01*02*04*05 *01*02*04*05*06*05*06*07 - Schauspiel Stuttgart
01*02*04*05 *01*02*04*05*06*05*06*07 - Schauspiel Stuttgart
01*02*04*05 *01*02*04*05*06*05*06*07 - Schauspiel Stuttgart
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*05 *06 *07<br />
*01<br />
*02<br />
*04<br />
Elfriede Jelinek<br />
DIE<br />
SIEBEN<br />
RABEN<br />
von Jacob & Wilhelm Grimm<br />
Das Werk<br />
IV<br />
07 Das Werk<br />
s c hausp iel s tuttg a r t<br />
staatstheaterstuttgart
Das Werk<br />
(bearbeitet)<br />
> Elfriede Jelinek <<br />
Premiere am 2. Dezember 2005 im Depot.<br />
Spieldauer ca. 2:20 Stunden. Eine Pause.<br />
Aufführungsrechte beim Rowohlt Theater Verlag.<br />
s c hausp iel s tuttg a r t<br />
staatstheaterstuttgart<br />
www.staatstheater-stuttgart.de
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
Gespielt und gemacht von:<br />
Anja Brünglinghaus<br />
Susana Fernandes Genebra<br />
Britta Firmer<br />
Katharina Ortmayr<br />
Lisa Wildmann<br />
regie und bühne Jan Ritsema<br />
kostüme Sabine Kohlstedt<br />
dramaturgie Kekke Schmidt<br />
regieassistenz Alexandra Kazmierczak<br />
mitarbeit bühnenbild Matthias Koch<br />
kostümassistenz Tanja Plankensteiner<br />
dramaturgieassistenz Christin Bahnert<br />
musikalische erarbeitung Nannita Peschke<br />
inspizienz Hans Beck<br />
souffleur Frank Laske<br />
bühnenbildhospitanz Isabella Schwiermann<br />
Technische Direktion: Karl-Heinz Mittelstädt // Technische Direktion<br />
<strong>Schauspiel</strong>: Andreas Zechner // Technische Einrichtung: Matthias Morys //<br />
Licht: Christian Falk // Ton: Thomas Tinkl // Video: Walter Klein //<br />
Requisite: Norbert Eitel // Leitung Dekorationswerkstätten: Bernhard Leykauf //<br />
Malsaal: Michael Döring // Bildhauerei: Michael Glemser // Dekorationsabteilung:<br />
Donald Pohl // Schreinerei: Frank Schauss // Schlosserei: Patrick Knopke //<br />
Maske: Heinz Schary, Renate Löw // Kostümdirektion: Werner Pick //<br />
Produktionsleitung Kostüme: Brigitte Simon // Gewandmeisterinnen:<br />
Renate Jeschke (Damen) // Elke Betzner (Herren)<br />
Gefördert durch das niederländische Ministerium für Bildung,<br />
Kultur und Wissenschaften, sowie vom Auswärtigen Amt im Rahmen<br />
des Dutch Dance & Drama @ DE Projektes unter Leitung des<br />
niederländischen Theater Instituts Amsterdam.<br />
s: 4 ˚<br />
s: 5 ˚
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
das werk<br />
Elfriede Jelinek mutet uns zu, was wir nicht gerne sehen wollen,<br />
weil wir es lieber verdrängen. Radikal und unerbittlich legt<br />
sie Sprachbomben ins Gehirn und zwingt uns zu denken, was<br />
zu denken wir uns nicht trauen. Schonungslos spießt ihre<br />
Sprache die Widersprüche auf und sprengt Löcher in unsere<br />
bequem abgeschotteten Denk- und Lebensgebäude. Ihr Denken<br />
ist antihierarchisch, antirepressiv und antifaschistisch. Schamlos<br />
stellt sie alle Positionen in Frage, immer auch die eigene,<br />
und macht auch daraus noch einen Witz – und doch wieder<br />
nicht. Denn der Grundton ist das Unrecht in der Welt und dass<br />
wir nicht imstande sind, das Leben für alle besser zu organisieren,<br />
den Kuchen besser zu verteilen. Es geht um Kaprun,<br />
aber Kaprun ist auch ein Vorwand. Kaprun war bei seiner<br />
Fertigstellung im Jahre 1956, ein Jahr nach dem Staatsvertrag,<br />
durch den Österreich seine Souveränität zurück erhielt, das<br />
größte Speicherkraftwerk der Welt. Es wurde zum Symbol des<br />
Wiederaufbaus schlechthin, während die Kriegsgefangenen und<br />
Zwangsarbeiter, die daran mitgebaut hatten, ebenso schnell<br />
‚vergessen‘ waren wie die Toten, die der Bau gekostet hatte.<br />
Seit 2000 steht Kaprun auch für einen der schlimmsten Unfälle<br />
der Nachkriegszeit, bei dem 155 Menschen in einer fahrlässig<br />
modernisierten Gletscherbahn starben. Aber wie gesagt:<br />
Kaprun ist ein Vorwand. Im Text geht es um die Ausgeschlossenen<br />
und Ausgebeuteten, um das Vergessen und die Gleichgültigkeit,<br />
und obwohl er keine moralische Ansprache ist, hat<br />
er einen moralischen Standpunkt. Es geht um das Trennen in<br />
Eigenes (das das Bekannte ist) und Fremdes (das das Unbekannte<br />
ist), um das Dazugehören und das Nichtdazugehören.<br />
Der Text ironisiert, dekonstruiert und widerspricht sich ständig<br />
selbst. Diesen ständigen Widerspruch, diese stets ungewiss<br />
bleibende Position gilt es laut Jan Ritsema auszuhalten.<br />
Mithilfe der fünf <strong>Schauspiel</strong>erinnen will er den Text in seiner<br />
