Ausgabe des idea-spektrums herunterladen. - Christliche Ostmission
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24. April 2013 | 17<br />
Nachrichten und Meinungen aus der evangelischen Welt<br />
Menschenhandel<br />
in der Schweiz<br />
Irene Hirzel über<br />
die grosse Not<br />
versklavter Frauen Seite 4<br />
7 Bun<strong>des</strong>haus Ein neues Team betet in Bern | 9 Bibellesehilfe Alfred Gerbers geistliche<br />
Brotkörbe | 10 Hilfsprojekt Wie ein Ex-Manager im Ruhestand seine zweite Berufung findet<br />
25 Bibel Wie sollen wir die H eilige Schrift heute verstehen? www.<strong>idea</strong>schweiz.ch
2 I n ser at e<br />
Bildquelle: COM<br />
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<strong>idea</strong> Spektrum 17.2013
editorial 3<br />
Prostitutionsland Schweiz<br />
Prostitution gilt in der Schweiz als wirtschaftliche Tätigkeit wie Brot<br />
backen oder Wände streichen. Die Einkünfte unterliegen der Steuerpflicht.<br />
Die Sozialabgaben werden ordnungsgemäss abgerechnet.<br />
Die Legalisierung <strong>des</strong> einst sittenwidrigen Gewerbes soll die Prostituierten<br />
entkriminalisieren und schützen. Dies entpuppt sich für<br />
immer mehr Frauen als Falle. Denn gleichzeitig werden Zuhältern<br />
und Menschenhändlern Tür und Tor geöffnet. Für sie ist die Schweiz<br />
optimal. Die Infrastruktur stimmt. Vom als Wellness-Tempel deklarierten<br />
Grossbordell bis hin zu «Verrichtungsboxen» gibts hier alles.<br />
Besetzt werden diese Einrichtungen vorwiegend mit Frauen aus<br />
Osteuropa; von Schleppern mit Geld und Gewalt rekrutiert. 1992<br />
wurde das Sexualstrafrecht revidiert. Kuppelei und passive Zuhälterei<br />
sind nicht mehr strafbar. Dafür ist die sexuelle Selbstbestimmung<br />
geschützt, gedacht als Massnahme gegen die Zwangsprostitution.<br />
Doch in der Folge nahm das Prostitutionsgewerbe in der Schweiz<br />
stark zu. Einen weiteren Schub brachte die Einführung der Personenfreizügigkeit.<br />
Im Milieu herrscht ein unerbittlicher Konkurrenz- und<br />
Verdrängungskampf. Leidtragende sind die Frauen. Wo Prostitution<br />
legal ist, explodiert der Menschenhandel. Die Polizei darf ein Bordell<br />
nur noch bei konkretem Verdacht betreten. Tut sie das, braucht sie<br />
als Nächstes die Aussage der Frau gegen ihren Zuhälter. Sie wird<br />
sich das dreimal überlegen. Unser Gesetz genügt nicht, um sie zu<br />
schützen und Menschenhandel, Zwangsprostitution und Schwarzarbeit<br />
zu unterbinden. Gibt es Frauen, die sich freiwillig prostituieren,<br />
ohne in ihrer Kinder- und Jugendzeit körperliche oder seelische<br />
Misshandlungen erlitten zu haben? Der Kauf eines Frauenkörpers ist<br />
menschenunwürdig. Warum nehmen wir es hin, dass die Schweizer<br />
Rechtsordnung die Frau zum käuflichen Geschlecht erklärt? Es wird<br />
Zeit, den Scheinwerfer auf die Freier zu richten. Was sie tun ist Sünde.<br />
Das Bezahlen sexueller Dienstleistungen gehört verboten. Der<br />
Bun<strong>des</strong>rat hat kürzlich ein Postulat von EVP-Nationalrätin Marianne<br />
Streiff angenommen. Jetzt muss er dem Parlament<br />
einen Bericht zur Bekämpfung <strong>des</strong> Menschenhandels<br />
vorlegen. Darin werden Machbarkeit und Folgen<br />
eines Verbots der Prostitution und <strong>des</strong> Kaufs<br />
sexueller Dienstleistungen in der Schweiz geprüft.<br />
Rolf Höneisen<br />
BIBLIScH<br />
Ein Lieblingsbibelwort von Alice<br />
Stark, Textilfachfrau bei einem<br />
Schweizer Modeunternehmen,<br />
Autorin eines Modeblogs und<br />
Miss Schweiz Kandidatin 2013.<br />
«Wenn Gott für uns ist, wer kann dann<br />
gegen uns sein?» Römer 8, 31<br />
«Als ich vor drei Jahren meine Lehre als Textilfachfrau<br />
begann, brach für mich eine schwere Zeit an. Mir<br />
wurde viel Unrecht getan. Ich wurde nicht akzeptiert<br />
und oft herabgesetzt. Ich fragte mich immer, wieso<br />
ich diese Zeit durchmachen muss und vor allem, wo<br />
Gott ist. Sieht er denn nicht, wie ich leide und keine<br />
Kraft mehr habe? Doch gelang es mir dank Gottes<br />
Hilfe und der Unterstützung meiner Familie, jeden<br />
Tag aufzustehen und zu kämpfen, wie auch Jesus für<br />
uns Menschen gekämpft hat. In dieser Zeit lernte<br />
ich, dass Gott viel weiter sieht als wir und dass er<br />
für uns nur das Beste möchte, auch wenn wir es auf<br />
den ersten Blick nicht erkennen. Jetzt, drei Jahre<br />
später, kann ich sagen, dass es sich gelohnt hat und<br />
ich weiss, dass Gott mir die Kraft gegeben hat zu<br />
kämpfen und mir den Weg ebnete. Denn wenn ich<br />
damals aufgegeben hätte, wäre ich jetzt nicht unter<br />
den 18 Miss Schweiz Kandidatinnen.»<br />
WörtLIcH<br />
«Für mich ist das eine Herzensangelegenheit.<br />
Ich mache den Dienst<br />
aus Berufung und Liebe zu Gott.»<br />
So erklärte Heilsarmeeoffizierin Katharina Hauri<br />
(46) dem «Thuner Tagblatt», warum sie sich für die<br />
Bibel-Kinderwoche in Gurzelen BE engagiert. In gut<br />
drei Wochen wird sie vor einem Millionenpublikum<br />
am Eurovision Song Contest auftreten. Sie ist Mitglied<br />
der Band «Takasa», wo sie die Pauke schlägt.<br />
Zu diesem Auftritt in Malmö sagte sie: «Es ist eine<br />
gute Sache und ein Abenteuer – nicht mehr und<br />
nicht weniger.»<br />
Impressum Idea Schweiz<br />
Herausgeber: Idea Information AG, 4410 Liestal<br />
Verwaltungsrat: Heiner Henny, Präsident,<br />
Sam Moser Stellvertreter, Paul Beyeler,<br />
Hans Lendi, Helmut Matthies, Matthias Spiess<br />
Ideelle Trägerschaft: Schweizerische Evangelische<br />
Allianz (SEA), Verband Evangelischer Freikirchen<br />
und Gemeinden (VFG), Arbeitsgemeinschaft<br />
Evangelischer Missionen (AEM)<br />
Redaktion: Aemmenmattstrasse 22, 3123 Belp,<br />
Tel. 031 818 01 44, Fax 031 819 71 60<br />
E-Mail: redaktion@<strong>idea</strong>schweiz.ch<br />
Internet: www.<strong>idea</strong>schweiz.ch<br />
Chefredaktor: Rolf Höneisen<br />
Büro: Steinackerstrasse 4, 9214 Kradolf-<br />
Schönenberg, Tel./Fax 071 642 44 21<br />
E-Mail: rolf.hoeneisen@<strong>idea</strong>schweiz.ch<br />
Redaktor: Thomas Feuz<br />
Erweitertes Team: Esther Reutimann, Christian Bachmann,<br />
Mirjam Fisch-Köhler, Christof Bauernfeind<br />
Praktikum: Eveline Mergaert<br />
Verlagsmanager: Roland Rösti, 031 818 01 25,<br />
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<strong>idea</strong>Spektrum 17.2013<br />
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4 BRENNPUNKT<br />
Die gigantische Lüge der Sexindustrie<br />
Menschenhandel Weltweit sind rund 21 Millionen Menschen versklavt. In der Schweiz generiert<br />
der «moderne Sklavenhandel» 8,8 Millionen Franken Umsatz – täglich. Ein Gespräch mit Irene Hirzel,<br />
Projektleiterin im Bereich Frauen- und Kinderhandel der <strong>Christliche</strong>n <strong>Ostmission</strong>.<br />
Irene Hirzel, Sie haben zehn Jahre lang als Streetworkerin im<br />
Basler Rotlichtmilieu gearbeitet und kennen den Menschenhandel<br />
aus dem Alltag. Oft wird Prostitution und Menschenhandel<br />
in einem Zug genannt. Gehören sie untrennbar zusammen?<br />
Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt die Zahl der gehandelten<br />
und versklavten Menschen weltweit auf rund 21 Millionen.<br />
Jährlich kommen 2,5 Millionen dazu. Laut aktuellem UNO-Bericht<br />
über Menschenhandel <strong>des</strong> Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung<br />
