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Klaus-Jörg Schönmetzler / Ausstellungseröffnung Klosterkirche ...

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Einführung von <strong>Klaus</strong>-<strong>Jörg</strong> <strong>Schönmetzler</strong>, Kulturreferent des Landkreises<br />

Rosenheim zur <strong>Ausstellungseröffnung</strong> von Alessia von Mallinckrodt, A-<br />

frame, am 25. Januar 2008 im Kunstraum <strong>Klosterkirche</strong> Traunstein<br />

Guten Abend, meine Damen und Herren,<br />

Wenn man Alessia von Mallinckrodt nach ihren Bildern frägt, gerät die Antwort<br />

ausweichend: Sie sei ja eigentlich Bildhauerin, genauer: im Fach Keramik,<br />

Installations-Künstlerin, Zeichnerin, Graphikerin. Und ihre Gemälde seien<br />

letztlich nur Versuchs-Anordnungen, ob und wie weit sich graphische Ideen in<br />

das große Format der Leinwand übersetzen ließen. Hingegen „richtig“ malen,<br />

also in Öl statt mit Acryl und Tusche oder Edding-Stiften? Nein - da sei der<br />

ständige Gestank im Atelier nach Leinöl, Terpentin und Nitro und diversen<br />

anderen Lösungsmitteln ihr vorerst zu sehr dawider, auch wenn es sie einerseits<br />

durchaus reizen würde. Aber andererseits - das treiben, was die Leute „malen“<br />

nennen, also figural und plastisch und vor allem farbig: das sei eher nicht ihr<br />

Ding. Da sträube sich in ihr, der Graphikerin aus Leidenschaft, so ziemlich<br />

alles... Nun, verehrte Damen und Herren, und trotzdem stehen wir hier inmitten<br />

einer Ausstellung, die überwiegend aus großformatiger Malerei besteht, und<br />

müssen irgendwie damit zurande kommen. Nein, wir müssen nicht. Wir dürfen<br />

und können, gerade weil die Widerstände und Affinitäten, die Vermeidungen<br />

und Näherungen, die Berührungsängste und die Obsessionen so unlösbar Teil<br />

der Arbeit, so bedingend Anteil des bildnerischen Schaffens sind.<br />

Wenn wir die Ausstellung im Kunstraum dieser alten <strong>Klosterkirche</strong><br />

durchwandern, drängt sich uns zuerst ein strenger Themenkodex auf. Alessia<br />

von Mallinckrodt ist wahrhaft keine Künstlerin, die malt, wie es gerade kommt.<br />

Sie selektiert nach einem Raster, durch das neunundneunzig Hundertstel von<br />

unserer Dingen- und Erscheinungswelt erst einmal gnadenlos durchfallen. Doch<br />

was dann bleibt, grenzt fast an Manie.<br />

Da sind zuerst mal Treppen; aber das schiere Gegenteil von dem, was wir<br />

„Freitreppen“ oder „Treppenhäuser“ nennen würden. Sondern komplizierte,<br />

zugegitterte, verschachtelte Konstruktionen wie aus dem Berufsschul-Lehrbuch;<br />

zudem Konstruktionen, die vom Nirgendwo ins Nirgendwo hinmünden, die, wie<br />

uns der Titel „Earth - Heaven“ klar bedeutet, besten Falles Erde und Himmel als<br />

theologische Abstrakta verbinden. Konstruktionen ohne praktische Funktion und<br />

metaphysisch gleichfalls eher rohe Krücken (die bisweilen im Oeuvre<br />

auftauchenden Fördertürme können wir in diesem Sinn getrost der Gattung<br />

Treppe mit zurechnen).<br />

Das zweite Genre sind Zäune: Maschendrähte, Käfige, Umfriedungen. Die<br />

Muster des Vergitterten. Teil hölzern zugenagelt - was dann nahtlos an die<br />

Treppen anschließt. Und teils Baustahl, aus Metall geflochtene Rautenmuster.<br />