Kompliziertheit klar präsentieren und als Angebot an die<br />
Zuschauer in den Raum stellen, ohne die Vielfalt seiner Bedeutungen<br />
zu vereinheitlichen. Spielerisch und ernsthaft das<br />
Messer an unsere Gewissheiten zu setzen: Dieser endlosen Aufgabe<br />
hat sich der Regisseur Jan Ritsema nicht minder als die<br />
Autorin Elfriede Jelinek verschrieben.<br />
kekke schmidt<br />
s: 6 ˚<br />
s: 7 ˚
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
Zusammenfassend könnte man vielleicht<br />
sagen, diese drei Stücke seien Stücke über<br />
Natur, Technik und Arbeit. Und alle münden<br />
sie ins Unrettbare, gebaut auf Größenwahn,<br />
Ehrgeiz und Ausschluß und Ausbeutung<br />
von solchen, die ‚nicht dazugehören‘.<br />
Der moderne Arbeiter in der Gesichtslosigkeit<br />
der Städte. Aber auch im Angesicht der<br />
Berge muß er immer: verlieren.<br />
Und der Tourist ist die äußerste Parodie des<br />
Arbeiters im Gebirg, und auch er geht oft<br />
verloren und verliert selber sein Leben.<br />
elfriede jelinek<br />
Nachwort zur Trilogie in den alpen<br />
s: 8 ˚<br />
s: 9 ˚
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
I<br />
II<br />
Ohne Krieg ist noch nie etwas ein Etwas<br />
geworden. Mit der Hand, der Waffe und<br />
dem persönlichen Denken ist der Mensch<br />
schöpferisch. Zuerst macht er Tote, dann<br />
macht er Beton, aber er hat schon oft<br />
beides gleichzeitig gemacht! Tote in Beton.<br />
Beton in Toten. Stell dir vor, Heidi!<br />
Gleichzeitig! Mit jeder Hand eins.<br />
***<br />
Der Stau ist das Hauptproblem des modernen Menschen, der Urlaub<br />
machen will, finde ich persönlich. Ich habe noch nichts Wichtigeres<br />
gesehen als den Stau. Ja, der Staub ist auch wichtig, zu dem alles wird,<br />
aber der Stau betrifft die Lebenden. (e. j., das werk / S.169f.)<br />
(e. j., das werk / S.101f.)<br />
s: 10 ˚<br />
: Hermann Grengg,<br />
s: 11 ˚<br />
– herren – Ingenieur des Tauernwerks von 1938 bis 1945<br />
– das werk –
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
III<br />
IV<br />
Meiner Überzeugung nach gab<br />
es schon vor Jahrtausenden den tätigen<br />
Menschen, dem auch wir uns immer<br />
wieder anschließen müssen,<br />
um uns zur Menschheit in eine<br />
vermessene, ich meine in eine genau<br />
vermessene Beziehung zu setzen,<br />
die der Masse, die ihre Arbeit hergibt,<br />
weil sie ja sonst nichts hat.<br />
0º<br />
(e. j., das werk / S.187)<br />
wenn ich dich betrachte, heidi, sehe ich<br />
kein gegenüber für das destillat meiner theorie.<br />
deshalb schweige ich lieber. nein, ich spreche<br />
doch lieber, aber ich spreche, wie man zu<br />
frauen und dienstbaren spricht, damit sie<br />
einen verstehen. manche fremde verstehen<br />
einen trotzdem nicht. (e. j., das werk / S.96)<br />
s: 12 ˚<br />
s: 13 ˚<br />
– arbeiter – – frauen 1 –
s chausp iels tuttgart<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
das werk<br />
Daß wir diese vielen Menschen,<br />
die zu uns kamen und<br />
von uns gingen, nicht bis<br />
auf den Grund verbrennen<br />
sollen, weil wir sie vielleicht<br />
noch benötigen werden:<br />
Oje, das hat man uns zu spät<br />
gesagt. Es war nirgends<br />
niedergelegt. (e. j., das werk / S.102f.)<br />
VI<br />
1*<br />
2*<br />
3*<br />
0º<br />
Daß Menschen nicht<br />
vergessen können,<br />
daß sie sich denen nicht<br />
mehr nähern können,<br />
die ihnen einmal<br />
etwas angetan haben,<br />
ist wohl nicht mehr<br />
zeitgemäß.<br />
(e. j., das werk / S.135)<br />
Jetzt schauen Sie sich einmal diese drei kleinen Ukrainer an, die sind<br />
( * ) —<br />
kaum fünfzehn gewesen, jetzt sind sie schon über sechzig, und wutsch,<br />
kaum haben Sie sie einmal ordentlich angeschaut, sind wir schon<br />
weitergegangen und haben sie zum 40-Jahres-Jubiläum der Tauernkraftwerke<br />
eingeladen, persönlich sollen sie noch einmal, aber diesmal besser,<br />
herkommen zu uns, aus ihrer endlosen Wildnis, wo die Leute auf Bäumen<br />
sitzen und auch dort nichts zu essen finden. (e. j., das werk / S.132)<br />
s: 14 ˚<br />
– tote –<br />
: Kerzen und Blumengestecke schmücken die 155 Särge der<br />
Toten des Gletscherbahn-Unfalls in Kaprun, die in Salzburg<br />
aufgebahrt sind.<br />
s: 15 ˚<br />
– fremde 1 –<br />
: Drei ehemalige ukrainische Zwangsarbeiter, die 1994 zum 40jährigen<br />
Jubiläum der Tauernkraftwerke eingeladen wurden, vor dem<br />
Ehrendenkmal mit Gedenktafel am Mooserboden.