(UNODC) ist sexuelle Ausbeutung mit 79 Prozent die häufigste<br />
Form modernen Menschenhandels, gefolgt von Zwangsarbeit mit 18<br />
Prozent. Somit ist der Zusammenhang klar: Von 21 Millionen versklavten<br />
Menschen befinden sich 16,6 Millionen in der Zwangsprostitution.<br />
76 Prozent der Opfer sind weiblich, wovon 59 Prozent Frauen und 17<br />
Prozent Mädchen sind. Die 24 Prozent männlichen Opfer teilen sich<br />
in 14 Prozent Männer und 10 Prozent Knaben auf. Fast ein Drittel der<br />
Betroffenen sind Kinder, Tendenz stark steigend! Diese Zahlen basieren<br />
auf Datenerhebungen aus 132 Ländern, und sie sprechen eine deutliche<br />
Sprache! Dies ist aber noch nicht alles: Yury Fedotov, der Direktor <strong>des</strong><br />
UNODC geht davon aus, dass wir nur die Spitze <strong>des</strong> Eisbergs sehen.<br />
Bei Menschenhandel spricht man von «moderner Sklaverei». Worin<br />
liegt der Unterschied zur Sklaverei im herkömmlichen Sinn?<br />
Die meisten Leute kennen Sklaverei aus den Geschichtsbüchern <strong>des</strong><br />
Schulunterrichts, etwa im Zusammenhang mit dem antiken Rom, den<br />
Leibeigenen im Mittelalter oder den Schwarzafrikanern, die im Zuge der<br />
Kolonialisierung nach Amerika gebracht wurden. Die moderne Sklaverei<br />
– heute spricht man von Menschenhandel – ist ein globales Problem.<br />
Menschenhandel ist verboten. Trotzdem werden heute mehr Menschen<br />
gehandelt als jemals zuvor. Zu den 14 000 bis 25 000 legalen Prostituierten<br />
in der Schweiz kommen min<strong>des</strong>tens ebenso viele illegale dazu. Die<br />
Koordinationsstelle gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel<br />
(KSMM) geht von 1500 bis 3000 Frauen aus, die hierzulande jährlich<br />
gehandelt werden, also Opfer von Menschenhandel sind. Diese Zahlen<br />
stammen von 2003 und dürften heute weitaus höher sein. Die Strassenprostituierten<br />
in unseren Städten zeugen davon, dass der Menschenhandel<br />
nicht im Verborgenen, sondern vor unseren Augen stattfindet.<br />
Nach welchem Schema funktioniert der Menschenhandel?<br />
Die Armut und Perspektivlosigkeit der Frauen aus wirtschaftlich schwachen<br />
Ländern wird ausgenutzt: Mit falschen Versprechen gelockt,<br />
kommen sie durch sogenannte «Vermittler» in ein reiches und liberales<br />
Zielland wie die Schweiz, wo mit Prostitution viel Geld verdient werden<br />
kann. Hier werden sie mit körperlicher und sexueller Gewalt und Drohungen<br />
gegen ihre Familie im Herkunftsland gefügig gemacht. Mitunter<br />
werden die Vergewaltigungen gefilmt und als weiteres Drohmittel benutzt.<br />
Viele Frauen werden mit Alkohol und Drogen abhängig gemacht.<br />
Zur Person<br />
Irene Hirzel, Mutter von drei erwachsenen Kindern, ist Projektleiterin der<br />
<strong>Christliche</strong>n <strong>Ostmission</strong> (COM) gegen Frauen- und Kinderhandel in Osteuropa<br />
und Nepal. Sie betreut das Nationale Gebetsnetz der COM gegen<br />
Frauen- und Kinderhandel und ist Mitglied der bilateralen Arbeitsgruppe<br />
zur Bekämpfung <strong>des</strong> Menschenhandels Schweiz-Rumänien <strong>des</strong> EJPD.<br />
Hirzel hat viele Jahre als Streetworkerin im Basler Rotlichtmilieu gearbeitet.<br />
Weshalb ist es für die betroffenen Frauen so schwierig, sich aus der<br />
Zwangsprostitution zu befreien? Das Gesetzt steht doch auf ihrer<br />
Seite. Sie bräuchten nur den nächsten Polizeiposten aufzusuchen...<br />
Die Frauen haben weder Lohn noch Freizeit, kennen weder Ort noch<br />
Sprache. Oft wissen sie nicht einmal, wo und in welchem Land sie sich<br />
befinden. Alle paar Wochen werden sie an ein anderes Bordell weiterverkauft<br />
oder stehen auf dem Strassenstrich einer anderen Stadt. Kontakte<br />
zur Aussenwelt haben sie fast nur über die Freier. Sie haben keine andere<br />
Wahl, als ihren Körper rund um die Uhr zur Verfügung zu stellen,<br />
um ihre von den Menschenhändlern auferlegten unermesslich hohen<br />
«Schulden» für Flugticket, Formalitäten und Vermittlungsgebühren ins<br />
reiche Zielland abzuzahlen. Da man ihnen den Pass nach der Ankunft<br />
im Zielland häufig wegnimmt, leben sie in der Illegalität: Sie haben<br />
weder ein Aufenthalts- noch ein Ausreiserecht. Viele Frauen meiden die<br />
Polizei, von der sie aus ihrem Heimatland wissen, dass sie korrupt ist.<br />
Ein Entrinnen ohne Hilfe von aussen ist kaum möglich.<br />
Wer sind die Freier, welche die Dienste der Prostituierten<br />
in Anspruch nehmen?<br />
Männer mit Kindersitzli im Auto und Ehering am Finger findet man oft<br />
bei Prostituierten. Immer häufiger kommen auch ganze Jugendgruppen,<br />
die gemeinsam eine Prostituierte aufsuchen und ihre von Pornofilmen<br />
beflügelte Fantasie ausleben wollen. Gegen 80 Prozent der Freier<br />
sind verheiratet und kommen querbeet aus allen Schichten. Sie suchen<br />
Sex mit blutjungen Frauen und haben aufgrund <strong>des</strong> Pornokonsums<br />
häufig schon sehr klare Vorstellungen, was sie mit ihnen machen wollen.<br />
Es ist alles, was sich eine Frau nie wünschen würde!<br />
Wen wundert‘s, dass die schweiz sextouristen<br />
aus ganz europa anlockt? escort-agenturen<br />
werben mit den jüngsten callgirls der Welt.<br />
Sind sich die Freier der misslichen Lage der Frauen bewusst?<br />
Ob eine Frau gehandelt wurde, ist für den Freier in der Regel nicht<br />
erkennbar. Viele Frauen arbeiten in Bordellen und Salons, wo es auch<br />
legale Prostituierte gibt. Am Zürcher Sihlquai weiss «Mann» jedoch aus<br />
den Medien sehr wohl, dass er auf Opfer von Menschenhandel trifft.<br />
Die intensive Berichterstattung war eher Gratiswerbung, als dass sie<br />
den Frauen genützt hätte: Mittlerweile drehen Wagen aus der ganzen<br />
Schweiz und dem Ausland ihre Runden. Die Sihlquai-Klientel sucht bewusst<br />
nach dem Kick, Macht und Dominanz über ein wehrloses Opfer<br />
mitten in der belebten, aber intimen Grossstadtatmosphäre auszuüben.<br />
Deshalb wird es auch nichts bringen, den Strassenstrich am Sihlquai<br />
diesen Sommer zu schliessen und in videoüberwachte «Sexboxen» ins<br />
Aussenquartier Altstetten zu verlegen. Die Massnahme ist lediglich zur<br />
Beruhigung <strong>des</strong> Quartiers gut. Die Sihlquai-Klientel wird sich nicht<br />
nach Altstetten verbannen lassen. Sie findet dort nicht, was sie sucht...<br />
Wie kann Ihrer Meinung nach das Problem gelöst werden?<br />
Die Schweiz ist mit ihrer liberalen Gesetzgebung für den Menschenhandel<br />
und die Prostitution viel zu attraktiv. Laut Bun<strong>des</strong>amt für Polizei<br />
generiert die Branche hierzulande – in einem der reichsten Staaten der<br />
Welt – 8,8 Millionen Franken Umsatz täglich. Dieser riesige Sexmarkt<br />
<strong>idea</strong> Spektrum 17.2013
BRENNPUNKT 5<br />
könnte ohne Sexhandel nicht existieren! Bis Ende Jahr ist es nach wie<br />
vor möglich, sich ab 16 Jahren legal zu prostituieren, ohne dass der<br />
Freier dafür bestraft wird. Wen wundert’s, dass die Schweiz Sextouristen<br />
aus ganz Europa anlockt? Auf Teenies spezialisierte Escort-Agenturen<br />
werben gar mit den «jüngsten Callgirls der Welt».<br />
Reicht das Heraufsetzen <strong>des</strong> Min<strong>des</strong>talters auf 18 Jahre aus, um<br />
dem Menschenhandel in der Schweiz die Stirn zu bieten?<br />
Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, der sich schon lange<br />
aufdrängt. Obwohl die Schweiz das Europaratsabkommen zum Schutz<br />
