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Rezension Im Schatten des Hochschwab

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Christian Ehetreiber: Späte Gerechtigkeit – Die tragische Lebensgeschichte<br />

<strong>des</strong> Spanienkämpfers und Chronisten <strong>des</strong> steirischen Widerstan<strong>des</strong> Josef<br />

Martin Presterl<br />

Geschichte in ihrer Verschränkung mit Lebensgeschichten erzeugt mitunter Tragödien. Das zu kurze<br />

Leben <strong>des</strong> Schriftstellers, Spanienkämpfers und Verlegers Josef Martin Presterl gehorcht einer<br />

Dramaturgie, die an Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ erinnert. Presterl erhält im September 1947<br />

eine Einladung <strong>des</strong> jugoslawischen Journalistenverban<strong>des</strong> zu einer Studienreise, wird am 25.10.1947<br />

in Maribor verhaftet, gerät in den Mahlstrom der sogenannten „Dachauer Prozesse“, wird zum Tode<br />

verurteilt und hingerichtet. Die Dachauer Prozesse gehorchten der sattsam bekannten Regie von<br />

Schauprozessen: Dem Vorwurf der Kollaboration und Sabotage folgt die Erpressung von<br />

Geständnissen unter Folter, schließlich die Verhaftung und Anklage all jener Personen, die mit dem<br />

Hauptangeklagten in Kontakt stehen und die Verhängung von drakonischen Höchststrafen. Die<br />

Anklage stützt sich auf die Falschaussagen von verhafteten GESTAPO-Beamten, wonach<br />

festgenommene jugoslawische Spanienkämpfer als Agenten der Nazis in die Untersteiermark<br />

entlassen worden seien. Der Hauptangeklagte Janko Pufler wie auch Presterl wurden jedoch von den<br />

Nazis nicht in die Untersteiermark entlassen, sondern als Häftlinge ins KZ Dachau geschickt. Doch alle<br />

noch so aberwitzigen Ungereimtheiten vermögen die Dramaturgie von Schauprozessen freilich nicht<br />

zu stören, da der Ausgang solcher Tribunale von Anfang an eine ausgemachte Sache ist.<br />

Heimo Halbrainers Darstellung <strong>des</strong> jugoslawischen Justizskandals ist ein Plädoyer für<br />

Rechtsstaatlichkeit, eine Anklageschrift gegen die politisch Verantwortlichen Jugoslawiens und gegen<br />

Presterls ehemalige KPÖ-Genossen, die ihn – im ebenso unreflektierten wie willfährigen Gleichklang<br />

mit der KP-Linie Jugoslawiens - nach der Hinrichtung verleumdeten und dem Vergessen<br />

überantworteten.<br />

Ein nüchterner Blick in die Lebensgeschichte und in das Werk Josef Martin Presterls hätte die<br />

Verblendungszusammenhänge der jugoslawischen Justiz lichten müssen. Zeit seines Lebens stand<br />

Presterl auf der Seite der Arbeiterbewegung und <strong>des</strong> antifaschistischen Widerstan<strong>des</strong>, kämpfte im<br />

Tschapajew-Bataillon und im Bataillon 12. Februar 1934 gegen die spanischen Faschisten, floh in das<br />

alsbald von der Wehrmacht eroberte Frankreich, gehorchte dort der absurden KPÖ-Losung, sich nach<br />

Österreich repatriieren zu lassen, was ihn schließlich ins KZ Mauthausen brachte. Dort war Presterl<br />

vier lange Jahre inhaftiert und wurde im April 1945 in sprichwörtlich letzter Sekunde befreit,<br />

augemergelt, von Typhus und Fleckfieber gezeichnet und nur mehr 36kg schwer.<br />

Bereits ein Jahr nach Kriegsende begann Presterl mit umfangreichen Recherchearbeiten zum<br />

Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Steiermark, führte hunderte Interviews mit den<br />

Aktivisten und verfasste ein rund 345 Seiten starkes Manuskript mit dem Titel „<strong>Im</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Hochschwab</strong>“, welches 1947 zur Publikation vorgesehen war. Doch nach der Verurteilung Presterls<br />

als (vermeintlicher!) „GESTAPO-Agent“ wollte die KPÖ mit ihm nichts mehr zu tun haben. Das<br />

Manuskript geriet jahrzehntelang in Vergessenheit und wurde erst vor einigen Jahren durch Zufall<br />

wiederentdeckt.<br />

Heimo Halbrainer und Karl Wimmler gebührt das Verdienst der sorgsamen Edition <strong>des</strong> verschollenen<br />

Werkes Presterls über den steirischen Widerstand sowie die prägnante Rekonstruktion der<br />

tragischen Lebensgeschichte <strong>des</strong> Autors.


