Medienbericht: Die anderen Seiten Balis - Seventheaven
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eisen<br />
<strong>Die</strong> <strong>anderen</strong><br />
<strong>Seiten</strong> <strong>Balis</strong><br />
<strong>Die</strong> «Insel der Götter und Dämonen» kennen viele Touristen<br />
nur als Badedestination. Wer sich auf persönliche Begegnungen einlässt,<br />
nimmt hingegen mehr nach Hause mit als Postkartenbilder<br />
28 «z – die schönen seiten» ausgabe 4/13
Fotos: claudius wirz, roberto zimmermann<br />
Linke Seite:<br />
Blick auf den See<br />
Danau Batur.<br />
Links:<br />
Gläubiger legt im<br />
Tempel Pura Pasar<br />
Opfergaben nieder.<br />
Mitten im üppigen Dschungel<br />
<strong>Balis</strong> stehen wir vor einer<br />
riesigen Halle, gute 20 auf 15<br />
Meter gross, das Giebeldach<br />
erreicht fast zehn Meter.<br />
Rundherum zwitschert es aus dem grünen<br />
Dickicht, Hitze und Feuchtigkeit lassen<br />
das Gebäude wie eine Fata Morgana erscheinen.<br />
Der deplaciert wirkende Bau ist<br />
aber kein Traum, sondern das Traumobjekt<br />
eines Mannes aus dem St. Galler<br />
Rheintal und enthält ein voll funktionierendes<br />
Filmstudio, das bereits für mehrere<br />
Produktionen benutzt wurde. Orlando<br />
Bassi heisst dieser Mann, dessen Augen<br />
glänzen, als er uns in die Halle führt und<br />
von den Settings erzählt, die hier bereits<br />
errichtet wurden, selbst ein wogendes<br />
Meer gehört dazu. Schon immer habe er<br />
ein Studioboss sein wollen, verrät er. Seine<br />
Karriere begann er allerdings mit einer<br />
Lehre als Coiffeur. Danach arbeitete er als<br />
Make-up-Artist, zunächst in lokalen<br />
Theaterproduktionen, später für Fernsehsender<br />
wie RTL.<br />
Doch das Filmstudio ist längst nicht<br />
alles, was Orlando Bassi – feste Statur,<br />
Glatze und dunkler Bartschatten – hier<br />
geschaffen hat. Gleich um die Ecke stehen<br />
langgezogene Gebäude, die seine Manufakturen<br />
für Perücken, Profi-Make-up<br />
samt passenden Koffern und Filmprothesen,<br />
die in Gruselstreifen Verwendung finden,<br />
beherbergen. Gut zwanzig Kilometer<br />
von <strong>Balis</strong> Kulturzentrum Ubud entfernt,<br />
sind hier 140 Frauen und Männer<br />
aus umliegenden Dörfern beschäftigt, die<br />
Requisiten und Hilfsmittel für Theater<br />
und Filmstudios in aller Welt herstellen.<br />
1990 hatte Bassi in Buchs (SG) das Atelier<br />
Bassi gegründet, das mit Perücken und<br />
Make-up-Accessoires für Film, Fernsehen<br />
und Theater handelte. Später baute er<br />
zusammen mit einem Partner die Fabrik<br />
in Bali auf, wo in den letzten 15 Jahren<br />
Perücken für Musicals («Beauty and the<br />
Beast», «Les Misérables»), Theaterstücke<br />
und Opern (z. B. an der Metropolitan<br />
Opera in New York) oder Hollywood-Filme<br />
hergestellt wurden.<br />
scHWeiZer iM dscHungel<br />
Vor zehn Jahren machte Bassi Bali zu seinem<br />
Hauptwohnsitz. Er baute sich ein<br />
schönes Anwesen in einem versteckten<br />
Tal mitten im wuchernden Grün, das eine<br />
Zeitlang auch als Unterkunft für Touristen<br />
diente. Bassi spricht über die Schwierigkeiten,<br />
in einem Schwellenland ein Unternehmen<br />
aufzubauen, über Mindestlöhne,<br />
