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Andreas Weigelt · Hermann Simon (Hg.)<br />

<strong>Zwischen</strong> <strong>Bleiben</strong> <strong>und</strong> <strong>Gehen</strong><br />

Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956<br />

Zehn Biographien


Inhalt<br />

7 Vorwort von Hermann Simon<br />

Andreas Weigelt<br />

»… seine jüdische Rassenzugehörigkeit<br />

aus nazistischer Überzeugung verkauft …«<br />

9 Otto Ephraim (1889 – 1951)<br />

»Das Verhalten von Herrn J.<br />

erregt in Birkenwerder öffentliches Ärgernis.«<br />

25 Josef Jubelski (1888 – 1959)<br />

»Das Küstengebiet der Deutschen Demokratischen Republik<br />

wird endgültig von solchen Elementen gesäubert werden.«<br />

39 Adalbert Bela Kaba-Klein (1895 – 1962)<br />

»Die näheren Gründe seiner Verurteilung sind hier nicht bekannt.«<br />

55 Fritz Katten (1898 – 1964)<br />

»Der zionistische Agent Julius Meyer <strong>und</strong> seine Auftraggeber …«<br />

75 Julius Meyer (1909 – 1979)<br />

»… gründete Ende 1945 aus eigener Initiative<br />

eine so genannte ›Jüdische Gemeinde‹ in Berlin …«<br />

131 Erich Nelhans (1899 – 1950)<br />

»… den Frieden des deutschen Volkes gefährdet …«<br />

163 Eva Robinson (geboren 1918)<br />

»… ausgesuchter Volksverderber …«<br />

177 Ernest Wilkan (1898 – 1949)<br />

»… trat 1938 freiwillig einer<br />

profaschistischen jüdischen zionistischen<br />

Organisation bei …«<br />

193 Karl Wolfsohn (1887 – 1946)<br />

»Die Politik hat sich geändert<br />

<strong>und</strong> ich stehe jetzt als jüdischer Nationalist da.«<br />

209 Leo Zuckermann (1908 – 1985)<br />

Petra Haustein<br />

239 Ein „kleines Paradies«.<br />

Das Jüdische Kinderheim Berlin-Niederschönhausen<br />

zwischen Neuanfang <strong>und</strong> Repression<br />

1945 bis 1953<br />

248 Abkürzungsverzeichnis


Vorbemerkung<br />

»Am 28. Juli 1945 vollzog ich in der kleinen Synagoge des Jüdischen Krankenhauses<br />

die erste Einsegnung eines Knaben. Am folgenden Tag, es war Sonntag,<br />

der 29. Juli, traute ich das erste jüdische Brautpaar in Berlin. Das war in der<br />

kleinen Synagoge Rykestraße. Zwei Menschen hatten sich bei dem gleichen<br />

furchtbaren Leid, inmitten von Mord <strong>und</strong> Barbarei, im Vernichtungslager Auschwitz<br />

gef<strong>und</strong>en.<br />

So wie ich im Jahre 1943 die letzte Trauung in Berlin in einer Zeit der tiefsten <strong>und</strong><br />

dunkelsten Verfolgungsnacht vollzog, so traute ich nun das erste Brautpaar im<br />

Lichte der so lang herbeigesehnten Freiheit. Dies war der erste große Freudentag<br />

der wiedererstandenen Berliner Gemeinde.«*<br />

Dies formulierte mein Lehrer Rabbiner Martin Riesenburger bereits in der ersten<br />

Auflage seiner Erinnerungen, die er mit dem Untertitel »Ein Zeugnis aus der Nacht<br />

des Faschismus« versah.<br />

Schwer zu sagen, wann ich diese Erinnerungen erstmals las; viele Bücher bekam<br />

ich von ihm geschenkt, das aber besitze ich ohne seine Widmung in meiner<br />

Bibliothek.<br />

Woche für Woche – es war nach meiner Erinnerung immer montags – fuhr ich<br />

in den Jahren 1961 bis etwa 1964 mit dem Autobus 45 um 15:05 Uhr ab Pankow<br />

Kirche zu Riesenburgers Wohnung nach Weißensee, die sich in der ersten<br />

Etage des Verwaltungsgebäudes des Friedhofs befand, um am Religionsunterricht<br />

teilzunehmen; Riesenburger bereitete mich auf meine Barmizwa vor, die am 28.<br />

April 1962 in der Synagoge Rykestraße stattfand.<br />

Damals kannte ich Riesenburgers Erinnerungen, die ich danach immer wieder<br />

zur Hand nahm. Und immer habe ich mich gefragt, wer war »das erste jüdische<br />

Brautpaar«?<br />

Eine Frage, die sich auch meine Kollegin Chana Schütz stellte – <strong>und</strong> mich vermutlich<br />

konsultierte –, als sie im Jahre 1988 den Berlin-Teil der Ausstellung »Jüdische<br />

Lebenswelten« konzipierte.<br />

Letztmalig tauchte die Frage auf, als Riesenburgers Erinnerungen von Andreas<br />

Nachama <strong>und</strong> mir vor wenigen Jahren noch einmal herausgegeben wurden.<br />

Ob Riesenburger 1960 eine Veranlassung hatte, den Namen des Brautpaares<br />

nicht zu nennen, habe ich mich nie gefragt <strong>und</strong> nun gelernt, dass er eine hatte.<br />

Mein in meinen Augen mutiger Lehrer hat es 1960 nicht gewagt, zu sagen, um<br />

wen es sich handelte, weil der Name in dem Teil Deutschlands, in dem Riesenburger<br />

lebte <strong>und</strong> wirkte, ein Un-Name war.<br />

Das Rätsel kann heute dank der Forschungen von Andreas Weigelt entschlüsselt<br />

werden: Es waren Ruth Glückmann <strong>und</strong> Julius Meyer.<br />

Meyers Schicksal wird in diesem Band neben anderen intensiv nachgegangen.<br />

Es ist, nachdem ich die Lebensbilder wiederholt gelesen habe, das mich am<br />

stärksten bewegende.<br />

* Martin Riesenburger, Das<br />

Licht verlöschte nicht. Ein<br />

Zeugnis aus der Nacht des<br />

Faschismus. Herausgegeben<br />

<strong>und</strong> mit Beiträgen zur<br />

Erinnerung an ein Berliner<br />

Rabbinerleben von Andreas<br />

Nachama <strong>und</strong> Hermann<br />

Simon, Teetz 2003 [Jüdische<br />

Memoiren, Band 5], S. 97.<br />

Vorwort


Wir setzen auch ihm mit diesem Band <strong>und</strong> unserer Ausstellung »<strong>Zwischen</strong> <strong>Bleiben</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Gehen</strong>. Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956« ein längst verdientes<br />

Denkmal.<br />

Möge sein Leben <strong>und</strong> Wirken – wie das aller anderen Juden, die Opfer politischer<br />

Repression in Ostdeutschland wurden, nicht vergessen werden.<br />

Hermann Simon<br />

Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum<br />

<br />

Vorwort


Otto Ephraim<br />

1889–1951<br />

Herkunft<br />

Eva Robinson wurde am 3. März 1918 in Belgrad als Eva Matta Doroszlowaczki<br />

in einer jüdischen Familie geboren. Ihr Vater war der Arzt <strong>und</strong> Kunstmaler<br />

Dr. Alfred Csedomir (Sonnenfeld) Doroszlowaczki 1 . Ihre Mutter hieß Angella,<br />

geborene Sztanusitz 2 . Später gab Eva Robinson an, »Halbjüdin <strong>und</strong> jugoslawischer<br />

Nationalität« zu sein. Ihre Mutter war Jüdin. 3 Ihre Geschwister seien<br />

»verstorben«. 4 Ihr Vater war 1930 nach England gegangen <strong>und</strong> hat sie nur<br />

gelegentlich in Jugoslawien besucht. Er soll noch 1950 in London gelebt haben.<br />

5 Bis zum Alter von zehn Jahren wurde sie aufgr<strong>und</strong> körperlicher Schwäche<br />

privat unterrichtet <strong>und</strong> 1928 in ein Internat gegeben. 6 Nach 1945 konnte sie<br />

keine näheren Angaben über den Verbleib ih - rer Eltern machen. 7 Von 1928 bis<br />

