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Da bleiben Fragen offen Schon zu Beginn bleiben viele Fragen offen, als ganze zehn Minuten lang eigentlich nichts passiert, außer daß sich unter dröhnendem Maschinengeräusch Gestalten durch einen Gazevorhang winden. Theaterprovokation dieser Machart ist überholt. Das hat Sybille Fabian wohl nicht verstanden, als sie Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ für das Wuppertaler Schauspiel inszenierte und am Samstag als Premiere in Remscheid vor vollem Haus auf die Bühne brachte. Offen bleibt – ganz am Rande – auch die Frage, wieso zwar der Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung (zuverlässig wie stets) samt Familie zur Premiere erschien, die Remscheider Oberbürgermeisterin (uninteressiert wie immer) bei diesem kultur- und regionalpolitisch hochkarätigen Termin durch Abwesenheit glänzte und auch kein anderer Offizieller der Stadt Remscheid sich sehen ließ. Ein Affront. Die Stadt Güllen ist bankrott. Die Stadt, jeder einzelne Bürger ist verschuldet. Vieles ist bereits gepfändet, die Einwohner und Administrativen einschließlich der Polizei (Thomas Braus) stehen im kurzen Hemd da, dem Bürgermeister (Markus Haase) ist von seiner Würde nichts als der Kummerbund geblieben, dem Pfaffen (Heisam Abbas) nur der einfachste Rock. Ihre Bewegungsfreiheit ist auf ein geringes Schrittmaß begrenzt. Nicht einmal wichtige Züge halten mehr in Güllen. Geld muß her. Dringend. Wie aber die Pleite abwenden? Da kommt den Güllener Honoratioren, die sich Ort und Einfluß teilen, ihre einstige Schulkameradin Klara Wäscher (An Kuohn) recht, die sich durch die Ehe mit einem armenischen Mogul zur Milliardärin hochgeerbt hat und nun Claire Zachanassian heißt. Sie hat ihren Besuch und Hilfe angekündigt – und ausgerechnet Alfred Ill (Harald Schwaiger) fällt die Aufgabe zu, Claire zu umgarnen. Dafür soll er den Posten des für die Pleite verantwortlichen Bürgermeisters bekommen. Foto oben: v.l.n.r. Thomas Braus, Marco Wohlwend, Heisam Abbas Mitte: Harald Schwaiger unten: v.l.n.r. Thomas Braus, Silvia Munzón López, Markus Haase, Heisam Abbas,Marco Wohlwend, Juliane Pempelfort, Hanna Werth / Schaukel: An Kuohn 46
Tanz ums goldene Kalb Harsch und zynisch jedoch macht Claire, die von Anbeginn Güllen mit der Macht ihres Geldes und zerstörerischer Stimmfrequenz in Schach hält, dem Wahn ein Ende. Sie nennt ihren Preis: den Tod Alfred Ills, der sie vor Jahrzehnten geschwängert, verlassen, durch Meineid zur Hure gemacht und den Tod des gemeinsamen Kindes verschuldet hat. Dafür bietet sie Güllen 1 Milliarde Euro (bei der Uraufführung 1956 war es noch 1 Million - so inflationär hat sich die Welt entwickelt). Die lautstarke Empörung der Güllener sowie die scheinbar konsequente Ablehnung des unmoralischen Angebots wandelt sich subkutan, eine durch die Verbesserung der Garderobe sichtbar gemachte Veränderung, die auch Alfred Ill nicht entgeht. Der Tanz ums goldene Kalb hat längst begonnen. Claire wird nicht nachgeben, zu groß ist der Haß, aus dem heraus sie ihre „Gerechtigkeit“ brutal einfordert – und bekommen wird. v.l.n.r. Heisam Abbas, Harald Schwaiger, An Kuohn Starke Bilder, schroffe Striche Friedrich Dürrenmatt hat den Konflikt zwischen Geld und Moral, Schuld und Vergebung, Heuchelei und Aufrichtigkeit als moralische „tragische Komödie“ auf eine Spitze getrieben, bei der das Gelächter gallebitter ist. In Sybille Fabians dröhnender Inszenierung hat Gelächter im Stakkato kakophoner