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Andreas Weigelt · Hermann Simon (Hg.) Zwischen Bleiben und Gehen Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956 Zehn Biographien
- Seite 3: Inhalt 7 Vorwort von Hermann Simon
- Seite 6 und 7: Wir setzen auch ihm mit diesem Band
- Seite 8 und 9: Ansicht der Tuchfabriken M. & O. So
- Seite 10 und 11: Sommerfeld sei die denkbar beste. Z
- Seite 12 und 13: digt und bedroht, wenn ich mich heu
- Seite 14 und 15: Werkzeitung der Tuchfabrik M. & O.
- Seite 16 und 17: 28 BLHA Potsdam, NS - Archiv, Obj.
- Seite 18 und 19: Anklageentwurf der Cottbuser Kreisp
- Seite 20 und 21: 40 Stadtarchiv Cottbus, Abt. 2AII R
Andreas Weigelt · Hermann Simon (Hg.)<br />
<strong>Zwischen</strong> <strong>Bleiben</strong> <strong>und</strong> <strong>Gehen</strong><br />
Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956<br />
Zehn Biographien
Inhalt<br />
7 Vorwort von Hermann Simon<br />
Andreas Weigelt<br />
»… seine jüdische Rassenzugehörigkeit<br />
aus nazistischer Überzeugung verkauft …«<br />
9 Otto Ephraim (1889 – 1951)<br />
»Das Verhalten von Herrn J.<br />
erregt in Birkenwerder öffentliches Ärgernis.«<br />
25 Josef Jubelski (1888 – 1959)<br />
»Das Küstengebiet der Deutschen Demokratischen Republik<br />
wird endgültig von solchen Elementen gesäubert werden.«<br />
39 Adalbert Bela Kaba-Klein (1895 – 1962)<br />
»Die näheren Gründe seiner Verurteilung sind hier nicht bekannt.«<br />
55 Fritz Katten (1898 – 1964)<br />
»Der zionistische Agent Julius Meyer <strong>und</strong> seine Auftraggeber …«<br />
75 Julius Meyer (1909 – 1979)<br />
»… gründete Ende 1945 aus eigener Initiative<br />
eine so genannte ›Jüdische Gemeinde‹ in Berlin …«<br />
131 Erich Nelhans (1899 – 1950)<br />
»… den Frieden des deutschen Volkes gefährdet …«<br />
163 Eva Robinson (geboren 1918)<br />
»… ausgesuchter Volksverderber …«<br />
177 Ernest Wilkan (1898 – 1949)<br />
»… trat 1938 freiwillig einer<br />
profaschistischen jüdischen zionistischen<br />
Organisation bei …«<br />
193 Karl Wolfsohn (1887 – 1946)<br />
»Die Politik hat sich geändert<br />
<strong>und</strong> ich stehe jetzt als jüdischer Nationalist da.«<br />
209 Leo Zuckermann (1908 – 1985)<br />
Petra Haustein<br />
239 Ein „kleines Paradies«.<br />
Das Jüdische Kinderheim Berlin-Niederschönhausen<br />
zwischen Neuanfang <strong>und</strong> Repression<br />
1945 bis 1953<br />
248 Abkürzungsverzeichnis
Vorbemerkung<br />
»Am 28. Juli 1945 vollzog ich in der kleinen Synagoge des Jüdischen Krankenhauses<br />
die erste Einsegnung eines Knaben. Am folgenden Tag, es war Sonntag,<br />
der 29. Juli, traute ich das erste jüdische Brautpaar in Berlin. Das war in der<br />
kleinen Synagoge Rykestraße. Zwei Menschen hatten sich bei dem gleichen<br />
furchtbaren Leid, inmitten von Mord <strong>und</strong> Barbarei, im Vernichtungslager Auschwitz<br />
gef<strong>und</strong>en.<br />
So wie ich im Jahre 1943 die letzte Trauung in Berlin in einer Zeit der tiefsten <strong>und</strong><br />
dunkelsten Verfolgungsnacht vollzog, so traute ich nun das erste Brautpaar im<br />
Lichte der so lang herbeigesehnten Freiheit. Dies war der erste große Freudentag<br />
der wiedererstandenen Berliner Gemeinde.«*<br />
Dies formulierte mein Lehrer Rabbiner Martin Riesenburger bereits in der ersten<br />
Auflage seiner Erinnerungen, die er mit dem Untertitel »Ein Zeugnis aus der Nacht<br />
des Faschismus« versah.<br />
Schwer zu sagen, wann ich diese Erinnerungen erstmals las; viele Bücher bekam<br />
ich von ihm geschenkt, das aber besitze ich ohne seine Widmung in meiner<br />
Bibliothek.<br />
Woche für Woche – es war nach meiner Erinnerung immer montags – fuhr ich<br />
in den Jahren 1961 bis etwa 1964 mit dem Autobus 45 um 15:05 Uhr ab Pankow<br />
Kirche zu Riesenburgers Wohnung nach Weißensee, die sich in der ersten<br />
Etage des Verwaltungsgebäudes des Friedhofs befand, um am Religionsunterricht<br />
teilzunehmen; Riesenburger bereitete mich auf meine Barmizwa vor, die am 28.<br />
April 1962 in der Synagoge Rykestraße stattfand.<br />
Damals kannte ich Riesenburgers Erinnerungen, die ich danach immer wieder<br />
zur Hand nahm. Und immer habe ich mich gefragt, wer war »das erste jüdische<br />
Brautpaar«?<br />
Eine Frage, die sich auch meine Kollegin Chana Schütz stellte – <strong>und</strong> mich vermutlich<br />
konsultierte –, als sie im Jahre 1988 den Berlin-Teil der Ausstellung »Jüdische<br />
Lebenswelten« konzipierte.<br />
Letztmalig tauchte die Frage auf, als Riesenburgers Erinnerungen von Andreas<br />
Nachama <strong>und</strong> mir vor wenigen Jahren noch einmal herausgegeben wurden.<br />
Ob Riesenburger 1960 eine Veranlassung hatte, den Namen des Brautpaares<br />
nicht zu nennen, habe ich mich nie gefragt <strong>und</strong> nun gelernt, dass er eine hatte.<br />
Mein in meinen Augen mutiger Lehrer hat es 1960 nicht gewagt, zu sagen, um<br />
wen es sich handelte, weil der Name in dem Teil Deutschlands, in dem Riesenburger<br />
lebte <strong>und</strong> wirkte, ein Un-Name war.<br />
Das Rätsel kann heute dank der Forschungen von Andreas Weigelt entschlüsselt<br />
werden: Es waren Ruth Glückmann <strong>und</strong> Julius Meyer.<br />
Meyers Schicksal wird in diesem Band neben anderen intensiv nachgegangen.<br />
Es ist, nachdem ich die Lebensbilder wiederholt gelesen habe, das mich am<br />
stärksten bewegende.<br />
* Martin Riesenburger, Das<br />
Licht verlöschte nicht. Ein<br />
Zeugnis aus der Nacht des<br />
Faschismus. Herausgegeben<br />
<strong>und</strong> mit Beiträgen zur<br />
Erinnerung an ein Berliner<br />
Rabbinerleben von Andreas<br />
Nachama <strong>und</strong> Hermann<br />
Simon, Teetz 2003 [Jüdische<br />
Memoiren, Band 5], S. 97.<br />
Vorwort
Wir setzen auch ihm mit diesem Band <strong>und</strong> unserer Ausstellung »<strong>Zwischen</strong> <strong>Bleiben</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Gehen</strong>. Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956« ein längst verdientes<br />
Denkmal.<br />
Möge sein Leben <strong>und</strong> Wirken – wie das aller anderen Juden, die Opfer politischer<br />
Repression in Ostdeutschland wurden, nicht vergessen werden.<br />
Hermann Simon<br />
Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum<br />
<br />
Vorwort
Otto Ephraim<br />
1889–1951<br />
Herkunft<br />
Eva Robinson wurde am 3. März 1918 in Belgrad als Eva Matta Doroszlowaczki<br />
in einer jüdischen Familie geboren. Ihr Vater war der Arzt <strong>und</strong> Kunstmaler<br />
Dr. Alfred Csedomir (Sonnenfeld) Doroszlowaczki 1 . Ihre Mutter hieß Angella,<br />