von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch 2007<br />
unterzeichnet hat, wird das Schutzalter erst per 1. Januar 2014 auf die<br />
geforderten18 Jahre erhöht. In Schweden ist es seit 1999 gänzlich verboten,<br />
Sex zu kaufen. Das Gesetz entkriminalisiert die Prostituierten und<br />
kriminalisiert die Freier, die für die Sexdienste bezahlen. Seither ist der<br />
Sexmarkt um 70 Prozent eingebrochen, ohne dass die Vergewaltigungen<br />
zugenommen hätten, wovor im Vorfeld stets gewarnt wurde. Das schwedische<br />
Modell würde ich mir <strong>des</strong>halb auch für die Schweiz wünschen.<br />
Sie hatten im Februar eine Audienz bei Bun<strong>des</strong>rätin Simonetta<br />
Sommaruga. Was haben Sie mit ihr besprochen?<br />
Gemeinsam mit Felix Ceccato, dem Präsident der <strong>Christliche</strong>n Polizeivereinigung,<br />
Michael Mutzner, dem Verantwortlichen für die Schweizer<br />
Zweigstelle der Weltweiten Evangelischen Allianz und Georges Dubi,<br />
dem Missionsleiter der <strong>Christliche</strong>n <strong>Ostmission</strong> dankten wir Frau Sommaruga<br />
für ihr grosses Engagement gegen den Menschenhandel und<br />
teilten ihr mit, dass wir den Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel<br />
begrüssen, den sie im Oktober 2012 lanciert hat. Daneben sprachen<br />
wir offene Punkte an, die wir bereits im Mai 2012 der UNO-Menschenrechtskommission<br />
vorgelegt hatten: Um den Menschenhandel in<br />
der föderalistischen Schweiz effektiver zu bekämpfen, ist eine bessere<br />
Zusammenarbeit zwischen den Kantonen unumgänglich. In allen Kan-<br />
tonen braucht es runde Tische gegen Menschenhandel. Die Täter müssen<br />
härter bestraft werden. Die viel zu milden Strafen von maximal fünf<br />
Jahren Freiheitsentzug schrecken nicht ab. In den letzten zehn Jahren<br />
fanden im Durchschnitt übrigens gerade mal 6,6 Verurteilungen statt.<br />
«Es geht den Frauen doch immerhin besser als in ihrem Heimatland,<br />
wenn sie sich in der Schweiz prostituieren.» Wie antworten<br />
Sie auf diese gängige Aussage?<br />
Das ist eine typische Schutzbehauptung, mit der sich Männer reinwaschen<br />
und aus der Verantwortung ziehen. Wer eine solche Aussage<br />
macht, reduziert die Prostitution auf materielle Interessen. Dass jede<br />
Frau eine Seele hat, die verletzt werden kann, wird ausgeblendet.<br />
Dann stellen Sie es also in Abrede, dass es durchaus Frauen gibt,<br />
die sich aus freien Stücken prostituieren?<br />
Tatsache ist, dass ich in meinen zehn Jahren als Streetworkerin nicht eine<br />
reich gewordene und schon gar keine glückliche Frau getroffen habe. Natürlich<br />
wissen legale Prostituierte, worauf sie sich einlassen. Einige behaupten<br />
zumin<strong>des</strong>t zu Beginn, sich freiwillig zu prostituieren. Doch was heisst<br />
schon freiwillig? Laut Strafgesetzbuch ist Prostitution erst dann erzwungen,<br />
wenn Drohungen, Gewalt, Nötigung, Entführung, Täuschung oder<br />
Machtmissbrauch im Spiel sind. Was ist aber mit der Frau, die schlicht<br />
keine Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeit hat, extrem arm ist und eine<br />
Familie ernähren muss? Für mich geht auch das nicht unter Freiwilligkeit.<br />
Gerade in Osteuropa ist der Alkohol- und Drogenmissbrauch weit verbreitet.<br />
In unserem Schutzhaus in Moldawien betreuen wir ein Mädchen, das<br />
von seiner Mutter verkauft wurde, um ihre Alkoholsucht zu finanzieren.<br />
Gibt es noch andere Gründe ausser den finanziellen Nöten, die<br />
Frauen in die scheinbar «freiwillige» Prostitution treiben?<br />
80 bis 90 Prozent der «Freiwilligen» wurden im Kin<strong>des</strong>- und Jugendalter<br />
sexuell missbraucht. Diese Frauen haben nie gelernt, dass ihr Körper<br />
<strong>idea</strong> Spektrum 17.2013<br />
Bild: <strong>idea</strong>/Eveline Mergaert
6 BRENNPUNKT<br />
und ihre Sexualität ihnen gehören – sie haben ein völlig anderes körperliches<br />
Selbstverständnis. Wenn ihnen nun ein Mann Geld für einen<br />
Dienst anbietet, den sie bis anhin völlig selbstverständlich kostenlos<br />
erbringen mussten, tönt das für die Betroffenen verständlicherweise verlockend.<br />
Viele der jungen Frauen haben kein Selbstvertrauen. Jede Frau<br />
sehnt sich nach Liebe, Respekt und Geborgenheit. In der Prostitution<br />
erfährt sie aber nichts als Entwürdigung durch Männer, die sie als lebendiges<br />
Organ mieten, um sich für ein paar Minuten zu befriedigen.<br />
Was geschieht mit einer Frau, wenn sie schwanger wird?<br />
Im Falle einer Schwangerschaft ist je nach Zuhälter vom «in die Wüste<br />
schicken» der Frau über eine aufgezwungene Abtreibung, bis hin zum<br />
Verkauf <strong>des</strong> Neugeborenen an Organhändler oder Pädophilenringe alles<br />
möglich. Da es auch Männer gibt, die auf Sex mit Hochschwangeren<br />
stehen, deckt selbst eine schwangere Frau für den Zuhälter einen Markt<br />
ab, für den eine gewisse Nachfrage besteht.<br />
Die Zahl gehandelter Kinder ist laut UNO-Bericht seit 2006 von<br />
20 Prozent auf 27 Prozent im Jahr 2010 angestiegen. Welchen<br />
Einfluss hat die gesellschaftliche Einstellung zu Pornografie und<br />
Prostitution auf den Menschenhandel?<br />
Prostitution und Pornografie werden zunehmend von der Gesellschaft<br />
akzeptiert, normalisiert und legitimiert. Wer Pornokonsum ablehnt, gilt<br />
als prüder religiöser Fanatiker und vorgestriger Moralapostel, der ein<br />
verkorktes Verhältnis zur Sexualität hat. Täglich werden 2,5 Milliarden<br />
E-Mails mit sexuellem Inhalt verschickt. Seitensprungportale boomen,<br />
Geschlechtskrankheiten ebenso! Rund 350 000 Männer nehmen hierzulande<br />
wenigstens einmal im Jahr die Dienste einer Prostituierten in Anspruch.<br />
Kinderpornografie nimmt seit Jahren massiv zu. Täglich wird<br />
weltweit 116 000 Mal nach kinderpornografischen Webseiten gesucht.<br />
Nicht nur die Opfer der Sexindustrie werden immer jünger, sondern<br />
parallel dazu auch die Konsumenten: Das Durchschnittsalter beim ersten<br />
Pornokonsum sinkt stetig und liegt mittlerweile bei elf Jahren. Die<br />
11- bis 17-Jährigen gehören zu den grossen Konsumentengruppen.<br />
Welches sind die Folgen dieser gesellschaftlichen Entwicklung?<br />
Es entsteht ein immenser Schaden für die ganze Gesellschaft. Männer<br />
werden beziehungsunfähig, weil Pornografie ihre Denkweise über Sexualität<br />
manipuliert. Ihr Frauenbild wird «verpornisiert». Viele Männer<br />
müssen bereits in jungen Jahren therapiert werden, weil sie impotent<br />
sind. Frauen leiden unter dem steigenden Erwartungsdruck der Männer<br />
und sind verunsichert. Sie haben das Gefühl, nicht mehr zu genügen.<br />
In diesem Stress beginnen sie selber Pornos zu schauen, was sie noch<br />
mehr verunsichert: Den verfälschten Frauen in Pornofilmen kann niemand<br />
entsprechen. Die heute 11- bis 17-Jährigen werden bereits als «Generation<br />
Porno» bezeichnet: Durch den frühen Konsum noch in der<br />
Wachstumsphase wird die Struktur ganzer Gehirnregionen verändert.<br />
Die Entwicklung einer gesunden Sexualität wird verunmöglicht und<br />
Beziehungsunfähigkeit ist vorprogrammiert.<br />
... was letztendlich zur Zerstörung der Familien führt.<br />
Diese Konsequenz drängt sich auf, und verwundert kaum: Die Zerstörung<br />
der Familie ist das erklärte Ziel unseres Widersachers! Deshalb ist<br />