1936 besuchte sie das Mädchengymnasium in Belgrad. 8 Mit 18 legte sie das<br />

Abitur ab. 9 Danach absolvierte sie eine dreijährige Tanzausbildung bei der<br />

bekannten Tanzlehrerin Ida Braun. 10 1936 legte sie eine Abschlußprüfung an<br />

der Natio - naltheaterschule in Belgrad ab. 11<br />

Ehe<br />

1935 lernte sie den ungarisch - jüdischen Journalisten der Zeitung »Daily Worker«<br />

mit britischer Staatsbürgerschaft George Robinson kennen, der ihren Vater während<br />

eines Besuchs in Jugoslawien begleitete. 12 Sie gab auch an, er sei Vertreter<br />

der Munitionsfabrik Manfred Weiss in Csepell bei Budapest gewesen. 13 Ihn<br />

heiratete sie im Juli 1936, ließ sich aber schon 1937 wieder von ihm scheiden. 14<br />

Zuvor hatte sie ihn auf Reisen durch Europa <strong>und</strong> nach Indien <strong>und</strong> Italien begleitet,<br />

die er als Redakteur für Musik <strong>und</strong> Kultur unternahm. 15 Im Januar 1938 wurde<br />

ihre Tochter Cathline in London geboren, die die britische Staatsbürgerschaft<br />

erhielt. 16 Die Tochter blieb bei ihrem Vater in London 17 , während Eva Robinson<br />

nach einem Jahr wieder nach Belgrad zu ihrer Mutter zurückkehrte. 18<br />

»... seine jüdische<br />

Beruf<br />

Rassenzugehörigkeit<br />

1938 legte sie in Paris eine Berufsprüfung als Tänzerin ab. 19 aus Ende nazistischer 1938 trat Überzeugung<br />

sie, gegen den Willen ihres Vaters, als Tänzerin in Belgrad auf. verkauft Ihr Künstlername<br />

war Matta Doroszlowaczki. 20 Bis 1939 arbeitete sie auch in Paris, später<br />

...«<br />

in Ungarn als Schauspielerin <strong>und</strong> Tänzerin in Nachtlokalen. 21 Vornehmlich<br />

in Balkanländern, aber auch im Orient trat sie zwischen 1939 <strong>und</strong> 1942 als<br />

Tänzerin auf. 22 Als konkrete Auftrittsorte für diese Zeit nannte sie nach 1945<br />

Serbien, England, Frankreich, Deutschland, Italien, Ungarn, Rumänien, Türkei,<br />

Indien <strong>und</strong> Japan. 23<br />

Antijüdische Verfolgung 1942–1945<br />

Ihre Mutter wurde als Jüdin im Frühjahr 1942 in Belgrad von den deutschen<br />

Besatzern verhaftet <strong>und</strong> deportiert. Aus Angst vor der eigenen Verhaftung floh


Ansicht der Tuchfabriken<br />

M. & O. Sommerfeld GmbH<br />

Cottbus, Fabrik Parzellenstraße<br />

<strong>und</strong> Weberstraße.<br />

(Deutschlands Städtebau.<br />

Cottbus. Hrsg. vom Magistrat<br />

der Stadt Cottbus, bearbeitet<br />

von Stadtbaurat Boldt, Berlin<br />

1923, S. 85.)<br />

Herkunft<br />

Otto Ephraim wurde am 28. Oktober 1889 in Cottbus geboren <strong>und</strong> war Gesellschafter<br />

der seit 1861 in Familienbesitz befindlichen Tuchfabrik M. u. O.<br />

Sommerfeld GmbH in Cottbus. Sein in Görlitz geborener jüdischer Vater Ludwig<br />

hatte eine christliche Frau, Marguerita Winkler, geheiratet, trat jedoch erst 1893,<br />

nach der Geburt seines Sohnes Otto, aus der Jüdischen Gemeinde aus, hatte<br />

sich 1904 christlich taufen lassen <strong>und</strong> ließ auch seine drei Kinder taufen. Nach<br />

dem Ersten Weltkrieg wurde Otto Ephraim 1918 als Oberleutnant in die Reserve<br />

versetzt. Bald darauf unterstützte er die sogenannte »Schwarze Reichswehr«. 1 Als<br />

sein Vater Ludwig Ephraim am 24. Februar 1928 in Cottbus starb, war dieser<br />

Kommerzienrat, Präsident der Industrie <strong>und</strong> Handelskammer für die Niederlausitz,<br />

Ehrenvorsitzender vieler Textil - Verbände <strong>und</strong> hatte staatliche Ämter bekleidet. 2<br />

1 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />

2 »Lausitzer Landeszeitung«<br />

vom 28. Februar 1928.<br />

3 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />

Aktennummer 61 / 4,<br />

Bd. 1, Bl. 28 f.<br />

4 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />

5 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />

Aktennummer 61 / 4,<br />

Bd. 1, Bl. 28 f.<br />

Tuchfabrik M. u. O. Sommerfeld in Cottbus<br />

1923 warb die Tuchfabrik M. & O. Sommerfeld GmbH in Cottbus mit der Herstellung<br />

feiner Streichgarn - <strong>und</strong> Kammgarn - Neuheiten. Otto Ephraim hatte wie sein<br />

Vater eine christliche Frau geheiratet, seine Kinder wurden christlich erzogen. 3<br />

Seine Ehefrau Lucie Mayer ist 1893 in der Familie eines Gymnasialprofessors<br />

geboren worden. 4<br />

Durch den Tod seines Vaters 1928 wurde er gemeinsam mit seinem Bruder, seiner<br />

Schwester <strong>und</strong> seiner Mutter Gesellschafter der Fabrik, wobei Otto Ephraim<br />

durch die Vollmacht für den Anteil seiner Mutter faktisch Haupteigner war. Nach<br />

der Machtübernahme durch die NSDAP schied 1934 sein Bruder Ludwig aus<br />

der Firma aus <strong>und</strong> 1938 auch seine Schwester Else, deren Mann nun ihren Platz<br />

als Anteilseigner einnahm. 1941 musste Otto Ephraim seinen Anteil teils durch<br />

Verkauf, teils durch Schenkung an seine Kinder Lore <strong>und</strong> Hans übergeben. Dies<br />

war durch die Nazis erzwungen worden. 5<br />

Unter den 600 Beschäftigten seines Betriebes soll es keine jüdischen Angestellten<br />

gegeben haben. Nach 1933 unterstützte Ephraim die SS wie die SA – nach<br />

10 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«


eigener Angabe, »soweit mir das möglich gewesen ist«. Er sei auch nach 1933<br />

mit geheimen Mobilmachungsvorbereitungen betraut worden. 6 1934 erhielt der<br />

Betrieb erste Aufträge von der Wehrmacht für Militärstoffe. Im Dezember 1936<br />

stiftete Ephraim der Stadt Cottbus 3 000.– Reichsmark für heimatgeschichtliche<br />

Zwecke. 7 Seine Firma Sommerfeld war Gewinner zahlreicher Goldmedaillen<br />

auf internationalen Textilmessen. 8<br />

Unter dem Schutz von Nazis<br />

Spätestens 1938 wurde seine Firma von der Industrie - <strong>und</strong> Handelskammer der<br />

Niederlausitz zum »Deutschen Betrieb« erklärt. Den später für ihn verhängnisvollen<br />

Antrag auf Änderung seines Familiennamens bereitete Otto Ephraim seit Sommer<br />

1938 vor. 9 Bereits am 21. Oktober 1938 begründete der Prokurist <strong>und</strong> stellvertretende<br />

Betriebsführer Carl Sakel in einem von Ephraim erbetenen Bericht die<br />

Notwendigkeit der Namensänderung. Otto Ephraim habe den Betrieb immer<br />

»fortschrittlich geführt«, den Nationalsozialismus von Beginn an bejaht <strong>und</strong> sei<br />

jederzeit sozialen Verbesserungen gegenüber aufgeschlossen gewesen. Sorgen<br />

mache jetzt allerdings, dass der Betrieb als »jüdisch« angesehen werde, obwohl<br />

er offiziell als »Deutsches Unternehmen« anerkannt sei. Es komme jetzt teilweise<br />

vor, dass K<strong>und</strong>schaft »unsere Reisenden nicht empfängt, unter ausweichenden<br />

