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Frei wie der Wind<br />

Seit zwei Jahrzehnten segelt das als «Seenomaden» bekannte Paar Doris Renoldner<br />

(44) und Wolf Slanec (56) aus Österreich über alle Meere. Den Globus umrundeten<br />

sie bereits zwei Mal. Für «marina.ch» blickt Doris Renoldner zurück, erinnert sich,<br />

wie alles begann, wie sie gemeinsam Grenzen überschritten und manchmal ihre<br />

eigenen Limiten fanden.


Text: Doris Renoldner<br />

fotos: wolf Slanec<br />

So macht das Ankern Spa<strong>ss</strong>:<br />

Schnorcheln und Schlendrian<br />

vor Direction Island, Kokos<br />

Keeling im Indischen Ozean<br />

Vor gefühlten hundert Jahren lernte ich Wolf kennen.<br />

Wir waren jung und so schön, wie es Ende der 80er<br />

Jahre möglich war, sa<strong>ss</strong>en im Café Hummel und teilten<br />

uns eine Mélange. Der Kaffee war rasch aus getrunken,<br />

Wolf voll in Fahrt. Er erzählte, da<strong>ss</strong> er ein Boot besitze<br />

und davon träume, um die Welt zu segeln. Wortreich<br />

schilderte er von gestrandeten Yachten, von Au<strong>ss</strong>teigern<br />

auf Gomera, vom Sturm in der Stra<strong>ss</strong>e von<br />

Gibraltar. Ich glaubte ihm kein Wort. Aber er gefiel mir.<br />

Dann traf ich ihn wieder und erkannte, da<strong>ss</strong> er der<br />

freieste Mensch war, den ich jemals getroffen hatte.<br />

Ein Sparbuch oder ein guter Job waren ihm egal, er trug<br />

lange Haare und bunte Brillen und zeigte mir, da<strong>ss</strong> man<br />

sein Leben auch au<strong>ss</strong>erhalb vorgestanzter Schablonen<br />

führen kann. Mittlerweile sind wir verheiratet, haben<br />

zweimal die Welt umrundet und dabei 110 000 Seemeilen<br />

geloggt. 20 Jahre lang waren wir unterwegs.<br />

Das war kein zeitlich befristeter Au<strong>ss</strong>tieg, auch kein<br />

Trip oder Projekt – das war unser Leben. Wir hatten<br />

wenig und wir hatten viel. Viel Natur, viel Zweisamkeit<br />

und Selbstbestimmung. Ein Sein im Hier und Jetzt.<br />

«Nomad», unser Schiff, war unser schwimmendes<br />

Zuhause. Alles, was wir besa<strong>ss</strong>en, war in Armeslänge<br />

von uns entfernt. Was wir nicht mitführen konnten,<br />

fand Platz in der Erinnerung. Eine Lebensweise, die<br />

bestimmte Dinge vorau<strong>ss</strong>etzt: Gesundheit vor allem,<br />

und Urvertrauen. Und einen entspannten Umgang mit<br />

dem Mangel an Sicherheit.<br />

Im Januar 2002, vor Beginn unserer zweiten gro<strong>ss</strong>en<br />

Fahrt rumdum, standen wir vor einem altbekannten<br />

Problem. Wir brauchten Geld. Unsere Ersparni<strong>ss</strong>e<br />

waren in die Bootsrenovierung geflo<strong>ss</strong>en. Daher setzten<br />

wir auf zahlende Mitsegler, die uns während des<br />

ersten Reiseabschnitts begleiten sollten. Das zwingt<br />

zum Segeln nach Termin. Ein Wermutstropfen. Denn<br />

üblicherweise wu<strong>ss</strong>ten wir nicht, wo wir in einem<br />

Monat sein, noch was wir in einem halben Jahr tun<br />

würden. Au<strong>ss</strong>erdem sind die Routenplanung auf der<br />

Seekarte und die Umsetzung auf hoher See zwei verschiedene<br />

Paar Schuhe. Im Mittelmeer und bis hinaus<br />

in den Atlantik, da ging die Rechnung noch auf. Aber<br />