es dringend notwendig, dass wir seine Strategie erkennen und unsere<br />
Einstellung ändern: Wir dürfen wissen, dass wir Sieger und nicht Besiegte<br />
sind. Wir müssen mit der Perspektive leben, dass Gott grösser ist als<br />
alles, was uns in dieser Welt begegnet. Dies gilt auch für die Pornografie.<br />
Gemäss einer amerikanischen Studie konsumieren praktizierende<br />
Christen aber genauso viel Pornografie wie andere. Sind sie<br />
sich der Pornolüge zu wenig bewusst?<br />
Die Pornoindustrie ist eine gigantische Lüge, auf die auch Christen<br />
hereinfallen! Leider wird Pornografie gerade in christlichen Kreisen oft<br />
tabuisiert. Dadurch löst sich das Problem aber nicht in Luft auf – im Gegenteil!<br />
Es nimmt eher noch zu. Natürlich sind Pornografie und Menschenhandel<br />
kein angenehmes Thema. Ein ehemals pornosüchtiger Pastor<br />
sagte einmal treffend: «Du bist nur so krank wie deine Geheimnisse.»<br />
Wie können Christen effizient gegen Menschenhandel und<br />
Pornografie vorgehen?<br />
Zuerst müssen sie selbst davon frei werden, indem sie lernen, darüber<br />
zu reden, Geheimes ans Licht zu bringen und Gottes Vergebung in<br />
Anspruch zu nehmen. Gott vergibt gern! Ein Schlüssel liegt im Gebet.<br />
Die <strong>Christliche</strong> <strong>Ostmission</strong> hat das Nationale Gebetsnetz gegen<br />
Menschenhandel aufgebaut, <strong>des</strong>sen Newsletter per Post oder E-Mail<br />
abonniert werden kann. Auf politischer Ebene ist Unterstützung gefragt.<br />
Wirtschaftsförderprogramme in den Herkunftsländern der Opfer<br />
können unterstützt werden. Ein Beispiel ist «Romcom», womit in Rumänien<br />
ein Kleingewerbe von mehr als 1000 KMU aufgebaut und über<br />
10 000 Arbeitsplätze geschaffen wurden. Durch eine Patenschaft kann<br />
die oft Jahre dauernde Rehabilitation und Reintegration eines Opfers<br />
von Menschenhandel finanziert werden, die wir zum Beispiel in unserem<br />
Opferschutzhaus in Moldawien anbieten. Gerne unterstützen wir<br />
Gemeinden, die sich diesen Themen öffnen möchten.<br />
Wie schaffen Sie es, sich im Privatleben vom Elend zu distanzieren,<br />
mit dem Sie in Ihrem Berufsalltag stets konfrontiert sind?<br />
Mich berühren die einzelnen Schicksale nach wie vor und ich stosse<br />
auch manchmal an Grenzen. Wenn ich zum Beispiel am Sihlquai ein<br />
junges, tränenüberströmtes Mädchen erblicke, das gerade einen Kunden<br />
bedient hat, das Geld ihrem Zuhälter abgeben und sogleich beim<br />
nächsten Klienten ins Auto steigen muss, bin ich einfach nur wütend<br />
und verzweifelt. In meiner Freizeit lege ich Wert auf einen gesunden Ausgleich<br />
mit Familie und Freunden. Gott hat mich in diese Berufung gestellt<br />
und so darf ich von ihm erwarten, dass er mir täglich die Kraft gibt,<br />
die ich brauche. Bis jetzt tut er das auch, wofür ich sehr dankbar bin!<br />
Interview: EvElinE MErgaErt<br />
www.ostmission.ch<br />
«Ich lese täglich die Zeitung –<br />
und ‹<strong>idea</strong> Spektrum› gibt<br />
mir Orientierung.»<br />
Lesen Sie das Heft als gedruckte <strong>Ausgabe</strong>,<br />
als ePaper auf dem Computer, Tablet<br />
oder durchforschen Sie das Archiv<br />
auf unserer Website ... oder alles zusammen!<br />
Abonnieren über:<br />
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Aemmenmattstrasse 22, 3123 Belp<br />
Telefon 031 818 01 20, Fax 031 819 38 54<br />
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tagesschau 7<br />
neue botschafter von Gottes Liebe im bun<strong>des</strong>haus<br />
Gebet im bun<strong>des</strong>haus Wachablösung der seltenen Art während der Sondersession der eidgenössischen Räte:<br />
Annette Walder und Ernest Geiser sind neu «offizielle» Beter im Bun<strong>des</strong>haus. Sie ersetzen die verstorbene Maria<br />
Wyss und den Westschweizer Jean-Claude Chabloz. Dritter in «Gottes Wandelhallen-Lobby» bleibt Beat Christen.<br />
«Im Namen Gottes <strong>des</strong> Allmächtigen»:<br />
Mit diesem Aufruf beginnt<br />
die Bun<strong>des</strong>verfassung. Und<br />
im Auftrag dieses Allmächtigen<br />
verstehen sie ihren Gebetsdienst:<br />
Beat Christen seit 1992, Jean-<br />
Claude Chabloz seit 1999, Annette<br />
Walder und Ernest Geiser<br />
seit einer Woche. Im Bun<strong>des</strong>haus<br />
erklärten sie nun, was es für sie<br />
heisst, zu Gottes Lobby im Parlament<br />
zu zählen.<br />
Beat Christen: Den Ausdruck<br />
«Lobbyist <strong>des</strong> lieben Gottes» hat<br />
1979 der Gewerkschafter Ernst<br />
Leuenberger geprägt. Er hatte<br />
verstanden, dass ich das Reich<br />
Gottes im Bun<strong>des</strong>haus repräsentieren<br />
möchte.<br />
Jean-Claude Chabloz: Ich verstand<br />
mich hier im Bun<strong>des</strong>haus weniger<br />
als Lobbyist, sondern als einer,<br />
der die Gnade Gottes weitergeben<br />
möchte.<br />
Ernest Geiser: Ich zähle mich nun<br />
zu einer Gruppe, die sich im Bun<strong>des</strong>haus<br />
einsetzt mit Gebet und<br />
Gesprächen und die Gott bezeugen<br />
möchte.<br />
Annette Walder: Ich möchte einfach<br />
eine Botschafterin sein, ein<br />
Brief von Gottes Liebe hier im<br />
Bun<strong>des</strong>haus.<br />
Wie haben sie sich auf ihren neuen<br />
dienst vorbereitet?<br />
Annette Walder: Vor allem im Gebet.<br />
Gott sagt in den Sprüchen, er<br />
wolle Herzen lenken wie Wasserbäche,<br />
auch das Herz <strong>des</strong> Königs.<br />
So möchte ich im Gebet dazu<br />
beitragen, dass Gottes Wille geschieht.<br />
Ernest Geiser: Seit vielen Jahren<br />
pflege ich das Gebet für die Obrigkeit.<br />
Ich sage seit Langem auch,<br />
dass ich in einer Hand die Bibel<br />
halten will und in der andern die<br />
Zeitung. Dieses Spannungsfeld<br />
hat mir stark geholfen in dieser<br />
Vorbereitung.<br />
auf welches biblische Wort stützen<br />
sie sich?<br />
Annette Walder: Zuerst auf 1. Timotheus<br />
2, Verse 1 und 2, wo<br />
wir aufgefordert werden, für die<br />
Autoritäten zu beten. Dann aber<br />
auch auf Sprüche 30,28 im Sinne<br />
<strong>idea</strong> Spektrum 17.2013<br />
Sie beten im Bun<strong>des</strong>haus (von links): Beat Christen, Annette Walder<br />
(neu), Ernest Geiser (neu), Jean-Claude Chabloz (verabschiedet sich).<br />
der kleinen Eidechse, die in den<br />
Königspalästen ist.<br />
Ernest Geiser: Ich denke an das<br />
Wort von Jesus in der Bergpredigt,<br />
wir sollten Salz und Licht<br />
der Erde sein (Matthäus 5,13-14).<br />
sie gelten laut «tages-anzeiger»<br />
als «exotische interessenvertreter».<br />
Wessen interessen vertreten sie<br />
denn in erster Linie?<br />
Beat Christen: Ich vertrete die Werte<br />
<strong>des</strong> Reiches Gottes.<br />
Jean-Claude Chabloz: Ich bin ein<br />
Christ, das heisst dass Christus<br />
in mir wohnt. Ich wollte im Bun<strong>des</strong>haus<br />
immer in erster Linie<br />
Jesus vertreten, aber ich vertrat<br />
auch die Evangelikalen und das<br />
Welschland.<br />
Annette Walder: Ich will die Interessen<br />
der Bibel vertreten, die Botschaft<br />
<strong>des</strong> Sieges von Golgatha.<br />
Ernest Geiser: Ich denke an die<br />
Wurzeln unserer Gesellschaft<br />
und die christlichen Werte. Dazu<br />
haben wir viel zu sagen.<br />
ihre Vision als Gottes Lobbyist im<br />
bun<strong>des</strong>haus?<br />
Jean-Claude Chabloz: Viele Politiker<br />
mögen zu Gott finden. Ich<br />
kämpfte nicht für eine Gemeinde<br />
oder für eine Partei, sondern für<br />
