Dirk Grathoff
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24 DIRK GRATHOFF<br />
allemal höher als die Freundschaft zu rangieren. Niklas Luhmann<br />
hat dieses Konkurrenzverhältnis im 18. Jahrhundert verortet:<br />
«Das ganze 18. Jahrhundert durchzieht diese Bemühung,<br />
den Code für Intimität von Liebe auf Freundschaft<br />
umzustellen. [...] Aufs Ganze gesehen, hat jedoch die Liebe<br />
und nicht die Freundschaft das Rennen gemacht [...] Warum?<br />
Die Gründe dafür sind nicht leicht aufzutreiben und zu belegen.»<br />
Luhmann nennt dann drei mögliche Begründungen, die<br />
merkwürdig unspezifisch bleiben, räsoniert auffälligerweise<br />
aber nicht über die Institutionen, die der Liebe und Freundschaft<br />
im 18. Jahrhundert zugewiesen wurden: nämlich die Ehe<br />
und die Freimaurerei. Aber auf meine stets wiederholte These,<br />
daß man die Geschichte des 18. Jahrhunderts nicht ohne die<br />
Geschichte der Freimaurerei verstehen könne, will ja niemand<br />
so recht hören, deshalb muß auch unklar bleiben, warum die<br />
Liebe damals die Freundschaft aus dem Rennen geworfen hat.<br />
Zurück zu den Definitionsproblemen von Siegfried Kracauer.<br />
Der gesamte erste Teil seines Essays «Über die Freundschaft»<br />
handelt über die Abgrenzungen zu Bekanntschaften, Kameradschaften<br />
und - als hätte er es eigens für einen Symposiumsabend<br />
in der DG-Bank geschrieben - von Genossenschaften.<br />
Eigentlich hat der Name «Genossenschaftsbank» ja auch etwas<br />
mit «Freundschaftsbank» gemein, das wäre doch auch ein<br />
mögliches Firmenschild: «Deutsche Freundschaftsbank». In<br />
seiner Definitionswut versteigt sich Kracauer sogar noch dahin,<br />
dem Begriff «wahre Freundschaft» nicht bloß den «falschen<br />
Freund» entgegenzusetzen, sondern eine neuerfundene «mittlere<br />
Freundschaft» davon abzuleiten, die auf dem halben Weg<br />
zwischen Bekanntschaft und wahrer Freundschaft stehen solle.<br />
Solche Definitionsprobleme hat es seit der Antike offenbar<br />
stets gegeben. Nur in der griechischen Frühzeit hat man es<br />
noch nicht so genau genommen, da konnte auch ein Zwillingsbruder<br />
noch als Freund durchgehen. Doch schon im klassischen<br />
Griechenland setzt ein Ablöseprozeß ein, der verwandtschaftliche<br />
von freundschaftlichen Beziehungen trennt, die<br />
freie Wahl des Alter Ego als Freund rückt in den Vordergrund.