Redensarten die Muster nicht ansieht oder auf bestellte Muster keine Aufträge<br />

erteilt.« 10<br />

Otto Ephraim,<br />

Cottbus Mai 1943.<br />

(Foto: Dora Liersch, Cottbus)<br />

Franz Viktor Freiherr von<br />

Baselli von Süßenberg (rechts)<br />

beim Bau eines Schießstandes.<br />

Er war von 1937<br />

bis 1945 Oberbürgermeister<br />

in Cottbus <strong>und</strong> schützte Otto<br />

Ephraim vor antijüdischen<br />

Verfolgungen.<br />

(Stadtarchiv Cottbus)<br />

Der Antrag auf Namensänderung war zuvor mit Franz Viktor Freiherr von Baselli<br />

von Süßenberg, der von 1937 bis 1945 Oberbürgermeister in Cottbus war,<br />

besprochen worden. Denn bereits am 21. Oktober 1938 forderte dieser für<br />

Ephraim bei Dienststellen <strong>und</strong> Personen Stellungnahmen an. Am 26. Oktober<br />

1938 bescheinigte der Obmann der Fachabteilung Textil in der Gauwaltung<br />

Kurmark der »Deutschen Arbeitsfront« (DAF), die Zusammenarbeit mit der Firma<br />

6 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />

7 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />

Obj. 4, ZB 1874.<br />

8 BLHA, Rep. 36A, H 315,<br />

Bl. 31 <strong>und</strong> 37.<br />

9 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />

10 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 12 f.<br />

Otto Ephraim 11


Sommerfeld sei die denkbar beste. <strong>Zwischen</strong> den 580 Angestellten <strong>und</strong> der<br />

Betriebsführung sei eine »wirkliche Betriebsgemeinschaft entstanden«. In sozialer<br />

Hinsicht sei Ephraim »den anderen Cottbuser Betrieben voraus« <strong>und</strong> werde »den<br />

sozialpolitischen Anforderungen der heutigen Zeit gerecht«. Die Namensänderung<br />

werde, »wenn die Voraussetzungen <strong>und</strong> gesetzlichen Bestimmungen<br />

gegeben sind«, befürwortet. 11<br />

Am 28. Oktober 1938, also kurz vor dem Novemberpogrom in Deutschland,<br />

reichte Otto Ephraim seinen Antrag ein, zuständigkeitshalber an den Reichsminister<br />

des Innern. Er bat um Änderung des Familiennamens für sich, seine Ehefrau<br />

<strong>und</strong> seine Kinder Lore <strong>und</strong> Hans auf »Winkler«, den Namen seiner Mutter. Er<br />

wisse, dass Namensänderungen bei »Mischlingen« gr<strong>und</strong>sätzlich verboten seien.<br />

Er glaube aber, dass von den genannten Gr<strong>und</strong>sätzen »Ausnahmen zulässig<br />

sind, wenn wichtige Gründe für die Namensänderung nicht nur in der Person<br />

des Antragsstellers <strong>und</strong> seiner Angehörigen, sondern auch vom Gesichtspunkt<br />

der Allgemeinheit vorliegen.« Ephraim begründete seinen Antrag. »Der Betrieb<br />

ist so sehr von nationalsozialistischem Gefühl <strong>und</strong> Geist erfüllt, daß er beim<br />

Leistungswettkampf 1937 als einziger von vielen Cottbuser Tuchfabriken für das<br />

Gaudiplom eingegeben worden ist.« Die Fabrik sei Mitglied der »Nordischen<br />

Gesellschaft«. Durch die Größe des Betriebes werde er natürlich häufig zu<br />

Veranstaltungen eingeladen. »Es hat sich dabei oft ergeben, daß mein Name<br />

Ephraim Anstoß erweckt, ist doch der Name Ephraim unbestritten ein jüdischer<br />

Name. Auch meine Gefolgschaft empfindet dies <strong>und</strong> ist deshalb schon mehrfach<br />

an mich mit der Bitte herangetreten, eine Namensänderung zu erwirken« <strong>und</strong><br />

habe erklärt, die Namensänderung auch selbst beantragen zu wollen, falls nichts<br />

geschehe. Er habe »oft bemerkt, daß mein Name geradezu abschreckend auf<br />

die Besucher gewirkt hat. Man hat teilweise offenbar den Eindruck, daß ich Jude<br />

sei, teilweise den, daß bei unserem Betrieb eine ›Tarnung‹ vorliege.« Seit 1933<br />

bedeute »der Name Ephraim eine kaum vorstellbare Belastung«. 12<br />

11 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 21–24.<br />

12 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 1–14.<br />

13 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 27.<br />

14 Kehrl wurde 1949 im<br />

sogenannten NS - Minister -<br />

Prozess zu 15 Jahren Haft<br />

verurteilt, aber schon 1951<br />

entlassen.<br />

Auf von Basellis Anfrage antwortete am 3. November 1938 Hans Kehrl, u. a.<br />

Präsident der Industrie - <strong>und</strong> Handelskammer (IHK) für die Niederlausitz, später<br />

Leiter des Rohstoffsamtes sowie Chef des Planungsamtes im Reichsministerium für<br />

Rüstung <strong>und</strong> Kriegsproduktion: »Der Vater des Herrn Otto Ephraim, der Volljude<br />

war, hat trotz dieser Tatsache – ich möchte beinahe sagen – eine antisemitische<br />

Einstellung gehabt … Die Auffassung gegenüber der eigenen Rasse hat sich auf<br />

den Sohn vererbt. Ich habe noch aus der Zeit der Jahre 1932 <strong>und</strong> 1933 eine<br />

deutliche Erinnerung daran, daß Otto Ephraim die stärksten Sympathien für den<br />

Nationalsozialismus an den Tag legte, obwohl die Rassetheorie der Partei ihn<br />

persönlich schädigte.« 13 Hans Kehrl, Sohn eines Cottbuser Tuchfabrikanten<br />

<strong>und</strong> Hauptreferent in der Vierjahresplan - Dienststelle von Hermann Göring, hielt<br />

sich insgesamt jedoch mit seiner Zustimmung zurück, weil ihm die gesetzlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen nicht bekannt seien. Er begrüße den Antrag aber, sofern diese<br />

vorhanden seien. 14<br />

12 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«


Eine ähnlich zurückhaltende Haltung nahm auch die Verwaltung der IHK für die<br />

Niederlausitz in Cottbus ein: Das Judenreferat des Reichswirtschaftministeriums<br />

halte eine Namensänderung nicht für notwendig, weil Ephraim kein jüdischer<br />

Name sei. Aber Ephraim sei »nun einmal jüdischer Mischling 1. Grades«. Da<br />

sein Antrag »wohl weniger aus geschäftlichen Beweggründen« gestellt wurde,<br />

sei es besser, jetzt noch keine Änderung vorzunehmen. »Ob dies in späteren<br />

Generationen wünschenswert ist, lassen wir dahingestellt.« 15 1949 bescheinigte<br />

Ephraim der Witwe von Basellis, ihr Mann habe ihr geholfen: »Als sogenannter<br />

Mischling 1. Grades wurde ich ab 1933 dauernd verfolgt, schikaniert, geschä-<br />