Presterl präsentiert in fünf Abschnitten den steirischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus in<br />

Form episodischer Skizzen mit „roten Fäden“. Dem im packenden journalistischen Stil verfassten Text<br />

gelingt die Verknüpfung <strong>des</strong> zeitgeschichtlichen Kontextes mit den einzelnen Lebensgeschichten der<br />

Widerstandskämpfer und ihres unterstützenden Hinterlan<strong>des</strong> in überzeugender Weise. Der Leser<br />

erhält ein detailreiches Bild <strong>des</strong> - als loses, meist kaum verbundenes Netzwerk - agierenden<br />

Widerstan<strong>des</strong> mit seinen Knotenpunkten in Graz, Kapfenberg, entlang der Eisenstraße, in Judenburg,<br />

Hartberg oder auf der Koralm. Die anhand von markanten Ausschnitten erzählten Lebensgeschichten<br />

der Widerstandskämpfer konturieren deren Persönlichkeitsprofile, ihre Einstellungen, Motive und<br />

Werthaltungen, mit denen sie sich in zunächst völlig aussichtsloser Position gegen die Militär-,<br />

Terror- und Propagandamaschinerie der Nazis auflehnen.<br />

Ein Herzstück <strong>des</strong> Buches repräsentiert die Gründung der Österreichischen Freiheitsfront im Jahr<br />

1943 in der Krumpen bei Trofaiach und die daran anknüpfenden bewaffneten Aktionen der<br />

Partisanengruppe Leoben-Donawitz zwischen <strong>Hochschwab</strong> und Gesäuse. Presterls Darstellung<br />

verzichtet in vornehmer Weise auf Pathos und Glorifizierung <strong>des</strong> Widerstan<strong>des</strong>, lässt ihn als<br />

„schattiertes Kontinuum“ zwischen den Polaritäten <strong>des</strong> oppositionellen Verhaltens und <strong>des</strong><br />

bewaffneten Kampfes in mehreren abgestuften Handlungsmustern ins Blickfeld rücken: Mutige<br />

Frauen wie Christine Berger, die im Leobner Meldeamt die Partisanen vor Verhaftungen warnte,<br />

gehören ebenso zu diesem „Kontinuum <strong>des</strong> Widerstan<strong>des</strong>“ wie der Uhrmachermeister Ferdinand<br />

Andrejowitsch, Mathilde Auferbauer oder Elisabeth Edlinger, die den Partisanen als Anlaufstelle und<br />

Zuflucht dienten.<br />

Presterl schildert auch die Repressionsstrategien der Nazis in einprägsamer Weise, beginnend bei der<br />

NS-Propaganda mit ihren Verhetzungseffekten über das Spitzelwesen bis zu Massenverhaftungen mit<br />

anschließenden Folterungen, KZ-Haft und To<strong>des</strong>urteilen. Die Angreifbarkeit der losen Netzwerke <strong>des</strong><br />

Widerstan<strong>des</strong> durch eingeschleuste GESTAPO-Spitzel, das daraus resultierende Misstrauen und die<br />

kollektive Verunsicherung werden anhand einzelner Fallbeispiele plastisch vor Augen geführt. Das<br />

koordinierte Vorgehen von GESTAPO und Helfershelfern, das zur physischen Dezimierung der<br />

Netzwerke führt, die verbliebenen Kämpfer zumeist jedoch nicht in die Resignation treibt,<br />

dokumentiert die Charakterfestigkeit dieser Persönlichkeiten mit aufrechtem Gang.<br />

Die beiden Herausgeber runden die gelungene Edition von Presterls Manuskript mit einer hilfreichen<br />

Sammlung von Flugblättern <strong>des</strong> Widerstan<strong>des</strong>, mit biografischen Notizen zu den<br />

Widerstandskämpfern und mit einer kompakten Biografie <strong>des</strong> Josef Martin Presterl ab. Nach der<br />

posthum im Jahre 1976 erfolgten Rehabilitierung Presterls durch die Republik Jugoslawien setzen die<br />

Herausgeber ein würdevolles Erinnerungszeichen für eine faszinierende Persönlichkeit <strong>des</strong><br />

steirischen Widerstan<strong>des</strong>. Das exzellente Werk wird in Verknüpfung mit der tragischen<br />

Lebensgeschichte <strong>des</strong> Autors in den kommenden Jahren sicher auch Drehbuchautoren, Filmemacher<br />

und Stückeschreiber in ihren Bann ziehen.<br />

Josef Martin Presterl, <strong>Im</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>des</strong> <strong>Hochschwab</strong>. Skizzen aus dem steirischen Widerstand. Hrsg.<br />

von Heimo Halbrainer und Karl Wimmler. 376 Seiten, Graz 2010 (ISBN: 978-3-902542-09-0) Euro<br />

18,--; bestellbar unter www.clio-graz.net<br />

Mag. Christian Ehetreiber, geb. am 6.5.1963, ist GF-Obmann der ARGE Jugend gegen Gewalt und<br />

Rassismus und Mitglied <strong>des</strong> Grazer Menschenrechtsbeirates. www.argejugend.at

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