ab Argentinien war Schlu<strong>ss</strong> mit lustig. Spätestens dort<br />

bereuten wir, uns einen strikten Fahrplan auferlegt zu<br />

haben.<br />

Rundum Südamerika<br />

In Patagonien bestimmte der Wind unser Sein, er war<br />

das Ma<strong>ss</strong> aller Dinge, diktierte die Form der Bäume<br />

und lehrte uns Geduld und Respekt. In schlimmen<br />

Stürmen lernten wir unsere Feigheit kennen, durchschritten<br />

die Höllen der Angst, zitterten um unser<br />

Boot. Und zum ersten Mal auch um unser Leben. Ist<br />

68 Seaside märz 11 marina.ch seaside 69


Die lange Reise der Seenomaden<br />

65 000 Seemeilen, 30 Länder, 24 Zeitzonen,<br />

7 Jahre und 9 Monate: Die Reise begann im<br />

Herbst 2000 mit dem Kauf einer 12 Jahre<br />

alten Sonate Ovni 41, einem ausgemusterten<br />

Charterschiff aus Aluminium, das<br />

vor dem eigentlichen Ablegen von Izola,<br />

Slowenien, im Januar 2002 überholt werden<br />

mu<strong>ss</strong>te. Rückkehr nach Slowenien im<br />

Oktober 2009.<br />

Das Buch «Frei wie der Wind – Unter Segeln<br />

zu den entlegensten Winkeln der Welt» beschreibt<br />

die Weltumsegelung zu zweit: Einfühlsam,<br />

persönlich, berührend und herrlich<br />

selbstironisch. In ihrem mit Fotos reich<br />

illustrierten Buch la<strong>ss</strong>en Doris Renoldner<br />

und Wolf Slanec den Leser teil haben, nehmen<br />

ihn mit an Bord der Nomad. Die Seenomaden<br />

haben wahr gemacht, wonach<br />

sich viele sehnen: einmal um die Welt<br />

reisen, den eigenen Träumen nach.<br />

ISBN 978-3-200-01986-7<br />

Erhältlich im Buchhandel oder auf<br />

www.<strong>seenomaden</strong>.at<br />

alles überstanden, ist Mutigsein einfach, man kann<br />

darüber schreiben und reden. Aber nie sollte man die<br />

Demut verlieren, sie ist eine gute Begleiterin auf dem<br />

Meer. Als uns nach der Rundung des Zipfels von Südamerika<br />

ein Bootsnachbar in Puerto Williams fragte,<br />

woher wir gerade kämen, fühlten wir uns wie Helden<br />

und antworteten lä<strong>ss</strong>ig: «Kap Hoorn. Und du?» –<br />

«Antarktis», sagte er. Von wegen Heldentum…<br />

Mitte März – beginnender Herbst auf der Südhalbkugel<br />

– nahmen wir das längste und wildeste Fjordlabyrinth<br />

der Erde in Angriff: 2000 Seemeilen südchilenische<br />

Einsamkeit abseits jeglicher Zivilisation.<br />

Wochenlang kämpften wir um jede Meile Richtung<br />

Norden, gegen wütende Schneestürme, Hagelschauer<br />

und lähmende Flauten. Nä<strong>ss</strong>e und Kälte drangen<br />

durch Mark und Bein. Unsere nicht isolierte Nomad<br />

verwandelte sich in eine Tropfsteinhöhle. Das ständige<br />

Bangen, ob Anker und Landleinen halten, strapazierte<br />

unsere Nerven. Dazwischen entschädigte<br />

uns die Natur mit ungezähmter Schönheit für ihre<br />

schlechten Launen. Augenblicke, die sich für immer<br />

einbrannten: Nomads Bug, der sich knirschend durch<br />

Treibeis zu den Gletscherabbrüchen schiebt, das<br />

Schnaufen der Seelöwen, der rotierende Flügelschlag<br />

der Dampferenten, der erste Sonnenstrahl nach langer<br />

Schlechtwetterperiode. Ein Schatz an Erinnerungen,<br />

marina.ch<br />

Ralligweg 10<br />

3012 Bern<br />

Tel. 031 301 00 31<br />

marina@marina-online.ch<br />

www.marina-online.ch<br />

Tel. Abodienst: 031 300 62 56<br />