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
VII<br />
0º<br />
VIII<br />
0º<br />
(* * * )<br />
i<br />
(* * * )<br />
ii<br />
N<br />
W<br />
O<br />
S<br />
Wir schaffen sie her, die Fremden. Wir stecken<br />
sie mitsamt ihren Schiern und Brettern in eine<br />
Bahn und aus. Was am Ende rauskommt, ist was<br />
andres als ein Mensch, es ist auf jeden Fall kleiner.<br />
Es ist praktisch, was wir können. (e. j., das werk / S.118)<br />
wenn wir sie heute<br />
nicht brauchen, kommen<br />
sie morgen im flugzeug<br />
zurück. so weit haben<br />
sie es inzwischen gebracht.<br />
(e. j., das werk / S.99)<br />
s: 16 ˚<br />
– touristen –<br />
s: 17 ˚<br />
– fremde 2 –
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
IX<br />
0º<br />
X<br />
0º<br />
(…)<br />
***<br />
Der Krieg geht, wohin er will, und dann läuft er sich in seinem Gerät langsam tot,<br />
und dann ist er wieder aus. Man muß ihn nur lassen, einmal ist er wieder aus.<br />
Ihr Frauen zieht erst weg, wenn ihr müßt. Der Krieg kommt und geht. Ihr Frauen<br />
bleibt und verkörpert, weil ihr nichts andres zu tun habt, das Bleibende,<br />
deswegen braucht euch der Techniker ja, ihr verkörpert, was sein Werk<br />
werden soll. Das Bleibende. (e. j., das werk / S.116f.)<br />
daß unsere söhne an einem so großen ort begraben würden,<br />
das hätten wir uns ja nie gedacht. also, das ist wirklich sehr<br />
großzügig von ihnen. danke vielmals. leider ist nichts mehr<br />
übrig, das wir begraben könnten, aber danke vielmals für<br />
ihren guten willen. (e. j., das werk / S.249)<br />
s: 18 ˚<br />
– frauen 1 –<br />
s: 19 ˚<br />
– frauen 2 –
s chausp iels tuttgart<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
das werk<br />
XI<br />
0º<br />
XI<br />
0º<br />
˚ Ich will aber doch auch etwas<br />
erfinden und das Wesen des<br />
laufenden Wassers damit auf meine<br />
Seite bringen. Irgendwen muß<br />
ich auf meine Seite bringen. Also,<br />
wie wärs mit uns, liebes Wort<br />
und liebe Sprache? Sind wir nicht<br />
füreinander geschaffen wie das<br />
Wasser für den Damm? Gebührt<br />
mir dafür nicht die Dammkrone?<br />
(e. j., das werk / S.171)<br />
( )<br />
s: 20 ˚<br />
– autorin –<br />
: August 2004: Elfriede Jelinek auf dem heimatlichen Bahnhof<br />
Hütteldorf, 15 Minuten vom Zentrum Wiens entfernt.<br />
s: 21 ˚<br />
– –
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
0º ➤ ˚ britta firmer ➤ ˚ katharina ortmayr ➤ ˚ susana fernandes genebra ➤ ˚ lisa wildmann ➤ ˚ anja brünglinghaus<br />
˚ Gebirgsdarstellung<br />
01 02 03 04 05<br />
s: 22 ˚<br />
s: 23 ˚<br />
– schauspielerinnen – – –
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
01 — ˚ wer kann schon sagen, welche Figuren im Theater ein Sprechen vollziehen<br />
sollen? Ich lasse beliebig viele gegeneinander antreten, aber wer ist wer?<br />
Ich kenne diese Leute ja nicht! elfriede jelinek, ich möchte seicht sein<br />
02 — ˚ man wird ja wohl noch fragen dürfen Aber das Theater. Genau weiß<br />
ich es ja auch nicht, aber dort versuche ich, den Ausblick auf diese Macht,<br />
die uns beherrscht, wie soll ich sagen: herauszulösen. Wie man ein Tier ausbeint.<br />
Ich kann ja auch nichts an der Macht ändern, aber ich kann die Wesen<br />
wie Blitze auf die Bühne schleudern, aus der Enge eines Apparats heraus,<br />
aber auch aus Zeitungsartikeln, Büchern, aus mir selbst. Jedenfalls soll<br />
eine Art Denken, also ein Fragen, das nicht auf seine Beantwortung besteht,<br />
daraus entstehen, aus dem, was ich da auf die Bretter werfe, in einer Art<br />
Entrümpelungsaktion meines Gehirns. Der Fernseher antwortet nur. Ich frage<br />
nur. Ich frage ja nur. Das werde ich doch wohl noch dürfen! Die Wesen auf<br />
der Bühne fragen ebenfalls, alle durcheinander. Man versteht, im Gegensatz<br />
zum braven Fernsehsprecher, kein Wort, aber aus dieser Vielstimmigkeit, die<br />
scheinbar alles erklärt, bevor noch gefragt wurde, werden plötzlich nichts als<br />