die er überbietet, und natürlich über seine<br />
Passion, den Film. Mit seinem Qualitätsbewusstsein<br />
hat er es geschafft, zu einem<br />
wichtigen Player im globalen Business für<br />
Haarersatz und Profi-Make-up zu werden.<br />
Eine Begegnung mit dem quirligen Sankt-<br />
Galler vergisst man nicht so schnell. Bassi<br />
gehört zu dem guten Dutzend Menschen,<br />
die ich auf einer siebentägigen Reise<br />
über die Insel der Götter und Dämonen,<br />
der Mythen und Heilsuchenden kennenlernen<br />
werde. Dazu liessen wir uns auf<br />
ein Angebot der Boutique-Reiseagentur<br />
<strong>Seventheaven</strong> in Zürich ein, die weltweit<br />
massgeschneiderte Reisen<br />
mit Schwerpunkten<br />
auf Kulinarik, Kultur<br />
und Lifestyle anbietet<br />
(siehe Kasten Seite 31).<br />
So wurde für den Journalisten<br />
auf dessen Anregung<br />
ein Abstecher zu Bassis verstecktem<br />
Fabrikgelände eingeplant, der<br />
sich nahtlos in ein gutes Dutzend Begegnungen<br />
mit gebürtigen und zugezogenen<br />
Balinesen einreihte. Am Tag nach der Ankunft<br />
beispielsweise fährt der stets gut gelaunte<br />
Fahrer Yanie mit mir zu einer<br />
Hohepriesterfamilie. <strong>Balis</strong> Bevölkerung<br />
betet zum überwiegenden Teil hinduistische<br />
Götter an, auch wenn einige Touristen<br />
hier den Buddhismus erwarten oder<br />
suchen. Der Zugang zum einfachen Anwesen<br />
führt über einen grünen Hügel. <strong>Die</strong><br />
Tore sind zugewachsen, wer sie passiert,<br />
betritt eine andere, stille Welt.<br />
besucH bei den braHManen<br />
Herzlich begrüsst werden wir vom Sohn<br />
des Hohepriesterpaars, er ist 54 Jahre alt<br />
und arbeitet als Biologielehrer. Nicht er,<br />
sondern seine fast gleichaltrige und unverheiratete<br />
Schwester soll dereinst das Amt<br />
übernehmen, sobald die über neunzigjährigen<br />
Eltern es nicht mehr ausfüllen<br />
können. <strong>Die</strong> zu der höchsten Kaste der<br />
Brahmanen gehörende Familie bewohnt<br />
mitsamt Enkeln ein paar einfache Häuser,<br />
die zwei Höfe mit Naturboden umrahmen.<br />
<strong>Die</strong> Küche ist offen, und einer der<br />
Enkelsöhne, der demnächst sein Studium<br />
beginnt, bügelt in aller Ruhe Wäsche an<br />
der frischen Luft. Das sympathische<br />
Priesterpaar sitzt derweil auf einer kleinen<br />
Terrasse und bereitet mein Segnungsritual<br />
vor. Dazu benötigen sie Wasser,<br />
Blüten und Reis. Im Schneidersitz bespritzt<br />
der Priester zunächst mein Gesicht<br />
mit Wasser und gibt mir Reis körner, die<br />
ich in den Mund nehme, auf Stirn und<br />
Scheitel klebe. Dann werde ich aufgefordert,<br />
dreimal aus einer Schale mit<br />
bunten Blumenblättern (jede Farbe stehe<br />
für eine andere Gottheit, erklärt Yanie) zu<br />
trinken und meine Hände zu falten. Einige<br />
Minuten halte ich meine Augen geschlossen,<br />
während ich den segnenden<br />
Sentenzen des Greisenpaares lausche.<br />
Das bringt Yanie zum Sinnieren über<br />
das Leben. Er erzählt später, dass er täglich<br />
mindestens 15 Minuten bete; auch um<br />
«eine Ruhepause einzuschalten und Gedanken<br />
und Wünsche zu sammeln». Balinesen<br />
liessen sich zu allen religiösen Feiern<br />
(z. B. an Voll- oder Neumond) vom<br />
