Klaus-Jörg Schönmetzler / Ausstellungseröffnung Klosterkirche ...
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eher versehentlich - die Formulierung „diese mit Steinen gefüllte Kiste“ heraus.<br />
Was ich dann durchaus interessant fand. Denn es könnte einerseits signalisieren,<br />
dass es sich um eine reale, tatsächlich mit Steinen gefüllte Kiste handelt (zum<br />
Beispiel die Transport-Box, in der sie ihre selbstgeformten Keramik-Steine<br />
aufbewahrt). Doch andererseits: Welch ein Gewicht, welch imaginär monströser<br />
Ballast hängt da eigentlich in diesen äußerlich so zarten, federleichten,<br />
transparenten Bildern?<br />
Die nächste Etappe unserer Chiffren-Serie sind die Linien. Alessia von<br />
Mallinckrodt hat, wie Sie unschwer sehen können, ganze Schulhefte mit kleinen<br />
Graphiken vollgezeichnet. Aber nicht irgendwelche Schulhefte, sondern solche<br />
für die Grundschulklassen 1 bis 3 sowie Steno-Hefte. Das sind jene Hefte mit<br />
Hilfslinien für die Ober- und Unterlängen, worin die Buchstaben gewissermaßen<br />
hinter Gittern, zwischen Zäunen marschieren. Die Hefte, in denen man uns die<br />
Handschrift erst mal für drei Jahre einsperrt, ehe man uns in die relative Freiheit<br />
unserer schreibenden Identität entlässt (ach ja, in einem der großen Bilder finden<br />
Sie zudem noch Notenzeilen, diese leider unverzichtbaren Gefängnisse des<br />
freien Lebensatems der Musik). Und schließlich: die Schießscheiben nicht zu<br />
vergessen. Diese konzentrischen Kreise, welche den Einschlag der Kugel<br />
kartieren und in Relation zum Zentrum orientieren.<br />
Das ist die eine Chiffren-Ebene. Konsequenter, strenger und stringenter könnte<br />
man sie kam wählen.<br />
Die andere, scheinbar entgegengesetzte Ebene sind die Pflanzen und Bäume.<br />
Alessia von Mallinckrodt hat mir erzählt, sie hätte eine Weile auch als Gärtnerin<br />
gearbeitet. Und das Vegetative, Wachsende, allein für unsere Sinne durch<br />
Gewohnheit Unscheinbare bildnerisch sichtbar zu machen, ihm seine Bedeutung<br />
zurückzugeben, sei ihr ein Herzensanliegen. Das mag gut so sein. Aber die<br />
Silhouetten von Bäumen, Zweigen, Rispen, Blumen und Blättern erfüllen<br />
natürlich auch ein graphisches Bedürfnis. Sie geben den Bildern - als Konturen,<br />
Umrisszeichnungen, als Schattenrisse und deren weiße Negative - etwas<br />
Scherenschnitthaftes; einen Hauch japanischer Ästhetik.<br />
Und vor allem: Die Pflanzen stehen in unmittelbarer Wechselbeziehung zu den<br />
Zäunen. Lattenzäune, Maschenzäune schließen Bäume ein. Aufblühende Zweige<br />
wuchern vor den Fördertürmen und den Steinekisten. Blumen tanzen oder<br />
fliegen selbstvergessen vor den Gittern der Schulheft-Linien („Falling angels“<br />
nennt der Titel sie). Blumen an Stelle der Einschuss-Löcher geben den<br />
Schießscheiben einen absurd schönen, entgegengesetzten Sinn. (Ich weiß nicht,<br />
ob Sie sich noch an das berühmte Pressefoto aus den Zeiten des Vietnam-Kriegs<br />
erinnern, auf dem eine Demonstrantin einem Soldaten eine Blume in den<br />
Gewehrlauf steckt - beim Anblick dieser Schießscheiben fiel es mir wieder ein).<br />
Aber die Blumen und die Zweige und die Sträucher bilden - anders herum -<br />
zugleich auch selber wieder Zäune, Hecken, sperren ab, verbergen und<br />
überwuchern, was da hinter ihnen liegt. Und ich denke, allmählich wird so<br />
immer noch klarer, wie dicht und wie konsequent die Chiffrenfolgen hier<br />
verwoben sind.