Fragen, noch viel mehr Fragen, obwohl eben scheinbar nur Antworten gegeben<br />
werden. Die Leute werden mit einer Art Dekorierspritze, wie die Zuckerbäcker<br />
sie haben, nein, nicht verziert, nicht hübsch hergerichtet, sondern sie<br />
werden in ihre Denkhemden eher: hineingepreßt. Ob sie wollen oder nicht.<br />
Sie werden nicht mit dem Berieselungsschlauch abgespritzt, sie werden<br />
vielmehr aus sich herausgerissen. e.j., in mediengewittern<br />
03 — ˚ wenn man diese möglichkeit der Veränderung, die Ereignisfülle und die<br />
Einmaligkeit jeder Situation – sogar der allergewöhnlichsten – erfährt, dann<br />
geht es nicht notwendigerweise darum, ihre Bewegung zu bestimmen oder zu<br />
kontrollieren, es geht eher darum, sich mit der Situation zu bewegen. Es geht<br />
um das Eintauchen in eine Erfahrung, die bereits begonnen hat. Der Körper<br />
macht sich vertraut mit den möglichen Entwicklungen der Situation, er geht<br />
mit dem Strom. Es ist eher ein Surfen, ein spielerisches Hin- und Herwenden<br />
der Situation, als ein Bestimmen oder Programmieren. Das Paradigma des<br />
Bestimmens kommt an die Erfahrung immer nur als etwas Äußerliches heran,<br />
so als ob wir nicht selbst in ihr wären. Man schaut hinein – so wie körperlose<br />
Subjekte, die ein Objekt betrachten. Aber unsere Erfahrungen sind keine<br />
Objekte. Sie sind wir selbst, wir sind aus ihnen gemacht. Wir sind unsere<br />
Situationen, wir selbst sind identisch mit unserer Bewegung in jeder Situation.<br />
Wir sind unser eigenes Teilhaben – nicht irgendeine abstrakte Einheit, die<br />
sich das Ganze von außen anschaut. brian massumi<br />
04 — ˚ es ist weniger wichtig, dass das Publikum die Vorstellung liebt, als<br />
dass die Vorstellung das Publikum liebt! Die Zeit der Vorstellung ist unsere<br />
Zeit, die wir miteinander teilen, Sie, das Publikum, und wir – unsere gemeinsame<br />
Zeit. Die Vorstellung ist kein abgeschlossenes Produkt, sondern eine<br />
Landschaft, ein Garten. Aber nicht ein Garten im Nebel oder im Abendlicht,<br />
sondern ein wilder Garten voller Möglichkeiten, in dem man sich geschützt<br />
oder ungeschützt bewegen kann. Jeder Zuschauer muss souverän zuschauen<br />
kaprun – chronik des werks<br />
um 1800 __ Kaprun ist ein Bauernnest mit 500 Einwohnern. 20iger Jahre __ Die deutsche<br />
AEG interessiert sich für den Bau eines Tauernkraftwerks. Bei dem deutschen Großprojekt<br />
sollen weit verzweigte Hangkanäle in einer Gesamtlänge von 1200 km das Wasser der<br />
gesamten Hohen Tauern in ein Staubecken bei Kaprun leiten. Die Österreicher stellen dem<br />
s: 24 ˚<br />
deutschen Projekt ein anderes entgegen, das mehrere Werke in verschiedenen Regionen<br />
vorsieht. 1931 __ Die Weltwirtschaftskrise macht alle Projekte zunichte. Vom Tauernkraftwerk<br />
ist bis 1938 nicht mehr die Rede. 1938 __ Anschluss Österreichs an das Großdeutsche<br />
Reich. In Kaprun findet der Spatenstich durch Hermann Göring statt. Obwohl es<br />
noch keine detaillierten Baupläne gibt, fangen die Bauarbeiten für das ‚kleinere‘ Werk an.<br />
s: 25 ˚
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
können, wie ein Museumsbesucher, der frei herumgeht. Was wir tun, muss<br />
transparent sein. Jeder individuelle Zuschauer soll jeden Moment die Kontrolle<br />
über die Wahrnehmung und die Erfahrung des Gesehenen behalten können.<br />
jan ritsema<br />
08 — ˚ vielleicht gibt es am ende nur eins zu tun, wenn man die menschen<br />
liebt: sie über die Wahrheit zum Lachen zu bringen, die Wahrheit zum<br />
Lachen bringen, denn die einzige Wahrheit heißt: lernen, sich von der krankhaften<br />
Leidenschaft für die Wahrheit zu befreien. umberto eco<br />
05 — ˚ als ob sie lebten! Ich will nicht spielen und auch nicht anderen dabei zuschauen.<br />
Ich will auch nicht andere dazu bringen zu spielen. Leute sollen nicht<br />
etwas sagen und so tun, als ob sie lebten. Ich möchte nicht sehen, wie sich in<br />