70 Seaside<br />

marina.ch märz 11<br />

märz 11 marina.ch


den uns niemand nehmen kann. Obwohl wir den<br />

Wettlauf mit dem Südwinter verloren, erreichten wir<br />

trotz allen Widrigkeiten Puerto Montt, das nördliche<br />

Ende des Fjordlabyrinths. Die Fahrt um Südamerika<br />

hatte uns alles abverlangt, aber auch reich beschenkt.<br />

Die härteste Konfrontation mit den Elementen war<br />

gleichzeitig die tiefste Begegnung mit dem Leben.<br />

Zeitlos im Pazifik<br />

Nach über einem Jahr in Patagonien wuchs in uns die<br />

Sehnsucht nach wärmeren, tropischen Gefilden. Im<br />

Februar 2004 steckten wir Nomads Bug in die unendliche<br />

Weite des Pazifiks, machten uns auf zu entlegenen<br />

Inseln, die unsere Fantasie seit der Kindheit<br />

beflügelt hatten. Traum und Wirklichkeit verschmolzen,<br />

als wir auf der Robinson-Crusoe-Insel jenen<br />

Au<strong>ss</strong>ichtspunkt erklommen, auf dem vor dreihundert<br />

Jahren der schottische Seemann Alexander Selkirk,<br />

alias Robinson Crusoe, Tag für Tag den Horizont nach<br />

einem rettenden Schiff abgesucht hatte. Auf der<br />

osterinsel ankerten wir in der Bucht von Anakena vor<br />

den geheimnisvollen Steingiganten namens Moai. Auf<br />

Pitcairn rasten wir auf einem halsbrecherischen Ritt<br />

mit Steve Christian, Ururur-Enkel des Bounty-Obermeuterers<br />

Christian Fletcher, durch die Brandung um<br />

in der Bounty-Bay zu ankern. In den Tuamotus traf<br />

Nomads Kurslinie jene von Susi Q, unserer ersten<br />

Yacht. Immer wieder hatten wir davon geträumt zu<br />

diesen Atollen zurückzukehren, zu diesen Eilanden,<br />

die unsere Gedanken wie magisch anzusaugen schienen.<br />

Jetzt waren wir hier. Wie schon vor neun Jahren<br />

fiel unser Anker im Süden des Fakarava Atolls. Lang<br />

erträumtes Wiedersehen mit unserem Freund Manihi,<br />

der heute statt der legendären Fischfallen eine kleine<br />

Pension betreibt. Zeitlos zogen wir durch das Reich<br />

der Atolle, erwachten jeden Morgen in einer Postkartenidylle.<br />

Vor einer unbewohnten Motu, einem<br />

Riffatoll, blieben wir einen ganzen Monat, ernährten<br />

uns von Fisch, Reis und Kokosnü<strong>ss</strong>en. Lagerfeuer am<br />

Strand inklusive. Ein simples Leben, schonend im Umgang<br />

mit Energie und Natur. Ein Leben zum Anfa<strong>ss</strong>en,<br />

fern von Emails, Facebook, TV-Berieselung, Fast Food<br />

und Rastlosigkeit. Waren wir jemals glücklicher?<br />

Doch so sparsam wir auch waren, die Bordka<strong>ss</strong>e<br />

blinkte auf Reserve und Nomad verlangte nach einer<br />

neuen Steuersäule. In Tahiti erwischte uns ein tropischer<br />

Sturm, der uns noch heute in den Knochen sitzt:<br />

Ein nicht angekündigter 60- bis 70-Knoten-Wind in<br />

stockdunkler Nacht, ein slippender Anker, dann die<br />

Kollision mit dem Nachbarboot. Dinghi und Windfahne<br />

aus der Heckplattform geri<strong>ss</strong>en und futsch,<br />

Propeller samt Welle verbogen, Bimini zerri<strong>ss</strong>en – ein<br />

Schock. Wir parkierten unsere lädierte Lady in einer<br />

Werft und flogen nach Wien, um Geld zu verdienen.<br />

Wir produzierten die Multimediashow «Um Kap<br />

Hoorn in die Südsee», tingelten damit durchs Land.<br />