geborene Sztanusitz 2 . Später gab Eva Robinson an, »Halbjüdin <strong>und</strong> jugoslawischer<br />
Nationalität« zu sein. Ihre Mutter war Jüdin. 3 Ihre Geschwister seien<br />
»verstorben«. 4 Ihr Vater war 1930 nach England gegangen <strong>und</strong> hat sie nur<br />
gelegentlich in Jugoslawien besucht. Er soll noch 1950 in London gelebt haben.<br />
5 Bis zum Alter von zehn Jahren wurde sie aufgr<strong>und</strong> körperlicher Schwäche<br />
privat unterrichtet <strong>und</strong> 1928 in ein Internat gegeben. 6 Nach 1945 konnte sie<br />
keine näheren Angaben über den Verbleib ih - rer Eltern machen. 7 Von 1928 bis<br />
1936 besuchte sie das Mädchengymnasium in Belgrad. 8 Mit 18 legte sie das<br />
Abitur ab. 9 Danach absolvierte sie eine dreijährige Tanzausbildung bei der<br />
bekannten Tanzlehrerin Ida Braun. 10 1936 legte sie eine Abschlußprüfung an<br />
der Natio - naltheaterschule in Belgrad ab. 11<br />
Ehe<br />
1935 lernte sie den ungarisch - jüdischen Journalisten der Zeitung »Daily Worker«<br />
mit britischer Staatsbürgerschaft George Robinson kennen, der ihren Vater während<br />
eines Besuchs in Jugoslawien begleitete. 12 Sie gab auch an, er sei Vertreter<br />
der Munitionsfabrik Manfred Weiss in Csepell bei Budapest gewesen. 13 Ihn<br />
heiratete sie im Juli 1936, ließ sich aber schon 1937 wieder von ihm scheiden. 14<br />
Zuvor hatte sie ihn auf Reisen durch Europa <strong>und</strong> nach Indien <strong>und</strong> Italien begleitet,<br />
die er als Redakteur für Musik <strong>und</strong> Kultur unternahm. 15 Im Januar 1938 wurde<br />
ihre Tochter Cathline in London geboren, die die britische Staatsbürgerschaft<br />
erhielt. 16 Die Tochter blieb bei ihrem Vater in London 17 , während Eva Robinson<br />
nach einem Jahr wieder nach Belgrad zu ihrer Mutter zurückkehrte. 18<br />
»... seine jüdische<br />
Beruf<br />
Rassenzugehörigkeit<br />
1938 legte sie in Paris eine Berufsprüfung als Tänzerin ab. 19 aus Ende nazistischer 1938 trat Überzeugung<br />
sie, gegen den Willen ihres Vaters, als Tänzerin in Belgrad auf. verkauft Ihr Künstlername<br />
war Matta Doroszlowaczki. 20 Bis 1939 arbeitete sie auch in Paris, später<br />
...«<br />
in Ungarn als Schauspielerin <strong>und</strong> Tänzerin in Nachtlokalen. 21 Vornehmlich<br />
in Balkanländern, aber auch im Orient trat sie zwischen 1939 <strong>und</strong> 1942 als<br />
Tänzerin auf. 22 Als konkrete Auftrittsorte für diese Zeit nannte sie nach 1945<br />
Serbien, England, Frankreich, Deutschland, Italien, Ungarn, Rumänien, Türkei,<br />
Indien <strong>und</strong> Japan. 23<br />
Antijüdische Verfolgung 1942–1945<br />
Ihre Mutter wurde als Jüdin im Frühjahr 1942 in Belgrad von den deutschen<br />
Besatzern verhaftet <strong>und</strong> deportiert. Aus Angst vor der eigenen Verhaftung floh
Ansicht der Tuchfabriken<br />
M. & O. Sommerfeld GmbH<br />
Cottbus, Fabrik Parzellenstraße<br />
<strong>und</strong> Weberstraße.<br />
(Deutschlands Städtebau.<br />
Cottbus. Hrsg. vom Magistrat<br />
der Stadt Cottbus, bearbeitet<br />
von Stadtbaurat Boldt, Berlin<br />
1923, S. 85.)<br />
Herkunft<br />
Otto Ephraim wurde am 28. Oktober 1889 in Cottbus geboren <strong>und</strong> war Gesellschafter<br />
der seit 1861 in Familienbesitz befindlichen Tuchfabrik M. u. O.<br />
Sommerfeld GmbH in Cottbus. Sein in Görlitz geborener jüdischer Vater Ludwig<br />
hatte eine christliche Frau, Marguerita Winkler, geheiratet, trat jedoch erst 1893,<br />
nach der Geburt seines Sohnes Otto, aus der Jüdischen Gemeinde aus, hatte<br />
sich 1904 christlich taufen lassen <strong>und</strong> ließ auch seine drei Kinder taufen. Nach<br />
dem Ersten Weltkrieg wurde Otto Ephraim 1918 als Oberleutnant in die Reserve<br />
versetzt. Bald darauf unterstützte er die sogenannte »Schwarze Reichswehr«. 1 Als<br />
sein Vater Ludwig Ephraim am 24. Februar 1928 in Cottbus starb, war dieser<br />
Kommerzienrat, Präsident der Industrie <strong>und</strong> Handelskammer für die Niederlausitz,<br />
Ehrenvorsitzender vieler Textil - Verbände <strong>und</strong> hatte staatliche Ämter bekleidet. 2<br />
1 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />
2 »Lausitzer Landeszeitung«<br />
vom 28. Februar 1928.<br />
3 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />
Aktennummer 61 / 4,<br />
Bd. 1, Bl. 28 f.<br />
4 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />
5 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />
Aktennummer 61 / 4,<br />
Bd. 1, Bl. 28 f.<br />
Tuchfabrik M. u. O. Sommerfeld in Cottbus<br />
1923 warb die Tuchfabrik M. & O. Sommerfeld GmbH in Cottbus mit der Herstellung<br />
feiner Streichgarn - <strong>und</strong> Kammgarn - Neuheiten. Otto Ephraim hatte wie sein<br />
Vater eine christliche Frau geheiratet, seine Kinder wurden christlich erzogen. 3<br />
Seine Ehefrau Lucie Mayer ist 1893 in der Familie eines Gymnasialprofessors<br />
geboren worden. 4<br />
Durch den Tod seines Vaters 1928 wurde er gemeinsam mit seinem Bruder, seiner<br />
Schwester <strong>und</strong> seiner Mutter Gesellschafter der Fabrik, wobei Otto Ephraim<br />
durch die Vollmacht für den Anteil seiner Mutter faktisch Haupteigner war. Nach<br />
der Machtübernahme durch die NSDAP schied 1934 sein Bruder Ludwig aus<br />
der Firma aus <strong>und</strong> 1938 auch seine Schwester Else, deren Mann nun ihren Platz<br />
als Anteilseigner einnahm. 1941 musste Otto Ephraim seinen Anteil teils durch<br />
Verkauf, teils durch Schenkung an seine Kinder Lore <strong>und</strong> Hans übergeben. Dies<br />
war durch die Nazis erzwungen worden. 5<br />
Unter den 600 Beschäftigten seines Betriebes soll es keine jüdischen Angestellten<br />
gegeben haben. Nach 1933 unterstützte Ephraim die SS wie die SA – nach<br />
10 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«
eigener Angabe, »soweit mir das möglich gewesen ist«. Er sei auch nach 1933<br />
mit geheimen Mobilmachungsvorbereitungen betraut worden. 6 1934 erhielt der<br />
Betrieb erste Aufträge von der Wehrmacht für Militärstoffe. Im Dezember 1936<br />
stiftete Ephraim der Stadt Cottbus 3 000.– Reichsmark für heimatgeschichtliche<br />
Zwecke. 7 Seine Firma Sommerfeld war Gewinner zahlreicher Goldmedaillen<br />
auf internationalen Textilmessen. 8<br />
Unter dem Schutz von Nazis<br />
Spätestens 1938 wurde seine Firma von der Industrie - <strong>und</strong> Handelskammer der<br />
Niederlausitz zum »Deutschen Betrieb« erklärt. Den später für ihn verhängnisvollen<br />
Antrag auf Änderung seines Familiennamens bereitete Otto Ephraim seit Sommer<br />
