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21.11.2013 Aufrufe

Boulevardkomödie im TiC-Theater Sardinen, Sex und sieben Türen Belinda Blair (Sabine Henke) strahlt Zuversicht aus: „Gibt es etwas Schöneres als Hauptproben?“ Doch sie liegt schief – es ist bereits die Generalprobe für den Schwank „Nackte Tatsachen“, die vor den Augen des verzweifelten Regisseurs Lloyd Dallas (charismatisch: Andreas Mucke) und seiner hilflosen Assistentin Poppy Norton-Taylor (bewußt blaß, still leidend, mit hängendem Rocksaum: Margarete Rosenbohm) einem grandiosen Scheitern entgegentaumelt. Keiner der drittklassigen Darsteller beherrscht seine Rolle, letzte Änderungswünsche fegt Lloyd brachial oder mit Psychologie beiseite. Die Tournee durch die englische Provinz muß auf und über die Bühne. Das Publikum im intimen TiC-Theater in Wuppertal-Cronenberg darf von dieser Generalprobe bis zur letzten turbulenten Vorstellung dabei sein, wenn auch stets nur im ersten Akt. Die Story… Deshalb kennt man bald auch die Story fast zum Mitsprechen und weiß dadurch die Nuancen zu schätzen. Ein ländliches Anwesen: Haushälterin Mrs. Clackett (Dotty Otley: Martina Anhang mit robuster Gleich- mut), die das Haus für den Eigentümer und Steuerflüchtling, den Theater-Autor Philip Brent (Frederick Fellowes: Alexander Bangen, sensibel, mit bei allem Klamauk dezenter Komik) und dessen Frau Flavia (Belinda Blair: Sabine Henke, mit solider Übersicht und herrlich bieder) in Schuß hält, will es sich bei einem Teller Sardinen (darauf muß man erst mal kommen) vor dem Fernseher bequem machen, um sich die Beerdigung von dem ... Dingsda... anzusehen. Die völlig sinnlos erscheinenden Dosenfische werden der geniale Running Gag. Weil er Brent in Spanien und Mrs. Clackett im Feierabend wähnt, will der Makler-Gehilfe Roger Tramplemain (Garry Lejeune: Christian Schulz, in zweifelnd nervöser Unbeholfenheit) die sturmfreie Bude mit der schnuckeligen Vicki (Brooke Ashton; Hannah Klein, als doofes Blondchen und in Dessous eine Offenbarung) für ein Schäferstündchen nutzen. Leer glaubt auch ein ehrpusseliger Einbrecher (Selsdon Mowbray: Hartwig Kolbe, mit trockenem Humor einer, der mehr versteht, als die anderen glauben) das Haus. Und die Brents kommen heimlich nach Hause, um im eigenen Bett ihren Hochzeitstag zu feiern. 34

Natürlich treffen alle in den unmöglichsten Konstellationen aufeinander. …und ihre Elemente Techniker und Mädchen für alles Tim Allgood (Alexander Klein, von hinreißender Müdigkeit), der seit 48 Stunden nicht geschlafen hat, klemmende Türen richten muß und auch noch für den zeitweise verschwundenen Selsdon Selsdon in der Rolle als Einbrecher einspringen soll, schläft quasi im Stehen und rundet die Truppe, die das völlig über drehte Stück Screwball umsetzen soll, eine Farce im Geiste Eugène Labiches und Dario Fos, in dem auch Bettlaken, Pappkartons, ein klebender Brief und - ja, Sardinen eine Rolle spielen. Dazu Eifersüchteleien, hochkochende Gefühle, viele Mißverständnisse, noch einmal Sardinen, immer wieder Sardinen, ein Scheich mit Scheichin, etliche falsch adressierte Blumensträuße sowie ein Telefon und – ja, Sardinen. Von den hoch motivierten Schauspielern wird in dem atemberaubend rasanten, höchst turbulenten und intelligenten Stück in Iljas Enkaschews pfiffigem Bühnenbild (7 Türen, ein Vorhang, ein Fenster zum Einbrechen und ein ohne Drehbühne brillant gelöstes „Backstage“) viel verlangt. Sie geben es und noch mehr. Interna Die Handlung parallel zum Stück: Der übersensible Garry hat ein Verhältnis mit der wesentlich älteren Dotty. Frederick kann keine Gewalt ertragen, bekommt davon sofort Nasenbluten. Belinda ist betulich und sucht den Ausgleich – aber nur bis zu einer gewissen Grenze. SeIsdon ist nicht so recht durchschaubar, wird als Alkoholiker verdächtigt, ist aber nicht ein einziges Mal betrunken. Aber dafür Dotty bei der Dernière. Regisseur Lloyd hat was mit Brooke, die in tumber Ahnungslosigkeit und mit leerem Blick viel blonden Sex versprüht. Und er hatte auch was mit Poppy, die, wir erfahren es im ungünstigsten Moment wie es sich gehört, ein Kind von ihm erwartet. Stumme und stürmische Turbulenzen, eine im wortlosen Ringen von Hand zu Hand gehende Feueraxt, Whisky-Flaschen, Blumensträuße und Sardinenteller halten die Zwerchfelle in Bewegung. Hannah Klein ist eine Entdeckung. Zuckersüß und strohdoof schmeißt ihre Brooke als talentfreies Dummchen Szene um Szene, weil sie zwar kurvenreich, aber talentfrei keinen Plan hat und gelegentlich auch mal ihre Kontaktlinsen verliert. Als schließlich aber alles aus dem Leim geht, zieht sie als einzige unbeirrt textsicher ihren Streifen durch – köstlich. Theater auf dem Theater Theater auf dem Theater ist stets eine Delikatesse, Boulevard ein allzu oft unterschätztes Genre. Boulevard über Boulevard ist ein geradezu abenteuerliches Unternehmen. Michael Frayns Farce „Der nackte Wahnsinn“ gehört zum Schwierigsten, was die Branche zu bieten hat, aber auch zum Besten, ein Sprachkunstwerk und ein Meisterwerk an Präzision - wenn es gelingt. Thomas Gimbel setzt Frayns Meisterwerk, das vor 27 und vor sechs Jahren an den Wuppertaler Bühnen (hier war Gimbel von 1991-1998 Ensemblemitglied) volle Häuser feiern konnte und vor 13 Jahren mit der Wuppertaler Theatertruppe „neue WuTh“ (der Thomas Gimbel auch einmal angehörte) einen Sensationserfolg hatte, mit leicht erscheinender, sicherer Hand so um, wie Frayn es sich wohl gedacht hat. Das Ergebnis überzeugt von der ersten Sardine bis zum letzten Einbrecher. Lassen Sie sich im TiC für zweieinhalb Stunden bestens unterhalten. Frank Becker Fotos Martin Mazur Weitere Informationen: www.tic-theater.de 35

