21.11.2013 Aufrufe

Posttraumatische Belastungsstörungen

Posttraumatische Belastungsstörungen

Posttraumatische Belastungsstörungen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Psychosomatische<br />

Fachklinik Münchwies<br />

Münchwieser Hefte<br />

Heft Nr. 7<br />

Traumatherapie<br />

Reihe Konzepte


Herausgeberin:<br />

Psychosomatische Fachklinik Münchwies<br />

Chefärztin<br />

Dr. med. Monika Vogelgesang<br />

Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie<br />

Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,<br />

Rehabilitationswesen<br />

Turmstraße 50-58<br />

66540 Neunkirchen/Saar<br />

Tel. (0 68 58) 6 91- 2 14<br />

Fax (0 68 58) 6 91- 4 20<br />

1. Auflage März 2005<br />

ISSN 0946-7351


Münchwieser Hefte<br />

Heft Nr. 7<br />

Monika Vogelgesang<br />

Traumatherapie<br />

Reihe Konzepte


Ansprechpartnerin<br />

Verena Jacob, Oberärztin<br />

Tel. 06858 691-224<br />

oder Sekretariat der Chefärztin<br />

Dr. med. M. Vogelgesang<br />

Tel. 06858 691-215


Inhalt<br />

1. Einleitung 5<br />

2. Was ist ein schweres Trauma? 5<br />

3. Wie werden Traumata verarbeitet? 6<br />

4. Wodurch entstehen Traumafolgestörungen? 7<br />

5. Welche Traumafolgestörungen gibt es? 8<br />

6. Die Elemente der Traumatherapie 8<br />

7. Das Münchwieser Traumtherapieprogramm 9<br />

8. Zielerreichung 16<br />

Literatur 17


1. Einleitung<br />

Mit Lebensgefährdung und Gewalt hereinbrechende Ereignisse wie Naturkatastrophen,<br />

Unfälle, Überfälle, Misshandlungen, Vergewaltigungen und sexueller<br />

Missbrauch verletzen nicht nur den Körper, sondern auch die Seele der<br />

Betroffenen.<br />

Nicht selten werden diese danach nachts von Albträumen und tagsüber von<br />

plötzlich auftretenden schmerzlichen Erinnerungen gequält (ICD 10, WHO,<br />

1993). Das Gefühl nicht verstanden zu werden, Enttäuschung, Wut, Verbitterung<br />

und Misstrauen sowie die Angst vor erneuten Verletzungen führen oft zu<br />

einem sozialen Rückzug. Aber Einsamkeit und Isolation bringen auch keine<br />

Entlastung und nehmen den Betroffenen die Möglichkeit Hilfe und Trost zu<br />

erhalten.<br />

Dies bedingt, dass die seelische Verwundung nicht heilen kann. In vielen Fällen<br />

sind auch Jahre nach dem Trauma die Angst und der Schmerz so lebendig,<br />

als habe das Ereignis gerade eben erst statt gefunden.<br />

Hier ist eine fachkundige Therapie dringend notwendig, um es den Betroffenen<br />

zu ermöglichen, letztendlich doch über die Traumatisierung hinweg zu<br />

kommen und sich wieder dem Leben zuwenden zu können.<br />

In der Psychosomatischen Fachklinik Münchwies wird seit vielen Jahren ein<br />

vielgestaltiges Therapieprogramm speziell für traumatisierte PatientInnen<br />

vorgehalten und ständig in Anpassung an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

weiter entwickelt.<br />

2. Was ist ein schweres<br />

Trauma?<br />

5<br />

Ein schweres Trauma ist ein Ereignis, das bei den Betroffenen ein Gefühl der<br />

akuten Lebensbedrohung auslöst. Häufig, aber nicht immer, geht es mit körperlicher<br />

Gewalt einher. Sexueller Missbrauch ist in jedem Fall als schwere<br />

Traumatisierung einzustufen. Aber nicht nur die an der eigenen Person er -<br />

fahrene, sondern auch die persönlich miterlebte Gewalttat an einer anderen<br />

Person fungiert bei den Zeugen als Trauma. Dies gilt insbesondere, falls diese<br />

zu den primär Betroffenen in einem näheren Beziehungsverhältnis standen.


3. Wie werden Traumata<br />

verarbeitet?<br />

In einer lebensbedrohlichen Situation reagiert der Mensch, ohne dass er<br />

nachzudenken braucht, automatisch mit den Überlebensreflexen. Falls<br />

Fluchtmöglichkeiten bestehen, falls er eine Chance hat zu siegen, kämpft er,<br />

ansonsten erstarrt er (Vogelgesang, 2004a). Flucht, Kampf und Todstell reflex<br />

sind im Menschen angelegte Reaktionsweisen, um ihn in größter Not am Leben<br />

zu erhalten. Sie brauchen nicht erlernt zu werden. Was allerdings in vielen<br />

Fällen gelernt werden muss, ist das Erkennen von lebensbedrohlichen Situationen<br />

zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Vor heiß loderndem Feuer,<br />

gähnenden Abgründen, pechschwarzer Dunkelheit oder reißenden Gewässern<br />

schreckt der Mensch unwillkürlich zurück. Diese Gefahren gelten zu allen Zeiten<br />

für alle Menschen. Aber von laufenden Sägen, fahrenden Autos und ähnlichen<br />

Gefahren hält uns die Natur nicht so direkt und automatisch ab. Im Gegensatz<br />

zu den Tieren ist das Verhalten des Menschen viel weniger durch<br />

reflexartige Handlungen gesteuert und somit auch ein geschränkt. Diese Freiheit<br />

in Verbindung mit einer großen Lernfähigkeit hat es uns ermöglicht, uns<br />

relativ schnell den verschiedensten Lebensräumen (vom Dschungel bis zur<br />

Arktis) sowie den unterschiedlichsten Lebensbedingungen (vom Jäger und<br />

Sammler bis zum modernen Großstadtmenschen) anzupassen. Was lebensgefährdend<br />

ist, kann zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten unter unterschiedlichen<br />