1938 vor. 9 Bereits am 21. Oktober 1938 begründete der Prokurist <strong>und</strong> stellvertretende<br />
Betriebsführer Carl Sakel in einem von Ephraim erbetenen Bericht die<br />
Notwendigkeit der Namensänderung. Otto Ephraim habe den Betrieb immer<br />
»fortschrittlich geführt«, den Nationalsozialismus von Beginn an bejaht <strong>und</strong> sei<br />
jederzeit sozialen Verbesserungen gegenüber aufgeschlossen gewesen. Sorgen<br />
mache jetzt allerdings, dass der Betrieb als »jüdisch« angesehen werde, obwohl<br />
er offiziell als »Deutsches Unternehmen« anerkannt sei. Es komme jetzt teilweise<br />
vor, dass K<strong>und</strong>schaft »unsere Reisenden nicht empfängt, unter ausweichenden<br />
Redensarten die Muster nicht ansieht oder auf bestellte Muster keine Aufträge<br />
erteilt.« 10<br />
Otto Ephraim,<br />
Cottbus Mai 1943.<br />
(Foto: Dora Liersch, Cottbus)<br />
Franz Viktor Freiherr von<br />
Baselli von Süßenberg (rechts)<br />
beim Bau eines Schießstandes.<br />
Er war von 1937<br />
bis 1945 Oberbürgermeister<br />
in Cottbus <strong>und</strong> schützte Otto<br />
Ephraim vor antijüdischen<br />
Verfolgungen.<br />
(Stadtarchiv Cottbus)<br />
Der Antrag auf Namensänderung war zuvor mit Franz Viktor Freiherr von Baselli<br />
von Süßenberg, der von 1937 bis 1945 Oberbürgermeister in Cottbus war,<br />
besprochen worden. Denn bereits am 21. Oktober 1938 forderte dieser für<br />
Ephraim bei Dienststellen <strong>und</strong> Personen Stellungnahmen an. Am 26. Oktober<br />
1938 bescheinigte der Obmann der Fachabteilung Textil in der Gauwaltung<br />
Kurmark der »Deutschen Arbeitsfront« (DAF), die Zusammenarbeit mit der Firma<br />
6 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />
7 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />
Obj. 4, ZB 1874.<br />
8 BLHA, Rep. 36A, H 315,<br />
Bl. 31 <strong>und</strong> 37.<br />
9 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />
10 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 12 f.<br />
Otto Ephraim 11
Sommerfeld sei die denkbar beste. <strong>Zwischen</strong> den 580 Angestellten <strong>und</strong> der<br />
Betriebsführung sei eine »wirkliche Betriebsgemeinschaft entstanden«. In sozialer<br />
Hinsicht sei Ephraim »den anderen Cottbuser Betrieben voraus« <strong>und</strong> werde »den<br />
sozialpolitischen Anforderungen der heutigen Zeit gerecht«. Die Namensänderung<br />
werde, »wenn die Voraussetzungen <strong>und</strong> gesetzlichen Bestimmungen<br />
gegeben sind«, befürwortet. 11<br />
Am 28. Oktober 1938, also kurz vor dem Novemberpogrom in Deutschland,<br />
reichte Otto Ephraim seinen Antrag ein, zuständigkeitshalber an den Reichsminister<br />
des Innern. Er bat um Änderung des Familiennamens für sich, seine Ehefrau<br />
<strong>und</strong> seine Kinder Lore <strong>und</strong> Hans auf »Winkler«, den Namen seiner Mutter. Er<br />
wisse, dass Namensänderungen bei »Mischlingen« gr<strong>und</strong>sätzlich verboten seien.<br />
Er glaube aber, dass von den genannten Gr<strong>und</strong>sätzen »Ausnahmen zulässig<br />
sind, wenn wichtige Gründe für die Namensänderung nicht nur in der Person<br />
des Antragsstellers <strong>und</strong> seiner Angehörigen, sondern auch vom Gesichtspunkt<br />
der Allgemeinheit vorliegen.« Ephraim begründete seinen Antrag. »Der Betrieb<br />
ist so sehr von nationalsozialistischem Gefühl <strong>und</strong> Geist erfüllt, daß er beim<br />
Leistungswettkampf 1937 als einziger von vielen Cottbuser Tuchfabriken für das<br />
Gaudiplom eingegeben worden ist.« Die Fabrik sei Mitglied der »Nordischen<br />
Gesellschaft«. Durch die Größe des Betriebes werde er natürlich häufig zu<br />
Veranstaltungen eingeladen. »Es hat sich dabei oft ergeben, daß mein Name<br />
Ephraim Anstoß erweckt, ist doch der Name Ephraim unbestritten ein jüdischer<br />
Name. Auch meine Gefolgschaft empfindet dies <strong>und</strong> ist deshalb schon mehrfach<br />
an mich mit der Bitte herangetreten, eine Namensänderung zu erwirken« <strong>und</strong><br />
habe erklärt, die Namensänderung auch selbst beantragen zu wollen, falls nichts<br />
geschehe. Er habe »oft bemerkt, daß mein Name geradezu abschreckend auf<br />
die Besucher gewirkt hat. Man hat teilweise offenbar den Eindruck, daß ich Jude<br />
sei, teilweise den, daß bei unserem Betrieb eine ›Tarnung‹ vorliege.« Seit 1933<br />
bedeute »der Name Ephraim eine kaum vorstellbare Belastung«. 12<br />
11 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 21–24.<br />
12 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />
13 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 27.<br />
14 Kehrl wurde 1949 im<br />
sogenannten NS - Minister -<br />
Prozess zu 15 Jahren Haft<br />
verurteilt, aber schon 1951<br />
entlassen.<br />
Auf von Basellis Anfrage antwortete am 3. November 1938 Hans Kehrl, u. a.<br />
Präsident der Industrie - <strong>und</strong> Handelskammer (IHK) für die Niederlausitz, später<br />
Leiter des Rohstoffsamtes sowie Chef des Planungsamtes im Reichsministerium für<br />
Rüstung <strong>und</strong> Kriegsproduktion: »Der Vater des Herrn Otto Ephraim, der Volljude<br />
war, hat trotz dieser Tatsache – ich möchte beinahe sagen – eine antisemitische<br />
Einstellung gehabt … Die Auffassung gegenüber der eigenen Rasse hat sich auf<br />
den Sohn vererbt. Ich habe noch aus der Zeit der Jahre 1932 <strong>und</strong> 1933 eine<br />
deutliche Erinnerung daran, daß Otto Ephraim die stärksten Sympathien für den<br />
Nationalsozialismus an den Tag legte, obwohl die Rassetheorie der Partei ihn<br />
persönlich schädigte.« 13 Hans Kehrl, Sohn eines Cottbuser Tuchfabrikanten<br />
<strong>und</strong> Hauptreferent in der Vierjahresplan - Dienststelle von Hermann Göring, hielt<br />
sich insgesamt jedoch mit seiner Zustimmung zurück, weil ihm die gesetzlichen<br />
Gr<strong>und</strong>lagen nicht bekannt seien. Er begrüße den Antrag aber, sofern diese<br />
vorhanden seien. 14<br />
12 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«
Eine ähnlich zurückhaltende Haltung nahm auch die Verwaltung der IHK für die<br />
Niederlausitz in Cottbus ein: Das Judenreferat des Reichswirtschaftministeriums<br />
halte eine Namensänderung nicht für notwendig, weil Ephraim kein jüdischer<br />
Name sei. Aber Ephraim sei »nun einmal jüdischer Mischling 1. Grades«. Da<br />
sein Antrag »wohl weniger aus geschäftlichen Beweggründen« gestellt wurde,<br />
sei es besser, jetzt noch keine Änderung vorzunehmen. »Ob dies in späteren<br />
Generationen wünschenswert ist, lassen wir dahingestellt.« 15 1949 bescheinigte<br />