Schreiben des Präsidenten der<br />

Industrie - <strong>und</strong> Handelskammer<br />

für die Niederlausitz Hans<br />

Kehrl an den Oberbürgermeister<br />

von Cottbus Freiherr<br />

von Baselli vom 3. November<br />

1938. (Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2 f / 9.)<br />

»Der Vater des Herrn Otto<br />

Ephraim, der Volljude war,<br />

hat trotz dieser Tatsache – ich<br />

möchte beinahe sagen – eine<br />

antisemitische Einstellung<br />

gehabt <strong>und</strong> zu einer Mitarbeit<br />

Rassegenossen nur selten<br />

herangezogen.«<br />

»Die Auffassung gegenüber<br />

der eigenen Rasse hat sich auf<br />

seinen Sohn vererbt. Ich habe<br />

noch aus der Zeit der Jahre<br />

1932 <strong>und</strong> 1933 eine deutliche<br />

Erinnerung daran, daß Otto<br />

Ephraim die stärksten Sympathien<br />

für den Nationalsozialismus<br />

an den Tag legte, obwohl<br />

die Rassentheorie der Partei<br />

ihn persönlich schädigte.«<br />

15 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 25, Bl. 33,<br />

Bl. 20, Bl. 23, Bl. 37, Bl. 26 f.,<br />

Bl. 71 <strong>und</strong> R, Bl. 80.<br />

Otto Ephraim 13


digt <strong>und</strong> bedroht, wenn ich mich heute trotzdem dazu entschließe, ein gutes<br />

Wort für Herrn v. Baselli einzulegen, so tue ich es nach reiflicher Überlegung <strong>und</strong><br />

aus schwerwiegenden Gründen.« Er habe durch Zufall in Cottbus einmal einer<br />

Besprechung beigewohnt, bei der sich ein nichtjüdischer Fabrikant bemühte, »die<br />

jüdische Tuchfabrik Gustav Samson an sich zu bringen.« Von Baselli habe sich<br />

energisch dagegen gewehrt. »Um wenigstens meine Kinder etwas zu schützen,<br />

beantragte ich für diese die Namensänderung.« 16<br />

Schreiben der NSDAP -<br />

Kreis leitung Cottbus an den<br />

Oberbürgermeister in Cottbus<br />

Freiherr von Baselli vom<br />

12. Dezem ber 1938.<br />

(Stadtarchiv Cottbus, A II 3.2f<br />

Nr.9, Bl. 66.)<br />

»Die Einhaltung der rassischen<br />

Gr<strong>und</strong>sätze muß allen anderen<br />

Erwägungen vorangehen.<br />

Somit leht die Kreisleitung eine<br />

Fürsprache bei Änderung des<br />

Namens ab.«<br />

Der handschriftliche Text lautet:<br />

»Vermerk: Auf mündl. Vortrag<br />

am 24.12.1938 hat Herr<br />

Oberbürgermeister entschieden,<br />

daß dieses Schreiben<br />

nicht an die Regierung<br />

weiterzureichen, vielmehr<br />

zu den hiesigen Akten zu<br />

nehmen ist.«<br />

16 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A I, 1g8, 48 / 0242.<br />

14 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«


Die bearbeitende Ortspolizeibehörde Cottbus fragte Anfang November 1938<br />

bei Oberbürgermeister von Baselli an, »ob mit der Namensänderung unlautere<br />

Zwecke verfolgt oder durch sie berechtigte Interessen verletzt werden«. Doch<br />

der antwortete erst am 29. November 1938 positiv.<br />

Denn in der <strong>Zwischen</strong>zeit hatten reichsweite antisemitische Pogrome jüdische<br />

Gotteshäuser <strong>und</strong> Geschäfte verwüstet <strong>und</strong> zur Einweisung von Tausenden Juden<br />

in Konzentrationslager geführt. Auch die Cottbuser Synagoge wurde in Brand<br />

gesteckt, zahlreiche Geschäfte <strong>und</strong> Privatvillen jüdischer Unternehmer demoliert<br />

<strong>und</strong> mehr als 30 Cottbuser Juden in das KZ Sachsenhausen verbracht.<br />

So lehnte schließlich auch als Einziger der Cottbuser NSDAP - - Kreisleiter Andro<br />

die Namensänderung am 12. Dezember 1938 offen ab <strong>und</strong> stellte sich auf den<br />

Standpunkt, dass »durch Änderung des Namens die Abstammung des Namensträgers<br />

verschleiert wird. Die Einhaltung der rassischen Gr<strong>und</strong>sätze muß allen<br />

anderen Erwägungen vorangehen«. Daraufhin nahm von Baselli Rücksprache<br />

mit einer höheren NSDAP - Dienststelle. Am 28. Dezember notierte sein Sachbearbeiter<br />

handschriftlich an den Rand des Ablehnungsschreibens der NSDAP den<br />

Vermerk: »… auf mündl. Vortrag am 24.12.1938 hat Herr Oberbürgermeister<br />

entschieden, daß dieses Schreiben nicht an die Regierung weiterzureichen,<br />

vielmehr zu den hiesigen Akten zu nehmen ist.« Denn bereits am 23. Dezember<br />

hatte NSDAP - Kreisleiter Andro auf höheren Druck dem Oberbürgermeister kurz<br />

<strong>und</strong> knapp entgegen der ursprünglichen Stellungnahme mitgeteilt, dass keine<br />

Bedenken »gegen die politische Zuverlässigkeit des Vg. [Volksgenossen, A.W.]<br />

Otto Ephraim von Seiten der Kreisleitung« bestünden. 17 Von Baselli hatte so<br />

verhindert, dass die Ablehnung der Partei publik wurde. Ephraim berichtete<br />

1949: »Der Antrag wurde der Kreisleitung vorgelegt. Diese erk<strong>und</strong>igte sich bei<br />

der Gauleitung <strong>und</strong> wurde gerüffelt, daß sie so etwas überhaupt bearbeite. Herr<br />

von Baselli aber, an den ich mich um Hilfe wandte, hatte keine Angst. Er studierte<br />

die Sache. Dann rief er den stellvertretenden Gauleiter Wegner an <strong>und</strong> brachte<br />

die Angelegenheit in Ordnung.« 18<br />

Am 25. Februar 1939 schließlich bescheinigte auch die Gestapoleitstelle Frankfurt<br />

(Oder) dem Oberbürgermeister: »Gegen die Namensänderung bestehen<br />

diesseits keine Bedenken.«<br />

Am 6. März 1939 entwarf Oberbürgermeister von Baselli einen abschließenden<br />

Bericht für den Regierungspräsidenten in Frankfurt (Oder), der am 13. März<br />

1939 abgeschickt wurde. An der deutschen Reichsangehörigkeit Ephraims <strong>und</strong><br />

seiner Angehörigen könne kein Zweifel bestehen. Ephraim sei »Mischling 1.<br />

Grades«, seine Frau »Mischling 2. Grades« usw. Die NSDAP - Kreisleitung habe<br />

gegen die politische Zuverlässigkeit des Ephraim keine Bedenken. Ephraim sei<br />

»politisch von jeher national eingestellt« gewesen. Da Ephraim die Anerkennung<br />

als »Nationalsozialistischer Musterbetrieb« der DAF anstrebe, sei der jüdische<br />

Name hinderlich. Die Entscheidung bleibe nun dem Regierungspräsidenten vorbehalten.<br />

Erst am 23. Oktober 1939 genehmigte schließlich der Reichsminister<br />

des Innern die Änderung des Familiennamens – jedoch lediglich für die Tochter<br />

17 Stadtarchiv Cottbus, A II<br />

3.2f / 9, Bl. 25, Bl. 33,<br />

Bl. 20, Bl. 23, Bl. 37,<br />

Bl. 26 f., Bl. 71 <strong>und</strong> R, Bl. 80.<br />

18 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A I, 1g8, 48 / 0242.<br />

Otto Ephraim 15


Werkzeitung der Tuchfabrik<br />

M. & O. Sommerfeld<br />

September / November 1943.<br />

(Stadtarchiv Cottbus)<br />

<strong>und</strong> den Sohn von Otto Ephraim. Die Namensänderung für Otto Ephraim als<br />

»Halbjude« wurde abgelehnt. 19<br />

Schon am 1. Mai 1939 hatte die Fa. Sommerfeld – auch ohne Namensänderung<br />

– das Gaudiplom als »Nationalsozialistischer Musterbetrieb« durch Gauleiter<br />

Stürtz überreicht bekommen . 20<br />

Über die NS - Zeit im Weiteren ist wenig Material überliefert. 1941 soll Ephraim<br />

geäußert haben: »Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen …« Der Zeuge Walter<br />