Lebensbedingungen etwas ganz verschiedenes sein.<br />

6<br />

Münchwieser Hefte Reihe Konzepte<br />

Heft Nr. 7<br />

Deshalb verfügt der Mensch über ein System, das die alten Überlebensreflexe<br />

an neu erlernte Gefahrensituationen koppelt: Hat der Betroffene schon einmal<br />

direkt oder als Zeuge eine lebensbedrohliche Situation durchgemacht, so bleiben<br />

ihm deren einzelne Elemente für eine Zeit lang in deutlichster Erinnerung.<br />

Er hört, sieht, riecht, schmeckt, fühlt die Wahrnehmungen, die er während des<br />

Traumas hatte immer und immer wieder, sogar nachts in Form von Albträumen.<br />

Diese Gegenwärtigkeit der Traumaerfahrungen ermöglicht deren fortlaufenden<br />

Abgleich mit der real vorliegenden Lebenssituation, die wachsam im Blick<br />

bleibt. Bei der geringsten Übereinstimmung von Erinnerungselementen mit<br />

der gegenwärtigen Wahrnehmung kommt es auf dieser Basis automatisch zu<br />

einem Überlebensreflex, sei es Flüchten, Kämpfen oder Totstellen.<br />

Erleichtert werden diese Reflexe durch eine erhöhte Grundanspannung der<br />

Muskulatur sowie durch eine Steigerung von Puls und Blutdruck.<br />

Da bei der Rettung des Lebens keine Sekunde zu spät reagiert werden darf,<br />

bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Zudem sind viele Traumata, zumal für


Kinder, vom logischen Verstand her primär gar nicht fassbar. Bevor der Betroffene<br />

die Gefahr bewusst erkannt hat, hat er schon reagiert. Wenn z. B. der<br />

Täter beim Überfall auf eine Frau einen links leicht abgebrochenen Schneidezahn<br />

hatte, kann es sein, dass das Sehen eines solchen defekten Zahnes, auch<br />

wenn er einem ganz anderen Menschenn gehören sollte, bei der Betroffenen<br />

reflektorisch eine Fluchtreaktion auslöst, die ihr selbst fremd und logisch<br />

nicht nachvollziehbar ist.<br />

Wie dieses Beispiel zeigt, kommt es nach Traumatisierungen häufig unwillkürlich<br />

zu störenden Überlebensreflexen ohne dass dies eigentlich notwendig<br />

wäre. Dieser Nachteil wird jedoch von dem Vorteil des Systems mehr als<br />

aufgewogen: Besser man flüchtet hundertmal umsonst in Panik, als dass man<br />

einmal nicht reagiert, denn dieses eine Mal kann das Leben kosten.<br />

Als weiterer Schutzfaktor kommt hinzu, dass die Betroffene alles meidet, was,<br />

wie auch immer, mit dem Trauma zusammen hängt. So versucht sie möglichst<br />

viel Distanz zwischen sich und den Täter sowie den Tatort zu bringen.<br />

Sich aufdrängende Erinnerungen, überschießende Überlebensreaktionen,<br />

überhöhte Wachsamkeit und traumabezogenes Vermeidungsverhalten bleiben<br />

für die Dauer eines Sicherheitszeitraumes bestehen, denn die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass das durchlebte Trauma sich wiederholen könnte ist desto höher,<br />

je weniger Zeit seither vergangen ist.<br />

Ist in der Betroffenen (in der Regel mit Unterstützung ihrer Bezugspersonen)<br />

wieder ein Gefühl der Sicherheit erwachsen, dann werden im Laufe der Zeit<br />

die Erinnerungen an Lebhaftigkeit verlieren und ebenso die Überlebensreaktionen<br />

seltener auftreten. Vom logischen Verstand her werden die Elemente<br />

der Traumaerinnerung daraufhin überprüft, was an ihnen wirklich gefährlich<br />

ist (z. B. sich nachts im Zwielicht in einer gefährlichen Gegend aufzuhalten)<br />

und was nur zufällig mit dem Trauma verbunden war (z B. der abgebrochene<br />

Schneidezahn des Täters). Die Betroffene vermeidet nun nur noch die wirklich<br />

gefährlichen Elemente der Traumatisierung und gibt ihre diesbezügliche<br />

Lebenserfahrung an ihre Bezugspersonen weiter. Das Trauma ist zum Teil der<br />

Lebensgeschichte, zur Vergangenheit geworden.<br />

7<br />

4. Wodurch entstehen<br />

Traumafolgestörungen?<br />

Leider verläuft die Traumverarbeitung nicht immer so idealtypisch wie oben<br />

beschrieben. Nicht selten bleiben die sich aufdrängenden Erinnerungen, die<br />

vorschnell einschießenden Überlebensreflexe, die überhöhte Wachsamkeit


sowie das Vermeidungsverhalten Zeit überdauernd auch dann noch bestehen,<br />

wenn die Gefahr längst vorüber ist.<br />

Hierfür gibt es verschiedene Ursachen, die letztendlich bedingen, dass die Betroffenen<br />

sich in ihrem tiefsten Inneren immer noch als gefährdet erleben,<br />

auch wenn sie vom Verstand her wissen, dass sie eigentlich in Sicherheit sind.<br />

Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die Traumatisierung sich über einen<br />

längeren Zeitraum erstreckte und/oder wiederholt statt fand. Generell führen<br />

Gewalttaten, die willentlich durch Bezugspersonen verübt wurden bzw. die<br />

mit besonderer Brutalität einher gingen zu länger andauernden Beeinträchtigungen.<br />