Ephraim der Witwe von Basellis, ihr Mann habe ihr geholfen: »Als sogenannter<br />
Mischling 1. Grades wurde ich ab 1933 dauernd verfolgt, schikaniert, geschä-<br />
Schreiben des Präsidenten der<br />
Industrie - <strong>und</strong> Handelskammer<br />
für die Niederlausitz Hans<br />
Kehrl an den Oberbürgermeister<br />
von Cottbus Freiherr<br />
von Baselli vom 3. November<br />
1938. (Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2 f / 9.)<br />
»Der Vater des Herrn Otto<br />
Ephraim, der Volljude war,<br />
hat trotz dieser Tatsache – ich<br />
möchte beinahe sagen – eine<br />
antisemitische Einstellung<br />
gehabt <strong>und</strong> zu einer Mitarbeit<br />
Rassegenossen nur selten<br />
herangezogen.«<br />
»Die Auffassung gegenüber<br />
der eigenen Rasse hat sich auf<br />
seinen Sohn vererbt. Ich habe<br />
noch aus der Zeit der Jahre<br />
1932 <strong>und</strong> 1933 eine deutliche<br />
Erinnerung daran, daß Otto<br />
Ephraim die stärksten Sympathien<br />
für den Nationalsozialismus<br />
an den Tag legte, obwohl<br />
die Rassentheorie der Partei<br />
ihn persönlich schädigte.«<br />
15 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 25, Bl. 33,<br />
Bl. 20, Bl. 23, Bl. 37, Bl. 26 f.,<br />
Bl. 71 <strong>und</strong> R, Bl. 80.<br />
Otto Ephraim 13
digt <strong>und</strong> bedroht, wenn ich mich heute trotzdem dazu entschließe, ein gutes<br />
Wort für Herrn v. Baselli einzulegen, so tue ich es nach reiflicher Überlegung <strong>und</strong><br />
aus schwerwiegenden Gründen.« Er habe durch Zufall in Cottbus einmal einer<br />
Besprechung beigewohnt, bei der sich ein nichtjüdischer Fabrikant bemühte, »die<br />
jüdische Tuchfabrik Gustav Samson an sich zu bringen.« Von Baselli habe sich<br />
energisch dagegen gewehrt. »Um wenigstens meine Kinder etwas zu schützen,<br />
beantragte ich für diese die Namensänderung.« 16<br />
Schreiben der NSDAP -<br />
Kreis leitung Cottbus an den<br />
Oberbürgermeister in Cottbus<br />
Freiherr von Baselli vom<br />
12. Dezem ber 1938.<br />
(Stadtarchiv Cottbus, A II 3.2f<br />
Nr.9, Bl. 66.)<br />
»Die Einhaltung der rassischen<br />
Gr<strong>und</strong>sätze muß allen anderen<br />
Erwägungen vorangehen.<br />
Somit leht die Kreisleitung eine<br />
Fürsprache bei Änderung des<br />
Namens ab.«<br />
Der handschriftliche Text lautet:<br />
»Vermerk: Auf mündl. Vortrag<br />
am 24.12.1938 hat Herr<br />
Oberbürgermeister entschieden,<br />
daß dieses Schreiben<br />
nicht an die Regierung<br />
weiterzureichen, vielmehr<br />
zu den hiesigen Akten zu<br />
nehmen ist.«<br />
16 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A I, 1g8, 48 / 0242.<br />
14 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«
Die bearbeitende Ortspolizeibehörde Cottbus fragte Anfang November 1938<br />
bei Oberbürgermeister von Baselli an, »ob mit der Namensänderung unlautere<br />
Zwecke verfolgt oder durch sie berechtigte Interessen verletzt werden«. Doch<br />
der antwortete erst am 29. November 1938 positiv.<br />
Denn in der <strong>Zwischen</strong>zeit hatten reichsweite antisemitische Pogrome jüdische<br />
Gotteshäuser <strong>und</strong> Geschäfte verwüstet <strong>und</strong> zur Einweisung von Tausenden Juden<br />
in Konzentrationslager geführt. Auch die Cottbuser Synagoge wurde in Brand<br />
gesteckt, zahlreiche Geschäfte <strong>und</strong> Privatvillen jüdischer Unternehmer demoliert<br />
<strong>und</strong> mehr als 30 Cottbuser Juden in das KZ Sachsenhausen verbracht.<br />
So lehnte schließlich auch als Einziger der Cottbuser NSDAP - - Kreisleiter Andro<br />
die Namensänderung am 12. Dezember 1938 offen ab <strong>und</strong> stellte sich auf den<br />
Standpunkt, dass »durch Änderung des Namens die Abstammung des Namensträgers<br />
verschleiert wird. Die Einhaltung der rassischen Gr<strong>und</strong>sätze muß allen<br />
anderen Erwägungen vorangehen«. Daraufhin nahm von Baselli Rücksprache<br />
mit einer höheren NSDAP - Dienststelle. Am 28. Dezember notierte sein Sachbearbeiter<br />
handschriftlich an den Rand des Ablehnungsschreibens der NSDAP den<br />
Vermerk: »… auf mündl. Vortrag am 24.12.1938 hat Herr Oberbürgermeister<br />
entschieden, daß dieses Schreiben nicht an die Regierung weiterzureichen,<br />
vielmehr zu den hiesigen Akten zu nehmen ist.« Denn bereits am 23. Dezember<br />
hatte NSDAP - Kreisleiter Andro auf höheren Druck dem Oberbürgermeister kurz<br />
<strong>und</strong> knapp entgegen der ursprünglichen Stellungnahme mitgeteilt, dass keine<br />
Bedenken »gegen die politische Zuverlässigkeit des Vg. [Volksgenossen, A.W.]<br />
Otto Ephraim von Seiten der Kreisleitung« bestünden. 17 Von Baselli hatte so<br />
verhindert, dass die Ablehnung der Partei publik wurde. Ephraim berichtete<br />
1949: »Der Antrag wurde der Kreisleitung vorgelegt. Diese erk<strong>und</strong>igte sich bei<br />
der Gauleitung <strong>und</strong> wurde gerüffelt, daß sie so etwas überhaupt bearbeite. Herr<br />
von Baselli aber, an den ich mich um Hilfe wandte, hatte keine Angst. Er studierte<br />
die Sache. Dann rief er den stellvertretenden Gauleiter Wegner an <strong>und</strong> brachte<br />
die Angelegenheit in Ordnung.« 18<br />
Am 25. Februar 1939 schließlich bescheinigte auch die Gestapoleitstelle Frankfurt<br />
(Oder) dem Oberbürgermeister: »Gegen die Namensänderung bestehen<br />
diesseits keine Bedenken.«<br />
Am 6. März 1939 entwarf Oberbürgermeister von Baselli einen abschließenden<br />
Bericht für den Regierungspräsidenten in Frankfurt (Oder), der am 13. März<br />
1939 abgeschickt wurde. An der deutschen Reichsangehörigkeit Ephraims <strong>und</strong><br />
seiner Angehörigen könne kein Zweifel bestehen. Ephraim sei »Mischling 1.<br />
Grades«, seine Frau »Mischling 2. Grades« usw. Die NSDAP - Kreisleitung habe<br />
gegen die politische Zuverlässigkeit des Ephraim keine Bedenken. Ephraim sei<br />
»politisch von jeher national eingestellt« gewesen. Da Ephraim die Anerkennung<br />
als »Nationalsozialistischer Musterbetrieb« der DAF anstrebe, sei der jüdische<br />
Name hinderlich. Die Entscheidung bleibe nun dem Regierungspräsidenten vorbehalten.<br />
Erst am 23. Oktober 1939 genehmigte schließlich der Reichsminister<br />
des Innern die Änderung des Familiennamens – jedoch lediglich für die Tochter<br />
17 Stadtarchiv Cottbus, A II<br />
3.2f / 9, Bl. 25, Bl. 33,<br />
Bl. 20, Bl. 23, Bl. 37,<br />
Bl. 26 f., Bl. 71 <strong>und</strong> R, Bl. 80.<br />
18 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A I, 1g8, 48 / 0242.<br />
Otto Ephraim 15
Werkzeitung der Tuchfabrik<br />
M. & O. Sommerfeld<br />