Jesus.<br />
Beat Christen: Ich sehe in der Bibel,<br />
dass sich ein Volk dann Gott<br />
zuwendet, wenn sich die Regierung<br />
an Gott wendet. Meine Vision<br />
sind darum Politiker, die sich<br />
direkt an Gott wenden und mit<br />
ihm kommunizieren.<br />
Ernest Geiser: Mitten in den Fragen,<br />
die hier behandelt werden,<br />
möge Hoffnung aufkommen.<br />
Gott möge im Bun<strong>des</strong>haus die<br />
Herzen leiten und führen.<br />
Annette Walder: Meine Vision<br />
ist, dass hier wirklich mit Gottes<br />
Hilfe regiert wird. Als jetzt die<br />
Session begann, hat es geklingelt.<br />
Da dachte ich: Jetzt wäre doch<br />
ein Gebet dran! Der praktizierte<br />
christliche Glaube möge wieder<br />
eine Selbstverständlichkeit werden<br />
in der Politik.<br />
Was erwarten sie von der Präsenz<br />
Gottes im bun<strong>des</strong>haus?<br />
Annette Walder: Gott hat gute Gedanken<br />
und gute Pläne für unser<br />
Land. Ich erwarte darum, dass<br />
sein Wille geschieht! Er wird auch<br />
unsere Politiker benützen, damit<br />
sein Heilsplan in unserm Land<br />
Realität werden kann.<br />
Ernest Geiser: Ich erwarte, dass<br />
Gott auch in den Herzen der Politiker<br />
gegenwärtig ist und dass die<br />
Stimme Gottes gehört wird.<br />
Beat Christen: Ich will niemanden<br />
hier bekehren. Das ist Chefsache!<br />
Ich erwarte, dass Gott selber<br />
sichtbar handelt.<br />
Jean-Claude Chabloz: Gottes Gegenwart<br />
möge uns zurückführen<br />
zu unsern Wurzeln und zu unserer<br />
Berufung, damit wir auch für<br />
andere Nationen zum Segen werden<br />
können.<br />
herr Chabloz, welches ist ihr Fazit zu<br />
ihrem langjährigen dienst im bun<strong>des</strong>haus?<br />
Welche «Frucht» sehen sie?<br />
Jean-Claude Chabloz: Es ist nicht<br />
einfach, Früchte zu benennen.<br />
Doch es gibt einige Politiker, die<br />
Schritte zu Gott hin gemacht haben.<br />
So sagte mir ein Parlamentarier,<br />
er sei jetzt auf dem Weg zu<br />
Jesus. Und es berührt mich, dass<br />
vermehrt Kirchen und Gemeinden<br />
Interesse zeigen an dem, was<br />
wir hier im Bun<strong>des</strong>haus für unser<br />
Land tun.<br />
Gesprächsleitung:<br />
ANDREA VONLANTHEN<br />
sie beten während der session<br />
Annette Walder (55), Maur ZH, folgt als Beterin auf die nach schwerer Krankheit<br />
verstorbene Maria Wyss. Die gelernte Dolmetscherin für Englisch und<br />
Russisch leitet das Gebetsnetz Deutschschweiz bei «Gebet für die Schweiz».<br />
Zu ihrer Berufung sagt sie: «Selber wäre ich nie auf diese Idee gekommen.<br />
Beat Christen hat mich nach dem Tod von Maria Wyss angefragt. Ich sagte<br />
zuerst ab, doch er hat insistiert. Gleichzeitig wurde ich auch von anderer<br />
Seite angesprochen: ‹Warum gehst du eigentlich nicht ins Bun<strong>des</strong>haus?› Ich<br />
wollte dann von Gott eine klare Zusage, und er hat sie mir gegeben.»<br />
Ernest Geiser (62), Tavannes BE, ersetzt den 72-jährigen Jean-Claude Chabloz<br />
aus Vionnaz VS. Der diplomierte Agroingenieur und Theologe ist Pastor<br />
in Tavannes. Zu seiner Berufung: «Als ich 20 Jahre alt war und erstmals abstimmen<br />
konnte, gab es die grossen Diskussion um die Zukunft <strong>des</strong> Berner<br />
Jura. Ich habe damals gespürt, wie wichtig es ist, dass man sich mit der Politik<br />
beschäftigt und auch dafür betet. Das hat mich geprägt und mir dann<br />
auch die Antwort erleichtert, als ich für diesen Dienst angefragt wurde.»<br />
Beat Christen (67), bleibt als dritter Beter im Bun<strong>des</strong>haus. Seit 1992 in diesem<br />
Dienst, wirkt er heute auch als Generalsekretär der Parlamentarischen<br />
Gruppe «Christ und Politik».<br />
Bild: Andrea Vonlanthen
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seit 17 Jahren pensioniert. «Im Reich Gottes gibts jeden Tag zu tun», ist Alfred Gerber aus<br />
Ebnat-Kappel SG überzeugt. Seine Bibellesehilfen erscheinen als «geistlicher Brotkorb».<br />
«Sönd willkomm!» Alfred und<br />
Martha Gerber empfangen mich<br />
vor dem Treppenhaus. «Äs gaaht<br />
obsi!», weist Martha den Weg.<br />
Segen aus der Stille mit Gott<br />
Auf dem grossen Stubentisch stehen<br />
die beiden ersten Exemplare<br />
der «Brotkörbe». «Die Idee dazu<br />
entstand in der persönlichen stillen<br />
Zeit», erklärt Alfred Gerber.<br />
Er beschäftigt sich täglich min<strong>des</strong>tens<br />
zwei Stunden mit der<br />
Bibel und dem Gebet. Zusätzlich<br />
tauscht das Ehepaar zweimal pro<br />
Tag über gemeinsam gelesene Bibeltexte<br />
aus.<br />
Ein «Brotkorb» beinhaltet etwas<br />
über 90 A4-Blätter mit jeweils<br />
vier «Tagesportionen». Pro Tag<br />
wird eine Bibelstelle zitiert und<br />
ausgelegt. Das jeweilige Thema,<br />
etwa Leben, Freude, Sorgen, Tränen,<br />
Ruhe, Wachen, Gnade oder<br />
Wachstum, wird oft über mehrere<br />
Tage behandelt. Gerber: «Von<br />
Anfang an ging es mir darum,<br />
ein Thema auszuschöpfen und<br />
für das Leben verständlich zu<br />
machen. Die Breite der Thematik<br />
und die Tiefe der Auslegung waren<br />
mir sehr wichtig.»<br />
Selber Korrektur erfahren<br />
Der erste «Brotkorb» entstand<br />
vor etwa sieben Jahren. Er ist<br />
heute noch im Familien- und<br />
Freun<strong>des</strong>kreis und in christlichen<br />
Gemeinden im Gebrauch.<br />
Die Nachfrage war da, und so<br />
entstand bald darauf «Brotkorb»<br />
Nummer 2. «Beide sind jederzeit<br />
kopierbar», erklärt Alfred Gerber.<br />
Die anregenden Gedanken kommen<br />
aus dem Fundus eines erfüllten<br />
Lebens. «Ich durfte immer<br />
wieder selber Kraft, Mut und<br />
Korrektur aus der Stille mit Gottes<br />
Wort schöpfen», bezeugt der<br />
Autor. «Davon möchte ich weitergeben.»<br />
Ein bewegtes, erfülltes Leben<br />
Alfred Gerber ist ein «Spätberufener».<br />
Er machte Predigervertretungen,<br />
Kinder- und Jugendarbeit<br />
und erledigte viele andere Aufgaben<br />
in der Gemeinde, bevor er<br />
mit 43 Jahren ein zweijähriges<br />
Möchten ihre geistlichen Erfahrungen mit anderen teilen: Das nun<br />
pensionierte Predigerehepaar Martha und Alfred Gerber.<br />
Theologiestudium begann. «Die<br />
Praxiserfahrung im Laiendienst<br />
wurde angerechnet. Ich war nur<br />
zwei Jahre auf dem ‹Berg›», schaut<br />
der frühere Verwalter einer landwirtschaftlichen<br />
Genossenschaft<br />
auf die Zeit auf St. Chrischona<br />
zurück. Martha Gerber leitete<br />
während vielen Jahren eine Konsumfiliale.<br />
Zwei Kinder waren damals<br />
schon in einer Berufslehre,<br />
der Jüngste ging noch zur Schule.<br />
«Wir haben Gott wunderbar erlebt»,<br />
bestätigt das Paar.<br />
Alfred Gerber stand mit seiner<br />
Frau während 20 Jahren im<br />
vollzeitlichen Dienst in Ebnat-<br />
Kappel/Nesslau, Stäfa und Winterthur.<br />
«Der Herr führte uns interessante<br />
Wege. Oft ‹im Zickzack<br />
ume›», schmunzelt der Senior.<br />
400 Tage «Geburtswehen»<br />
Und nun entsteht «Brotkorb»<br />
Nummer 3, neu mit Illustrationen.<br />
«Die Produktionszeit<br />
beträgt rund 400 Tage», verrät<br />
Alfred Gerber. Er durchforstet<br />
nochmals seine zahlreichen Bibelarbeiten<br />
und zerlegt diese in<br />
einzelne Tagesportionen.<br />
Was motiviert den 82-Jährigen<br />
dazu? «Es ist die Freude am unerschöpflichen<br />
Reichtum in Gottes<br />
Wort», sagt er mit Überzeugung.<br />
Der Glaube trägt durch<br />
Das «Bhüet Sie Gott!» beim Abschied<br />
kommt Martha und Alfred<br />