Mangelnde Fürsorge von Bezugspersonen im Anschluss an das Trauma, zu<br />

geringe Hilfe von anderen Mitmenschen oder gar eine Diskriminierung bzw.<br />

Bestrafung des Opfers einer Gewalttat haben besonders negative Auswirkungen<br />

und verhindern eine wirksame Traumaverarbeitung.<br />

Manche Betroffenen suchen Trost und Vergessen in Alkohol, Beruhigungs -<br />

tabletten oder Drogen, einige flüchten sich an den Glücksspielautomaten.<br />

Aber all dies entlastet nur kurzfristig und führt zu einer Fülle von Folge -<br />

problemen, nicht selten auch zu einer Suchtentwicklung.<br />

5. Welche Traumafolgestörungen<br />

gibt es?<br />

8<br />

Münchwieser Hefte Reihe Konzepte<br />

Heft Nr. 7<br />

Die typischste Folgestörung einer schweren Traumatisierung ist die posttraumatische<br />

Belastungsstörung (PTBS), deren klassische Symptome das Wiedererleben,<br />

das Vermeiden sowie die überhöhte Anspannung und Wachsamkeit<br />

oben schon mehrfach dargestellt wurden. Aber die PTBS ist nicht die alleinige<br />

Folge von Traumatisierungen. Andere Angststörungen, Depressionen,<br />

Schmerzstörungen, Persönlichkeitsveränderungen, Störungen der Impulskontrolle,<br />

Essstörungen und verschiedenste Süchte treten isoliert oder in Kombination<br />

ebenfalls als Traumafolgestörungen auf.<br />

6. Die Elemente der<br />

Traumatherapie<br />

Die Traumatherapie soll letztendlich eine Verarbeitung der Erlebnisse bewirken.<br />

Hierzu ist es von grundlegender Notwendigkeit, den Betroffenen ein<br />

Gefühl des Vertrauens, der Sicherheit und Stabilität zu vermitteln. Erst wenn


dies in ausreichendem Umfang gelungen ist, darf zum zweiten Teil der Therapie<br />

übergegangen werden. Hier geht es darum, sich den schmerzlichen Erinnerungen<br />

zu stellen und das traumabezogene Vermeidungsverhalten zu reduzieren<br />

(Vogelgesang, 1996).<br />

Dieser Therapieteil ist häufig recht belastend und sollte deshalb nur mit größter<br />

Behutsamkeit durchgeführt werden.<br />

Traumatherapie gelingt nur, wenn sie sinnvoll in eine umfassende Psychotherapie<br />

integriert ist und alle psychischen Probleme berücksichtigt sowie auch<br />

die vorhandenen Stärken der Betroffenen mit einbezieht.<br />

7. Das Münchwieser<br />

Traumatherapieprogramm<br />

Die Münchwieser Traumatherapie ist eingebettet in unser differenziertes Behandlungsprogramm<br />

für PatientInnen mit psychischen Störungen. Dieses ist<br />

verhaltenstherapeutisch ausgerichtet und erfordert eine aktive Mitarbeit der<br />

Betroffenen. Hierzu sind eine freundlich-annehmende Atmosphäre sowie eine<br />

Information der PatientInnen über die Hintergründe der Therapie unabdingbar.<br />

Primär muss abgeklärt werden, ob die Betroffene auch in der Gegenwart noch<br />

Opfer von Gewalt ist, ggf. sind gemeinsame Schutzmaßnahmen zu erarbeiten<br />

und einzuleiten.<br />

Das Zusammenleben in der therapeutischen Gemeinschaft der Wohngruppe<br />

vermittelt dem sozial meist zurückgezogenen Traumapatienten wieder ein<br />

neues Gefühl der Geborgenheit. In der Gruppentherapie (3 bis 4 Doppelstunden<br />

pro Woche) der Wohngruppe macht er die für ihn häufig neue Erfahrung,<br />

dass er über seine Probleme reden darf, ohne dass man sich von ihm abwendet<br />

oder ihn verurteilt. Es wird ihm zugehört und er darf seine Leiden mitteilen.<br />

Dies bedeutet jedoch nicht, dass er in der Gruppentherapie sein Innerstes<br />

nach außen kehren muss. Es liegt ganz in seinem Ermessen, wie viel er zu welchem<br />

Zeitpunkt sagen möchte. Häufig wird er sich dazu entscheiden, anfangs<br />

eher zurückhaltend zu sein und sich erst in kleinen Schritten und mit randständigen<br />

Problemen beginnend an der Gruppentherapie zu beteiligen. In vielen<br />

Fällen wird die sonstige psychische Symptomatik wie z. B. eine Essstörung,<br />

Depressionen oder Ängste im Vordergrund der Gruppentherapie stehen. Dann<br />

bildet die Gruppentherapie die psychotherapeutische Grundlage, in die die<br />

spezifischen traumatherapeutischen Maßnahmen eingebettet werden.<br />

9


Wie oben erwähnt ist es bedeutsam, die aktuelle Lebenssituation zu analysieren<br />

und ggf. Hilfen zu geben, um sie zu verbessern, insbesondere um eine<br />

weiterhin aktuell vorliegende Traumatisierung zu beenden. Es können soziotherapeutische<br />

Maßnahmen von entscheidender Bedeutung sein. Hilfe bei der<br />

Wohnungs- und Arbeitssuche, Abklärung der finanziellen Situation, Beratung<br />

bezüglich juristischer Probleme und vieles mehr verbessern die derzeitige<br />

Lebenssituation sowie die Zukunftsperspektive und tragen so von soziotherapeutischer<br />

Seite her zum Aufbau von Sicherheit und Stabilität bei.<br />

Die Sporttherapie (falls möglich im Gruppenverbund) stärkt die Betroffenen,<br />

indem sie die Fitness und Wehrhaftigkeit verbessert. Der Verletzte und in der<br />