Priester segnen, sagt er, das seien hier<br />
auch Familienfeste. Und prompt klingelt<br />
sein Mobiltelefon, am <strong>anderen</strong> Ende ist<br />
seine Mutter, die ihn daran erinnert, am<br />
Abend ein Fest nicht zu vergessen.<br />
Auf dem Weg zum höchstgelegenen<br />
Tempel <strong>Balis</strong>, dem Pura Pasar Agung auf<br />
1600 Metern, erzählt er von seinen zwei<br />
Söhnen, die neun und zwei Jahre alt sind<br />
und eine bessere Schulerziehung geniessen<br />
sollen, als er selbst es vermochte. Für<br />
Yanie scheint der heutige Tag nicht weniger<br />
ein Ferientag zu sein als für mich. Auf<br />
Das<br />
Priesterpaar<br />
bereitet das<br />
segnende<br />
Ritual vor<br />
dem Parkplatz des Heiligtums<br />
angekommen, sehen wir Dutzende<br />
Pilger jeden Alters, die<br />
den Weg bergauf zum Tempel<br />
erklimmen. <strong>Die</strong> Stimmung im<br />
Tempelgelände ist feierlich, viele<br />
der Betenden haben sich besonders<br />
prachtvoll eingekleidet, Fotografieren ist<br />
nicht nur erlaubt, sondern gehört auch<br />
für die Gläubigen zum Ausflug dazu. Frauen<br />
in bunten, Kebaya genannten Kostümen<br />
tragen geflochtene Körbe mit Opfergaben<br />
auf ihrem Kopf. <strong>Die</strong> Götterstatuen<br />
aus dunklem Vulkanstein sind mit<br />
weissen Bändern geschmückt, Tische und<br />
Altare mit farbigen, meist gelben Tüchern.<br />
Einige Männer rauchen Zigaretten,<br />
was Yanie zum Anlass nimmt, sich<br />
ebenfalls eine anzuzünden. <strong>Die</strong> Religiosität<br />
der Balinesen werde ich zwei Tage später<br />
noch einmal beobachten können,<br />
wenn wir den königlichen Wassertempel<br />
Tirta Empul besuchen, wo ich den komplizierten<br />
Ablauf bei rituellen Waschungen<br />
erklärt bekomme, denen sich Dutzende<br />
von Gläubigen – auch aus dem<br />
Westen – unterziehen.<br />
Am folgenden Tag statten wir dem<br />
Wassergarten Tirta Gangga («Wasser des<br />
Ganges») auf halbem Weg nach Ubud,<br />
dem kulturellen Zentrum der Insel,<br />
einen Besuch ab. Obwohl er «ein beliebtes<br />
Ziel von Einheimischen und Touristen»<br />
ist, wie es ein Reiseführer beschreibt,<br />
sind kaum Fremde zu sehen. Zu<br />
abgelegen ist der von Reisfeldern umgebene<br />
Ort bereits, um die Touristenmassen<br />
vom Süden der Insel heranzulocken,<br />
wo in Städten wie Nusa Dua, Kuta und<br />
Jimbaran jährlich Hunderttausende ihre<br />
Körper an Stränden bräunen und abends<br />
billiges Bier in Massen hinunterkippen.<br />
An heiligen Tagen hingegen soll es in<br />
Tirta Gangga von Gläubigen nur so wimmeln,<br />
wie mir mein neu hinzugestossener<br />
Guide Dumya erklärt, der von sich<br />
sagt, er sei ein rationaler Mensch, der<br />
sich aber nicht vom Glauben trennt,<br />
«weil ich sicher bin, dass es mehr als nur<br />
die sichtbare Welt gibt» – das tun die<br />
meisten Balinesen, die ich antreffe. Eine<br />
in Reli gionsfragen tolerante, weltoffene<br />
Haltung ist auf Bali weit verbreitet. Jede<br />
und jeder hier sucht sich sein Glaubensbekenntnis<br />
inner- und ausserhalb seiner<br />
eigentlichen Konfession zusammen. <strong>Die</strong><br />
Insel der Tempel ist auch die Insel der<br />
▼<br />
Fortsetzung Seite 30<br />
«z – die schönen seiten» ausgabe 4/13 29
▼<br />
