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der Verstand in die Trompete<br />

sind die Gedichte Herta Müllers – wie<br />

auch ihre Prosa – nicht hermetisch; der<br />

Leser kann durch den ganz eigenen, unverwechselbaren<br />

Rhythmus und Duktus der<br />

Verse eintauchen in die Fülle der Sprachbilder<br />

und sich selbst (s)einen eigenen oder<br />

auch kollektiven Reim darauf machen:<br />

wie bei den vier Zeilen oben, in denen<br />

das Lied – trotz der lauernden Bedrohung<br />

durch das Messer – sich sein Glück holt<br />

– „woher es kann“. Dass Herta Müller die<br />

Gedichte nicht nur niederschreibt, sondern<br />

aus Worten, Buchstaben, Bildern, die sie<br />

in Zeitungen und Zeitschriften findet, zusammenfügt,<br />

macht den Prozess poetischer<br />

Transformation der Wirklichkeit umso<br />

sinnfälliger. Ihre Dichtungen sind zugleich<br />

sehr real und voller Magie.<br />

Oskar Pastior, der 2006 posthum den<br />

Georg-Büchner-Preis erhielt und Ernest<br />

Wichner, heute Leiter des Literaturhauses<br />

Berlin, von dem Herta Müller sagt, „dass<br />

wohl kaum jemand mein Werk so gut<br />

kennt wie er.“<br />

Doch ihre Gedichte und Romane sind<br />

nicht nur Ausdruck eines Kampfes um<br />

Freiheit und Würde, sie sind vor allem<br />

Sprachkunstwerke. In ihrem Gedichtband<br />

„Im Haarknoten wohnt eine Dame“ sind<br />

die Personen und Dinge des alltäglichen<br />

Lebens, was sie sind: Der Friseur ist ein<br />

Friseur, das Akkordeon ein Akkordeon<br />

und das Messer ein Messer. Im Sinnraum<br />

des Gedichtes aber werden die Dinge<br />

zu Chiffren, zu mehrdeutigen Zeichen,<br />

die ihre Bedeutungen erst im Kontext<br />

erfahren:<br />

Wenn der Friseur Akkordeon spielt<br />

Liegt noch das Messer auf dem Tisch<br />

und jedes Lied nimmt sich ein Glück<br />

woher es kann. […]<br />

Der lyrische Kosmos der Herta Müller ist<br />

reich bevölkert von solchen Dingsymbolen,<br />

die wohl der Lebenswelt der Dichterin als<br />

Mädchen und junger Frau entspringen und<br />

die für sie eine ganz persönliche magische<br />

Bedeutung haben. Über die Dinge der<br />

Außenwelt hat sie keine Macht; sie sind,<br />

was und wie sie sind. Der Trick der Freiheit<br />

aber besteht darin, den Dingen und<br />

Verhältnissen die Bedeutungen zu geben,<br />

die unsere Innenwelt ihnen zuweist. Daher<br />

Damit ist zugleich aber auch das poetische<br />

Programm, die verstörende und<br />

betörende sprachliche Schönheit der<br />

Dichtungen Herta Müllers, in einer<br />

ersten vorsichtigen Annäherung beschrieben.<br />

Eine Schönheit, die sich bereits in<br />

ihrem ersten Prosaband „Niederungen“<br />

findet. Dort beschreibt sie unter anderem<br />

die Schönheit des Landes, aber auch das<br />

Bedrückende ihrer Kindheit und Jugend,<br />

die Dummheit und das Dumpfe in den<br />

„Niederungen“ der Provinz, die Verlogenheiten<br />

und Lebenslügen ihrer Siebenbürger<br />

Landsmänner und -frauen, die den<br />

Wechsel von der faschistischen in die<br />

kommunistische Diktatur scheinbar problemlos<br />

in ihre Biographien integrieren<br />

konnten. Die rumänische Zensur greift<br />

stark in den Text ein, streicht missliebige<br />

Passagen, und dennoch empfinden viele<br />

Rumänendeutsche das Buch als Nestbeschmutzung;<br />

als eine „Apotheose des<br />

Hässlichen und Abstoßenden“, wie die<br />

westdeutsche Ausgabe des „Donauschwaben“<br />

1984 in einer von Hass erfüllten<br />

Besprechung titelt. Wer ideologisch sieht,<br />

ist eben blind für wahre Schönheit oder<br />

auch: die Schönheit der Wahrheit.<br />

In ihrem jüngsten Roman „Atemschaukel“<br />

schildert Herta Müller das Schicksal<br />

des fiktiven siebzehnjährigen Siebenbürger<br />

Sachsen Leopold Auberg, der im Januar<br />

1945 in ein ukrainisches Arbeitslager<br />

deportiert wird. „Es ist ein erschütternder<br />

Roman, [...] ein verstörendes Meisterwerk,<br />

mutig und sprachschöpferisch, ein<br />

Versuch, aus dem Inneren der Hölle zu<br />

sprechen, einer ganz eigenen, bildstarken<br />

Sprache, die dort Worte finden muss, wo<br />

die herkömmlichen versagen, das Grauen<br />

nicht zu fassen vermögen“, schreibt<br />

Karl-Markus Gauss in der Süddeutschen<br />

Zeitung.<br />

Dabei sind Sprache und Konstruktion<br />

des Romans nicht zuletzt ein Ergebnis der<br />

genauen Recherchen Herta Müllers. Ab<br />

2001 zeichnete sie die Erinnerungen von<br />

Betroffenen auf. Und sie begleitet ihren<br />

frühen literarischen Wegbegleiter Oskar<br />

Pastior (1927 – 2006) auf einer Reise in<br />

das Lager, in dem der Schriftsteller fünf<br />

Jahre lang als Zwangsarbeiter der UdSSR<br />

lebte. Eigentlich sollte es ihr gemeinsames<br />

Buch werden.<br />

Die Schrecken des Lagerlebens werden<br />

in einer Sprache geschildert, die wirklichkeitsnah<br />

und -gesättigt ist und sich<br />

zugleich wie ein hauchfeines lyrisches<br />

Gewebe über die Erinnerungen des Ich-<br />

Erzählers legt. Herta Müller gelingt das<br />

Kunststück der Verdichtung von Realistik<br />

und ihrer poetischen Transformation, in<br />

der die Dinge sind, was sie sind, und sie<br />

dennoch ihre eigene Magie für den Ich-<br />

Erzähler entfalten, eine Magie, in der die<br />

Kraft zum Überleben steckt. Ein Erzählund<br />

vielleicht auch ein Lebensmodell, das<br />

für den Leser – wie Weidermann sagt –<br />

„ein großes Glück“ ist.<br />

Heiner Bontrup<br />

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