Stunde der Gewaltanwendung ausgelieferte und schwache Körper erfährt<br />

positive Zuwendung und vermittelt nun keine Schmerzen sondern positive<br />

Gefühle.<br />

Nach der körperlichen Aktivierung kommt es zu einer muskulären und see -<br />

lischen Entspannung, Puls und Blutdruck werden gesenkt.<br />

Die Ergotherapie (zwischen 2 und 8 Stunden pro Woche im Gruppensetting)<br />

bietet die Möglichkeit, sich durch eine entspannende Konzentration auf die<br />

Arbeit an einem Werkstück von den Traumaerinnerungen abzulenken. Darüber<br />

hinausgehend kann in der Gestaltungstherapie dem Unaussprechlichen des<br />

Traumas Ausdruck verliehen werden. Manchmal ist es erst nach der Gestaltung<br />

des traumatischen Geschehens möglich, diesem Worte zu verleihen.<br />

Schließlich bietet die Hinwendung zum Schöpferischen und Schönen eine<br />

Quelle der Kraft und einen potenten Gegenpol zur Destruktivität und Hässlichkeit<br />

der Gewalttat.<br />

10<br />

Münchwieser Hefte Reihe Konzepte<br />

Heft Nr. 7<br />

In der Einzeltherapie (1 bis 2 Stunden pro Woche) kann auf die individuellen<br />

Gegebenheiten der Traumatisierung in besonderer Weise eingegangen werden.<br />

Hier können Dinge besprochen werden, die die Betroffenen im Gruppenkontext<br />

nicht erwähnen wollen. Zum Aufbau von Sicherheit wird im Einzelsetting<br />

die Imagination eines sicheren Ortes erarbeitet. Es geht darum, den<br />

negativen traumatischen Erinnerungen die Macht guter inneren Gegenbilder<br />

entgegen zu setzen. Um diese lebendig werden zu lassen lädt die Therapeutin,<br />

eingebettet in entspannende Suggestionen, im Folgenden die Patientin zu<br />

einer Fantasiereise an den zuvor eingehend gemeinsam erarbeiteten sicheren<br />

Ort ein. Sie geht dabei detailliert auf Sicherheitscharakteristika des Ortes<br />

sowie ggf. auf die Schutzfunktion und Fürsorglichkeit einer Helferfigur (z. B.<br />

eines mächtigen Tieres u. ä.) ein. Dabei braucht die Patientin weder zu liegen<br />

noch die Augen zu schließen und sie darf die Übung jederzeit unter- bzw.<br />

abbrechen. Die imaginativen Instruktionen werden auf einer Tonkassette


aufgezeichnet und zum täglich mindestens einmaligen Üben mitgegeben. Die<br />

meisten Patientinnen lassen sich nach anfangs teilweise vorliegender Skepsis<br />

gerne auf diese Übung ein und ziehen großen Gewinn aus ihnen im Sinne einer<br />

Entängstigung und einer Verbesserung des Schlafes.<br />

Im Folgenden können unter ständiger Anpassung an die individuellen Wünsche<br />

und Vorstellungsmöglichkeiten der Betroffenen Schutz- und Rettungsfantasien<br />

eingeübt werden. Sie sollen im Tagtraum gezielt als Gegenfantasien<br />

zu den sich aufdrängenden Erinnerungen und in Form einer positiven Veränderung<br />

der Albträume zu deren Beeinflussung vor dem Einschlafen eingesetzt<br />

werden. Es hat sich sehr gut bewährt, auch diese Schutzvorstellungen nach<br />

der gemeinsamen individuellen Erarbeitung von der Therapeutin auf Kassette<br />

sprechen zu lassen. Die Patientinnen haben dann die Hausaufgabe, sich diese<br />

Kassette in möglichst entspanntem Zustand mehrmals täglich anzuhören.<br />

PatientInnen, die eine schwere Traumatisierung hinter sich haben, haben oft<br />

das Gefühl, als ob das Leben nicht weitergehen könne. Ihnen fehlt eine positive<br />

Zukunftsperspektive, ihnen fehlen Ziele, positive Träume. Ein zentrales<br />

Thema der Therapie muss deshalb die vorsichtige und schrittweise Suche nach<br />

individuell zugeschnittenen realistischen Lebensperspektiven sein. So können<br />

den Albträumen der Vergangenheit positive Zukunftsvisionen entgegen gesetzt<br />

werden, die auch für die alltägliche Gegenwart Sinn gebend und Richtung<br />

weisend sind.<br />

Es gibt weitere Gegengewichte zu den belastenden und schmerzlichen Erfahrungen:<br />

die Therapieverfahren, die auf eine Verbesserung der Genussfähigkeit<br />

hinarbeiten (Koppenhöfer, 2005). Die PatientInnen haben oft beachtliche<br />

Schwierigkeiten, positive Sinneseindrücke zu erfahren. Es erweist sich in der<br />

Praxis häufig als recht schwierig, die Betroffenen dazu anzuleiten bewusst<br />

angenehme Sinneseindrücke zu erfahren. Dies kann sich sowohl auf das<br />

Hören wie auf das Schmecken, Fühlen oder Sehen beziehen, z. B. können die<br />

PatientInnen zu Naturspaziergängen aufgefordert werden, in denen sie bewusst<br />

die dabei wahrgenommenen Sinneseindrücke erleben, sie können zu<br />

dem Hören angenehmer Musik ermutigt werden usw.<br />

11<br />

So wenig wie bei zwei verschiedenen Betroffenen gleiche Störungsbilder vorliegen,<br />

so wenig gibt es ein vollkommen standardisiertes, zeitlich festgelegtes<br />

Vorgehen für traumatisierte PatientInnen. Bei manchen Betroffenen genügen<br />

therapeutische Hilfen zur Verbesserung der Sicherheit und Stabilität um völlig<br />

zu einer zufrieden stellenden Symptomreduktion zu führen. Durch die nun<br />

ermöglichte innere „Entwarnung“ wird im günstigen Fall eine nun eigenständig<br />

ablaufende Entwicklung in Richtung einer positiven Traumaverarbeitung<br />

in Gang gesetzt. Dann bedarf es keiner weiteren spezifischen Maßnahmen.<br />

Diese Fälle sind jedoch die Ausnahme. Andere Betroffene erreichen kaum oder


nur nach besonders langer Zeit und nur durch sehr hohen therapeutischen<br />

Aufwand einige der Ziele der Stabilisierungsphase und bei manchen wird man<br />

während eines stationären Aufenthaltes nicht über diese Phase hinaus kommen.<br />