September / November 1943.<br />
(Stadtarchiv Cottbus)<br />
<strong>und</strong> den Sohn von Otto Ephraim. Die Namensänderung für Otto Ephraim als<br />
»Halbjude« wurde abgelehnt. 19<br />
Schon am 1. Mai 1939 hatte die Fa. Sommerfeld – auch ohne Namensänderung<br />
– das Gaudiplom als »Nationalsozialistischer Musterbetrieb« durch Gauleiter<br />
Stürtz überreicht bekommen . 20<br />
Über die NS - Zeit im Weiteren ist wenig Material überliefert. 1941 soll Ephraim<br />
geäußert haben: »Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen …« Der Zeuge Walter<br />
Neumann berichtete aufgr<strong>und</strong> eigener Wahrnehmung, Ephraim »neigte unter<br />
diesem Druck <strong>und</strong> in der Absicht, den Betrieb zu erhalten, dazu, sich die<br />
Nationalsozialisten gewogen zu machen.« So habe er für den SS - Trupp des SS -<br />
Betriebsobmannes »einmal jährlich Schlemmeressen spendiert«, <strong>und</strong> auch gegenüber<br />
dem Betriebsführer Urban »konnte er sich nur schwer durchsetzen.«<br />
Gegen Ephraims Willen habe dieser »drei Naziplaketten – Auszeichnungen für<br />
›nationalsozialistische Musterbetriebe – an der Fassade des Werkes anbringen«<br />
lassen. Dennoch wurde das Werk 1942 auf Rüstungsproduktion für die Firma<br />
Focke - Wulff umgestellt. 21 Der SA - Mann Willi Urban war 1942 von NS - Wirtschaftsstellen<br />
als Betriebsleiter eingesetzt <strong>und</strong> die Fabrik als Rüstungsbetrieb<br />
umstrukturiert worden. 22<br />
19 Stadtarchiv Cottbus,<br />
A II 3.2f / 9, Bl. 25, Bl. 33,<br />
Bl. 20, Bl. 23, Bl. 37,<br />
Bl. 26 f., Bl. 71 <strong>und</strong> R,<br />
Bl. 80. Als Begründung<br />
diente der R<strong>und</strong>erlass des<br />
Reichsministers des Innern<br />
über den Widerruf von<br />
Namensänderungen vom<br />
8. Januar 1938.<br />
20 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />
Aktennummer 61 / 4, Bd. 1,<br />
unpaginiert.<br />
21 ACOL (Hrsg.), Die Textilbranche<br />
in Cottbus gestern<br />
<strong>und</strong> heute, Cottbus 1995,<br />
S. 15.<br />
22 BLHA Potsdam, Rep. 212<br />
Nr. 905c.<br />
16 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«
1944 wurde eines Tages ein ganzer Saal freigemacht, nach <strong>und</strong> nach für die<br />
Herstellung von Flugzeugteilen in Anspruch genommen <strong>und</strong> dabei Deutsche,<br />
Estinnen <strong>und</strong> Lettinnen sowie Ostarbeiter eingesetzt, wie der ehemalige Werkmeister<br />
Wilhelm Schobben 1949 aussagte. Er wisse nicht, ob Otto Ephraim<br />
daraus Verdienste zuwuchsen, die Arbeiter dieser Abteilung seien aber entlohnt<br />
worden. 23 Am 20. Oktober 1944 sollte sich Otto Ephraim auf dem Arbeitsamt<br />
melden <strong>und</strong> wie zahlreiche andere sogenannte »Mischlinge« in einem Lager<br />
der Organisation Todt Zwangsarbeit leisten. Von Baselli, so berichtete Ephraim<br />
1949 dessen Witwe, schaltete sich abermals ein »<strong>und</strong> erreichte schließlich, daß<br />
der untersuchende Arzt auf das amtlich bescheinigte Herzleiden Rücksicht nahm,<br />
das ich mir infolge der jahrelangen Demütigungen <strong>und</strong> Schädigungen durch die<br />
NSDAP geholt hatte«. Im Januar 1945 teilte die NSDAP in Cottbus Ephraim mit, »es<br />
seien wieder Denunziationen <strong>und</strong> Anfragen eingelaufen, ›warum ich noch immer<br />
frei herumlaufe‹.« Im März habe die Gestapo seinen Einsatz zu »untergeordneter<br />
körperlicher Arbeit« verfügt. Von Baselli sorgte jedoch dafür, dass Ephraim nur bei<br />
den Aufräumarbeiten im eigenen Betrieb eingesetzt wurde. Ephraim bescheinigte<br />
1949: »Herr v. Baselli war einer der beiden Pg‹s, die am meisten dazu beitrugen,<br />
daß ich der Verschickung entging <strong>und</strong> nicht in Auschwitz umgebracht wurde.« 24<br />
Durch den schweren amerikanischen Bombenangriff auf Cottbus am 15. Februar<br />
1945 war die Tuchfabrik Sommerfeld nur geringfügig betroffen. Erst im Zuge der<br />
Verteidigung der Stadt durchgeführte Sprengungen sowie die schweren Kämpfe<br />
bei der Befreiung der Stadt durch die Rote Armee am 21. / 22. April 1945 führten<br />
zur fast vollständigen Vernichtung der Werksanlagen. 25 Otto Ephraim verließ<br />
noch vor Kriegsende Cottbus. NS - Oberbürgermeister von Baselli wurde im April<br />
1945 in Cottbus vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet <strong>und</strong> starb Ende 1945<br />
im sowjetischen Speziallager Tost in Schlesien.<br />
Cottbus nach 1945<br />
1945 / 46 wurde eine neue Aufteilung der Eigentümeranteile der Tuchfabrik<br />
Sommerfeld vorgenommen. Der Betrieb bestand weiter, doch nur Otto Ephraims<br />
Schwester Else <strong>und</strong> sein Bruder Ludwig lebten in der SBZ. Nun trat Ephraims<br />
Schwester Else wieder für ihren geschiedenen Mann in die Firma ein <strong>und</strong> führte<br />
den Betrieb auf dem Papier mit den Kindern von Otto Ephraim sowie der Tochter<br />
des 1934 ausgeschiedenen Ludwig Ephraim, dem Bruder von Otto Ephraim,<br />
weiter. Denn auch Ephraims Kinder lebten nicht in der SBZ. Sein in Sachsen<br />
lebender Bruder Ludwig Ephraim wurde für einige Jahre Geschäftsführer, obwohl<br />
formal sein Bruder Otto angestellter Geschäftsführer geblieben war <strong>und</strong> sein<br />
Ausscheiden nach 1945 ablehnte. 26 Spätestes seit 1948 wohnte Otto Ephraim<br />
in Aachen. Der Betrieb in Cottbus konnte wegen der weitgehenden Zerstörung<br />
nur in geringfügigem Maße die Produktion neu aufnehmen.<br />
Am 28. August 1946 fertigte der Stadtarchivar Max Walther, der selbst in<br />
Cottbus in einer sogenannten »Mischehe« gelebt hatte, 27 eine Aktennotiz für<br />
Oberbürgermeister Otto Weihrauch an. Darin beschreibt er einen Aktenf<strong>und</strong>. In<br />
23 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />
Obj. 4, ZB 1874.<br />
24 Stadtarchiv Cottbus, A I,<br />
1g8, 48 / 0242.<br />
25 ACOL (Hrsg.), Die Textilbranche<br />
in Cottbus gestern<br />
<strong>und</strong> heute, Cottbus 1995,<br />
S. 15.<br />
26 BStU, BV Cottbus,<br />
147 / 55, Aktennummer<br />
61 / 4, Bd. 1, Bl. 28 f.<br />
27 CJA, 5B1, Nr. 40, Bl. 241.<br />
Otto Ephraim 17
28 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />
Obj. 4, ZB 1874.<br />
29 Stadtarchiv Cottbus, Abt.<br />
2AII RdSt Cbs., 01.B.1. f.,<br />
Nr. 121.<br />
30 BLHA Potsdam, Rep. 333,<br />
SED - Landesvorstand Brandenburg,<br />
Nr. 1281.<br />
31 Der Befehl 201 der SMAD<br />
vom 16. August 1947 legte<br />
Strafen für nationalsozialistische<br />
Verbrechen fest.<br />
32 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />
Obj. 4, ZB 1874.<br />