Neumann berichtete aufgr<strong>und</strong> eigener Wahrnehmung, Ephraim »neigte unter<br />

diesem Druck <strong>und</strong> in der Absicht, den Betrieb zu erhalten, dazu, sich die<br />

Nationalsozialisten gewogen zu machen.« So habe er für den SS - Trupp des SS -<br />

Betriebsobmannes »einmal jährlich Schlemmeressen spendiert«, <strong>und</strong> auch gegenüber<br />

dem Betriebsführer Urban »konnte er sich nur schwer durchsetzen.«<br />

Gegen Ephraims Willen habe dieser »drei Naziplaketten – Auszeichnungen für<br />

›nationalsozialistische Musterbetriebe – an der Fassade des Werkes anbringen«<br />

lassen. Dennoch wurde das Werk 1942 auf Rüstungsproduktion für die Firma<br />

Focke - Wulff umgestellt. 21 Der SA - Mann Willi Urban war 1942 von NS - Wirtschaftsstellen<br />

als Betriebsleiter eingesetzt <strong>und</strong> die Fabrik als Rüstungsbetrieb<br />

umstrukturiert worden. 22<br />

19 Stadtarchiv Cottbus,<br />

A II 3.2f / 9, Bl. 25, Bl. 33,<br />

Bl. 20, Bl. 23, Bl. 37,<br />

Bl. 26 f., Bl. 71 <strong>und</strong> R,<br />

Bl. 80. Als Begründung<br />

diente der R<strong>und</strong>erlass des<br />

Reichsministers des Innern<br />

über den Widerruf von<br />

Namensänderungen vom<br />

8. Januar 1938.<br />

20 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />

Aktennummer 61 / 4, Bd. 1,<br />

unpaginiert.<br />

21 ACOL (Hrsg.), Die Textilbranche<br />

in Cottbus gestern<br />

<strong>und</strong> heute, Cottbus 1995,<br />

S. 15.<br />

22 BLHA Potsdam, Rep. 212<br />

Nr. 905c.<br />

16 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«


1944 wurde eines Tages ein ganzer Saal freigemacht, nach <strong>und</strong> nach für die<br />

Herstellung von Flugzeugteilen in Anspruch genommen <strong>und</strong> dabei Deutsche,<br />

Estinnen <strong>und</strong> Lettinnen sowie Ostarbeiter eingesetzt, wie der ehemalige Werkmeister<br />

Wilhelm Schobben 1949 aussagte. Er wisse nicht, ob Otto Ephraim<br />

daraus Verdienste zuwuchsen, die Arbeiter dieser Abteilung seien aber entlohnt<br />

worden. 23 Am 20. Oktober 1944 sollte sich Otto Ephraim auf dem Arbeitsamt<br />

melden <strong>und</strong> wie zahlreiche andere sogenannte »Mischlinge« in einem Lager<br />

der Organisation Todt Zwangsarbeit leisten. Von Baselli, so berichtete Ephraim<br />

1949 dessen Witwe, schaltete sich abermals ein »<strong>und</strong> erreichte schließlich, daß<br />

der untersuchende Arzt auf das amtlich bescheinigte Herzleiden Rücksicht nahm,<br />

das ich mir infolge der jahrelangen Demütigungen <strong>und</strong> Schädigungen durch die<br />

NSDAP geholt hatte«. Im Januar 1945 teilte die NSDAP in Cottbus Ephraim mit, »es<br />

seien wieder Denunziationen <strong>und</strong> Anfragen eingelaufen, ›warum ich noch immer<br />

frei herumlaufe‹.« Im März habe die Gestapo seinen Einsatz zu »untergeordneter<br />

körperlicher Arbeit« verfügt. Von Baselli sorgte jedoch dafür, dass Ephraim nur bei<br />

den Aufräumarbeiten im eigenen Betrieb eingesetzt wurde. Ephraim bescheinigte<br />

1949: »Herr v. Baselli war einer der beiden Pg‹s, die am meisten dazu beitrugen,<br />

daß ich der Verschickung entging <strong>und</strong> nicht in Auschwitz umgebracht wurde.« 24<br />

Durch den schweren amerikanischen Bombenangriff auf Cottbus am 15. Februar<br />

1945 war die Tuchfabrik Sommerfeld nur geringfügig betroffen. Erst im Zuge der<br />

Verteidigung der Stadt durchgeführte Sprengungen sowie die schweren Kämpfe<br />

bei der Befreiung der Stadt durch die Rote Armee am 21. / 22. April 1945 führten<br />

zur fast vollständigen Vernichtung der Werksanlagen. 25 Otto Ephraim verließ<br />

noch vor Kriegsende Cottbus. NS - Oberbürgermeister von Baselli wurde im April<br />

1945 in Cottbus vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet <strong>und</strong> starb Ende 1945<br />

im sowjetischen Speziallager Tost in Schlesien.<br />

Cottbus nach 1945<br />

1945 / 46 wurde eine neue Aufteilung der Eigentümeranteile der Tuchfabrik<br />

Sommerfeld vorgenommen. Der Betrieb bestand weiter, doch nur Otto Ephraims<br />

Schwester Else <strong>und</strong> sein Bruder Ludwig lebten in der SBZ. Nun trat Ephraims<br />

Schwester Else wieder für ihren geschiedenen Mann in die Firma ein <strong>und</strong> führte<br />

den Betrieb auf dem Papier mit den Kindern von Otto Ephraim sowie der Tochter<br />

des 1934 ausgeschiedenen Ludwig Ephraim, dem Bruder von Otto Ephraim,<br />

weiter. Denn auch Ephraims Kinder lebten nicht in der SBZ. Sein in Sachsen<br />

lebender Bruder Ludwig Ephraim wurde für einige Jahre Geschäftsführer, obwohl<br />

formal sein Bruder Otto angestellter Geschäftsführer geblieben war <strong>und</strong> sein<br />

Ausscheiden nach 1945 ablehnte. 26 Spätestes seit 1948 wohnte Otto Ephraim<br />

in Aachen. Der Betrieb in Cottbus konnte wegen der weitgehenden Zerstörung<br />

nur in geringfügigem Maße die Produktion neu aufnehmen.<br />

Am 28. August 1946 fertigte der Stadtarchivar Max Walther, der selbst in<br />

Cottbus in einer sogenannten »Mischehe« gelebt hatte, 27 eine Aktennotiz für<br />

Oberbürgermeister Otto Weihrauch an. Darin beschreibt er einen Aktenf<strong>und</strong>. In<br />

23 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />

Obj. 4, ZB 1874.<br />

24 Stadtarchiv Cottbus, A I,<br />

1g8, 48 / 0242.<br />

25 ACOL (Hrsg.), Die Textilbranche<br />

in Cottbus gestern<br />

<strong>und</strong> heute, Cottbus 1995,<br />

S. 15.<br />

26 BStU, BV Cottbus,<br />

147 / 55, Aktennummer<br />

61 / 4, Bd. 1, Bl. 28 f.<br />

27 CJA, 5B1, Nr. 40, Bl. 241.<br />

Otto Ephraim 17


28 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />

Obj. 4, ZB 1874.<br />

29 Stadtarchiv Cottbus, Abt.<br />

2AII RdSt Cbs., 01.B.1. f.,<br />

Nr. 121.<br />

30 BLHA Potsdam, Rep. 333,<br />

SED - Landesvorstand Brandenburg,<br />

Nr. 1281.<br />

31 Der Befehl 201 der SMAD<br />

vom 16. August 1947 legte<br />

Strafen für nationalsozialistische<br />

Verbrechen fest.<br />

32 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />

Obj. 4, ZB 1874.<br />

einer Polizeiakte aus dem Jahre 1938 / 39 war er auf die Namensänderungssache<br />

Ephraim gestoßen. Er zählte alle für die Namensänderung sprechenden<br />

Stellungnahmen auf <strong>und</strong> schloss mit dem Satz: »Ein solcher gut beleum<strong>und</strong>eter<br />

Mann kann wohl nicht länger ›Betriebsführer‹ sein.« 28 Walther hatte bei der<br />