Christian Berger, ein renommierter Kameramann, produzierte<br />

über uns die DVD-Doku «Leben mit dem<br />

Wind», die wir vertrieben. Als wir genug Geld beisammen<br />

hatten, kauften wir Flugtickets nach Tahiti.<br />

Zurück zu Nomad, zurück nach Hause<br />

Von Tahiti kreuzten wir gegen den Pa<strong>ss</strong>at zu den<br />

spektakulären Marquesas und gingen im Mai 2006<br />

ernsthaft auf Westkurs: Inseln, Inseln, Inseln. Auf<br />

suwarrow legten wir an, auf jenem legendären und<br />

unbewohnten Eiland innerhalb der Cook Islands, wo<br />

sich vor fünfzig Jahren Tom Neale hatte au<strong>ss</strong>etzen<br />

la<strong>ss</strong>en, um seinen Traum an der Realität zu me<strong>ss</strong>en.<br />

Innerhalb des Fidji-Archipels zielten wir auf die von<br />

Yachten kaum besuchte Lau Gruppe. Doch bereits<br />

Ende Oktober begann die Hurrikansaison. Man soll<br />

Zyklonen nicht auf der Nase herumtanzen. Wir machten<br />

uns nach Neuseeland davon, legten 1200 Seemeilen<br />

in sieben Tagen zurück! Halbwindkurs. Ständig<br />

überspültes Deck, tropfende Luken – Waschmaschine<br />

mit Schleudergang. Aber es lohnte sich,<br />

denn kaum in Opua angekommen, zog Sturm auf.<br />

Geschwindigkeit bedeutet auch Sicherheit.<br />

Die meisten Fahrtensegler streichen in Neuseeland für<br />

ein halbes Jahr die Segel. Für uns begann hier ein neues<br />

Abenteuer: Wir wollten runter in den Southern Ocean,<br />

nach Stewart Island, der Antipode zu Österreich. Wir<br />

wollten einen Rundumblick über das Meer werfen um<br />

zu sehen: Alle Richtungen führen nach Hause. Im windzerzausten<br />

Port Pegasus, auf 47 Grad Süd, fanden wir<br />

uns am anderen Ende der Welt wieder. Hätten wir hier<br />

eine riesige Stricknadel durch den Globus gestochen,<br />

ihre Spitze hätte Österreich geritzt. Weiter weg geht<br />

nicht, zwangsläufig befanden wir uns also von nun an<br />

auf dem Heimweg. Ein Gedanke, der uns nicht gefiel.<br />

In den Hinterhöfen der Südsee<br />

Wir schenkten uns ein weiteres Jahr in der Südsee. Aber<br />

nicht im einigerma<strong>ss</strong>en erschlo<strong>ss</strong>enen Teil zwischen<br />

Tahiti und Fidji, sondern quasi in der Wildnis, Lichtjahre<br />

vom Lifestyle Bora Boras entfernt. Im Juli 2007 setzten<br />

wir Segel Richtung Melanesien und Mikronesien, hangelten<br />

uns einer Kette von Archipelen des Westpazifiks<br />

entlang und durchma<strong>ss</strong>en einen ozeanischen Kosmos<br />

abseits gängiger Routen. Es wurde – erwartungsgemä<strong>ss</strong><br />

– kein gemütlicher Urlaubstörn: Tagelang<br />

mühte sich Nomad hart am Wind durch Konvergenzzonen<br />

und stürmischen Pa<strong>ss</strong>at. An Land lauerten<br />

Zehntausende von Moskitos und Fliegen. Jeder kleine<br />

Schnitt in der Haut wucherte zum Tropengeschwür.<br />

Die brütende Hitze machte jegliche Aktivität zur<br />

ungeheuren Anstrengung. Wir trafen auf archaische<br />

Kulturen voller Tabus und rätselhafter Rituale. Manchmal<br />

fühlten wir uns wie Au<strong>ss</strong>erirdische. In Tikopia<br />

Orkanböen peitschen das<br />

Meer vor Simonstown,<br />

Südafrika (links).<br />

Im Eis Patagoniens (unten).<br />

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märz 11 marina.ch seaside 73