Gerber aus tiefstem Herzen.<br />
Selbst wenn die Treppe nach<br />
unten führt und es in ihrem Leben<br />
oft auch durchs dunkle Tal<br />
gegangen ist: «Äs gaaht obsi!» Ihr<br />
Glaube an einen allmächtigen<br />
Herrn hat die beiden bis heute<br />
durchgetragen.<br />
THOMAS FEUZ<br />
Kontakt: A. und M. Gerber, 071 993 27 32<br />
Von der «rechten Speise» aus Gottes Wort<br />
Alfred Gerber lernte schon als Verwalter<br />
einer landwirtschaftlichen<br />
Genossenschaft die Wichtigkeit der<br />
geistlichen «Speise» kennen. Von<br />
seinen Predigten gab er jeweils eine schriftliche Zusammenfassung ab –<br />
«wahrscheinlich als einer der ersten überhaupt.» Mit seinen «geistlichen<br />
Brotkörben» will Gerber «Schwarzbrot» weitergeben. Der Begriff «Ich»<br />
kommt darin nicht vor. Der Autor: «Das Wort Gottes selber soll reden!»<br />
Porträt | tAGESSCHAU 9<br />
JOURNAL<br />
SAM: Spuren <strong>des</strong> Himmels<br />
Hinter dem Jahresthema der<br />
Schweizer Allianz Mission (SAM)<br />
steht ein Fragezeichen: «Himmel<br />
auf Erden?» Am Jahresfest auf St.<br />
Chrischona erfuhren die über 300<br />
Gäste, was in den Einsatzländern<br />
der SAM momentan passiert, etwa<br />
in Brasilien, Angola oder China.<br />
Und manche helfen demnächst an<br />
einem Einsatz mit, damit aus dem<br />
Fragezeichen ein Ausrufezeichen<br />
wird. Die SAM überwies zudem<br />
spontan einen ersten Betrag von<br />
20‘000 Franken an ein Partnerwerk<br />
in China, um möglichst schnelle<br />
Hilfeleistungen im Erdbebebengebiet<br />
von Sichuan zu ermöglichen.<br />
Spenden: PC-Konto: 84-1706-5,<br />
Vermerk: «Erdbeben China». (<strong>idea</strong>)<br />
– www.sam-info.org<br />
Initiative abgelehnt<br />
Der Nationalrat lehnte die Volksini-tiative<br />
«Abtreibungsfinanzierung<br />
ist Privatsache» mit 130 zu<br />
29 Stimmen ab. Elvira Bader, Co-<br />
Präsidentin <strong>des</strong> Initiativkomitees,<br />
bleibt trotzdemn zuversichtlich.<br />
Die Initiative stosse derzeit bei einer<br />
Mehrheit der Bevölkerung auf<br />
Zustimmung. (<strong>idea</strong>)<br />
Keine Herdprämie für Mütter<br />
Der Nationalrat lehnt die Familieninitiative<br />
der SVP ab. Diese verlangt,<br />
dass Eltern, die ihre Kinder selbst<br />
betreuen, min<strong>des</strong>tens gleich hohe<br />
Steuerabzüge machen können wie<br />
berufstätige Eltern, die ihre Kinder<br />
fremdbetreuen lassen. Ebenfalls<br />
abgelehnt wurde ein Rückweisungsantrag<br />
von Marianne Streiff<br />
(EVP). Sie schlug höhere Kinderabzüge<br />
vor, wodurch ein spezieller<br />
Fremdbetreuungsabzug nicht<br />
mehr nötig gewesen wäre. (<strong>idea</strong>)<br />
Vier Grundkompetenzen<br />
Wie werden theologische Ausbildungsstätten<br />
den ändernden Anforderungen<br />
an das Berufsbild <strong>des</strong><br />
Pastors gerecht? Rund 30 Dozenten<br />
der theologischen Hochschulen<br />
Tabor und Liebenzell sowie <strong>des</strong><br />
Theologischen Seminars (tsc) suchten<br />
auf St. Chrischona Antworten.<br />
Michael Diener, Referent und Präses<br />
<strong>des</strong> Evangelischen Gnadauer<br />
Gemeinschaftsverbands, plädierte<br />
dafür, vier Grundfähigkeiten zu<br />
vermitteln: theologische, missionarische,<br />
soziale und Leitungskompetenz.<br />
(<strong>idea</strong>)<br />
<strong>idea</strong> Spektrum 17.2013<br />
Bilder: <strong>idea</strong>/tf
10 TAGESSCHAU<br />
Wie setzen Kirchen ein Zeichen der hoffnung?<br />
Missionale Theologie Es gibt sie, die Kirchen, die heute in der Schweiz zeitgemäss und gesellschaftsrelevant die<br />
Mission Gottes an ihrem Ort leben. Ermutigende Beispiele am IGW-Studientag «Zeichen der Hoffnung» zeugten davon.<br />
140 Studierende <strong>des</strong> Instituts für<br />
Weltmission und Gemeindebau<br />
(IGW), Leiter und Mitarbeiter von<br />
Kirchen konnten sich am 19. April<br />
in der EMK in Hunzenschwil<br />
AG davon überzeugen: Kirche<br />
ist kein Auslaufmodell, sie ist die<br />
Hoffnung der Welt. Dass Kirche<br />
Zukunft hat, machten fünf Beispiele<br />
von Genf bis Kreuzlingen<br />
TG deutlich: Sie alle haben konkrete<br />
Schritte der Mission Gottes<br />
gewagt. Aus Liebe zum Nächsten<br />
sind sie mit Freude, Begeisterung,<br />
Mut und Erfolg für die Bevölkerung<br />
an ihrem Ort ein Zeichen<br />
der Hoffnung. Sie löschen soziale<br />
Brandherde, setzen sich für mehr<br />
Gerechtigkeit ein, bekämpfen Armut,<br />
fördern die Integration von<br />
Ausländern, schaffen Gemeinschaft<br />
und bringen Menschen Liebe<br />
und Wertschätzung entgegen.<br />
Johannes Reimer, Sabrina Müller, Thomas Schlag und Thomas Dauwalter<br />
(von links) sehen die Kirche als Hoffnungsträgerin.<br />
Kirche zu sein ist ein entscheid<br />
Gott sei der grosse Weltmissionar,<br />
der sich seit jeher auf seiner Suchaktion<br />
nach Menschen all jenen<br />
zuwandten, die sein Volk sein wollten,<br />
erklärte Thomas Dauwalter,<br />
Pastor und Dozent für praktische<br />
Theologie. Durch seine Kirche,<br />
ihren Lebensstil und den Umgang<br />
miteinander sollte Gott verherrlicht<br />
und für andere Menschen erlebbar<br />
und sichtbar werden. «Die<br />
Kirche eines missionarischen Gottes<br />
kann sich nicht für oder gegen<br />
die Mission entscheiden. Sie kann<br />
sich nur entscheiden, ob sie Kirche<br />
sein will oder nicht», so Dauwalter.<br />
Jeder Gemeinde müsse daran<br />
gelegen sein, Gottes Grossaktion<br />
<strong>des</strong> allumfassenden Weltfriedens,<br />
den grossen «Shalom», mitzutragen,<br />
der beim Herrschaftswechsel<br />
weg von der Regierung <strong>des</strong> Menschen<br />
hin zur Regierung Gottes<br />
Realität werde. Dass die Gemein-<br />
de im nachchristlichen Europa<br />
entweder leidenschaftlich oder<br />
nicht sein wird, davon ist Thomas<br />
Schlag, Theologieprofessor der<br />
Universität Zürich, überzeugt:<br />
«Wenn eine politische Gemeinde<br />
sagt: ‹Wenn ihr nicht mehr da<br />
wärt, würde etwas fehlen›, dann<br />
hat die christliche Gemeinde<br />
Gottes Gnade spürbar gemacht.»<br />
evangelium und Kultur im Dialog<br />
Sabrina Müller, Pfarrerin in Bäretswil<br />
ZH und Doktorandin an<br />
der Universität Zürich zeigte anhand<br />
mehrerer Beispiele, wie die<br />
Kirche in England auf unkonventionelle<br />
Art auf die Menschen zugeht<br />
und auch solchen eine Heimat<br />
bietet, die nicht mehr oder<br />
noch nie etwas mit der Kirche zu<br />
tun hatten. «Damit Gottes frohe<br />
Botschaft bei den Menschen<br />
ankommt, ist das Gespräch zwischen<br />
dem Evangelium und der<br />
Kultur der Menschen ein Muss»,<br />
erklärte Johannes Reimer, Professor<br />
für Missionswissenschaften.<br />
EvElinE MErgaErt<br />
ein Dossier gegen die angst vor Wohlstandsverlust<br />
gesellschafT Die Abhängigkeit von Mammon, dem Gott <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>, sei eines der zentralen Probleme der Schweiz.<br />
So lautet die Analyse <strong>des</strong> Soziologen und Vorstandsmitglie<strong>des</strong> <strong>des</strong> Netzwerks ChristNet, Markus Meury.<br />
Zusammen mit fünf weiteren Autoren<br />
<strong>des</strong> gesellschaftspolitisch<br />
aktiven christlichen Netzwerks<br />
stellte Meury am Samstag in<br />
Bern die aktualisierte Fassung <strong>des</strong><br />
«Mammon-Dossiers» vor.<br />
aus angst vor Verlust<br />
In den Köpfen der Schweizer sitze<br />