Boulevardkomödie im<br />

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Sardinen, Sex und sieben Türen<br />

Belinda Blair (Sabine Henke) strahlt<br />

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Hauptproben?“ Doch sie liegt schief – es ist<br />

bereits die Generalprobe für den Schwank<br />

„Nackte Tatsachen“, die vor den Augen<br />

des verzweifelten Regisseurs Lloyd Dallas<br />

(charismatisch: Andreas Mucke) und seiner<br />

hilflosen Assistentin Poppy Norton-Taylor<br />

(bewußt blaß, still leidend, mit hängendem<br />

Rocksaum: Margarete Rosenbohm) einem<br />

grandiosen Scheitern entgegentaumelt.<br />

Keiner der drittklassigen Darsteller<br />

beherrscht seine Rolle, letzte Änderungswünsche<br />

fegt Lloyd brachial oder mit<br />

Psychologie beiseite. Die Tournee durch<br />

die englische Provinz muß auf und über<br />

die Bühne. Das Publikum im intimen<br />

TiC-Theater in Wuppertal-Cronenberg<br />

darf von dieser Generalprobe bis zur letzten<br />

turbulenten Vorstellung dabei sein, wenn<br />

auch stets nur im ersten Akt.<br />

Die Story…<br />

Deshalb kennt man bald auch die Story fast<br />

zum Mitsprechen und weiß dadurch die<br />

Nuancen zu schätzen. Ein ländliches Anwesen:<br />

Haushälterin Mrs. Clackett (Dotty Otley:<br />

Martina Anhang mit robuster Gleich-<br />

mut), die das Haus für den Eigentümer und<br />

Steuerflüchtling, den Theater-Autor Philip<br />

Brent (Frederick Fellowes: Alexander Bangen,<br />

sensibel, mit bei allem Klamauk dezenter<br />

Komik) und dessen Frau Flavia (Belinda<br />

Blair: Sabine Henke, mit solider Übersicht<br />

und herrlich bieder) in Schuß hält, will es<br />

sich bei einem Teller Sardinen (darauf muß<br />

man erst mal kommen) vor dem Fernseher<br />

bequem machen, um sich die Beerdigung<br />

von dem ... Dingsda... anzusehen. Die völlig<br />

sinnlos erscheinenden Dosenfische werden<br />

der geniale Running Gag.<br />

Weil er Brent in Spanien und Mrs. Clackett<br />

im Feierabend wähnt, will der Makler-Gehilfe<br />

Roger Tramplemain (Garry Lejeune:<br />

Christian Schulz, in zweifelnd nervöser<br />

Unbeholfenheit) die sturmfreie Bude mit<br />

der schnuckeligen Vicki (Brooke Ashton;<br />

Hannah Klein, als doofes Blondchen und<br />

in Dessous eine Offenbarung) für ein<br />

Schäferstündchen nutzen. Leer glaubt<br />

auch ein ehrpusseliger Einbrecher (Selsdon<br />

Mowbray: Hartwig Kolbe, mit trockenem<br />

Humor einer, der mehr versteht, als die<br />

anderen glauben) das Haus. Und die Brents<br />

kommen heimlich nach Hause, um im<br />

eigenen Bett ihren Hochzeitstag zu feiern.<br />

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