Osterinseln: Die stillen,<br />

geheimnisvollen Wächter in<br />

der Anakena Bucht verzauberen<br />

jeden Ankerlieger.<br />

robbten wir auf allen Vieren in die Hütte des Häuptlings<br />

und krochen nach der Audienz rückwärts hinaus. So<br />

ist der Brauch. Dem Chef das Hinterteil zu zeigen, ist<br />

ein fauxpas. In den Marshall Inseln durfte ich nur lange<br />

Sackkleider tragen, denn weibliche Knie und Oberschenkel<br />

verdrehen Männern den Kopf – sagen die<br />

Einheimischen. Ebenso sind Landgänge mit na<strong>ss</strong>en<br />

Haaren unschicklich, man würde soeben ausgeübten<br />

Sex vermuten. In Kitava verschenken die Menschen ihre<br />

gesamte Yams-Ernte, um ihrerseits von anderen beschenkt<br />

zu werden. Gaben verpflichten, Schenken<br />

verbindet. Schnell wurden wir Teil dieser archaischen<br />

Schenkkultur. Die Insulaner brachten uns per Kanu<br />

Yams, Sü<strong>ss</strong>kartoffeln, Papayas und Schnitzereien. Wir<br />

gaben ihnen Reis, Zucker, Kleidung und Angelzeug. Elf<br />

Monate verbrachten wir in den Hinterhöfen der Südsee,<br />

lebten au<strong>ss</strong>erhalb unserer Zeit und vermi<strong>ss</strong>ten<br />

nichts. Die Insulaner lehrten uns Genügsamkeit:<br />

weniger, statt immer mehr.<br />

Schlie<strong>ss</strong>lich beschlich uns ein Unbehagen vor der<br />

Rückkehr in die Zivilisation. Und ein Gefühl von Zerri<strong>ss</strong>enheit.<br />