Links:<br />
Hahn mit gefärbten<br />
Federn im<br />
Dorf Tenganan.<br />
Unten:<br />
Historische<br />
Steinfiguren in der<br />
Stadt Ubud.<br />
Fortsetzung von Seite 29<br />
<strong>Die</strong> Insel<br />
der Tempel<br />
ist auch die<br />
Insel der<br />
Pragmatiker<br />
im Glauben<br />
Pragmatiker im Glauben, wie ich während<br />
der Reise immer wieder feststelle.<br />
Schliesslich besuchen wir Tenganan,<br />
eines von drei Dörfern, in denen die prähinduistische<br />
Kultur lebendig geblieben<br />
ist. Ihre Bewohner gehören zum Stamm<br />
der Ur-Balinesen, genannt Bali Aga. Nur<br />
wer einen Einheimischen heiratet, darf<br />
hierherziehen. <strong>Die</strong> meisten Bewohner<br />
pflegen Hobbys, ein Handwerk oder das<br />
süsse Nichtstun, da sie Reisfelder in der<br />
Umgebung besitzen, die sie an Auswärtige<br />
verpachten. In den langen Reihenhäusern<br />
werden lokale Handwerkserzeugnisse wie<br />
kunstvoll gewebte Ikat-Stoffe verkauft,<br />
die es in dieser Qualität sonst nirgendwo<br />
in Indonesien mehr gibt. Hunde und Kinder<br />
spielen ausgelassen im Schatten. Auch<br />
hier hat es erstaunlich wenig Touristen,<br />
obwohl der Ort mit seiner speziellen Lebenskultur<br />
sehr sehenswert ist.<br />
Das Mittagessen nehmen wir im Bio-<br />
Restaurant «Bali Asli» («Original-Bali»)<br />
ein, das an einem wunderbaren Aussichtspunkt<br />
auf einem Hügelrücken liegt und<br />
einige seiner Gemüse und Früchte aus<br />
dem eigenen Garten bezieht. Bio (oder<br />
«Eco») breitete sich in den letzten Jahren<br />
auf der Insel aus. Immer mehr Touristen<br />
legen Wert auf natur- und umweltfreundliche<br />
Gastronomie und Hotellerie, entsprechend<br />
wird das Angebot stetig ausgebaut.<br />
Seit kurzem ist Umwelt- und Naturschutz<br />
ein politisches Thema auf der<br />
Insel, deren Bevölkerung und Strassenverkehr<br />
von Jahr zu Jahr zunimmt. Penelope<br />
Williams, die australische Besitzerin des<br />
schönen Restaurants, erklärt uns, dass die<br />
Balinesen bis jetzt wenig an das Morgen<br />
dächten, ausser wenn es um ihre Kinder<br />
gehe. Meistens aber liessen sie die Zukunft<br />
einfach auf sich zukommen. «Das<br />
ändert sich jetzt langsam.» Offen und luftig<br />
ist der Speiseraum des Lokals, im Hintergrund<br />
quillt einlullende Degung-Musik<br />
aus Lautsprechern, die aus dem Westen<br />
Javas, der (muslimischen) Nachbarinsel<br />
<strong>Balis</strong>, stammt. Dumya erklärt mir beim<br />
Verspeisen des Desserts in Form köstlicher<br />
Salak-Früchte, dass viele Javaner auf<br />
Bali arbeiten, oft im Strassen- und Häuserbau<br />
(oder überall dort, wo hart gearbeitet<br />
werden muss). <strong>Die</strong> Einheimischen<br />
seien zu bequem für solche Jobs und würden<br />
sich lieber dem Verkauf und der Repräsentation<br />
widmen.<br />
Gegen Abend kommen wir in Ubud an,<br />
einer Stadt, die in den letzten Jahren auch<br />
wegen Zuwanderern aus dem In- und Ausland<br />
um ein Mehrfaches gewachsen ist<br />
und weiter wächst. Ubud war früher der<br />
Treffpunkt von Aussteigern aus dem Westen,<br />
noch heute trifft man sie allenthalben<br />
auf den Strassen oder in Cafés.<br />
Hotelier als Kunstförderer<br />
Längst droht der Tourismus den Charme<br />