Es ist immer wieder ein erneut zu erringender Bestandteil der therapeutischen<br />

Kunst, die individuelle Balance zwischen zu hohen Anforderungen<br />

bzw. einer Unterforderung der PatientInnen zu finden. Insgesamt gilt insbesondere<br />

auch für die Einzeltherapie, dass den Betroffenen möglichst viel Entscheidungsfreiräume<br />

und Wahlmöglichkeiten bezüglich der Vorgehensweisen<br />

und des Arbeitstempos eingeräumt werden sollten.<br />

12<br />

Münchwieser Hefte Reihe Konzepte<br />

Heft Nr. 7<br />

Ist eine ausreichende Stabilität und ein zumindest ansatzweise vorliegendes<br />

Gefühl der inneren Sicherheit vorhanden, dann kann zur nächsten Therapiephase<br />

übergegangen werden. Nun muss intensiv an der Reduktion des die Betroffenen<br />

häufig sehr einengenden Vermeidungsverhaltens gearbeitet werden.<br />

Je verzweifelter ein traumatisierter Mensch versucht, die Erinnerungen<br />

an das Trauma zu vermeiden, desto intensiver wird er von diesen auch bei den<br />

unpassendsten Gelegenheiten „überfallen“ werden. Er wird sich ihnen hilflos<br />

ausgeliefert fühlen und deshalb noch intensiver versuchen die Erinnerungen<br />

zu unterdrücken. Dieser Weg führt jedoch nicht zum gewünschten Erfolg. Die<br />

spontan auftretenden Traumaerinnerungen werden erst dann„ verstummen",<br />

nachdem der Betroffene ihnen aufmerksam„ gelauscht“ hat und sie zu einer<br />

sinnvollen sprachlich fassbaren Geschichte geformt worden sind. Dann kann<br />

diese in der Bibliothek des Gedächtnisses aufbewahrt werden. Das Buch wird<br />

in ein Bücherregal gestellt. Man wird jederzeit wissen wo es steht. Vielleicht<br />

möchte man es dann manchmal hervorholen und die Geschichte lesen. Ansonsten<br />

bleibt das Buch jedoch zugeklappt und im Regal verstaut.<br />

Auf der Grundlage dieser Information wird im Folgenden der Patient bzw. die<br />

Patientin behutsam dazu ermutigt, in einer in Umfang und Geschwindigkeit<br />

angemessenen Weise, die Geschichte der Gewalt zu erzählen. Der Betroffene<br />

fühlt sich nach dem ihn meist sehr aufwühlenden Bericht in den Regel sehr<br />

erleichtert. Bei massiveren Traumatisierungen ist dieses sprachliche Wiedergeben<br />

des Traumas allerdings häufig noch nicht oder nur in allerersten<br />

Ansätzen möglich. Dann kann auf die oben erwähnten Möglichkeiten der<br />

Gestaltungstherapie zurückgegriffen werden, in der dem Unaussprechlichen<br />

in anderer Weise Ausdruck verliehen werden kann. Vielen Betroffenen fällt<br />

es danach in einem weiteren Schritt einfacher über das Geschehen zu schreiben<br />

als darüber zu sprechen.<br />

Grundsätzlich gilt, dass keine Patientin dazu gedrängt wird, etwas über die<br />

Traumatisierung Preis zu geben. Es gilt hier für die Therapeutin, sich den diesbezüglich<br />

vorliegenden Wünschen und Bedürfnissen und auch dem inneren<br />

Tempo der Betroffenen anzupassen. Verschiedenste Techniken der Trauma -


therapie erleichtern es den PatientInnen, sich auf diese schwierige Therapiephase<br />

einzulassen.<br />

Gerade bei Traumatisierungen die in der Kindheit erfolgten gibt es verschiedene<br />

imaginative Verfahren, die sich der Rettung und dem Trost des verletzten<br />

inneren Kindes zuwenden. Auch hiervon können individuell erarbeitete<br />

Tonkassetten zum täglichen Anhören angefertigt werden.<br />

In einigen Fällen führen wir bei ausreichender Stabilität das EMDR (Eye Move<br />

ment Desensitization and Reprocessing) nach Shapiro (1998) durch. Es<br />

handelt sich hierbei um ein spezifisches traumatherapeutisches Verfahren,<br />

das nur im einzeltherapeutischen Rahmen eingesetzt werden kann und konfrontative<br />

mit stützenden Elementen verbindet.<br />

Regelmäßig werden durch ein Trauma die zuvor gegebenen Grundüber -<br />

zeugungen von der eigenen Unverletzlichkeit, von der Welt als einem gerechten<br />

und sicheren Ort und von den Mitmenschen als potentiellen Helfern und<br />

Rettern zutiefst erschüttert. Hieraus resultieren eine tiefgehende Verunsicherung<br />

und eine negativ getönte Sicht der Welt als einem kalten und feind -<br />

lichen Planeten, von einem Selbst als hilflosem Opfer oder Schuld beladenem<br />