einer Polizeiakte aus dem Jahre 1938 / 39 war er auf die Namensänderungssache<br />
Ephraim gestoßen. Er zählte alle für die Namensänderung sprechenden<br />
Stellungnahmen auf <strong>und</strong> schloss mit dem Satz: »Ein solcher gut beleum<strong>und</strong>eter<br />
Mann kann wohl nicht länger ›Betriebsführer‹ sein.« 28 Walther hatte bei der<br />
Übergabe der Akten teils Abschriften, teils Originale herausgegeben, jedoch<br />
alle entlastenden Dokumente, wie die Ablehnung durch die NSDAP <strong>und</strong> die das<br />
Eingreifen von Basellis belegenden Schriftstücke, zurückbehalten. Sie liegen noch<br />
heute im Stadtarchiv Cottbus.<br />
Lange schien sich nichts tun, bis Anfang Dezember 1948 die Kreiskommission<br />
für Sequestrierung <strong>und</strong> Beschlagnahme der Stadt Cottbus die SED - Ortsgruppe in<br />
Cottbus mit Ermittlungen beauftragte. Am 15. Dezember 1948 teilte diese knapp<br />
mit, dass die Tuchfabrik Sommerfeld als erster NS - Musterbetrieb in Cottbus in<br />
Erscheinung trat <strong>und</strong> am Eingang zum Werk Weberstraße das entsprechende<br />
große kupferne Schild angebracht war. 29<br />
Als Ephraims Schwester Else Kühne im Januar 1949 Mitglied der VVN wurde, gab<br />
sie an, als Musiklehrerin in Cottbus zu arbeiten <strong>und</strong> von 1933 bis 1945 »stets<br />
im Widerstand tätig« gewesen zu sein. Sie nannte unter anderem ihren Bruder<br />
Ludwig als Zeugen, der ebenfalls als Opfer des Faschismus anerkannt worden<br />
sei. 1952 fügte sie an, ihr sei im Februar 1945 Zwangsarbeit <strong>und</strong> im April sogar<br />
»Vergasung« angedroht worden – »darauf verließ ich Cottbus«. 30<br />
Indessen wurden die im Stadtarchiv Cottbus gef<strong>und</strong>enen Unterlagen Anfang<br />
Februar 1949 dem Landgericht Cottbus übergeben.<br />
In einem ersten Ermittlungsbericht der Cottbuser Kreispolizeibehörde im März<br />
1949 wurde Ephraim – wie in der NS - Zeit nach den Nürnberger Rassegesetzen<br />
– als Jude bezeichnet. Die erste Klageschrift war noch lediglich gegen ihn selbst<br />
gerichtet <strong>und</strong> von Polizeihauptwachtmeister Köhler von der für den sowjetischen<br />
Befehl 201 31 zuständigen politischen Kriminalpolizei in Cottbus am 16. März<br />
1949 verfasst. Dieser Text, voller antijüdischer Entgleisungen, klagt Ephraim<br />
an, »seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft<br />
zu haben, um somit aus Habsucht in der nazistischen Zeit Nutzen zu ziehen«.<br />
Ephraim habe »aus politischen Beweggründen seine Rassenzugehörigkeit verleugnet,<br />
<strong>und</strong> somit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft außerordentliche<br />
politische, wirtschaftliche <strong>und</strong> propagandistische« Unterstützung gewährt. Er<br />
habe sogar mit führenden Personen der SS <strong>und</strong> der Wehrmacht in Verbindung<br />
gestanden, »um somit an der Verfolgung seiner Rassengenossen teilzunehmen«.<br />
Er sei »somit an all dem Elend mit schuldig« <strong>und</strong> ein »Verbrecher übelster Sorte«.<br />
Die Verstiegenheit dieses Textes ging offenbar den Vorgesetzten zu weit. Die<br />
Anklage wurde nicht bestätigt. 32<br />
Danach recherchierte die Kreispolizei Cottbus zunächst die Eigentumsverhältnisse<br />
der Tuchfabrik Sommerfeld. Ende Mai wurde der nicht mehr in Cottbus wohnhafte<br />
Bruder von Otto Ephraim, Ludwig Ephraim, ausfindig gemacht. Er schilderte der<br />
Ermittlungsbehörde nach ausdrücklicher Aufforderung die Besitzverhältnisse.<br />
18 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«
Seit 1945 / 46 seien seine Tochter, seine Schwester Else sowie die Kinder Otto<br />
Ephraims Anteilseigner. Zugleich sei er anstelle der genannten Personen selbst<br />
zum alleinigen Geschäftsführer der Tuchfabrik bestimmt worden, obwohl als sogenannter<br />
»angestellter Geschäftsführer« immer noch sein Bruder Otto eingetragen<br />
war. Dieser habe aber seine formale Löschung als angestellter Geschäftsführer<br />
abgelehnt. Dies dürfte auch der Gr<strong>und</strong> dafür sein, dass Otto Ephraim später allein<br />
verurteilt wurde, da man formal in ihm den Hauptgesellschafter sah, obwohl er<br />
es seit 1941 nicht mehr war. Ende Juni 1949 erfuhr die Kiminalpolizei in Cottbus<br />
auch aus aufgef<strong>und</strong>enen Geschäftspapieren, dass Otto Ephraim niemals alleiniger<br />
Eigentümer der Tuchfabrik Sommerfeld gewesen war. 33<br />
Unmittelbar nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens wegen NS - Verbrechen<br />
gegen Otto Ephraim wurde die Tuchfabrik Sommerfeld am 24. Februar 1949<br />
formal beschlagnahmt, aber noch nicht enteignet. Im März 1949 empfahl<br />
der brandenburgische Landesausschuss zum Schutze des Volkseigentums der<br />
Stadt Cottbus, Ephraim »über ein Verfahren Befehl 201« zu enteignen, da der<br />
Namensänderungsantrag hierfür ausreichend sein dürfte. Im Vordergr<strong>und</strong> stand<br />
also die Enteignung, die Verurteilung sollte das Mittel hierzu werden. Im Mai<br />
1949 entließ der Sonderbeauftragte für den Befehl 201 kurzerhand alle mit Otto<br />
Ephraim verwandten Betriebsangehörigen aus der Firma. Bis Juli 1949 wurde<br />
die Tuchfabrik Sommerfeld wegen Steuerschulden als Treuhandbetrieb gemäß<br />
Wirtschaftsstrafverordnung geführt <strong>und</strong> von wechselnden Treuhändern verwaltet,<br />
doch schon bald in einen Treuhandbetrieb gemäß Befehl 201 umgewandelt,<br />
wodurch der Staat den Zugriff auf das Eigentum <strong>und</strong> seine Verfügung erhielt<br />
<strong>und</strong> die Eigentümer ausschaltete. Otto Ephraims Bruder Ludwig, der seit 1945<br />
Geschäftsführer war, beantragte im Mai 1949 erfolglos die Übernahme der<br />
Treuhandschaft. Die Stadt Cottbus lehnte dies mit Verweis auf das gegen seinen<br />
Bruder Otto laufende Naziverbrecher - Verfahren nach Befehl 201 ab, 34 obwohl<br />
bekannt war, dass Otto Ephraim nie Hauptgesellschafter <strong>und</strong> seit 1941 überhaupt<br />
kein Gesellschafter mehr war. Im Vorfeld des Verfahrens gegen Otto Ephraim<br />
entschied sich das Amtgericht jedoch plötzlich zu einem anderen Vorgehen.<br />
Noch vor dem Gerichtsverfahren beschlagnahmte das Amtsgericht Cottbus<br />
am 8. Oktober 1949 das gesamte Firmeneigentum erneut durch eine einfache<br />
Erklärung. »Eine Firma M. & O. Sommerfeld, wie sie bis zum Zusammenbruch<br />
1945 bestanden hat, existiert heute praktisch überhaupt nicht mehr«, weil der<br />
Betrieb im Krieg vollständig zerstört worden <strong>und</strong> der »verantwortliche Geschäftsführer«<br />