Klang-Kollagen, gepreßter, zerhackter, verzögerter Sprache keine Chance. Im wuchtigen Bühnenbild von Herbert Neubecker, einem sich auf einen Erdhaufen zu verjüngenden, neonbeleuchteten Säulengang in Speer-Architektur, wird die zigmal geliftete, fast nur noch aus Ersatzteilen bestehende „alte Dame“ mit operativ eingefrorenem Grinsen zur grotesken Nebenfigur eines Dramas, in dem die Chargen zu beängstigenden Exempeln bürgerlicher Verlogenheit aufsteigen. Die Karikaturen, die Sybille Fabian hier mit schroffen Strichen zeichnet, gehen unter die Haut, ins Mark. Ein Haufen Arschkriecher. Thomas Braus als nach unten tretender Polizist, Markus Haase als an seinem Stuhl klebender salbadernder Bürgermeister, Marco Wohlwend als verlogener Humanist und vor allem Heisam Abbas in seiner körperlich gelebten Rolle des bigotten Pfarrers geben dem Stück den schauspielerischen Glanz, der der Inszenierung ansonsten abgeht. Silvia Munzón López zeigt in vielen kleinen Rollen (herrlich: ihr Pfändungsbeamter) Wandlungsfähigkeit, und Juliane Pempelfort holt aus Mathilde, der farblos inszenierten Ehefrau Alfred Ills doch noch Farbe heraus. Was inhaltlich in qualvoll künstlich gedehnten zweieinviertel Stunden dadurch bisweilen langweilig auf die Bühne gebracht wurde, hätte in einer gerafften Aufführung eventuell überzeugen können. Sybille Fabian hat ihren bisherigen, teils auch kontrovers diskutierten Arbeiten für die Wuppertaler Bühnen (Kafka: „Der Prozeß“, Wedekind: „Lulu“, Molnar: „Liliom“) mit der ihr eigenen wuchtigen Bildsprache eine neuerlich das Bild vom bürgerlichen Theater umstürzende Inszenierung hinzugefügt. Das kam nicht bei allen Zuschauern der Premiere gut an, viele, sehr viele verließen die Aufführung vor der Zeit. Ein grausamer Spaß „Klara, sag, daß das alles nur ein Spaß, ein grausamer Spaß ist!“ Diesen verzweifelten Satz Alfred Ills mochte mancher der tapfer ausharrenden Zuschauer noch im Ohr haben, als er nach zweieinviertel quälenden Stunden ohne Pause den Saal des Teo Otto Theaters in Remscheid verließ. Man muß Sybille Fabians „Besuch der alten Dame“ nicht mögen, aber man sollte ihn vielleicht doch gesehen haben. Wenn auch nur als abschreckendes Beispiel für mißverstandenes Theater. Premiere war am Samstag, 6. April 2013, 19.30 Uhr als Gastspiel der Wuppertaler Bühnen vor nahezu ausverkauftem Haus im Remscheider Teo Otto Theater. Die Kooperation der Theater endet nach dieser Spielzeit durch Aufkündigung seitens Remscheid. Die Wuppertaler Premiere war am 17. Mai im Opernhaus. Frank Becker www.wuppertaler-buehnen.de 47
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Tanz ums goldene Kalb<br />
Harsch und zynisch jedoch macht Claire, die<br />
von Anbeginn Güllen mit der Macht ihres<br />
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Schach hält, dem Wahn ein Ende. Sie nennt<br />
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bietet sie Güllen 1 Milliarde Euro (bei der<br />
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so inflationär hat sich die Welt entwickelt).<br />
Die lautstarke Empörung der Güllener<br />
sowie die scheinbar konsequente Ablehnung<br />
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subkutan, eine durch die Verbesserung der<br />
Garderobe sichtbar gemachte Veränderung,<br />
die auch Alfred Ill nicht entgeht. Der Tanz<br />
ums goldene Kalb hat längst begonnen.<br />
Claire wird nicht nachgeben, zu groß ist der<br />
Haß, aus dem heraus sie ihre „Gerechtigkeit“<br />