Übergabe der Akten teils Abschriften, teils Originale herausgegeben, jedoch<br />

alle entlastenden Dokumente, wie die Ablehnung durch die NSDAP <strong>und</strong> die das<br />

Eingreifen von Basellis belegenden Schriftstücke, zurückbehalten. Sie liegen noch<br />

heute im Stadtarchiv Cottbus.<br />

Lange schien sich nichts tun, bis Anfang Dezember 1948 die Kreiskommission<br />

für Sequestrierung <strong>und</strong> Beschlagnahme der Stadt Cottbus die SED - Ortsgruppe in<br />

Cottbus mit Ermittlungen beauftragte. Am 15. Dezember 1948 teilte diese knapp<br />

mit, dass die Tuchfabrik Sommerfeld als erster NS - Musterbetrieb in Cottbus in<br />

Erscheinung trat <strong>und</strong> am Eingang zum Werk Weberstraße das entsprechende<br />

große kupferne Schild angebracht war. 29<br />

Als Ephraims Schwester Else Kühne im Januar 1949 Mitglied der VVN wurde, gab<br />

sie an, als Musiklehrerin in Cottbus zu arbeiten <strong>und</strong> von 1933 bis 1945 »stets<br />

im Widerstand tätig« gewesen zu sein. Sie nannte unter anderem ihren Bruder<br />

Ludwig als Zeugen, der ebenfalls als Opfer des Faschismus anerkannt worden<br />

sei. 1952 fügte sie an, ihr sei im Februar 1945 Zwangsarbeit <strong>und</strong> im April sogar<br />

»Vergasung« angedroht worden – »darauf verließ ich Cottbus«. 30<br />

Indessen wurden die im Stadtarchiv Cottbus gef<strong>und</strong>enen Unterlagen Anfang<br />

Februar 1949 dem Landgericht Cottbus übergeben.<br />

In einem ersten Ermittlungsbericht der Cottbuser Kreispolizeibehörde im März<br />

1949 wurde Ephraim – wie in der NS - Zeit nach den Nürnberger Rassegesetzen<br />

– als Jude bezeichnet. Die erste Klageschrift war noch lediglich gegen ihn selbst<br />

gerichtet <strong>und</strong> von Polizeihauptwachtmeister Köhler von der für den sowjetischen<br />

Befehl 201 31 zuständigen politischen Kriminalpolizei in Cottbus am 16. März<br />

1949 verfasst. Dieser Text, voller antijüdischer Entgleisungen, klagt Ephraim<br />

an, »seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft<br />

zu haben, um somit aus Habsucht in der nazistischen Zeit Nutzen zu ziehen«.<br />

Ephraim habe »aus politischen Beweggründen seine Rassenzugehörigkeit verleugnet,<br />

<strong>und</strong> somit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft außerordentliche<br />

politische, wirtschaftliche <strong>und</strong> propagandistische« Unterstützung gewährt. Er<br />

habe sogar mit führenden Personen der SS <strong>und</strong> der Wehrmacht in Verbindung<br />

gestanden, »um somit an der Verfolgung seiner Rassengenossen teilzunehmen«.<br />

Er sei »somit an all dem Elend mit schuldig« <strong>und</strong> ein »Verbrecher übelster Sorte«.<br />

Die Verstiegenheit dieses Textes ging offenbar den Vorgesetzten zu weit. Die<br />

Anklage wurde nicht bestätigt. 32<br />

Danach recherchierte die Kreispolizei Cottbus zunächst die Eigentumsverhältnisse<br />

der Tuchfabrik Sommerfeld. Ende Mai wurde der nicht mehr in Cottbus wohnhafte<br />

Bruder von Otto Ephraim, Ludwig Ephraim, ausfindig gemacht. Er schilderte der<br />

Ermittlungsbehörde nach ausdrücklicher Aufforderung die Besitzverhältnisse.<br />

18 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«


Seit 1945 / 46 seien seine Tochter, seine Schwester Else sowie die Kinder Otto<br />

Ephraims Anteilseigner. Zugleich sei er anstelle der genannten Personen selbst<br />

zum alleinigen Geschäftsführer der Tuchfabrik bestimmt worden, obwohl als sogenannter<br />

»angestellter Geschäftsführer« immer noch sein Bruder Otto eingetragen<br />

war. Dieser habe aber seine formale Löschung als angestellter Geschäftsführer<br />

abgelehnt. Dies dürfte auch der Gr<strong>und</strong> dafür sein, dass Otto Ephraim später allein<br />

verurteilt wurde, da man formal in ihm den Hauptgesellschafter sah, obwohl er<br />

es seit 1941 nicht mehr war. Ende Juni 1949 erfuhr die Kiminalpolizei in Cottbus<br />

auch aus aufgef<strong>und</strong>enen Geschäftspapieren, dass Otto Ephraim niemals alleiniger<br />

Eigentümer der Tuchfabrik Sommerfeld gewesen war. 33<br />

Unmittelbar nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens wegen NS - Verbrechen<br />

gegen Otto Ephraim wurde die Tuchfabrik Sommerfeld am 24. Februar 1949<br />

formal beschlagnahmt, aber noch nicht enteignet. Im März 1949 empfahl<br />

der brandenburgische Landesausschuss zum Schutze des Volkseigentums der<br />

Stadt Cottbus, Ephraim »über ein Verfahren Befehl 201« zu enteignen, da der<br />

Namensänderungsantrag hierfür ausreichend sein dürfte. Im Vordergr<strong>und</strong> stand<br />

also die Enteignung, die Verurteilung sollte das Mittel hierzu werden. Im Mai<br />

1949 entließ der Sonderbeauftragte für den Befehl 201 kurzerhand alle mit Otto<br />

Ephraim verwandten Betriebsangehörigen aus der Firma. Bis Juli 1949 wurde<br />

die Tuchfabrik Sommerfeld wegen Steuerschulden als Treuhandbetrieb gemäß<br />

Wirtschaftsstrafverordnung geführt <strong>und</strong> von wechselnden Treuhändern verwaltet,<br />

doch schon bald in einen Treuhandbetrieb gemäß Befehl 201 umgewandelt,<br />

wodurch der Staat den Zugriff auf das Eigentum <strong>und</strong> seine Verfügung erhielt<br />

<strong>und</strong> die Eigentümer ausschaltete. Otto Ephraims Bruder Ludwig, der seit 1945<br />

Geschäftsführer war, beantragte im Mai 1949 erfolglos die Übernahme der<br />

Treuhandschaft. Die Stadt Cottbus lehnte dies mit Verweis auf das gegen seinen<br />

Bruder Otto laufende Naziverbrecher - Verfahren nach Befehl 201 ab, 34 obwohl<br />

bekannt war, dass Otto Ephraim nie Hauptgesellschafter <strong>und</strong> seit 1941 überhaupt<br />

kein Gesellschafter mehr war. Im Vorfeld des Verfahrens gegen Otto Ephraim<br />

entschied sich das Amtgericht jedoch plötzlich zu einem anderen Vorgehen.<br />

Noch vor dem Gerichtsverfahren beschlagnahmte das Amtsgericht Cottbus<br />

am 8. Oktober 1949 das gesamte Firmeneigentum erneut durch eine einfache<br />

Erklärung. »Eine Firma M. & O. Sommerfeld, wie sie bis zum Zusammenbruch<br />

1945 bestanden hat, existiert heute praktisch überhaupt nicht mehr«, weil der<br />

Betrieb im Krieg vollständig zerstört worden <strong>und</strong> der »verantwortliche Geschäftsführer«<br />

Otto Ephraim geflohen sei. Es sei jetzt »ein völlig neues Gebilde«, das<br />

mit der alten Firma nichts zu tun habe <strong>und</strong> folglich auch »in keinem ursächlichen<br />

Zusammenhang mit der Strafsache gegen Otto Ephraim steht«. 35<br />

In der von VP - Wachtmeister Lange von derselben Behörde verfassten zweiten<br />