Nichts sowie von den anderen als potentiellen Tätern.<br />

In der Therapie werden diese Grundannahmen über sich und die Welt herausgearbeitet<br />

und auf ihre Gültigkeit hin untersucht. Dabei wird man feststellen,<br />

dass einige der aus dem Trauma gewonnenen Schlussfolgerungen zu pessimistisch<br />

sind. Ziel ist es, diese Grundannahmen in eine der Realität eher entsprechende<br />

Richtung zu verändern. Falls z. B. die Überzeugung „Die Welt ist<br />

ein feindlicher Ort“ in die Ansicht „Manche Orte auf der Welt sind gefährlich<br />

für mich“ geändert werden kann, so ist schon viel gewonnen.<br />

Viele in der Kindheit Traumatisierte leiden unter großen Schuldgefühlen.<br />

Möglicherweise sind diese als Reaktion auf die Unerträglichkeit der hier<br />

extremen eigenen Hilflosigkeit zu interpretieren, d. h. es ist offensichtlich so<br />

unerträglich sich als hilfloses Opfer der böswilligen Willkür des anderen vorzustellen,<br />

dass viele Kinder eher die Verursachung des ihnen zugefügten Übels<br />

in eigenen Taten oder Unterlassungen sehen (was sie häufig auch von den<br />

Tätern suggeriert bekommen). Man muss in der Therapie nach den diese<br />

Schuldgefühle verursachenden Gedanken forschen und die PatientInnen dazu<br />

anleiten, eine realistischere Perspektive darüber zu erarbeiten, wer in ihrem<br />

Falle die Verantwortung für das Trauma übernehmen muss.<br />

13<br />

Ebenso viele traumatisierte Menschen versuchen nicht nur die negativen<br />

Erinnerungen zu verdrängen, sondern sie vermeiden auch die verschiedensten<br />

Situationen, Orte, Verhaltensweisen und sozialen Kontakte, die sie in irgendeiner<br />

Art und Weise an die Traumatisierung erinnern könnten. Hierdurch


eduziert sich ihr Handlungsspielraum immer mehr. Es mag z. B. für ein Unfallopfer<br />

sinnvoll sein, im Folgenden eher langsam zu fahren und insbesondere<br />

bei schlechten Witterungsverhältnissen vorsichtig zu sein. Es ergibt jedoch<br />

keinen Sinn, ja es kann sich sogar als schädlich erweisen, wenn man die Nähe<br />

von Krankenhäusern vermeidet. Martinshörner sind keine Hinweise für reale<br />

Gefahren, sondern müssen in diesem Zusammenhang als falsche Alarmsignale<br />

eingestuft werden. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen geht es im Folgenden<br />

darum, mit den PatientInnen gemeinsam zu erarbeiten, welche Gegebenheiten<br />

wirklich gefährlich sind und deshalb vermieden werden sollten und<br />

welche nur zufällig an das traumatische Geschehen gekoppelt und ungefährlich<br />

sind. Im Folgenden werden unter Berücksichtigung des individuellen<br />

Tempos der Betroffenen in kleinen Schritten zuerst in den Gedanken und dann<br />

in der Realität die zuvor vermiedenen Situationen aufgesucht.<br />

14<br />

Münchwieser Hefte Reihe Konzepte<br />

Heft Nr. 7<br />

Selbstverständlich sollten im Sinne einer ganzheitlichen Therapie die Begleiterkrankungen<br />

ebenso Gegenstand des therapeutischen Bemühens sein wie<br />

die Traumafolgestörungen im engeren Sinne. Das gegenseitige Bedingungs -<br />

gefüge von posttraumatischer Belastungsstörung und Begleiterkrankung sollte<br />

untersucht werden, um den PatientInnen die Zusammenhänge verstehbar<br />

und letztendlich beeinflussbar zu machen. Es sollte in diesem Zusammenhang<br />

besprochen werden, welche Therapieziele aus welchen Bereichen Priorität<br />

haben.<br />

In Anbetracht der häufig vorliegenden Substanzabhängigkeit sei darauf hingewiesen,<br />

dass eine wirksame und sinnvolle Therapie sowohl der posttraumatischen<br />

Belastungsstörung als auch der begleitenden psychischen Erkrankungen<br />

nicht stattfinden kann falls die Patientin gleichzeitig noch über weite<br />

Strecken unter Suchtmitteleinfluss steht. Die Hoffnung, mit einer erfolg -<br />

reichen Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung könnten die<br />

Betroffenen auch auf ihre Suchtmittel verzichten, bewahrheitet sich in der<br />

Regel nicht, da hierbei der Eigenständigkeit der Suchtentwicklung nicht<br />

Rechnung getragen wird. Somit liegt es im Wesen der Sache, dass die Motivation<br />

zu einer dauerhaften Suchtmittelabstinenz bei vorliegender Substanzabhängigkeit<br />

vor einer eingehenderen Bearbeitung der Symptomatik der<br />

posttraumatischen Belastungsstörung stehen muss (Vogelgesang, 2004b).<br />

In den so genannten indikativen Gruppen besteht die Möglichkeit, vertieft auf<br />

zusätzlich vorliegende psychische Störungen wie z. B. Suchterkrankungen,<br />

Essstörungen, pathologisches Glücksspielen, Ängste, Depressionen und<br />

Persönlichkeitsveränderungen einzugehen. Verbindungen zwischen der Traumatisierung<br />

und diesen verschiedensten psychischen Auffälligkeiten werden<br />

heraus gearbeitet. Weiterhin können mit körperpsychotherapeutischen Vor-


gehensweisen (z. B. der konzentrativen Bewegungstherapie [Orlando, 1999])<br />

mit Körperwahrnehmungsübungen und mit Methoden aus dem Repertoire der<br />

Musiktherapie Anteile der Betroffenen erreicht und gestärkt werden, die<br />

einer direkten sprachlichen Verständigung nicht zugänglich sind. Selbst -<br />

verständlich müssen gerade diese Therapiemethoden äußerst umsichtig angewandt<br />

werden.<br />

In der Gruppe „Frauen und Abhängigkeit" (Vogelgesang, 2004c) (2 Stunden<br />

pro Woche) steht die abhängige Beziehungsgestaltung von Frauen im Mittelpunkt.<br />