immer noch die «Hungerökonomie»<br />
vergangener Jahrhunderte.<br />
Daher locke die Schweiz – im<br />
Bestreben, ihren Wohlstand zu<br />
sichern und aus Angst vor Reichtumsverlust<br />
– die Multis der Rohstoffbranche<br />
und andere Konzerne<br />
an.<br />
Mammonpolitik gescheitert<br />
Das Bankgeheimnis sei zum<br />
Zweck der Steuerhinterziehung<br />
geschaffen worden und diene weiterhin<br />
– trotz Fortschritten – dem<br />
Verstecken von Steuerfluchtgeldern.<br />
Gleichzeitig steige der<br />
Druck auf die Arbeitnehmenden.<br />
Sie müssten immer mehr leisten,<br />
während soziale Standards unter<br />
dem Druck <strong>des</strong> Steuerwettbewerbs<br />
abgebaut würden, wie weitere<br />
Referenten betonten. Doch<br />
das Scheitern der Mammonpolitik<br />
sei heue offenkundig, davon<br />
ist ChristNet überzeugt.<br />
aufruf zur Bescheidenheit<br />
ChristNet begegnet den analysierten<br />
Problemen mit verschiedenen<br />
Mitteln. Es fordert die<br />
Christen auf, ins Reich Gottes<br />
zu investieren und mit einem<br />
bescheidenen Lebensstil ein Vorbild<br />
zu sein. Die christlichen Gemeinden<br />
werden aufgerufen, sich<br />
von der Geldlogik abzuwenden<br />
und auf Barmherzigkeit und Gerechtigkeit<br />
zu setzen.<br />
schuldbekenntnis<br />
Die Mitglieder <strong>des</strong> Netzwerks<br />
klagen aber nicht nur an, sondern<br />
stellen sich selbst unter die<br />
Schuld, welche durch die «Politik<br />
<strong>des</strong> Mammons» verursacht werde.<br />
Diesmal mit einem Gebet vor<br />
dem Bun<strong>des</strong>haus, dem Ballungszentrum<br />
von politischer und<br />
monetärer Macht. Es beinhaltete<br />
neben dem Schuldbekenntnis die<br />
Fürbitte für die Verantwortlichen<br />
in Politik und Finanzwesen.<br />
Fritz iMhoF<br />
Das ChristNet-Dossier, verfasst von 14<br />
Autoren, kann gegen einen freiwilligen Unkostenbeitrag<br />
von Fr. 12.00 bestellt werden<br />
bei: samuel.ninck@christnet.ch<br />
Gebet beim Bun<strong>des</strong>haus.<br />
Bilder: <strong>idea</strong>/Eveline Mergaert; Fritz Imhof<br />
<strong>idea</strong> Spektrum 17.2013
ein ex-Manager auf neuer Mission<br />
hilfSprojekT Die reformierte Gellertkirche Basel engagiert sich seit zehn Jahren<br />
in Uganda. Ein pensionierter Manager fand dadurch eine zweite Berufung.<br />
Paul Walliser reiste sein ganzes<br />
Berufsleben lang als Manager eines<br />
bekannten Pharmaunternehmens<br />
um die Welt. Inzwischen ist<br />
der Basler pensioniert und geht<br />
immer noch auf Reisen – wenn<br />
auch unter etwas anderen Vorzeichen.<br />
Der praktizierende Christ<br />
ist aktives Mitglied der reformierten<br />
Gellertkirche in Basel.<br />
Vor genau zehn Jahren ging die<br />
Gellertkirche eine Partnerschaft<br />
mit einer kleinen Gemeinde in<br />
Mbale, Uganda ein. Der Verein<br />
«Together for Uganda» wurde<br />
gegründet.<br />
Schule für 250 Schüler<br />
Aus kleinen Anfängen ist inzwischen<br />
ein ausgewachsenes Hilfsprojekt<br />
entstanden. Unter anderem<br />
wurde eine Schule gebaut, in<br />
der heute 250 Schüler ganztägig<br />
versorgt und betreut werden. Das<br />
Besondere an dem Projekt ist,<br />
dass sich viele Gemeindeglieder<br />
der Gellertkirche aktiv und auf<br />
eigene Kosten daran beteiligen.<br />
Ein Architekt sorgte etwa dafür,<br />
dass das Schulgebäude fast schon<br />
Schweizer Standards genügt. Je<strong>des</strong><br />
Jahr reist ein Team nach Mbale<br />
und unterstützt die Menschen<br />
vor Ort. Im Jahr 2005 ging auch<br />
Theologie: SchnupperSTudienTag bei der STh baSel<br />
Wissen, glauben, schauen<br />
Am 20. April bot die Staatsunabhängige<br />
Theologische Hochschule (STH<br />
Basel) einen herzlichen Empfang für<br />
potentielle Neustudierende. Sechs<br />
Vorlesungen gaben Einblick, wie<br />
Glauben und Wissen zusammengehören.<br />
Das akademische Studium<br />
an der privaten theologischen Hochschule<br />
ist bezüglich der Lerninhalte<br />
und Anforderungen mit demjenigen<br />
an theologischen Fakultäten Schweizer<br />
Universitäten vergleichbar. Anders<br />
als an staatlichen Institutionen<br />
setzt die STH das göttlich inspirierte<br />
Selbstzeugnis der Heiligen Schrift<br />
jedoch voraus. Herausgefordert von<br />
Matthäus 22, Vers 29, wo Jesus den<br />
Sadduzäern sagt: «Ihr irrt, weil ihr<br />
Paul Walliser in Uganda: «Wie ein Virus, der mich gepackt hat.»<br />
Paul Walliser mit nach Uganda –<br />
eigentlich nicht mit der Absicht,<br />
dass sich das wiederholen würde.<br />
bereits achtmal in afrika<br />
Inzwischen ist der 70-Jährige bereits<br />
achtmal in Mbale gewesen.<br />
«Es ist wie ein Virus, der mich gepackt<br />
hat», erklärt er. Durch seine<br />
Erfahrung mit anderen Kulturen<br />
kann der Ex-Manager immer<br />
wieder Brücken zu den Einheimischen<br />
schlagen. Gemeinsam mit<br />
seiner Frau führte er etwa einen<br />
Ehekurs durch. Die Möglichkeit,<br />
den Menschen etwas weitergeben<br />
zu können, begeistert ihn immer<br />
weder die Schriften noch die Kraft<br />
Gottes kennt», sollen Wunder nicht<br />
einfach weggedeutet, sondern soll<br />
in den Schriften geforscht werden,<br />
um sie zu verstehen. Damit versucht<br />
die STH eine im Vergleich<br />
zu den staatlichen Fakultäten der<br />
deutschsprachigen Welt alternative<br />
Form von Theologie zu ent <br />
wickeln. Wer der Heiligen Schrift<br />
mit Offenheit und Respekt begegne<br />
und die Bibel im Sinn <strong>des</strong><br />
Zweiten Helvetischen Bekenntnisses<br />
als «das wahre Wort Gottes»<br />
betrachtet, müsse seinen Verstand<br />
<strong>des</strong>wegen nicht an der Garderobe<br />
abgeben: «Wer so glauben will, wie<br />
er weiss, der will Anfechtungen aus<br />
wieder. Dabei erlebt er, dass die<br />
Bibel als gemeinsame Basis ein<br />
Verstehen über kulturelle Grenzen<br />
hinweg möglich macht.<br />
Wenn er gefragt werde, ob die Armut<br />
vor Ort ihn nicht schockiere<br />
entgegnet Walliser: «Den Schock<br />
bekomme ich meist erst, wenn<br />
ich mich hier wieder zwischen 30<br />
Müslisorten entscheiden muss.»<br />
Seinen nächsten Trip hat der Ruheständler<br />
bereits geplant. Zu alt<br />
fühlt er sich nicht, im Gegenteil,<br />
gerade wegen seines Alters begegnen<br />
ihm die Afrikaner mit grossem<br />
Respekt.<br />
christof bauernfeind<br />
seinem Leben verbannen», sagte<br />
Johannes Schwanke, Professor für<br />
systematische Theologie. «Glauben<br />
heisst, die Grenzen <strong>des</strong> Wissens<br />
zu kennen. Die Steigerung<br />
<strong>des</strong> Glaubens ist nicht das Wissen,<br />
sondern das Schauen.»<br />
eveline MerGaert<br />
www.sthbasel.ch<br />
tagesschau 11<br />
ÄXgÜSi<br />
Was bleibt?<br />
To<strong>des</strong>anzeigen sind faszinierend.<br />
Sie zeigen, was einem Menschen<br />
wichtig war und was am Ende<br />
seines Lebens übrig bleibt. Anfangs<br />
Jahr war ich an einer Beerdigung.<br />
Der Mann war Vater, Grossvater,<br />
Jäger, Sänger, Bläser. Er hatte eine<br />
Firma, war erfolgreich. Mit Gott<br />
hatte er nicht viel am Hut. Was<br />
der Pfarrer sagte war leer, aber<br />
vermutlich ehrlich.<br />
In diesen Tagen starb eine Freundin<br />
unserer Familie – sie starb<br />
menschlich gesehen (zu) früh. Sie<br />
hatte eine gescheiterte Ehe hinter<br />
sich, weder Kinder noch Enkel. Sie<br />
war gesundheitlich eingeschränkt.<br />
Doch welch ein Kontrast zum<br />