<strong>Schauspiel</strong>ergesichtern eine falsche Einheit spiegelt: die des Lebens.<br />
e.j., ich möchte seicht sein<br />
06 — ˚ die vertretelung der politischen praxis Was mich besonders interessiert,<br />
ist eben das Überführen des Denkens (dessen, was andere gedacht haben) in<br />
ein Sprechen, um eine Differenz (oder: keine) auszuloten. Dann soll natürlich<br />
auch Komik entstehen durch den Vergleich der Größe des Gedachten, das sich<br />
ja an keine Regeln halten muß, und der politischen Praxis, die oft so kläglich<br />
ausfällt und von Geißenpeters und Heidis, von Hänseln und Treteln vertretelt<br />
wird. e.j., e-mail-korrespondenz mit joachim lux<br />
07 — ˚ es gibt eine position, aber es gibt keine sichere position. Aller Glaube<br />
ist Ersatz, ein Argument, um zu kämpfen. Also weg mit dem Glauben! An<br />
nichts glauben, auch nicht an sich selbst, oder ans <strong>Schauspiel</strong>en, oder ans<br />
Theater. j.r.<br />
09 — ˚ wir sind das maß aller dinge Der Grund eines anderen, einfach nur:<br />
zu sein, wird von Leuten in Frage gestellt, die auch nichts anderes sind als<br />
der, dem sie seine bloße Existenz nicht zugestehen mögen. Den nennen sie<br />
‚anders‘, und daher soll er nicht sein, zumindest nicht bei uns. Der Grund,<br />
einfach nur: zu sein, wird also in Frage gestellt. Er darf zwar für uns arbeiten,<br />
aber sein wie er ist, das darf er nicht. Er soll anders sein, dann wäre er wie<br />
wir. Nein, dann wäre er immer noch nicht wie wir. Er wird nie sein wie wir,<br />
egal was er tut. Wir definieren ihn, das ist unsere Macht, wir sind sein Maß.<br />
e.j., frauen<br />
10 — ˚ obwohl ‚das werk‘ auf bestimmten lokalen ereignissen basiert,<br />
Österreich, dem Bau des Wasserkraftwerks, dem Gletscherbahnunfall in<br />
Kaprun, ist es als Verhandlung über Ausschließung und Ausbeutung höchst<br />
aktuell – im Sinne der Analyse, wie sie u.a. Giorgio Agamben in seinem Buch<br />
‚Homo sacer‘ formuliert hat: Die Situation des ‚Lagers‘, in der das Recht aufgehoben<br />
ist, ist längst nicht mehr der Ausnahmezustand, sondern vielerorts<br />
die Regel, beschränkt sich also nicht auf rechtsfreie Zonen wie die Wartezonen<br />
der Flughäfen, Asylbewerber-Unterkünfte oder Guantanamo Bay, sondern<br />
Technischer Direktor wird bis 1945 der Österreicher Hermann Grengg. Schwere Rückfälle<br />
bleiben nicht aus: So stürzt der 1941 fertig gestellte Schrägwandaufzug z.B. bei einer Fahrt<br />
400 Meter in die Tiefe und kostet Menschenleben. Kriegszeit __ Der Bau wird trotz<br />
Lawinenabgängen, Materialmangel und anderen kriegsbedingten Hindernissen fortgesetzt.<br />
Während des Krieges sind Arbeiter aus vielen Nationen in Kaprun beschäftigt: Die einen<br />
s: 26 ˚<br />
waren hinter Stacheldraht lebende Kriegsgefangene (wie Russen und Ukrainer), andere<br />
waren Fremdarbeiter aus ‚befreundeten Staaten‘ (wie Italiener und Slowaken). Diese Länder<br />
kompensierten mit der Bereitstellung von Arbeitskräften die Kohlelieferungen des großdeutschen<br />
Reiches. Hinzu kamen Fremdarbeiter aus eroberten Staaten (Belgien, Niederlande,<br />
Frankreich, Polen). Nur ca. 3% waren Österreicher und Deutsche, meist die Vorarbeiter<br />
s: 27 ˚
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
wird vielmehr in bestimmten Stadtvierteln moderner Großstädte politischer<br />
und juridischer Normalzustand. Die Orte, an denen der Unterschied zwischen<br />
Faktum und Recht, Leben und Norm, Natur und Politik aufgehoben ist, sind<br />
unterschiedlich und vielfältig. Früher, etwa in der Kolonialzeit oder während<br />
des Nationalsozialismus, wurden Lager eigens angelegt. Heute entstehen sie<br />
von allein, weil man bestimmte Orte einfach aufgibt und vergisst. j.r.<br />
11 — ˚ die erdrückende macht der frauen Wo Frauen totale Komplizinnen der<br />
Männer sind, da steche ich natürlich hinein, da identifiziere ich mich auch<br />
als Frau nicht mehr mit ihnen. Die Unterlegenen müssen ja die Herren studieren,<br />