Aber immer Teile, die etwas umgrenzen, sperren, von der Umgebung trennen.<br />

Ein Sonderfall aus beidem sind sodann die Kisten. Zugenagelte, rigide Kuben,<br />

denen der Begriff „Verschlossenheit“ gewissermaßen als Adressaufkleber<br />

anhängt (als ich mit Alessia von Mallinckrodt darüber redete, rutschte ihr - wohl


eher versehentlich - die Formulierung „diese mit Steinen gefüllte Kiste“ heraus.<br />

Was ich dann durchaus interessant fand. Denn es könnte einerseits signalisieren,<br />

dass es sich um eine reale, tatsächlich mit Steinen gefüllte Kiste handelt (zum<br />

Beispiel die Transport-Box, in der sie ihre selbstgeformten Keramik-Steine<br />

aufbewahrt). Doch andererseits: Welch ein Gewicht, welch imaginär monströser<br />

Ballast hängt da eigentlich in diesen äußerlich so zarten, federleichten,<br />

transparenten Bildern?<br />

Die nächste Etappe unserer Chiffren-Serie sind die Linien. Alessia von<br />

Mallinckrodt hat, wie Sie unschwer sehen können, ganze Schulhefte mit kleinen<br />

Graphiken vollgezeichnet. Aber nicht irgendwelche Schulhefte, sondern solche<br />

für die Grundschulklassen 1 bis 3 sowie Steno-Hefte. Das sind jene Hefte mit<br />

Hilfslinien für die Ober- und Unterlängen, worin die Buchstaben gewissermaßen<br />

hinter Gittern, zwischen Zäunen marschieren. Die Hefte, in denen man uns die<br />

Handschrift erst mal für drei Jahre einsperrt, ehe man uns in die relative Freiheit<br />

unserer schreibenden Identität entlässt (ach ja, in einem der großen Bilder finden<br />

Sie zudem noch Notenzeilen, diese leider unverzichtbaren Gefängnisse des<br />

freien Lebensatems der Musik). Und schließlich: die Schießscheiben nicht zu<br />

vergessen. Diese konzentrischen Kreise, welche den Einschlag der Kugel<br />

kartieren und in Relation zum Zentrum orientieren.<br />

Das ist die eine Chiffren-Ebene. Konsequenter, strenger und stringenter könnte<br />

man sie kam wählen.<br />

Die andere, scheinbar entgegengesetzte Ebene sind die Pflanzen und Bäume.<br />

Alessia von Mallinckrodt hat mir erzählt, sie hätte eine Weile auch als Gärtnerin<br />

gearbeitet. Und das Vegetative, Wachsende, allein für unsere Sinne durch<br />

Gewohnheit Unscheinbare bildnerisch sichtbar zu machen, ihm seine Bedeutung<br />

zurückzugeben, sei ihr ein Herzensanliegen. Das mag gut so sein. Aber die<br />

Silhouetten von Bäumen, Zweigen, Rispen, Blumen und Blättern erfüllen<br />

natürlich auch ein graphisches Bedürfnis. Sie geben den Bildern - als Konturen,<br />

Umrisszeichnungen, als Schattenrisse und deren weiße Negative - etwas<br />

Scherenschnitthaftes; einen Hauch japanischer Ästhetik.<br />

Und vor allem: Die Pflanzen stehen in unmittelbarer Wechselbeziehung zu den<br />

Zäunen. Lattenzäune, Maschenzäune schließen Bäume ein. Aufblühende Zweige<br />

wuchern vor den Fördertürmen und den Steinekisten. Blumen tanzen oder<br />

fliegen selbstvergessen vor den Gittern der Schulheft-Linien („Falling angels“<br />

nennt der Titel sie). Blumen an Stelle der Einschuss-Löcher geben den<br />

Schießscheiben einen absurd schönen, entgegengesetzten Sinn. (Ich weiß nicht,<br />

ob Sie sich noch an das berühmte Pressefoto aus den Zeiten des Vietnam-Kriegs<br />

erinnern, auf dem eine Demonstrantin einem Soldaten eine Blume in den<br />

Gewehrlauf steckt - beim Anblick dieser Schießscheiben fiel es mir wieder ein).<br />

Aber die Blumen und die Zweige und die Sträucher bilden - anders herum -<br />

zugleich auch selber wieder Zäune, Hecken, sperren ab, verbergen und<br />

überwuchern, was da hinter ihnen liegt. Und ich denke, allmählich wird so<br />

immer noch klarer, wie dicht und wie konsequent die Chiffrenfolgen hier<br />

verwoben sind.