Anklageschrift vom 19. November 1949 sind neben Ephraim nun auch seine<br />

Schwester, seine beiden Kinder sowie die Tochter seines Bruders Ludwig an-<br />

33 BStU, BV Cottbus,<br />

147 / 55, Aktennummer<br />

61 / 4, Bd. 1, Bl. 25,<br />

Bl. 28 f., Bl. 31.<br />

34 Stadtarchiv Cottbus, Abt.<br />

2AII RdSt Cbs., 01.B.1. f.,<br />

Nr. 121.<br />

35 BStU, BV Cottbus,<br />

147 / 55, Aktennummer<br />

61 / 4, Bd. 1, Bl. 40.<br />

Otto Ephraim 19


Anklageentwurf der<br />

Cottbuser Kreispolizeibehörde<br />

vom 19. November 1949<br />

(Auszug).<br />

(BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />

Objekt 4, ZB 1878)<br />

»Werden aufgr<strong>und</strong> des<br />

Befehls 201 der SMAD vom<br />

16.8.1947 angeklagt in den<br />

Jahren 1933 bis 1945 aus<br />

Gewinnsucht, aus reinem<br />

Egoismus die nazistische<br />

Gewaltherrschaft <strong>und</strong> den<br />

Krieg gefördert <strong>und</strong> zu<br />

diesem Zweck ihre jüdische<br />

Rassenzugehörigkeit verkauft<br />

zu haben.«<br />

geklagt. Die Polizei nahm weiter an, dass diese fünf Personen die Eigentümer<br />

der Tuchfabrik Sommerfeld seien. Sie beschuldigte sie, »in den Jahren 1933<br />

bis 1945 aus Gewinnsucht, aus reinem Egoismus die nationalsozialistische<br />

Gewaltherrschaft <strong>und</strong> den Krieg gefördert <strong>und</strong> zu diesem Zweck ihre jüdische<br />

Rassenzugehörigkeit verkauft zu haben«. Der Text beginnt unter Verwendung<br />

rassistischer Termini: »Die Angeklagten waren alle jüdischer Abstammung, nach<br />

den Nürnberger Gesetzen des Hitlerregimes von 1938 [sic !]. Otto Ephraim <strong>und</strong><br />

Else Kühne geb. Ephraim Mischlinge ersten Grades, Lore B. geb. Ephraim, Hans<br />

20 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«


Winkler alias Ephraim <strong>und</strong> Brigitte Ephraim Mischlinge zweiten Grades. Alle<br />

Familienangehörigen haben ihre Zustimmung zur Namensänderung (Arisierung)<br />

[sic !] … gegeben. Diese Arisierung wurde von den Angeklagten nicht beantragt<br />

aus Angst vor nazistischer Verfolgung, sondern rein aus Profitgier, um finanzielle<br />

Vorteile zu erlangen. … Der Angeschuldigte sowie seine Familienangehörigen<br />

waren so sehr vom nationalsozialistischen Geist erfüllt, daß sie ihre Rassenzugehörigkeit<br />

verkauft haben.« 36<br />

Am 21. Dezember 1949 wurde durch die Kriminalpolizei Cottbus eine dritte,<br />

endgültige Anklageschrift verfasst. Sie richtete sich nur noch gegen vier Angeklagte:<br />

Otto Ephraim, seine Schwester Else Kühne sowie seine Kinder Hans<br />

Winkler <strong>und</strong> Lore Bechler. Otto Ephraim wird als »Besitzer <strong>und</strong> gleichzeitig Betriebsführer«<br />

der Tuchfabrik Sommerfeld bezeichnet, obwohl dies nicht stimmte.<br />

Im Weiteren wurden erneut wüste antijüdische Vorurteile verbreitet. So formulierte<br />

der VP - Wachtmeister Lange über Ephraims Sohn, er habe sich »aus reinem<br />

Tatendrang <strong>und</strong> nazistischer Überzeugung als Jude freiwillig zur Wehrmacht<br />

gemeldet«. Angeblich hätten beide Kinder von Otto Ephraim 1937 / 38 auch<br />

um Aufnahme in die NSDAP gebeten. Alle Angeklagten hätten »sich freiwillig der<br />

Hitlerdiktatur unterworfen«. Es seien keine entlastenden Umstände zu ermitteln<br />

gewesen. Ein einziger Zeuge ist gehört worden, der frühere Angestellte Wilhelm<br />

Schobban. 37 Doch er hatte schon im Vorfeld der Verhandlung erklärt, dass<br />

Ephraim nicht als Betriebsführer anerkannt worden sei, weil er »als Mischling I.<br />

Grades bezeichnet wurde (Halbjude)«.<br />

Die bereits im Februar 1948 eingeholten Aussagen von Betriebsangehörigen<br />

über die Behandlung von Zwangsarbeitern in der Tuchfabrik blieben im Ermittlungsverfahren<br />

unberücksichtigt. Sechs Befragte gaben übereinstimmend an, dass<br />

sowohl die deutschen als auch die ausländischen Arbeiter sehr gut behandelt<br />

<strong>und</strong> versorgt wurden. Ephraim habe »für die Ausländer … sogar Wohnraum <strong>und</strong><br />

Decken gegeben <strong>und</strong> auch Räume zum Schlafen.« 38<br />

Die Gerichtsverhandlung sollte ursprünglich am 7. Februar 1950 stattfinden. Dann<br />

wurde aber im März 1950 noch der langjährige Arzt von Else Kühne, Prof. Walter<br />

Brednow, vernommen, der angab, sie habe die »betrieblichen Annäherungen<br />

des Bruders an die Nazis mißbilligt« <strong>und</strong> als Widerspruch zu der hohen Meinung<br />

empf<strong>und</strong>en, die sie von ihrem Vater hatte. Es meldete sich Ende Januar auch<br />

der Ehemann von Otto Ephraims angeklagter Tochter Lore <strong>und</strong> schilderte, dass<br />

sie trotz Ableistung des freiwilligen Arbeitsdienstes als sogenannter »jüdischer<br />

Mischling« nicht zum Medizinstudium zugelassen wurde. Sie sei 1941 nur<br />

deswegen als Anteilseignerin in die Tuchfabrik eintreten, weil die NSDAP Otto<br />

Ephraim zwang, seinen Anteil auf die Kinder, die nur »Mischlinge 2. Grades«<br />

waren, zu übertragen. Seine Frau sei antinazistisch eingestellt gewesen. Darum<br />

könne sie die ihr zur Last gelegten Verbrechen auch nicht gegangen haben, was<br />

auch für die anderen Angeklagten zutreffe. 39<br />

Zudem machten die juristischen Rangeleien in Cottbus um den Status der Tuchfabrik<br />

den Aufschub notwendig. Nach Auffassung der Stadt Cottbus war der<br />

36 BLHA Potsdam, NS - Archiv,<br />

Obj. 4, ZB 1874.<br />

37 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />

Aktennummer 61 / 4, Bd. 1,<br />

unpaginiert.<br />

38 Stadtarchiv Cottbus, Abt.<br />

2AII RdSt Cbs., 01.B.1. f.,<br />

Nr. 121.<br />

39 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />

Aktennummer 61 / 4, Bd. 1,<br />

Bl. 73 bzw. unpaginiert.<br />

Otto Ephraim 21


40 Stadtarchiv Cottbus,<br />

Abt. 2AII RdSt Cbs.,<br />

01.B.1. f., Nr. 121.<br />

41 BLHA Potsdam, Rep. 212<br />

Nr. 905c.<br />

Betrieb vollständig untergegangen, <strong>und</strong> so brauchte er auch nicht enteignet zu<br />

werden. Doch die Landesregierung erkannte den von der Stadt Cottbus einfach<br />

auf dem Papier neugegründeten Betrieb Ende Dezember 1949 nicht an, so dass<br />

der alte rechtlich weiterbestand <strong>und</strong> nun doch vom Landgericht eingezogen<br />

werden musste. 40<br />

Zur Gerichtsverhandlung am 4. April 1950 erschien nur die Schwester von<br />

Otto Ephraim, Else Kühne, die in Cottbus geblieben war. Otto Ephraim wurde<br />

in Abwesenheit zu anderthalb Jahren Haft verurteilt, die Mitangeklagten freigesprochen.<br />