damit sie ihnen nicht ganz zum Opfer fallen. Und kennen natürlich<br />
auch ihre Schwächen. Und je weniger die Männer bereit sind, nach außen<br />
hin ihre Macht zu teilen, um so mehr haben sie nach innen zu leiden. Die<br />
Macht der Frauen nach innen ist erdrückend. Wenn die Frauen immer nur,<br />
vielleicht auch aus Angst, aus dem öffentlichen Raum weggedrängt werden,<br />
dann kommen sie natürlich als Ungeheuer zurück, als Gespenster, so wie die<br />
Toten in der österreichischen Geschichte kinder der toten. Das Verdrängte<br />
kehrt als Schrecken zurück, nur noch viel furchtbarer.<br />
e.j., ich renne mit dem kopf gegen die wand und verschwinde<br />
12 — ˚ jelineks text ironisiert und dekonstruiert sich ständig selbst. Wenn der<br />
ständige Widerspruch, die Sprünge der Perspektive (wer spricht? wovon?),<br />
die Abbrüche, Stil-Brüche von Pathos zu Umgangssprache (und zurück)<br />
und Ingenieure. Kriegsende __ In den letzten Kriegstagen kommt von den Nationalsozialisten<br />
der Befehl, Kaprun zu zerstören. Boykott und Verzögerungstaktiken verhindern<br />
jedoch die Sprengung von Kaprun. Am 12. Mai kommen die Amerikaner und befreien die<br />
Kriegsgefangenen von Kaprun. Hermann Grengg wird wegen seiner Zugehörigkeit zur<br />
NSDAP von den Amerikanern verhaftet. Die Amerikaner transportieren österreichische<br />
s: 28 ˚<br />
zur Struktur des Texts selber gehören, muss man aufpassen, das nicht zu<br />
vereinheitlichen. Immer die Komplexität erhalten, die Bewegung des<br />
Textes selber inszenieren: ‚Jelineks Kopf‘. Wie funktioniert ihr Denken?<br />
j.r.<br />
13 — ˚ ist alles richtig falsch gesagt? Wenn man im Abseits ist, muß man<br />
immer bereit sein, noch ein Stück und noch ein Stück zur Seite zu springen,<br />
ins Nichts, das gleich neben dem Abseits liegt. Es läuft zu Sicherheit, nicht<br />
nur um mich zu behüten, meine Sprache neben mir her und kontrolliert, ob<br />
ich es auch richtig mache, ob ich es auch richtig falsch mache, die Wirklichkeit<br />
zu beschreiben, denn sie muß immer falsch beschrieben werden, aber<br />
so falsch, daß jeder, der sie liest oder hört, ihre Falschheit sofort bemerkt.<br />
Die lügt ja! e.j., nobelpreisrede<br />
14 — ˚ wo sind die juden geblieben? Viele Deutsche verstehen auch meinen Witz<br />
überhaupt nicht, die finden das nicht komisch. Ich habe das Gefühl, ich stoße<br />
vor allem in Deutschland in ein vollkommen leeres Rezeptionsfeld, in eine<br />
Rezeptionswüste. Meine Vermutung ist, daß das mit dem verschwundenen<br />
jüdischen Biotop zu tun hat, von dessen Rändern ich doch irgendwie herkomme.<br />
Ob das jetzt das Wiener Kabarett ist mit Karl Farkas und all den anderen oder<br />
ob ich das mit meiner Familie bin, da ist einfach ein ständiges Gewitzel. Das<br />
ist ein unaufhörliches Sprachspiel. In Deutschland ist das kaputtgemacht<br />
worden, einfach zerstört. Karl Kraus hat Dramolette geschrieben, die im Caféund<br />
deutsche Kriegsgefangene nach Kaprun. Wo vorher Russen u.a. hinter Stacheldraht<br />
lebten, nehmen jetzt viele Ex-Nazis als Zwangsarbeiter Platz, teilweise sogar in Ketten.<br />
Aber auch Flüchtlinge, Ausgebombte und aus Konzentrationslagern befreite Kommunisten<br />
und Sozialdemokraten sind jetzt in Kaprun. Der Weiterbau wird vor allem aus Geldern des<br />
Marshallplans finanziert. 1951 __ Die tiefer gelegene Limberg-Sperre am Wasserfallboden<br />
s: 29 ˚
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
haus spielen, wo man sich totlacht, aber die Leute haben das decodieren und<br />
goutieren können. Kraus hat den kulturellen Dung vorgefunden, wo das dann<br />
aufgegangen ist. Und das würde ich brauchen. Ich schreibe eigentlich aus<br />
dieser Tradition heraus und habe das Gefühl, ich schreibe ins Leere hinein.<br />
e.j., ich renne mit dem kopf gegen die wand und verschwinde<br />
15 — ˚ etwas zu sagen, das sie selber sagen will, die sprache. Mir sagt meine<br />
Sprache nichts, wie soll sie dann anderen etwas sagen? Sie ist aber auch nicht<br />
