kraftvoller Stimme<br />

Worte durch die Kirche wehen. Nur<br />

jedes zweite Wort stieg in die Höhe zu den<br />

Zuhörern und Anhängern, die unten keinen<br />

Platz mehr fanden, so wie ich, und deshalb<br />

auf der Galerie saßen. Obwohl die Zuhörer<br />

und Anhänger des Dichters von der Galerie<br />

eine gute Sicht auf den Altarraum hatten, wo<br />

er vor dem Mikrofon saß, ging ein falsches<br />

Echo durch den Kirchenraum. Das Echo<br />

verzerrte die Worte bevor sie oben ankamen.<br />

Der Dichter konnte nichts dafür, dass sich<br />

seine Stimme auf dem langen Weg nach<br />

oben im Lautknäuel verwirrte. Die oberen<br />

Lautsprecher waren verstummt. Sie konnten<br />

auch nicht repariert werden, denn unten<br />

wusste man nichts. Niemand oben hatte<br />

den Mut, die Lesung aus dem heiligen Buch<br />

Maria Magdalena zu unterbrechen und zu<br />

rufen: Wir verstehen nichts. Wir wollen die<br />

ganze Wahrheit über diese Frau aus Magdala<br />

hören, die mutig hinaustrat aus dem Haus<br />

der Patriarchen und an die Freiheit und Liebe<br />

glaubte.<br />

Die Rechtecke der Kirchenbänke waren<br />

bis auf den letzten Platz besetzt. Von oben<br />

sahen sie aus wie zwei Flickenteppiche, bunt<br />

durchwirkt mit Noppen, die sich als Köpfe<br />

der Zuhörer und Anhänger entpuppten.<br />

Der Mittelgang, die Seitengänge, auch der<br />

Gang, der die letzten Bankreihen waagrecht<br />

durchschnitt, waren frei, und ich wäre am<br />

liebsten ganz vorne, von mir aus auf dem<br />

kühlen Steinboden der Kirche gesessen, um<br />

das Wort meines Dichters zu hören. Aber dazu<br />

war es jetzt zu spät. Die Zeit schritt unaufhaltsam<br />

voran. Wer zu spät kommt, oder zu<br />

spät geboren wird, den bestraft das Leben. Ich<br />

fühlte mich wirklich bestraft, denn ich war<br />

mit der Bahn von weither angereist, um ihm<br />

zu begegnen. Er, von dem ich schon so viel<br />

gelesen und gehört hatte, und der der Verfasser<br />

des Buches der Bücher war. Eine große<br />

Menschenmenge war gekommen und ich erkämpfte<br />

mir einen Platz auf der Galerie. Und<br />

nun hörte ich nichts. Ich legte meine Hand<br />

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