des alten Künstler- und Handwerkerstädtchens<br />
zu überwuchern: An den<br />
wichtigen Strassen wie der Monkey Forest<br />
Road reihen sich Läden mit Souvenirs,<br />
Internet-Cafés und Restaurants aneinander,<br />
die hauptsächlich Touristen anlocken.<br />
Eine Oase im Trubel liegt einige<br />
Kilometer ausserhalb der Stadt: das Neka-Museum,<br />
die Heimat einer der besten<br />
Sammlungen indonesischer Kunst und<br />
einer Kollektion von Krisen, den balinesischen<br />
Kurzschwertern. Hier treffen<br />
wir Koman W. Suteja, dessen an Kunst<br />
interessierter Vater Lehrer war und das<br />
Museum gründete. Suteja führt mich<br />
durch die Räume und erzählt, wie er in<br />
einem der Gebäude hier geboren wurde,<br />
unter Künstlern aufwuchs und schliesslich<br />
seine eigene Komaneka Fine Art<br />
Gallery für zeitgenössische Kunst gründete.<br />
Heute ist er aber in erster Linie Hotelier.<br />
Ich übernachte in einem seiner<br />
vier rund um Ubud gelegenen Häuser,<br />
dem «Komaneka at Bisma», einem Fünfsternehotel<br />
in einem üppig-grünen Tal.<br />
Auf der Fahrt vom Museum zum Hotel,<br />
auf der mich Suteja in einem schwarzen<br />
SUV mitnimmt, erzählt er, wie er zum<br />
Land kam, auf dem seine Gebäude stehen.<br />
«Der Boden gehört hier normalerweise<br />
einer ganzen Gemeinschaft, etwa<br />
einer Sippe, die von der Landwirtschaft<br />
lebt. Damit ich alle vom Verkauf überzeugen<br />
konnte, musste ich ausserhalb<br />
Ubuds Felder für die Bauernfamilien<br />
kaufen.» Begonnen habe er seinen Aufstieg<br />
als Hotelbesitzer mit einer kleinen<br />
Pension für seine Künstler. Bald wurde<br />
ein zweites Haus nötig. Heute plant der<br />
Unternehmer mehrere Projekte, und<br />
die Qualität seiner eleganten, mit<br />
Kunst ausgestatteten Herbergen<br />
ist bereits über die Insel<br />
hinaus bekannt. «Bali ist zu<br />
einer Billigdestination geworden,<br />
dem möchte ich<br />
abhelfen», sagt er und zeigt<br />
Verständnis für Tourismus-<br />
Kritiker, Umweltschützer<br />
und Künstler, die sich politisch<br />
engagieren, weil sie<br />
fürchten, dass die Insel allmählich<br />
ihre Seele verliert.<br />
Am folgenden Tag treffen<br />
wir einen dieser Künstler,<br />
den bekannten Maler<br />
Wayan Karja, der sich nach<br />
einem Motorrad-Unglück<br />
gerade mit einem gebrochenen<br />
Bein herumplagen muss.<br />
Er empfängt mich trotzdem<br />
– während seine Frau schweigsam ein hervorragendes<br />
Mahl auftischt. Karja berichtet<br />
über die neuesten Entwicklungen in<br />
einem Skandal an der Uni, für die er als<br />
Dozent arbeitet – oder gearbeitet hat.<br />
Der neue Rektor der Schule, eingesetzt<br />
von der indonesischen Zentralregierung,<br />
führe eine «Säuberung» im Lehrkörper<br />
durch und ersetze altgediente Professoren<br />
mit politischen Unterstützern. Karja ist<br />
zu seinem Glück nicht abhängig von seinem<br />
Gehalt als Lehrer. Er besitzt ein<br />
Guest-House (Zimmer ab 25 Franken pro<br />
Nacht), gibt Workshops für Einheimische<br />
und Touristen und verkauft seine Bilder<br />
sehr gut. Als politisch wacher Zeitgenosse<br />
bezeichnet er Indonesien als «Demokratie,<br />
der die Zivilgesellschaft fehlt». Dennoch<br />
ist das Land eine Erfolgsgeschichte,<br />