Das fünfte Element sind die Raster. Viele Bilder von Alessia von Mallinckrodt<br />

sehen aus, als seien sie Collagen, als sei ein zweites oder drittes Bild rechteckig<br />

in sie hineingeklebt. Das aber stimmt nicht. Nur eine einzige Arbeit hier in<br />

diesem Raum ist tatsächlich collagiert. Bei allen andren sind die Rechtecke Teil<br />

des malerischen Vorgangs. Manchmal in Gestalt von Übermalungen. Doch oft<br />

genug als Fenster, die einen Blick in tiefere, ansonsten übertünchte<br />

Bildschichten erlauben. Wenn Sie so wollen: Übermalungen als Zäune, die das<br />

darunter liegende Bild absperren, die nur partiell den Blick auf den verdrängten<br />

Untergrund freigeben.<br />

Das sechste, draus unmittelbar sich ergebende Element sind die Farben. Wir<br />

sagten zu Anfang, dass Alessia von Mallinckrodt die bunten, farbig<br />

überschäumenden Bilder eigentlich nicht mag, ihnen zumindest misstraut. Das<br />

aber hindert sie nicht, sehr viele ihrer eigenen Bilder erst einmal sehr farbig,<br />

nahezu bunt anzulegen, um diese Buntheit dann unter der weißgrauen<br />

Übermalung weitgehend wieder zum Verschwinden zubringen.<br />

Weitgehend. Aber doch nicht ganz. Denn die verdrängte Farbe schimmert durch.<br />

Sie äußert sich als Flirren zwischen den kalkigen Pinselstrichen. Sie drängt<br />

durch die ausgesparten Segmente. Sie stemmt knallrote und tiefschwarze<br />

Zaunpfähle in das Weiß der darüber gelegten Zaun- und Schneelandschaft. Und<br />

manchmal blutet die vom Bild gelöschte Farbe wie aus Einschusslöchern<br />

gellend rot hervor (es ist fast schon unheimlich, dass die fünf Bilder mit diesen<br />

blutenden Einschusslöchern hier unmittelbar gegenüber den Schießscheiben mit<br />

ihren Blumen-Einschlägen hängen). Und speziell die ominösen Truhen mit den<br />

Steinen wurden von dem bunten Untergrund gleichsam durchtränkt und<br />

aufgesogen. Nur ihre Konturen leisten dagegen graphisch weißen Widerstand).<br />

Das siebente Element ist eben dieses Weiß. Die Unschuldsfarbe, die in manchen<br />

anderen Kulturen eine Trauerfarbe ist. Über Alessia von Mallinckrodts Bildern<br />

liegt es wie ein nässender Nebel, der in wagrechten Streifen zieht, durch den es<br />

manchmal nieselnd regnerisch in senkrechten Tropfen durchrinnt. Immer wieder<br />

verdüstert es sich zu tiefgrauen, fast schon bläulichen Gewitterwolken.<br />

Besonders auffällig aber wird dieses Weiß, wo es auf scheinbar nacktem,<br />

ungrundiertem Rohleinen steht. Wo mit dem weißen Edding-Stift allein die<br />

graphische Struktur sich auf dem hanffarbenen Malgrund breitet. Wenn man<br />

nämlich näher hinsieht, ist dies absolut nicht so. Das Rohleinen ist mit stark<br />

verdünnter weißer Farbe sehr behutsam geschlämmt, also komplett übermalt.<br />

Aber so fein, dass nur der Gestus der Pinselstriche diesen Vorgang sacht verrät<br />

und der sonst allzu glatten Fläche zugleich Leben und Struktur verleiht. Und<br />

manchmal, meine Damen und Herren, ganz besonders, wo sich weiße Zweige<br />

vor dem weißen Grund abheben sollen, wechselt die Maltechnik selber zwischen<br />