Otto Ephraim geflohen sei. Es sei jetzt »ein völlig neues Gebilde«, das<br />
mit der alten Firma nichts zu tun habe <strong>und</strong> folglich auch »in keinem ursächlichen<br />
Zusammenhang mit der Strafsache gegen Otto Ephraim steht«. 35<br />
In der von VP - Wachtmeister Lange von derselben Behörde verfassten zweiten<br />
Anklageschrift vom 19. November 1949 sind neben Ephraim nun auch seine<br />
Schwester, seine beiden Kinder sowie die Tochter seines Bruders Ludwig an-<br />
33 BStU, BV Cottbus,<br />
147 / 55, Aktennummer<br />
61 / 4, Bd. 1, Bl. 25,<br />
Bl. 28 f., Bl. 31.<br />
34 Stadtarchiv Cottbus, Abt.<br />
2AII RdSt Cbs., 01.B.1. f.,<br />
Nr. 121.<br />
35 BStU, BV Cottbus,<br />
147 / 55, Aktennummer<br />
61 / 4, Bd. 1, Bl. 40.<br />
Otto Ephraim 19
Anklageentwurf der<br />
Cottbuser Kreispolizeibehörde<br />
vom 19. November 1949<br />
(Auszug).<br />
(BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />
Objekt 4, ZB 1878)<br />
»Werden aufgr<strong>und</strong> des<br />
Befehls 201 der SMAD vom<br />
16.8.1947 angeklagt in den<br />
Jahren 1933 bis 1945 aus<br />
Gewinnsucht, aus reinem<br />
Egoismus die nazistische<br />
Gewaltherrschaft <strong>und</strong> den<br />
Krieg gefördert <strong>und</strong> zu<br />
diesem Zweck ihre jüdische<br />
Rassenzugehörigkeit verkauft<br />
zu haben.«<br />
geklagt. Die Polizei nahm weiter an, dass diese fünf Personen die Eigentümer<br />
der Tuchfabrik Sommerfeld seien. Sie beschuldigte sie, »in den Jahren 1933<br />
bis 1945 aus Gewinnsucht, aus reinem Egoismus die nationalsozialistische<br />
Gewaltherrschaft <strong>und</strong> den Krieg gefördert <strong>und</strong> zu diesem Zweck ihre jüdische<br />
Rassenzugehörigkeit verkauft zu haben«. Der Text beginnt unter Verwendung<br />
rassistischer Termini: »Die Angeklagten waren alle jüdischer Abstammung, nach<br />
den Nürnberger Gesetzen des Hitlerregimes von 1938 [sic !]. Otto Ephraim <strong>und</strong><br />
Else Kühne geb. Ephraim Mischlinge ersten Grades, Lore B. geb. Ephraim, Hans<br />
20 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«
Winkler alias Ephraim <strong>und</strong> Brigitte Ephraim Mischlinge zweiten Grades. Alle<br />
Familienangehörigen haben ihre Zustimmung zur Namensänderung (Arisierung)<br />
[sic !] … gegeben. Diese Arisierung wurde von den Angeklagten nicht beantragt<br />
aus Angst vor nazistischer Verfolgung, sondern rein aus Profitgier, um finanzielle<br />
Vorteile zu erlangen. … Der Angeschuldigte sowie seine Familienangehörigen<br />
waren so sehr vom nationalsozialistischen Geist erfüllt, daß sie ihre Rassenzugehörigkeit<br />
verkauft haben.« 36<br />
Am 21. Dezember 1949 wurde durch die Kriminalpolizei Cottbus eine dritte,<br />
endgültige Anklageschrift verfasst. Sie richtete sich nur noch gegen vier Angeklagte:<br />
Otto Ephraim, seine Schwester Else Kühne sowie seine Kinder Hans<br />
Winkler <strong>und</strong> Lore Bechler. Otto Ephraim wird als »Besitzer <strong>und</strong> gleichzeitig Betriebsführer«<br />
der Tuchfabrik Sommerfeld bezeichnet, obwohl dies nicht stimmte.<br />
Im Weiteren wurden erneut wüste antijüdische Vorurteile verbreitet. So formulierte<br />
der VP - Wachtmeister Lange über Ephraims Sohn, er habe sich »aus reinem<br />
Tatendrang <strong>und</strong> nazistischer Überzeugung als Jude freiwillig zur Wehrmacht<br />
gemeldet«. Angeblich hätten beide Kinder von Otto Ephraim 1937 / 38 auch<br />
um Aufnahme in die NSDAP gebeten. Alle Angeklagten hätten »sich freiwillig der<br />
Hitlerdiktatur unterworfen«. Es seien keine entlastenden Umstände zu ermitteln<br />
gewesen. Ein einziger Zeuge ist gehört worden, der frühere Angestellte Wilhelm<br />
Schobban. 37 Doch er hatte schon im Vorfeld der Verhandlung erklärt, dass<br />
Ephraim nicht als Betriebsführer anerkannt worden sei, weil er »als Mischling I.<br />
Grades bezeichnet wurde (Halbjude)«.<br />
Die bereits im Februar 1948 eingeholten Aussagen von Betriebsangehörigen<br />
über die Behandlung von Zwangsarbeitern in der Tuchfabrik blieben im Ermittlungsverfahren<br />
unberücksichtigt. Sechs Befragte gaben übereinstimmend an, dass<br />
sowohl die deutschen als auch die ausländischen Arbeiter sehr gut behandelt<br />
<strong>und</strong> versorgt wurden. Ephraim habe »für die Ausländer … sogar Wohnraum <strong>und</strong><br />
Decken gegeben <strong>und</strong> auch Räume zum Schlafen.« 38<br />
Die Gerichtsverhandlung sollte ursprünglich am 7. Februar 1950 stattfinden. Dann<br />
wurde aber im März 1950 noch der langjährige Arzt von Else Kühne, Prof. Walter<br />
Brednow, vernommen, der angab, sie habe die »betrieblichen Annäherungen<br />
des Bruders an die Nazis mißbilligt« <strong>und</strong> als Widerspruch zu der hohen Meinung<br />
empf<strong>und</strong>en, die sie von ihrem Vater hatte. Es meldete sich Ende Januar auch<br />
der Ehemann von Otto Ephraims angeklagter Tochter Lore <strong>und</strong> schilderte, dass<br />
sie trotz Ableistung des freiwilligen Arbeitsdienstes als sogenannter »jüdischer<br />
Mischling« nicht zum Medizinstudium zugelassen wurde. Sie sei 1941 nur<br />
deswegen als Anteilseignerin in die Tuchfabrik eintreten, weil die NSDAP Otto<br />
Ephraim zwang, seinen Anteil auf die Kinder, die nur »Mischlinge 2. Grades«<br />
waren, zu übertragen. Seine Frau sei antinazistisch eingestellt gewesen. Darum<br />
könne sie die ihr zur Last gelegten Verbrechen auch nicht gegangen haben, was<br />
auch für die anderen Angeklagten zutreffe. 39<br />
Zudem machten die juristischen Rangeleien in Cottbus um den Status der Tuchfabrik<br />
den Aufschub notwendig. Nach Auffassung der Stadt Cottbus war der<br />
36 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />
Obj. 4, ZB 1874.<br />
37 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />
Aktennummer 61 / 4, Bd. 1,<br />
unpaginiert.<br />
38 Stadtarchiv Cottbus, Abt.<br />
2AII RdSt Cbs., 01.B.1. f.,<br />
Nr. 121.<br />
39 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />
Aktennummer 61 / 4, Bd. 1,<br />
Bl. 73 bzw. unpaginiert.<br />
Otto Ephraim 21
40 Stadtarchiv Cottbus,<br />
Abt. 2AII RdSt Cbs.,<br />
01.B.1. f., Nr. 121.<br />
41 BLHA Potsdam, Rep. 212<br />
Nr. 905c.<br />
Betrieb vollständig untergegangen, <strong>und</strong> so brauchte er auch nicht enteignet zu<br />
werden. Doch die Landesregierung erkannte den von der Stadt Cottbus einfach<br />
auf dem Papier neugegründeten Betrieb Ende Dezember 1949 nicht an, so dass<br />
der alte rechtlich weiterbestand <strong>und</strong> nun doch vom Landgericht eingezogen<br />
werden musste. 40<br />
Zur Gerichtsverhandlung am 4. April 1950 erschien nur die Schwester von<br />