wenn man bedenkt, dass es bis zum Sturz<br />
des Dik tators Suharto 1998 nacheinander<br />
von einem Unabhängigkeitskrieg, einem<br />
Bürgerkrieg und einer faktischen Militärregierung<br />
gebeutelt wurde. Heute scheine<br />
die Demokratie auf leidlich festen Säulen<br />
zu stehen, meint Karja.<br />
Auch für ein Entwicklungsprojekt, das<br />
wir am zweitletzten Tag besichtigen,<br />
mussten die Initianten einige Sträusse<br />
mit der staatlichen Administration ausfechten.<br />
«Zukunft für Kinder» heisst es,<br />
kümmert sich aber vielmehr um eine<br />
ganze Region als «lediglich» um Kinder.<br />
Der Schweizer Daniel Elber nahm sich<br />
vor zehn Jahren vor, das Los der Familien<br />
aus der Umgebung der Region Muntigunung<br />
im Norden zu verbessern. Seine<br />
Motivation entstand, als er in Ubud von<br />
Bettlerinnen angesprochen wurde, die<br />
alle aus dieser ärmlichen Gegend kamen.<br />
<strong>Die</strong> männlichen Dorfbewohner schickten<br />
ihre Frauen in die Stadt, wo diese mit<br />
Betteln Geld verdienen sollten, während<br />
sie selbst sich dem Nichtstun und dem<br />
Alkohol hingaben.<br />
Heute führen dieselben Frauen Gäste<br />
auf einem Trekking über die Hügel der<br />
Region und hinunter in die Dörfer, wo<br />
sich die Einwohner unter den Dächern<br />
der von Elbers Organisation erstellten<br />
Wassertanks versammeln und gemeinsam<br />
arbeiten. Ein Hauptproblem von Muntigunung<br />
ist der Wassermangel. Es regnet<br />
nur im kurzen Winter, und das Wasser<br />
konnte früher nicht gespeichert werden,<br />
so dass die Landwirtschaft nicht einmal<br />
zur Subsistenz ausreichte, geschweige<br />
denn für einen einkömmlichen Handel.<br />
Heute hingegen haben 13 der 35 Gemeinden<br />
Muntigunungs genug Wasser, um Cashewnüsse,<br />
Bohnen, Papaya, Chili und andere<br />
Pflanzen anzubauen, die danach in<br />
eigenen Manufakturen zu Produkten veredelt<br />
werden, wie Projektleiter I Pande<br />
Ketut Pica berichtet.<br />
Neues Selbstvertrauen<br />
Einige der Werkstätten bekommen die<br />
Touristen auf der Wanderung zu sehen.<br />
Das «Trekking» ist für jeden durchschnittlich<br />
fitten Wanderer problemlos<br />
zu bewältigen, geht es<br />
doch hauptsächlich abwärts.<br />
Es beginnt in der Nähe des<br />
1700 Meter hohen Bergs<br />
Batur. <strong>Die</strong> Aussicht von<br />
dort auf den See Danau<br />
Batur und das Meer ist<br />
einmalig.<br />
Heute gehen in den<br />
Dörfern Kinder ab sechs<br />
Jahren in die Schule, ihre<br />
Mütter müssen nicht<br />
mehr in den Städten betteln,<br />
sondern gehen einer<br />
Erwerbs arbeit nach. Pica<br />
erzählt, wie sich die Gemeinschaft<br />
mit der Lohnarbeit<br />
verändert und an Selbstvertrauen<br />
gewonnen hat.<br />
Wer rechtzeitig zur Arbeit<br />
kommt, erhält pro Tag<br />
30 «z – die schönen seiten» ausgabe 4/13
eisen<br />
20 000 Rupien (rund 2 Franken), und wer<br />
über ein Minimum hinaus produziert,<br />
bekommt einen Bonus. Hergestellt werden<br />
Hüte und Verpackungen, Souvenirs<br />
aus Kürbissen, verarbeitete Lebensmittel<br />
und seit kurzem auch modische Accessoires.<br />
Jeder Familie wird ein Bankkonto<br />
eröffnet, auf das sie Ersparnisse<br />