glänzenden und stumpfen Pigmentabmischungen, also zwischen zwei in sich<br />

entgegengesetzten Arten Weiß. So viel dazu.<br />

Der achte, letzte Themenkreis nämlich sind die Menschen. Sie kommen in<br />

Alessia von Mallinckrodts Bildern bemerkenswert selten, und wenn, dann als<br />

offenkundige Zitate ihrer selbst vor. Als Abbilder von alten Familienfotos aus


den dreißiger bis fünfziger Jahren (ich habe die Künstlerin dazu befragt: es sind<br />

tatsächlich Schnappschüsse der eigenen Verwandtschaft). Abbilder mithin, die<br />

jäh etwas Persönliches, Privates in die Gemälde tragen, um es dann auf der<br />

Stelle wieder zurückzunehmen, es als historisch distanziert kenntlich zu machen.<br />

Soweit, verehrte Besucher, der Bestand all dessen, was jeder, der ein bisschen<br />

hinsieht, hier in dieser Ausstellung tatsächlich finden und in seiner Funktion<br />

bewerten kann. Aber was machen wir daraus?<br />

Ich habe diese Frage gestern Vormittag gerade so Alessia von Mallinckrodt<br />

gestellt. Sie hat mir die Antwort darauf schlicht verweigert und sich auf’s<br />

neutrale Feld des graphisch Experimentellen zurückgezogen. Was ich ihr, ganz<br />

ehrlich gesagt, nicht glaubte, und ihr das auch sagte. Worauf sie mir zumindest<br />

nicht widersprach.<br />

Aber dann sagte und zeigte sie mir doch etwas Wunderbares, etwas viel<br />

Erklärendes. Sie deutete hinauf zu diesem Kirchenfenster da oben, wo man<br />

hinter dem Glas und den Rastern der Fenstergitter die Zweige eines kahlen<br />

Baumes im Gegenlicht der Sonne tanzen sah. - So etwas, das möchte sie mit<br />

ihren Bildern gerne zeigen. Etwas, das tagtäglich jeder sieht, das aber keinem<br />

mehr auffällt. Dieses grenzenlose Licht mit der bewegten Silhouette des<br />

Baumes. Diesen Moment von Weite und von Freiheit hinter der Wand, dem<br />

Fenster und dem Raster der Gitter.<br />

Nun, verehrte Damen und Herren, vielleicht sollten wir es tatsächlich dabei<br />

belassen. Es ist viel genug. Und soll ja keinen unter Ihnen hindern, sich das<br />

andere, was diese scheinbar kargen Bilder an Reichtum, auch an bitterem<br />

Reichtum bieten, für sich selber aufzusuchen. Wobei es mir dann offen<br />

gestanden völlig egal ist, welches dieser Bilder nun in Alessia von Mallinckrodts<br />

zweiter künstlerischer Heimat in den USA und welches hier im Chiemgau<br />

ersonnen wurde. Die Gitter vor unseren Augen und die Gitter vor unserem<br />

Herzen und die mögliche Freiheit der Bäume und des Lichts dahinter sind sich<br />

hier und dort nämlich verteufelt ähnlich.<br />

Nur eins muss man vielleicht zum Schluss erklären: Warum diese Ausstellung<br />

ausgerechnet „A-frame“ heißt. Da denkt man hierzulande allenfalls an die<br />

gleichnamigen Skifahrer-Brillen. Aber gemeint ist ein Begriff der<br />

amerikanischen Architektur. Nämlich ein Haus, dessen Satteldach links und<br />

rechts bis zum Boden reicht, so dass sich der gesamte Wohnbereich, also das<br />

Erdgeschoss sowie ein ungewöhnlich hoher erster Stock nach Art des<br />

Großbuchstabens A vollständig in das Raster dieses Daches und des<br />

Zwischenbodens zwängen. Was einerseits das auf den ersten Blick<br />

verwirrendste, weil scheinbar aus der Reihe fallende Blatt dieser Ausstellung<br />

mit einem schlichten großen A erklärt. Und andererseits die heimliche,<br />

verborgene Bedeutung all der Bilder zumindest ein bisschen virulenter macht.<br />

Mehr sag’ ich nicht dazu. Das war’s. Ich danke Ihnen.

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