Otto Ephraim, Else Kühne, die in Cottbus geblieben war. Otto Ephraim wurde<br />
in Abwesenheit zu anderthalb Jahren Haft verurteilt, die Mitangeklagten freigesprochen.<br />
Das Gericht stellte im Sinne der NS - Judenpolitik fest, Otto Ephraim<br />
stamme von einem jüdischen Vater ab, <strong>und</strong> es stützte sich im Weiteren hauptsächlich<br />
auf den Vorwurf der Unterstützung des Nationalsozialismus. Im Urteil<br />
wurden die Begründungen des Verteidigers Theopold verworfen, wonach Otto<br />
Ephraim nicht aus nationalsozialistischer Überzeugung gehandelt habe, sondern<br />
mit »Schmiergeldern« seine Familie retten wollte. Ephraim habe, so das Gericht,<br />
hingegen bereits seit 1918 »das Leben des deutschen Volkes auf eine Politik der<br />
militärischen Gewalt hinzulenken versucht.« »Er war darum auch mit den Zielen<br />
der Nationalsozialisten einverstanden. Daß sich diese Liebe später etwas abkühlte,<br />
als er einsehen mußte, daß man ihn aufgr<strong>und</strong> seiner Rassenzugehörigkeit<br />
nicht anerkannte, ist verständlich.« Indirekt bezichtigte ihn das Gericht auch der<br />
vorbehaltlosen Zustimmung zur NS - Kriegs - <strong>und</strong> Vernichtungspolitik <strong>und</strong> unterstellte<br />
ihm, dass er »mit allem einverstanden gewesen wäre, wenn man ihn hätte mittun<br />
lassen.« Das Gericht behauptete auch, Otto Ephraim sei aus Angst vor Bestrafung<br />
aus Cottbus geflohen. »Sein Aufenthalt in Westdeutschland zeigt außerdem,<br />
daß ihm die alten Nationalsozialisten immer noch lieber sind als aufrichtige<br />
Antifaschisten.« Ephraim wurde ausdrücklich nicht als Kriegsgewinnler, sondern<br />
als Naziverbrecher angeklagt <strong>und</strong> verurteilt. Das Urteil behauptete, Ephraim<br />
habe »wesentlich zur Begründung, Stärkung <strong>und</strong> Erhaltung der nationalsozialistischen<br />
Gewaltherrschaft beigetragen«. Sein Vermögen wurde enteignet <strong>und</strong><br />
laut Urteil angeblich »zur Wiedergutmachung« eingezogen. Seine Schwester<br />
Else wurde »wegen erwiesener Unschuld« freigesprochen. Verharmlosend heißt<br />
es mit Nazi - Begrifflichkeit: »Sie hat vielleicht durch ihren Bruder <strong>und</strong> durch ihren<br />
arischen Mann nicht die körperlichen Leiden erdulden müssen, die viele andere<br />
ihrer Rasse erdulden mußten. Die Verhandlung ergab aber, daß sie so viele<br />
Demütigungen zu erleiden hatte, daß ihre Ges<strong>und</strong>heit völlig zerrüttet wurde.«<br />
Über Ephraims Sohn heißt es, er habe sich »freiwillig zur faschistischen Wehrmacht«<br />
gemeldet. Dies taten H<strong>und</strong>erttausende andere Deutsche auch. Bei ihm<br />
aber wurde es als Zeichen der »nationalsozialistischen Erziehung« des Vaters<br />
gewertet. Ephraims Tochter, so behauptete das Gericht, »ging ohne Not zum<br />
nationalsozialistischen Arbeitsdienst …, um eines Tages als Nationalsozialistin<br />
anerkannt zu werden«. Beiden wurde immerhin konzediert, sie hätten den Nationalsozialismus<br />
nicht wesentlich gefördert. Sie wurden deswegen »mangels<br />
Beweises« freigesprochen. 41<br />
22 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«
Staatsanwalt Fritz Jahnke, der als SED - treuer Jurist galt <strong>und</strong> bereits vor 1945<br />
Mitglied der KPD war, vertrat für die Staatsanwaltschaft Cottbus die Anklage.<br />
Er wurde 1951 Landesstaatsanwalt im Land Brandenburg. 1951 / 52 leitete er<br />
die Ermittlungen in einem Wirtschaftsstrafverfahren gegen den Mühlenbetrieb<br />
Kampffmeyer. Seine Anklage gegen Kampffmeyer vom Januar 1952 nennt der<br />
Historiker Dieter Pohl »an ideologischer Verzerrung kaum zu überbieten«. 42<br />
Notizen des Rechtsamtes Cottbus vom 19. Mai 1950 belegen, dass auch die<br />
Staatsanwaltschaft Cottbus während des Prozesses von falschen Besitzverhältnissen<br />
ausging. Staatsanwalt Jahnke legte nämlich aus folgenden Gründen Revision<br />
gegen das Urteil ein: Er nahm an, dass Otto Ephraim, seine Schwester Else <strong>und</strong><br />
seine Kinder Eigentümer der Tuchfabrik seien. Else Kühne hätte angeblich bereits<br />
auf ihren Anteil zugunsten des Volkseigentums verzichtet, wie er dem Rechtsamt<br />
mitteilte. Doch da die Kinder Otto Ephraims freigesprochen wurden, könne nun<br />
nicht das Gesamtvermögen als Volkseigentum eingezogen werden. 43<br />
Am 5. Juli 1950 wies das Oberlandesgericht Potsdam eine durch Otto Ephraim<br />
angestrengte Revision des Urteils ab. Es verwarf dessen Darstellung, »seine,<br />
eines ›Mischlings‹, nazifre<strong>und</strong>liche Stellungnahme in Wort <strong>und</strong> Tat« sei »lediglich<br />
Tarnung gewesen«. Das Oberlandesgericht behauptete sogar, Ephraim habe<br />
schon in der Weimarer Republik den Nazismus gefördert, »als noch kein Druck<br />
auf ihn ausgeübt wurde«. Ephraim blieb für das Gericht ein »Belasteter«. 44 Am<br />
8. Juli 1950 beschlagnahmte der Sonderbeauftragte für die Durchführung des<br />
Befehls 201 im Bezirk Cottbus infolge des rechtskräftig gewordenen Urteils »das<br />
gesamte Vermögen des Otto Ephraim, Hans Winkler <strong>und</strong> Lore Bechler einschl.<br />
des Betriebsvermögens der Fa. M. u. O. Sommerfeld in Cottbus«.<br />
Im August 1956 beantragte der Staatsanwalt des Bezirkes Cottbus beim Bezirksgericht<br />
Cottbus die bedingte Aussetzung der Strafe für Otto Ephraim, da »die<br />
Festigung der Arbeiter - <strong>und</strong> Bauernmacht« dies gestatte. Als Straftat war nun<br />
angegeben: »Der Verurteilte hat als ehem. Besitzer der Firma Sommerfeld die<br />
faschistische Gewaltherrschaft unterstützt, indem er faschistischen Organisationen<br />
Zuwendungen machte.« Am 20. August 1956 legte das Bezirksgericht eine<br />
Bewährungsfrist von zwei Jahren fest. 45<br />
Otto Ephraim hatte 1949 der Witwe von Freiherr von Baselli ein positives Zeugnis<br />
ausgestellt <strong>und</strong> starb bereits am 18. Juni 1951 in Aachen. Seine Schwester Else<br />
Kühne blieb nach dem Urteil des Landgerichts Cottbus gegen ihren Bruder in<br />
ihrer Heimatstadt. Sie floh am 25. Februar 1953 in die BRD. 46<br />
42 Dieter Pohl, Justiz in<br />
Brandenburg 1945–1955,<br />
München 2001, S. 120,<br />
S. 170, S. 177, S. 208<br />
43 Stadtarchiv Cottbus, Abt.<br />
2AII RdSt Cbs., 01.B.1. f.,<br />
Nr. 121.<br />
44 BLHA Potsdam, Rep. 212<br />
Nr. 905c.<br />
45 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />
Aktennummer 61 / 4, Bd. 1,<br />
unpaginiert.<br />
46 Landesarchiv Schleswig -<br />
Holstein, Entschädigungsbehörde<br />
Kiel, Akte 23306,<br />
Abt. 761.<br />
Otto Ephraim 23