Als ob uns das Wandern zwischen den<br />

Welten daran hindern würde, uns irgendwo heimisch<br />

zu fühlen. In Darwin, Australien, erwachten wir endgültig<br />

aus der pazifischen Traumzeit, zudem stand ein<br />

längerer Werftaufenthalt auf dem Programm. Wir<br />

rüsteten Nomad für den letzten Teil der Reise, gaben<br />

in einem Monat mehr Geld aus, als im ganzen Jahr<br />

zuvor. Unter sengender Sonne schraubten, schwei<strong>ss</strong>ten<br />

und pinselten wir. Woche um Woche.<br />

Indik und Atlantik<br />

Im August 2008 verlie<strong>ss</strong>en wir Australien und zogen<br />

hinaus in den Indik. Ab jetzt ging es mit Riesenschritten<br />

heimwärts: 7000 Seemeilen bis Südafrika – mit Zwischenhalten<br />

beim Ashmore Reef, auf Christmas Island<br />

und Cocos Keeling. Eine tropische Depre<strong>ss</strong>ion, die uns<br />

im Nacken sa<strong>ss</strong>, entwickelte sich zum ersten tropischen<br />

Zyklon der Saison. So mutierte das angesteuerte,<br />

traumhafte Atoll Chagos zum Albtraum. Auflandiger<br />

Starkwind zwang uns kurz nach der Ankunft zum Ankerplatzwechsel.<br />

Bei peitschendem Regen und miserabler<br />

Sicht tasteten wir uns wie über ein Minenfeld<br />

durch die riffgespickte Lagune. Nach zwei Tagen zog<br />

das Tief ab und wir konnten endlich an Land. Dort der<br />

nächste Schock: K. O. durch Kokosnu<strong>ss</strong>! Aus drei Metern<br />

Höhe traf sie Wolf am Kopf. Zum ersten Mal verfluchte<br />

ich die Tatsache, einsam, ohne Arzt, Spital oder sonstige<br />

Hilfe zu sein. Gott sei Dank kam mein Skipper mit Platzwunde,<br />

Beule und lädiertem Genick glimpflich davon.<br />

Wie zerbrechlich unser Glück doch ist…<br />

Planänderung. Wegen der frühen Wirbelsturmaktivität<br />

segelten wir statt via den Norden Madagaskars die<br />

südlichere Route über Mauritius und La Réunion und<br />

erreichten im Dezember Südafrika. Neuer Kontinent,<br />

neues Land, neues Abenteuer. Wie immer nach langen<br />

Seestrecken freuten wir uns auf festen Boden unter den<br />

Fü<strong>ss</strong>en. Safari im Wildreservat, Trekkingtour durch die<br />

Drakensberge, Klettern am Tafelberg. Dazwischen anspruchsvolles<br />

Küstensegeln bei sonniger Flaute oder im<br />

eisigen Sturm. Überfüllte, von Schwell geplagte Häfen,<br />

Starkwind am Kap Agulhas, dem südlichsten Zipfel<br />

Afrikas und Flaute am Kap der Guten Hoffnung. Nach<br />

Kap Hoorn vor sechs Jahren war jetzt auch diese Hürde<br />

geschafft. Bei Landgängen gingen wir auf die Pirsch<br />

nach Internetcafés, um die aktuellsten Wetter­<br />

Websites zu durchforsten. Auf Nomad segelten wir<br />

ohne Satellitentelefon, ohne Email an Bord. Wir geno<strong>ss</strong>en<br />

es, auf See nicht erreichbar zu sein, den Kontakt<br />

zum Rest der Welt zu verlieren.<br />

Atlantik, letzter Ozeangigant dieser Reise. Anfang april<br />

2009 ein rauer Start in Kapstadt, Kurs St. Helena. Keine<br />

Ahnung, wann ich das letzte Mal so fürchterlich unter<br />

der Seekrankheit litt, wars bei der Jungfernfahrt vor 20<br />

Jahren? Dafür purzelten die Meilen zügig vorbei: Elf Tage<br />

bis zu Napoleons Exilinsel. In der James Bay schaukelte<br />

Nomad wilder als drau<strong>ss</strong>en auf See. Für den Landgang<br />

schwangen wir uns wie Tarzan und Jane an Haltetauen<br />

vom Beiboot auf den Kai. 700 Meilen später hatte uns<br />

der Schwell des Südatlantiks immer noch im Griff.<br />

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«Gekrönte Segelhäupter»<br />

der Südsee: Wolf Slanec<br />

und Doris Renoldner.<br />

ascension, dieses ins Meer gefallene Stückchen Mond,<br />

wies uns ab. Meterhohe Brandung erstickte jeden Gedanken<br />

an Landgang im Keim. Also weiter. Der Pa<strong>ss</strong>at<br />

schwächelte und wir gerieten viel zu früh in die windstille<br />

Zone. Meter für Meter quälten wir uns eine Woche<br />

lang mit killenden Segeln Richtung Äquator. «Wenn das<br />

so weiter geht, brauchen wir noch fünf wochen zu den<br />

Kap Verden!», kalkulierte Wolf und schmi<strong>ss</strong> entnervt<br />

die Maschine an. Nach zwei Stunden setzte sich die<br />

Vernunft aber wieder durch: Der Ozean ist schlicht und<br />

einfach viel zu gro<strong>ss</strong> für den Dieseltank der Nomad.<br />

Nach 25 Tagen erreichten wir endlich die Insel Santiago,<br />

das Gro<strong>ss</strong>segel zerri<strong>ss</strong>en, das Getriebe kaputt.<br />