Traumatisierungen durch Bezugspersonen sind hier immer wieder Thema.<br />

Dabei geht es darum, den Patientinnen Entwicklungswege aufzuzeigen,<br />

die es ihnen ermöglichen, zukünftig ein selbstbestimmteres Leben zu führen<br />

und sie so in die Lage zu versetzen, ihren Bezugspersonen Grenzen zu setzen.<br />

Die „Männergruppe“ (2 Stunden pro Woche) gibt Männern einen geschützten<br />

Rahmen, um im gleichgeschlechtlichen Kontext auf ihre Traumatisierung<br />

einzugehen.<br />

Die Gruppe „Traumaspezifische Stabilisierung“ wird an zwei Doppelstunden<br />

pro Woche angeboten und geht über 4 Wochen. In jeder 2. Woche können<br />

neue PatientInnen hinzukommen.<br />

Diese Gruppe vermittelt psychisch in Folge einer Traumatisierung instabilen<br />

PatientInnen neben Psychoedukation Techniken zur Verbesserung der Impulsund<br />

Gefühlskontrolle sowie zur Beendigung von psychischen Ausnahmezuständen<br />

(z. B. Flashbacks, Dissoziationen). Konfrontative Elemente, wie das<br />

Berichten über das Trauma, sind hier nicht vorgesehen. Erforderlich ist eine<br />

Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit der Betroffenen. Ein weiterer Schwerpunkt<br />

dieses Gruppenangebotes sind Methoden der Ressourcenstärkung, so z. B.<br />

verschiedenste Imaginations-, Achtsamkeits- und Genussübungen (Reddemann,<br />

2001). Hier werden stützende kognitive Schemata erarbeitet und eine<br />

Aufmerksamkeitsumzentrierung auf positive Lebensaspekte iniziiert. Ziele<br />

dieser Gruppe sind eine Verbesserung der emotionalen, behaviaralen und kog -<br />

nitiven Kontaktfähigkeit sowie eine umfassende Ressourcenstärkung.<br />

15<br />

Das spezifischste traumabezogene Gruppenangebot ist in Münchwies die<br />

„Gruppe für Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen" (Vogelgesang et al.,<br />

1998). Vorbedingung ist hier eine ausreichende psychische Stabilität und<br />

nach Möglichkeit die abgeschlossene Erarbeitung der Imaginationsübung des<br />

sicheren Ortes. Die Gruppe geht über 8 Doppelstunden bei einer Dauer von 8<br />

Wochen. Neuaufnahmen sind nur zu Beginn der ersten Gruppeneinheit möglich.<br />

Vorab werden die an dem Angebot interessierten Patientinnen ausführ-


16<br />

Münchwieser Hefte Reihe Konzepte<br />

Heft Nr. 7<br />

lich über die klare Strukturierung informiert. Erst auf dieser Basis sollen sie<br />

eine Entscheidung für (oder gegen) die Teilnahme an der Gruppe treffen. Nur<br />

wer bereit und in der Lage ist, im Folgenden kurz und in ganz groben Zügen<br />

die sexuelle Traumatisierung anzusprechen, ist dazu befähigt, an der Gruppe<br />

teilzunehmen. Darauf aufbauend werden die Verhaltensweisen der Betroffenen<br />

im Sinne von „Überlebensstrategien" eingeordnet. Aus dieser neuen Perspektive<br />

wird aus dem schwachen hilflosen Opfer eine starke Überlebende.<br />

Die zuvor als sinnlos eingestuften Symptome werden vor diesem Hintergrund<br />

in ihrer eigentlichen Funktion erkannt. Nun kann eine Bewertung der Überlebensstrategien<br />

und eine Entscheidung bezüglich ihrer Veränderung bzw. Aufgabe<br />

getroffen werden. Denn so manche Überlebensstrategie hat sich im Laufe<br />

der Zeit selbst als schädigend herausgestellt. Zwar ist es besser zu trinken,<br />

als sich vor lauter Verzweifelung umzubringen, doch führt auch die Alkohol -<br />

abhängigkeit nicht selten zum vorzeitigen Tod. Hier gilt es nun, alternative,<br />

unschädliche Strategien des Umgangs mit den traumatischen Erinnerungen<br />

zu finden.<br />

Weitere Themen der Gruppe für Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen sind<br />

die Information über ambulante weiterführende Hilfemöglichkeiten, der Austausch<br />

über die Entstehung und den Abbau von Schuldgefühlen sowie eine<br />

vorsichtige Analyse der Einstellung der Betroffenen zu ihrem eigenen Körper.<br />

Die Gruppe kann zwar phasenweise durchaus sehr belastend sein, die Entlastung,<br />

sich endlich mit Gleichbetroffenen austauschen zu dürfen, das Erleben,<br />

dass einem geglaubt und man weiterhin angenommen, ja sogar geschätzt<br />

wurde, die Verminderung der Scham- und Schuldgefühle, die Erfahrung, dass<br />

das vom Täter aufgelegte Schweigegebot gebrochen werden konnte, ohne<br />

dass er sich deshalb rächen konnte sowie die Selbsteinschätzung als starke<br />

Überlebende bewirken jedoch eine Reduktion der Ängste und eine Stärkung<br />

der Persönlichkeit, so dass von hier aus weitere positive Entwicklungsschritte<br />

möglich werden.<br />

8. Zielerreichung<br />

Die Therapie ist gelungen, wenn die Betroffenen Schritt für Schritt mehr<br />

Gefühls- und Handlungskontrolle erlangen, wenn das Gewesene zwar zum<br />

prägenden, jedoch vergangenen Teil der individuellen Geschichte werden<br />

konnte, wenn zuvor mit der Traumaerinnerung verbundene, jedoch eigentlich<br />

ungefährliche Konstellationen nicht mehr vermieden werden. Ein Hauptziel<br />

ist erreicht, wenn sich die Betroffenen nicht mehr als hilflose Opfer ansehen,<br />

wenn sie wieder ein Gefühl von Stärke und Würde aufgebaut haben und


schließlich wenn sie, wie auch immer, dem Geschehenen einen Sinn verleihen<br />

konnten.<br />

Sicher braucht man in den meisten Fällen hierzu recht viel Ausdauer und Geduld.<br />