einzahlen kann. So können ei nige Einheimische<br />
ihre Häuser aus bauen, was auf<br />
der Wanderung eindrücklich zu sehen<br />
ist. Früher verliessen viele Jugendliche<br />
ihre Heimat, um in Hotels zu arbeiten,<br />
zum Beispiel als Masseure, heute bleiben<br />
mehr denn je hier. Am ersten Pausenplatz<br />
des Trekkings warten frische Kokosnüsse<br />
auf die Besucher, die von den Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern gleichzeitig mit<br />
Scheu und Neugierde empfangen werden.<br />
Pica erzählt, dass die Regierung tatenlos<br />
geblieben sei und lediglich eine<br />
«technokratische» Lösung für das Wasserproblem<br />
anbiete, indem Wasser aus<br />
dem Danau-Batur-See über den Berg in<br />
die arme Gegend gepumpt werde. Doch<br />
die Stromrechnung von rund sechs Millionen<br />
Rupien pro Monat sei für die Bevölkerung<br />
unbezahlbar.<br />
Zufällig treffe ich nach der Wanderung<br />
im Hotel, in dem wir das Mittagessen<br />
einnehmen, auf den finanziellen Koordinator<br />
und Revisor des Vereins Zukunft<br />
für Kinder. Heute pensioniert und hier<br />
ansässig, arbeitete der Romand Georges<br />
Capt während Jahrzehnten für den Bund<br />
in der Entwicklungszusammenarbeit. Er<br />
erzählt gerne von seinen Erfahrungen in<br />
unterschiedlichsten Ländern und über<br />
seine grosse Hoffnung, dass die Unterstützung<br />
hier auch langfristig erfolgreich<br />
sein wird trotz einigem Widerstand von<br />
politischer Seite. Capt, der mit einer Balinesin<br />
verheiratet ist, hebt hervor, dass<br />
inzwischen auch indonesische Organisationen<br />
das Projekt unterstützen, was auf<br />
politischer Ebene von Vorteil sei.<br />
benachteiligte frauen<br />
<strong>Die</strong> teilweise prekäre Stellung der Frauen<br />
auf Bali kommt auf der Fahrt zurück<br />
nach Ubud erneut zur Sprache, als ich<br />
meinen Guide Dumya frage, warum es<br />
entlang der Hauptstrasse ungezählte<br />
kleine Getränkeshops oder Bars gebe.<br />
«In diesen Hütten warten junge Mädchen,<br />
um die männlichen Gäste zu bedienen<br />
und sich zu prostituieren», antwortet<br />
er mit niedergeschlagener Miene.<br />
Tatsächlich sind Frauen in der balinesischen<br />
Gesellschaft noch immer benachteiligt.<br />
Sie haben in der dörflichen Politik<br />
wenig zu sagen, in der «Gemeindeversammlung»<br />
Banjar kein Stimmrecht.<br />
Frauen müssen nach der Heirat fast<br />
immer zur Familie des Mannes ziehen,<br />
und nach einer Scheidung werden die<br />
Kinder dem Vater zugeschlagen. Neben<br />
den Javanern sind es die Frauen, die im<br />
Strassen- und Hausbau die schwersten<br />
Arbeiten erledigen müssen. Schliesslich<br />
erinnere ich mich an die Aussage einer<br />
PR-Managerin eines Luxushotels, die erzählt,<br />
was sie nach der Heirat mit einem<br />
Mann aus einer niederen Kaste gewärtigen<br />
musste: Ihre Eltern kamen nicht an<br />
die Hochzeit und besuchten das junge<br />
Paar bisher nie, erzählte die gebildete<br />
Frau. Selbst das erste Kind war für die Eltern<br />
kein Grund, die Frau mit ihrem<br />
Mann zu besuchen.<br />
Der Tourismus auf Bali verhilft nicht<br />
allen Bewohnern zu einem besseren<br />
Leben, auch wenn viele dank dem Boom<br />
ihre Lebensgrundlagen entscheidend<br />