Der Sack ist zu<br />

Genau vor Santiago kreuzten wir unsere eigene Kurslinie<br />

von 2002 und hatten somit zum zweiten Mal die<br />

Welt umsegelt. Die Zeit wie ausgelöscht, als wären<br />

wir erst gestern gestartet. Ein Blick in den Spiegel<br />

offenbarte: Die Reise war nicht ganz spurlos an uns<br />

vor über gegangen. Erste graue Haare, ein Spinnengewebe<br />

von Falten in unseren Gesichtern. Zeugen<br />

peitschender Stürme und erbarmungsloser Sonne.<br />

Spuren von Angst und Freude, von Staunen und<br />

Begreifen.<br />

Die Weltumsegelung war komplett, doch die Reise<br />

noch lange nicht zu Ende. 1500 Meilen bis zu den<br />

Azoren. Und über 4000 Meilen bis Izola in Slowenien,<br />

wo wir vor unendlich langer Zeit abgelegt hatten.<br />

Unterwegs noch ein gro<strong>ss</strong>er Dämpfer: Mitten in der<br />

Nacht kamen Banditen an Bord. Computer, Bargeld,<br />

Kleidung, Schuhe, alles weg. Zum Glück schreckten<br />

wir erst auf, als die Diebe mit der Beute bereits abzogen<br />

waren. Geschockt lichteten wir den Anker, hier<br />

wollten wir nicht mehr bleiben.<br />

Die nächste Etappe – hart am Wind gegen den Nordost-Pa<strong>ss</strong>at<br />

– brachte uns an den Rand der Erschöpfung.<br />

Die kräftezehrenden Dreistundenwachen der<br />

letzten Monate steckten uns noch in den Knochen.<br />

Oft mu<strong>ss</strong>te ich beim Wachwechsel Wolfs Namen<br />

fünf Mal rufen, bis meine Stimme in sein betäubtes<br />

Bewu<strong>ss</strong>tsein drang und er in der Lage war, aufzustehen.<br />

Müdigkeit ist manchmal wie Folter. Das Bordleben<br />

beschränkte sich auf das Allernotwendigste.<br />

E<strong>ss</strong>en, Schlafen. Selbst das Pinkeln in den «Cockpit-<br />

Klokübel» war beschwerlich, die Toilette im Vorschiff<br />

blieb unbenützt.<br />

Dann die Hafenmauer von Horta im Morgendunst, ein<br />

magischer Moment. Unversehrt in Europa angekommen<br />

zu sein, verschaffte uns eine tiefe Befriedigung.<br />

«Für alles Schöne im Leben hast du im Voraus bezahlt»,<br />

sagte Wolf leise und drückte mich fest an sich.<br />

Das Mittelmeer war seglerisch ein Flop: Entweder<br />

Flaute oder Gegenwind. Am 9. Oktober 2009 schlo<strong>ss</strong><br />

sich der Kreis in Izola, wo das Abenteuer begonnen<br />

hatte. Zum zweiten Mal hatten wir den Globus umrundet,<br />

das machte uns demütig und dankbar. In unsere<br />

Aufregung und Freude mischte sich aber auch Furcht:<br />

vor der Heimkehr, vor den Umstellungen, die das Leben<br />

an Land mit sich bringen würde. Hier von Bord zu gehen,<br />

fiel uns unglaublich schwer. Wir hatten das Gefühl, uns<br />

gegen den natürlichen Lauf der Dinge zu stemmen.<br />

Jetzt, im Moment, leben wir in einer kleinen Wohnung<br />

im niederösterreichischen Puchberg am Schneeberg.<br />

Wir schreiben unser Buch und bereiten eine neue<br />

Multivision<strong>ss</strong>chau vor. Und manchmal träume ich,<br />

da<strong>ss</strong> Wolf mich fragt, ob wir wieder lo<strong>ss</strong>egeln wollen.<br />

Ich wäre leicht zu überreden. Ich wei<strong>ss</strong>, er wird irgendwann<br />

fragen. Vielleicht in zwei, drei Jahren. Vielleicht<br />

aber schon morgen, gleich nach dem Frühstück…<br />

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