Die Traumatherapie ist sowohl zeitlich aufwändig als auch phasenweise<br />

durchaus belastend. Der Einsatz lohnt sich jedoch durchaus: Unermessliches<br />

Leiden wird nachhaltig gelindert, die Chronifizierung der Erkrankung wird gestoppt<br />

und es wird den Betroffenen ermöglicht, sich wieder positiv dem Leben<br />

zuzuwenden.<br />

Literatur<br />

Kagerer, P., Vogelgesang, M. (2003) Geschlechtsspezifische Aspekte der<br />

Abhängigkeit. Psychotherapie im Dialog, 4 Jg., 155 - 160<br />

Koppenhöfer, E. (2005) Die kleine Schule des Genießens. Pabst: Lengrich.<br />

Orlando, C. (1999) Konzentrative Bewegungstherapie bei Patienten mit traumatischen<br />

Erfahrungen. In: Fachklinik Münchwies (Hrsg.) Über<br />

das Leiden an der verdeckten Wunde - moderne Traumatherapie<br />

aus verschiedenen Perspektiven. Münchwieser Hefte 22,<br />

S. 133 - 157. St. Ingbert: Westpfälzische Verlagsdruckerei.<br />

Reddemann, L. (2001 Imagination als heilsame Kraft, Pfeiffer bei Klettcotta:<br />

Stuttgart.<br />

17<br />

Shapiro, F. (1998) EMDR - Grundlagen und Praxis. Jungfermann: Paderborn.<br />

Vogelgesang, M. (2004, a) Verhaltenstherapie bei dissoziativen Störungen.<br />

Psychotherapeut 2004, 49:139 - 147<br />

Vogelgesang, M. (2004, b) Sexueller Mißbrauch und Substanzabhängigkeit.<br />

In: H. P. Steingass (Hrsg.) Geht doch. Soziotherapie chronisch<br />

mehrfach beeinträchtiger Abhängiger (S. 69 - 81). Neuland:<br />

Gesthacht


Vogelgesang, M. (2004, c) Die abhängige/dependente Persönlichkeitsstörung.<br />

Lerngeschichte, Funktionalität und Therapie. In: R. Merod (Hrsg.)<br />

Behandlung von Persönlichkeitsstörungen. DGVT, Tübingen,<br />

S. 653 - 669<br />

Vogelgesang, M., Eymann, C. Engel, E. (1998) Modell einer kognitiv-behavioral<br />

orientierten Kurzzeittherapiegruppe für stationäre Patientinnen<br />

mit sexuellen Mißbrauchserfahrungen. Verhaltensther-<br />

Verhaltensmed 4:475-489.<br />

Vogelgesang, M. (1996) Verhaltenstherapie der <strong>Posttraumatische</strong>n Belas -<br />

tungsstörung. Psychotherapeut 41: 254 - 263.<br />

WHO-Weltgesundheitsorganisation (1993) Internationale Klassifikation psychischer<br />

Störungen ICD-10. Huber: Bern.<br />

18<br />

Münchwieser Hefte Reihe Konzepte<br />

Heft Nr. 7


Die „Münchwieser Hefte“ werden von der Klinik seit 1985<br />

herausgegeben. Im wesentlichen sind darin die Referate der<br />

jährlich stattfindenden Münchwieser Symposien niedergelegt,<br />

ein Sonderheft enthält In for mationen für Angehörige von<br />

Suchtpatienten.<br />

Die Reihe „Konzepte“ der Münch wieser Hefte beschreibt unter<br />

fortlaufender Aktualisierung in der Klinik entwickelte Behand -<br />

lungskonzepte bzgl. spezifischer Störungen.<br />

Das Gesamtkonzept der Klinik erscheint weiterhin in der<br />

bisherigen Form, d. h. außerhalb dieser Reihe. Es kann – wie die<br />

Münchwieser Hefte und die Reihe Konzepte der Münchwieser<br />

Hefte – in der Klinik angefordert werden.<br />

In der Reihe „Konzepte“ sind bisher erschienen:<br />

Heft 1 – Pathologisches Glücksspielen<br />

Heft 2 – Stationäre Rückfallprävention als Auffangbehandlung<br />

Heft 3 – Angststörungen<br />

Heft 4 – Therapie der chronischen Schmerzerkrankung<br />

Heft 5 – Bulimia und Anorexia nervosa<br />

Heft 6 – Adipositas permagna<br />

Heft 7 – Traumatherapie<br />

Heft 8 – Aggressive Störungen<br />

Heft 9 – Frauenspezifische Therapieangebote<br />

Heft 10 – Männerspezifische Therapieangebote<br />

Heft 11 – Depressive Störungen<br />

Heft 12 – Schädlicher Gebrauch von Alkohol und Medikamenten<br />

Heft 13 – Einführungstraining in die Psychosomatik<br />

Heft 14 – Medikamentenabhängigkeit<br />

Heft 15 – Problembewältigung am Arbeitsplatz<br />

ISSN 0946-7351

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!