festigen konnten. Wie sich die Insel in<br />
den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt<br />
hat, bekommt der Pauschaltourist<br />
während seiner Strandferien mit<br />
Ausflügen ins Inland höchstens rudimentär<br />
mit. Doch bietet sich Bali Reisenden<br />
geradezu an, um nicht nur das übliche<br />
Sightseeing zu unternehmen, sondern<br />
Hintergründe über die Geschichte und<br />
die heutige Lage der Insel zu erfahren.<br />
Balinesen zeichnet ein aufgeschlossenes,<br />
freundliches und interessiertes Wesen<br />
aus, das sich nicht zuletzt aus der frühen<br />
Begegnung mit Touristen ergeben hat.<br />
Bereits in den zwanziger und dreissiger<br />
Jahren erkundeten Reisende aus Europa<br />
und den USA die Insel. Dass sie heute zu<br />
einer reinen Strand ferien-Destination<br />
für Australier, Chinesen und Europäer<br />
verkommt, hat sie nicht verdient. Zu<br />
schön ist ihre Landschaft, zu reich ihre<br />
Kultur und zu faszinierend die Spiritualität<br />
ihrer Bewohner, als dass man sie nur<br />
in Form gesichtsloser Badeorte und<br />
kommerzialisierter Sehenswürdigkeiten<br />
kennenlernen sollte.<br />
Am Tag vor der Abreise sehe ich viele<br />
prachtvolle Drachen in Form von<br />
Schmetterlingen, Fabelwesen und Schiffen<br />
am blauen Himmel. Ganze Dorfschaften<br />
versammelten sich und nähmen<br />
an Wettbewerben teil, erzählt Dumya.<br />
Kinder, Jugendliche und Erwachsene<br />
lies sen ihre Kunstwerke steigen, die besten<br />
könne man in Denpasar beobachten.<br />
Ein letztes eindrückliches Erlebnis. Was<br />
mich am meisten fasziniert, ist jedoch<br />
die Tatsache, dass nicht etwa der am<br />
höchsten oder längsten fliegende Drache<br />
gewinnt, sondern derjenige, der am<br />
schönsten tanzt. Roberto Zimmermann<br />
Links oben:<br />
In der Region<br />
Muntigunung fertigen<br />
Frauen Souvenirs an.<br />
Ganz oben:<br />
Reinigung im Tempel<br />
Pura Tirta Empul.<br />
Oben:<br />
Gemälde im Neka-<br />
Museum, Ubud.<br />
Auf einen Blick<br />
Anbieter: <strong>Die</strong> Boutique-Reiseagentur<br />
<strong>Seventheaven</strong> in Zürich, die diese Recherchereise<br />
unterstützt hat, bietet massgeschneiderte<br />
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vernetzten Einheimischen nach den indivi -<br />
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einfach bis luxuriös. Haldenstrasse 65, 8045<br />
Zürich, Tel. 044 777 70 70, www.seventheaven.ch<br />
Hotels: Alila Manggis. Zwischen dem Meer<br />
und dem heiligen Mount Agung gelegen, ideal,<br />
um den Osten zu erkunden, und für Badeurlaub<br />
(www.alilahotels.com/manggis, DZ ab 200 Fr.).<br />
The Menjangan. Resort im Nordwesten, liegt<br />
in einem Naturschutzgebiet, perfekt für Trek king<br />
(www.themenjangan.com, DZ ab 200 Fr.).<br />
Komaneka Bisma. Luxuriöses Stadtresort bei<br />
Ubud, in grünem Tal gelegen. Elegant, urban<br />
(www.komaneka.com, Suite ab 250 Fr.).<br />
Wayan Karjas Pension Santra Putra:<br />
www.karjabali.com/santra-putra/index.html<br />
Verein Zukunft für Kinder: www.<br />
zukunft-fuer-kinder.ch (bietet u. a. Trekking an)<br />
Neka-Museum: www.museumneka.com<br />
Fotos: roberto zimmermann, claudius wirz, VARIO IMAGES (2), pd<br />
«z – die schönen seiten» ausgabe 4/13 31