nichtssagend, das müssen Sie zugeben! Sie sagt um so mehr, je ferner sie mir<br />
ist, ja, erst dann traut sie sich, etwas zu sagen, das sie selber sagen will, dann<br />
traut sie sich, mir nicht zu gehorchen. e.j., nobelpreisrede<br />
16 — ˚ die sprache ein hund Was ich schreibe, ist ja keine normale Sprache, das<br />
ist eben eine Art Kunstsprache, auch in der Montagetechnik, mit der ich zuweilen<br />
arbeite. Es ist eigentlich eine Sprachkomposition. Damit es weitergeht,<br />
kommt von irgendwoher ein Satz, den ich brauchen kann, und dann reißt<br />
mich dieser Satz wieder voran, und schon geht es wieder weiter. Die Sprache<br />
ist wie ein Hund, sage ich oft, weil ich immer Hunde gehabt habe, ein Hund,<br />
der einen an der Leine hinter sich herzerrt, und man kann nur mitrennen.<br />
e.j., ich renne mit dem kopf gegen die wand und verschwinde<br />
17 — ˚ wie schafft man es, das gleiten und verschieben des sinns hörbar<br />
zu machen? Den Text ganz klar zu kriegen, ohne ihn zu vereinfachen, und<br />
ohne ihn zu illustrieren? Die Brüche und Widersprüche klarer spürbar zu<br />
machen? Jelinek macht die Gedanken plastisch. Diese Arbeit müssen wir weitertreiben.<br />
Sie traut sich, allem in die Augen zu sehen, sie nimmt kein Blatt<br />
vor den Mund. Sie stellt ihr Denken schamlos ins Schaufenster. Um ihre<br />
Denkbewegungen geht es (mehr als um die ‚Themen‘, die verhandelt werden).<br />
Diese präsentieren. Nichts repräsentieren. Keine Illusion erzeugen. Nichts<br />
besser wissen wollen. Alles muss immer verifizierbar sein. Und es muss<br />
leicht bleiben. Dass es Spaß macht, diesen Gedanken zu folgen. Es muss<br />
schweben. Der Text ist ein Vorschlag, ein Angebot ans Publikum, sich<br />
wenigstens mental Widersprüche zu erlauben. j.r.<br />
18 — ˚ die sprache ist wie hundescheiße an einer schuhsohle Die Sprache<br />
ist, gerade in diesem Stück über Technik, auch nur eine Technik von vielen,<br />
und viele andere Autoren, auch der anonyme ‚Volksmund‘, tragen dazu bei,<br />
diese Sprachfetzen, die sie mir geliefert haben, in meiner Packung fortzutragen,<br />
weiterzutragen, zu vertragen wie Hundescheiße an einer Schuhsohle. Das<br />
mach ich nicht aus Herrschsucht, um diese Sprachfetzen zu irgend etwas,<br />
und wäre es Ordnung, zu zwingen, sondern: Diese stinkende Wahrheit (was<br />
ich darunter verstehe) wird von den Schuhen einfach überallhin verschleppt,<br />
egal, ob man einfach nur ein Spiel machen will, in dem das Sagende gegen<br />
das Nichtssagende aufs Feld läuft und antritt, oder ob man ziellos, ungezielt<br />
einfach diesen armen Ball antritt, der das Eigentliche sein könnte, was immer<br />
das ist, den die Spieler aber nie erwischen, und wenn, dann geben sie ihn<br />
wird fertig. Feierliche Einweihung des Wasserfallbodenstausees durch Bundespräsident<br />
Dr. Theo Körner. Er sagt in seiner Rede: »Die Chronik von Kaprun, eine Chronik nimmermüder,<br />
hingebender Arbeit, wird eines Tages geschrieben werden müssen, um kommenden<br />
Geschlechtern zu zeigen, was zäher Arbeitswille und ein Mut zu vollbringen imstande ist,<br />
der jeder Gefahr ins Auge blickt. Es lebe das Werk Kaprun, der Stolz Österreichs.«<br />
s: 30 ˚<br />
Chruschtschow sorgt dafür, dass 87 Russen, die beim Bau umgekommen waren und in<br />
einem Massengrab an der Salzach verscharrt wurden, exhumiert werden. Ihnen zu Ehren<br />
wird auf einem Notfriedhof ein Denkmal gesetzt: »Hier liegen 87 Sowjetbürger von den<br />
deutschen faschistischen Eroberern ins Elend getrieben und fern von der Heimat ums<br />
Leben gekommen.« In den folgenden Jahren wird der über dem Wasserfallbodenstausee<br />
s: 31 ˚
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
s chausp iels tuttgart<br />
das werk<br />
sofort wieder ab. Wie es sich gehört. Manchmal geben sie ihn mir. Das stinkende<br />
Zeugs klebt nun mal an der Sohle fest, es wird zwar immer weniger,<br />
aber es klebt fest, da kann man nichts machen. Und in diesem unaufhörlichen<br />