Das Gericht stellte im Sinne der NS - Judenpolitik fest, Otto Ephraim<br />

stamme von einem jüdischen Vater ab, <strong>und</strong> es stützte sich im Weiteren hauptsächlich<br />

auf den Vorwurf der Unterstützung des Nationalsozialismus. Im Urteil<br />

wurden die Begründungen des Verteidigers Theopold verworfen, wonach Otto<br />

Ephraim nicht aus nationalsozialistischer Überzeugung gehandelt habe, sondern<br />

mit »Schmiergeldern« seine Familie retten wollte. Ephraim habe, so das Gericht,<br />

hingegen bereits seit 1918 »das Leben des deutschen Volkes auf eine Politik der<br />

militärischen Gewalt hinzulenken versucht.« »Er war darum auch mit den Zielen<br />

der Nationalsozialisten einverstanden. Daß sich diese Liebe später etwas abkühlte,<br />

als er einsehen mußte, daß man ihn aufgr<strong>und</strong> seiner Rassenzugehörigkeit<br />

nicht anerkannte, ist verständlich.« Indirekt bezichtigte ihn das Gericht auch der<br />

vorbehaltlosen Zustimmung zur NS - Kriegs - <strong>und</strong> Vernichtungspolitik <strong>und</strong> unterstellte<br />

ihm, dass er »mit allem einverstanden gewesen wäre, wenn man ihn hätte mittun<br />

lassen.« Das Gericht behauptete auch, Otto Ephraim sei aus Angst vor Bestrafung<br />

aus Cottbus geflohen. »Sein Aufenthalt in Westdeutschland zeigt außerdem,<br />

daß ihm die alten Nationalsozialisten immer noch lieber sind als aufrichtige<br />

Antifaschisten.« Ephraim wurde ausdrücklich nicht als Kriegsgewinnler, sondern<br />

als Naziverbrecher angeklagt <strong>und</strong> verurteilt. Das Urteil behauptete, Ephraim<br />

habe »wesentlich zur Begründung, Stärkung <strong>und</strong> Erhaltung der nationalsozialistischen<br />

Gewaltherrschaft beigetragen«. Sein Vermögen wurde enteignet <strong>und</strong><br />

laut Urteil angeblich »zur Wiedergutmachung« eingezogen. Seine Schwester<br />

Else wurde »wegen erwiesener Unschuld« freigesprochen. Verharmlosend heißt<br />

es mit Nazi - Begrifflichkeit: »Sie hat vielleicht durch ihren Bruder <strong>und</strong> durch ihren<br />

arischen Mann nicht die körperlichen Leiden erdulden müssen, die viele andere<br />

ihrer Rasse erdulden mußten. Die Verhandlung ergab aber, daß sie so viele<br />

Demütigungen zu erleiden hatte, daß ihre Ges<strong>und</strong>heit völlig zerrüttet wurde.«<br />

Über Ephraims Sohn heißt es, er habe sich »freiwillig zur faschistischen Wehrmacht«<br />

gemeldet. Dies taten H<strong>und</strong>erttausende andere Deutsche auch. Bei ihm<br />

aber wurde es als Zeichen der »nationalsozialistischen Erziehung« des Vaters<br />

gewertet. Ephraims Tochter, so behauptete das Gericht, »ging ohne Not zum<br />

nationalsozialistischen Arbeitsdienst …, um eines Tages als Nationalsozialistin<br />

anerkannt zu werden«. Beiden wurde immerhin konzediert, sie hätten den Nationalsozialismus<br />

nicht wesentlich gefördert. Sie wurden deswegen »mangels<br />

Beweises« freigesprochen. 41<br />

22 Andreas Weigelt | »… seine jüdische Rassenzugehörigkeit aus nazistischer Überzeugung verkauft …«


Staatsanwalt Fritz Jahnke, der als SED - treuer Jurist galt <strong>und</strong> bereits vor 1945<br />

Mitglied der KPD war, vertrat für die Staatsanwaltschaft Cottbus die Anklage.<br />

Er wurde 1951 Landesstaatsanwalt im Land Brandenburg. 1951 / 52 leitete er<br />

die Ermittlungen in einem Wirtschaftsstrafverfahren gegen den Mühlenbetrieb<br />

Kampffmeyer. Seine Anklage gegen Kampffmeyer vom Januar 1952 nennt der<br />

Historiker Dieter Pohl »an ideologischer Verzerrung kaum zu überbieten«. 42<br />

Notizen des Rechtsamtes Cottbus vom 19. Mai 1950 belegen, dass auch die<br />

Staatsanwaltschaft Cottbus während des Prozesses von falschen Besitzverhältnissen<br />

ausging. Staatsanwalt Jahnke legte nämlich aus folgenden Gründen Revision<br />

gegen das Urteil ein: Er nahm an, dass Otto Ephraim, seine Schwester Else <strong>und</strong><br />

seine Kinder Eigentümer der Tuchfabrik seien. Else Kühne hätte angeblich bereits<br />

auf ihren Anteil zugunsten des Volkseigentums verzichtet, wie er dem Rechtsamt<br />

mitteilte. Doch da die Kinder Otto Ephraims freigesprochen wurden, könne nun<br />

nicht das Gesamtvermögen als Volkseigentum eingezogen werden. 43<br />

Am 5. Juli 1950 wies das Oberlandesgericht Potsdam eine durch Otto Ephraim<br />

angestrengte Revision des Urteils ab. Es verwarf dessen Darstellung, »seine,<br />

eines ›Mischlings‹, nazifre<strong>und</strong>liche Stellungnahme in Wort <strong>und</strong> Tat« sei »lediglich<br />

Tarnung gewesen«. Das Oberlandesgericht behauptete sogar, Ephraim habe<br />

schon in der Weimarer Republik den Nazismus gefördert, »als noch kein Druck<br />

auf ihn ausgeübt wurde«. Ephraim blieb für das Gericht ein »Belasteter«. 44 Am<br />

8. Juli 1950 beschlagnahmte der Sonderbeauftragte für die Durchführung des<br />

Befehls 201 im Bezirk Cottbus infolge des rechtskräftig gewordenen Urteils »das<br />

gesamte Vermögen des Otto Ephraim, Hans Winkler <strong>und</strong> Lore Bechler einschl.<br />

des Betriebsvermögens der Fa. M. u. O. Sommerfeld in Cottbus«.<br />

Im August 1956 beantragte der Staatsanwalt des Bezirkes Cottbus beim Bezirksgericht<br />

Cottbus die bedingte Aussetzung der Strafe für Otto Ephraim, da »die<br />

Festigung der Arbeiter - <strong>und</strong> Bauernmacht« dies gestatte. Als Straftat war nun<br />

angegeben: »Der Verurteilte hat als ehem. Besitzer der Firma Sommerfeld die<br />

faschistische Gewaltherrschaft unterstützt, indem er faschistischen Organisationen<br />

Zuwendungen machte.« Am 20. August 1956 legte das Bezirksgericht eine<br />

Bewährungsfrist von zwei Jahren fest. 45<br />

Otto Ephraim hatte 1949 der Witwe von Freiherr von Baselli ein positives Zeugnis<br />

ausgestellt <strong>und</strong> starb bereits am 18. Juni 1951 in Aachen. Seine Schwester Else<br />

Kühne blieb nach dem Urteil des Landgerichts Cottbus gegen ihren Bruder in<br />

ihrer Heimatstadt. Sie floh am 25. Februar 1953 in die BRD. 46<br />

42 Dieter Pohl, Justiz in<br />

Brandenburg 1945–1955,<br />

München 2001, S. 120,<br />

S. 170, S. 177, S. 208<br />

43 Stadtarchiv Cottbus, Abt.<br />

2AII RdSt Cbs., 01.B.1. f.,<br />

Nr. 121.<br />

44 BLHA Potsdam, Rep. 212<br />

Nr. 905c.<br />

45 BStU, BV Cottbus, 147 / 55,<br />

Aktennummer 61 / 4, Bd. 1,<br />

unpaginiert.<br />

46 Landesarchiv Schleswig -<br />

Holstein, Entschädigungsbehörde<br />

Kiel, Akte 23306,<br />

Abt. 761.<br />

Otto Ephraim 23

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