Dezember 03 - die Apis
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22<br />
AUS UNSEREM VERBAND<br />
GEMEINSCHAFT 6/2004<br />
Textpassage<br />
aus dem<br />
von Georg B.<br />
Bilfinger<br />
(1693–1750)<br />
verfassten<br />
Pietistenreskript<br />
heute festhalten, wo Größe und<br />
Glanz, <strong>die</strong> Vielen und <strong>die</strong> Massen<br />
zählen.<br />
3. Geschichtliches<br />
Nur einige kurze Scheinwerfer,<br />
soweit es vor allem uns und unsere<br />
Strukturen betrifft.<br />
Von Anfang an war in der Gemeinde<br />
Jesu beides anzutreffen:<br />
– das Zusammenkommen der Gemeinde<br />
im Großen und in großer<br />
Anzahl und<br />
– <strong>die</strong> Versammlung in kleinen<br />
Gruppen und Kreisen.<br />
Die Urgemeinde traf sich regelmäßig<br />
einerseits im Tempel – andererseits<br />
»hin und her in den Häusern«.<br />
Martin Luther legt <strong>die</strong>ses<br />
Prinzip geradezu als Grundsatz<br />
fest in seiner »Vorrede zur Deutschen<br />
Messe«. Er unterscheidet<br />
den »deutschen Gottes<strong>die</strong>nst, der<br />
öffentlich in den Kirchen vor allem<br />
Volk gehalten wird, worunter<br />
viele sind, <strong>die</strong> noch nicht glauben<br />
oder Christen sind, sondern <strong>die</strong><br />
Mehrzahl steht da und gafft, dass<br />
sie auch etwas Neues sehen. ... Es<br />
ist ein öffentlicher Anreiz zum<br />
Glauben und zum Christentum.«<br />
Gegen <strong>die</strong>se »Versammlung im<br />
Großen« setzt er das Zusammenkommen<br />
der Christen im kleinen<br />
Kreis ab, welche er »<strong>die</strong> richtige<br />
Art der evangelischen Ordnung«<br />
nennt: »Diejenigen, <strong>die</strong> mit Ernst<br />
Christen sein wollen und das<br />
Evangelium mit Hand und Mund<br />
bekennen, müssen sich irgendwo<br />
in einem Haus allein versammeln<br />
zum Gebet, zum Lesen ...«.<br />
Im Pietismus bis hin zu allen Erweckungen<br />
ist dasselbe zu beobachten:<br />
das Zusammenkommen in<br />
Großveranstaltungen (denken wir<br />
nur etwa an Predigtgottes<strong>die</strong>nste<br />
bei Ludwig Hofacker!) und dann<br />
das Versammeln in kleinen Stunden.<br />
Die ganze Kirchengeschichte lehrt<br />
immer wieder – nicht zuletzt aus<br />
den Entwicklungen in China:<br />
»Wenn Kirche in Verfolgungszeiten<br />
überwintert, dann nur in kleinen<br />
Gruppen. Wer also <strong>die</strong> Gemeinschaftsbewegung<br />
und darüber<br />
hinaus <strong>die</strong> evangelische Christenheit<br />
‚winterfest’ und zukunftsträchtig<br />
anlegen will, kommt am<br />
Bauen kleiner Gruppen nicht vorbei.<br />
Die kleine Gruppe wird sich<br />
auch als endzeitfest erweisen«<br />
(Christoph Morgner, Gnadau aktuell<br />
5).<br />
Der Grundbegriff des Pietismus ist<br />
nicht <strong>die</strong> »Gemeinde«, sondern<br />
von Anfang an <strong>die</strong> »Konventikel«,<br />
<strong>die</strong> »collegia pietatis« (fromme<br />
Zirkel): also der kleine Kreis. Es<br />
ist <strong>die</strong> »ecclesiola in ecclesia« –<br />
das »Kirchlein in der Kirche“.<br />
Nicht Events, Highlights oder<br />
glanzvolle Veranstaltungen sind<br />
<strong>die</strong> Hauptstoßrichtung, sondern<br />
<strong>die</strong> Treue im Kleinen. Grundbegriffe<br />
im Pietismus sind: Bekehrung,<br />
Heiligung, Lebenshingabe<br />
an Gott. Es geht also um <strong>die</strong> In<strong>die</strong>nstnahme<br />
des Einzelnen und<br />
um seinen Glauben, den er gerade<br />
oft (viel schwerer, aber auch<br />
brauchbarer) im kleinen Bereich<br />
zu leben hat.<br />
Unsere Platzanweisung als Gemeinschaftsverband<br />
hat <strong>die</strong>se »innere<br />
Linie“. Von Anfang an ging es<br />
darum, innerhalb der Kirche geistliches<br />
Leben zu wecken und zu<br />
fördern. Dieser »ergänzende<br />
Dienst« (heute Gnadauer Modell<br />
I) hatte weitreichende Auswirkungen.<br />
So blühte nicht nur der Pietismus<br />
auf; es gab langfristige Wirkungen,<br />
<strong>die</strong> man heute an zahlreichen<br />
Orten noch sehen und nachweisen<br />
kann.<br />
Dabei halten wir noch ein Zweifaches<br />
fest:<br />
a) Das »Pietistenreskript« von<br />
1743 gab zwar dem Pietismus Heimatrecht<br />
innerhalb unserer Kirche.<br />
Es schrieb jedoch gleichzeitig<br />
vor, dass nicht mehr als 15 Leute<br />
zusammenkommen durften (vor<br />
allem aus politischen Gründen,<br />
weil der Herzog Angst vor politischen<br />
Zusammenrottungen hatte!).<br />
Die Wirkung war, dass sich<br />
viele kleine Kreise bildeten, weil<br />
es nicht anders ging. Kleine Kreise<br />
waren der Regelfall. Was nicht beabsichtigt<br />
war, traf eben ein: eine<br />
starke, weit um sich greifende<br />
Wirkung (vgl. 1.Mose 50,20: »Ihr<br />
gedachtet es böse zu machen, Gott<br />
aber gedachte es gut zu machen.«).<br />
b) Das Wort »Ergänzung« wird<br />
weithin negativ gesehen, als ob es<br />
etwas Minderwertiges sei. »Das<br />
andere ist das Eigentliche«, denken<br />
viele, beispielsweise was <strong>die</strong><br />
Kirchengemeinde macht. Doch<br />
welch eigenartiges Verständnis<br />
liegt hier hinter dem Wort Ergänzung?<br />
»Er-gänzung« bedeutet:<br />
ganz machen, für das Ganze sorgen,<br />
<strong>die</strong> Ganzheit herstellen. Ein<br />
Beispiel ist <strong>die</strong> Ehe: Die Frau ist