Sprechen, Spielen, das sicher oft nur ein Plappern ist, ein Schwätzen,<br />
ein schnippisches, vorlautes Daherreden, erscheint bei mir dann irgendwann<br />
unweigerlich auch das stets Abwesende, das Verdrängte, das Vergessene.<br />
Und das will ich haben, das fixiere ich dann, das scheint mir letztlich immer<br />
das Wichtigste zu sein, gerade deshalb, weil es immer das ist, was fehlt, was<br />
ausgelassen wird, ohne je ausgelassen sein zu dürfen.<br />
e.j., e-mail korrespondenz mit joachim lux<br />
19 — ˚ o bächlein, sprich, wohin? Aber wie kann es sein, daß ausgerechnet ein<br />
Bächlein am tiefsten ist, womöglich eins aus Tränen? Und nichts fragt und<br />
nichts beantwortet, weil es gleichzeitig fließt und da ist, kaum getrübt, und<br />
wenn, dann von einer Harmlosigkeit, die wirklich daraus kommt, daß keinem<br />
ein Harm angetan wird, auch all den Freunden der Heiterkeit nicht, die drum<br />
herumstehen. Denn nichts von alldem meint sich selbst oder ist gemeint.<br />
Aber es ist auch nichts anderes gemeint. Ein Rätsel, das Schubert ist.<br />
e.j., zu franz schubert<br />
immer nur ein bestimmtes Gesicht. Warum sollte also das Theater es versuchen,<br />
das gar nichts kennt, sondern nur aus dem schöpft, was die Zuschauer<br />
zu kennen glauben? Die wollen für einen Abend ihre Wachsamkeit an etwas<br />
festbinden, das sie sehen, nur um wieder ein paar Stunden nicht zu schlafen,<br />
denn sie wollen ja unterhalten werden! (angeblich die einzige Todsünde des<br />
Theaters: das Publikum zu langweilen!). Unter diesem Halt ist aber keiner.<br />
Wenn man glaubt, man hat jetzt den Haltegriff für die Unterhaltung gefunden,<br />
dann rutscht er einem unter den Händen gleich wieder weg.<br />
e.j., theatergraben<br />
21 — ˚ was ich mache, ist Ideentheater – Jelineks Ideen, die die <strong>Schauspiel</strong>erinnen<br />
transportieren. Jeder Satz steht für sich. Und baut an den vorigen an. Und<br />
der nächste baut weiter. Oder baut das Aufgebaute wieder ab. Keine narrative<br />
oder soziale Situation. Der Text ist das Zentrum. Theatralität soll seine vielfältigen<br />
Bedeutungen nicht reduzieren. j.r.<br />
20 — ˚ um wieder ein paar stunden nicht zu schlafen Wer kennt schon die<br />
Welt so gut, daß er sie abbilden könnte? Ich jedenfalls nicht. Sie aber auch<br />
nicht, Sie glauben es vielleicht, aber Sie kennen sie nicht. Sie zeigt Ihnen<br />
gelegene Moserbodenstausee in Angriff genommen; die beiden Staudämme Mosersperre<br />
und Drossensperre werden gebaut. Das hoch in den Bergen am Fuß der Pasterze, im<br />
Mölltal gelegene Wasserauffangbecken wird fertiggestellt. Von dort kann das Wasser durch<br />
die Möllüberleitung, einem 11 Kilometer langen durch den Berg getriebenen Stollen, direkt<br />
in den Wasserfallbodenstausee fließen. 1955 __ Österreich erhält durch den Staatsvertrag<br />
s: 32 ˚<br />
seine Souveränität zurück. Die Russen ziehen ab. 1956 __ Vollendung und Eröffnung des<br />
Tauernkraftwerks Glockner-Kaprun.<br />
s: 33 ˚
˚es ist alles längst gesagt<br />
Warum nicht ein Theater der Zurückhaltung, wo Fremde zu<br />
Fremden Fremdes sprechen, nur aus andren Mündern, die<br />
auch fremd sind, aber wissen, was ein andrer gesagt hat?<br />
Fremdes sprechen, das nur irgendwann einmal einem vertraut<br />
war, der darin zu Hause war? Es ist alles längst gesagt.<br />
Warum sollte ausgerechnet das Theater also etwas abbilden,<br />
das jeder zu erkennen glaubt, aber keiner kennt, denn wer<br />
versteht schon sein eigenes Leben? e.j., theatergraben<br />
impressum<br />
herausgeber<br />
<strong>Schauspiel</strong> <strong>Stuttgart</strong> / Staatstheater <strong>Stuttgart</strong><br />
intendant<br />
Hasko Weber<br />
redaktion<br />
Kekke Schmidt, Christin Bahnert, Jan Ritsema<br />
gestaltung<br />
strichpunkt, <strong>Stuttgart</strong> / www.strichpunkt-design.de<br />
druck<br />
Engelhardt & Bauer<br />
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