brutal einfordert – und bekommen wird.<br />
v.l.n.r. Heisam Abbas, Harald Schwaiger, An Kuohn<br />
Starke Bilder, schroffe Striche<br />
Friedrich Dürrenmatt hat den Konflikt<br />
zwischen Geld und Moral, Schuld und<br />
Vergebung, Heuchelei und Aufrichtigkeit<br />
als moralische „tragische Komödie“ auf<br />
eine Spitze getrieben, bei der das Gelächter<br />
gallebitter ist. In Sybille Fabians dröhnender<br />
Inszenierung hat Gelächter im Stakkato<br />
kakophoner Klang-Kollagen, gepreßter, zerhackter,<br />
verzögerter Sprache keine Chance.<br />
Im wuchtigen Bühnenbild von Herbert<br />
Neubecker, einem sich auf einen Erdhaufen<br />
zu verjüngenden, neonbeleuchteten<br />
Säulengang in Speer-Architektur, wird die<br />
zigmal geliftete, fast nur noch aus Ersatzteilen<br />
bestehende „alte Dame“ mit operativ<br />
eingefrorenem Grinsen zur grotesken Nebenfigur<br />
eines Dramas, in dem die Chargen<br />
zu beängstigenden Exempeln bürgerlicher<br />
Verlogenheit aufsteigen. Die Karikaturen,<br />
die Sybille Fabian hier mit schroffen Strichen<br />
zeichnet, gehen unter die Haut, ins Mark.<br />
Ein Haufen Arschkriecher.<br />
Thomas Braus als nach unten tretender<br />
Polizist, Markus Haase als an seinem Stuhl<br />
klebender salbadernder Bürgermeister,<br />
Marco Wohlwend als verlogener Humanist<br />
und vor allem Heisam Abbas in seiner körperlich<br />
gelebten Rolle des bigotten Pfarrers<br />
geben dem Stück den schauspielerischen<br />
Glanz, der der Inszenierung ansonsten<br />
abgeht. Silvia Munzón López zeigt in vielen<br />
kleinen Rollen (herrlich: ihr Pfändungsbeamter)<br />
Wandlungsfähigkeit, und Juliane<br />
Pempelfort holt aus Mathilde, der farblos<br />
inszenierten Ehefrau Alfred Ills doch noch<br />
Farbe heraus. Was inhaltlich in qualvoll<br />
künstlich gedehnten zweieinviertel Stunden<br />
dadurch bisweilen langweilig auf die Bühne<br />
gebracht wurde, hätte in einer gerafften<br />
Aufführung eventuell überzeugen können.<br />
Sybille Fabian hat ihren bisherigen, teils auch<br />
kontrovers diskutierten Arbeiten für die<br />
Wuppertaler Bühnen (Kafka: „Der Prozeß“,<br />
Wedekind: „Lulu“, Molnar: „Liliom“) mit<br />
der ihr eigenen wuchtigen Bildsprache eine<br />
neuerlich das Bild vom bürgerlichen Theater<br />
umstürzende Inszenierung hinzugefügt. Das<br />
kam nicht bei allen Zuschauern der Premiere<br />
gut an, viele, sehr viele verließen die Aufführung<br />
vor der Zeit.<br />
Ein grausamer Spaß<br />
„Klara, sag, daß das alles nur ein Spaß, ein<br />
grausamer Spaß ist!“ Diesen verzweifelten<br />
Satz Alfred Ills mochte mancher der tapfer<br />
ausharrenden Zuschauer noch im Ohr<br />
haben, als er nach zweieinviertel quälenden<br />
Stunden ohne Pause den Saal des Teo Otto<br />
Theaters in Remscheid verließ. Man muß<br />
Sybille Fabians „Besuch der alten Dame“<br />
nicht mögen, aber man sollte ihn vielleicht<br />
doch gesehen haben. Wenn auch nur als<br />
abschreckendes Beispiel für mißverstandenes<br />
Theater.<br />
Premiere war am Samstag, 6. April 2013,<br />
19.30 Uhr als Gastspiel der Wuppertaler<br />
Bühnen vor nahezu ausverkauftem Haus im<br />
Remscheider Teo Otto Theater. Die Kooperation<br />
der Theater endet nach dieser Spielzeit<br />
durch Aufkündigung seitens Remscheid.<br />
Die Wuppertaler Premiere war am 17.<br />
Mai im Opernhaus.<br />
Frank Becker<br />
www.wuppertaler-buehnen.de<br />
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