eingangs erwähnten Mann!<br />
Sie war von Gott gehalten, eine<br />
dankbare Person, eine Beterin.<br />
Die Worte, die sie beim letzten<br />
Besuch <strong>des</strong> Predigers noch schwach<br />
über die Lippen brachte, waren:<br />
«Danke, danke!» Danke, obschon<br />
ihr Leben viele Schatten hatte.<br />
Auch uns bleibt Dankbarkeit.<br />
Wir können nur erahnen, wie viel<br />
Segen wir als Familie dieser Frau<br />
zu verdanken haben, wie sehr sie<br />
durch ihre Gebete dazu beigetragen<br />
hat, dass wir in schwierigen<br />
Zeiten nicht mutlos wurden. Gott<br />
sammelte ihre Gebete als Räucherwerk<br />
in goldene Schalen, so lesen<br />
wir es in der Offenbarung.<br />
Für mich bleibt die Frage: Was<br />
bleibt von meinem Leben übrig,<br />
wenn ich «nach Hause» gehe?<br />
Was werden die Menschen<br />
über mich in der To<strong>des</strong>anzeige<br />
schreiben? Welches Erbe hinterlasse<br />
ich – nicht materiell, sondern<br />
geistlich? Mose betete: «Lehre uns<br />
bedenken, dass wir sterben müssen,<br />
auf dass wir klug werden.» Das<br />
letzte Hemd hat bekanntlich keine<br />
Taschen, aber der Himmel eine<br />
Schatzkammer. Dort sind Schätze<br />
sicher. Sie können ohne Risiko<br />
deponiert werden, dort gibt es<br />
weder Abzocker,<br />
noch drohende<br />
Inflation. Wer<br />
dort investiert,<br />
ist klug!<br />
helena<br />
Gysin<br />
Die Autorin ist Familienfrau und Sekretärin<br />
der Baptistengemeinde Bülach.<br />
<strong>idea</strong> Spektrum 17.2013<br />
Bilder: zvg; <strong>idea</strong>/Eveline Mergaert
12 Inserate<br />
Fundierte Aus- und Weiterbildung<br />
für Theologie und Leiterschaft<br />
Betreute<br />
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BTH UND MTH MIT SATS<br />
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SCESAP LANA<br />
<strong>idea</strong> Spektrum 17.2013
forum 13<br />
SYNERGIE<br />
Das unterschlagene<br />
Königreich<br />
Jüngst bin ich über einen Übersetzungsfehler<br />
gestolpert. Und dass er<br />
während über 40 Jahren meines<br />
Lebens von mir unbemerkt blieb,<br />
hat mich ziemlich irritiert. Es<br />
handelt sich nicht um eine Lappalie,<br />
sondern um ein Wort, das im Neuen<br />
Testament über 150-mal und auch<br />
im «Unser Vater» vorkommt. Um<br />
einen unverzichtbaren Kerngehalt<br />
<strong>des</strong> Glaubens also, <strong>des</strong>sen Unterschlagung<br />
uns nicht wirklich bewusst<br />
ist. Luther und Co. übersetzen<br />
es konsequent mit «Reich», «Reich<br />
Gottes» oder «Himmelreich». Im<br />
Urtext steht aber immer «basileia»,<br />
welches von «basileus» kommt, was<br />
wiederum «König» bedeutet.<br />
Auch wenn theoretisch klar ist, dass<br />
wir es bei Jesus mit einem König zu<br />
tun haben, gibt keine mir bekannte<br />
deutsche Bibelausgabe «basileia»<br />
korrekt mit «Königreich» wieder.<br />
Buch und Beamer<br />
«<strong>idea</strong> Spektrum» Nr. 16 – Choräle oder<br />
Lobpreislieder im Gottesdienst?<br />
Meine Antwort auf die Frage im Titel<br />
lautet: Bei<strong>des</strong>. In unserer generationenübergreifenden<br />
Gemeinde (EGW<br />
Biel) ist sozusagen alles möglich,<br />
vorausgesetzt, man will Gott damit<br />
dienen und ihm gefallen. Wir haben<br />
eine Kleinorgel und einen Flügel im<br />
Gottesdienstraum. Ich bin selber<br />
pensionierte Organistin und spiele<br />
ein- bis zweimal pro Monat im Gottesdienst<br />
Eingangs-, Zwischen- und<br />
Ausgangsspiel, wie früher. Ansonsten<br />
leiten verschiedene Teams den<br />
modernen Lobpreis. Wir haben auch<br />
traditionelle Liederbücher, aus denen<br />
wir jeweils ein bis zwei Lieder singen.<br />
Da es vermutlich wenige Menschen<br />
gibt, denen jeder Stil gefällt,<br />
führt dies zu Toleranz und Respekt<br />
voreinander. Schade, dass das nicht<br />
mehr praktiziert wird.<br />
SuSan WieSmann, Biel BE<br />
Evolution unbewiesen<br />
Andere Nationen haben (oder hatten)<br />
mit Königen seit jeher weniger<br />
Mühe, allen voran die Engländer,<br />
bei denen sowohl für das «Reich» als<br />
auch das «Königreich» nur ein Wort<br />
existiert: «kingdom». Die Niederländer<br />
übersetzen «basileia» mit<br />
«Koninkrijk» und die Franzosen<br />
(meistens) mit «royaume».<br />
Dass wir Schweizer – gewissermassen<br />
Erfinder der direkten Demokratie<br />
– mit Monarchen unsere Probleme<br />
haben, ist ja bekannt. Und dass<br />
Deutsche angesichts <strong>des</strong> Umstands,<br />
dass in einem Kaiserreich der Kaiser<br />
über Königen steht, das Reich Gottes<br />
nicht (nur) als Königreich verstehen<br />
wollten, leuchtet ebenfalls ein. Dennoch<br />
bin ich der Ansicht, dass dies<br />
eine verkürzte Übersetzung nicht<br />
rechtfertigt.<br />
Gewisse Leute, die ich auf das unterschlagene<br />
Königreich angesprochen<br />
habe (auch Theologen), fragten<br />
mich, wo denn das Problem sei.<br />
Nun, aus meiner Sicht ist es entscheidend,<br />
ob das, was mit Jesus auf diese<br />
Erde gekommen ist, ein Königreich<br />
oder eine beliebige Herrschaft ist,<br />
und zwar vornehmlich aus zwei<br />
«<strong>idea</strong> Spektrum» Nr. 16 – Schöpfungslehre<br />
im Biologie-Unterricht?<br />
Es ist unglaublich, dass Hemminger<br />
von der evangelischen Zentrale für<br />
Weltanschauungsfragen behauptet,<br />
die Kreationisten seien wissenschaftsfeindlich.<br />
Wer die Veröffentlichungen<br />
der Kreationisten auch<br />
nur oberflächlich kennt, weiss, dass<br />
sich diese durchaus positiv mit den<br />
Wissenschaften auseinandersetzen.<br />
Wenn man die Evolutionstheorie auf<br />
ihre Wissenschaftlichkeit untersucht,<br />
stellt man schnell fest, dass sie nicht<br />
im naturwissenschaftlichen Sinn<br />
bewiesen werden kann. Ein gutes<br />
Beispiel dafür ist das von ProGenesis<br />
herausgegebene Buch «95 Thesen<br />
gegen die Evolution», in dem min<strong>des</strong>tens<br />
75 naturwissenschaftliche<br />
Argumente beschrieben werden,<br />
welche die Evolution widerlegen.<br />
Schöpfung ist eine Tätigkeit, die jeder<br />
schöpferisch begabte Mensch<br />
ausführen kann. Und dieser Vorgang<br />
kann überdies mit den üblichen naturwissenschaftlichen<br />
Methoden<br />
überprüft werden. Es gibt keinen<br />
Grund, diese Feststellung den Schülern<br />
vorzuenthalten.<br />
HanSrueDi Stutz, Dietlikon ZH<br />
Wie bitte?<br />
«<strong>idea</strong> Spektrum» Nr. 16 – Das Evangelium<br />
steht unter Ideologieverdacht<br />
Für die Umsetzung derjenigen Ideologie,<br />
für die sich Nationalrätin Jacqueline<br />
Fehr (SP) sehr kämpferisch<br />
engagiert, ist die Anwendung von<br />
psychischer Gewalt in Form von<br />
Anpassungsdruck durch Gleichschaltung<br />
und Manipulation völlig<br />
Gründen: Es geht um königliche<br />
Autorität und um unser Erbe. Es<br />
macht einen Unterschied, ob ich<br />
mich jemandem, der grösser ist als<br />
ich, bedingungslos unterwerfe oder<br />
mein Leben autonom gestalte und<br />
ob das, was mir als Kind Gottes<br />
und Miterbe von Christus zusteht,<br />
ein Königreich ist (statt einer Demokratie<br />
westlicher Prägung). Als<br />
Königskind lebe ich zwar einerseits<br />
im Gehorsam gegenüber dem<br />
König aller Könige, aber dann<br />
auch mit allen Ressourcen, die ein<br />
solcher König zur Verfügung hat.<br />
Ein anderer Autor in dieser Rubrik<br />
lag denn auch völlig richtig,<br />
dass ein von Christen geführtes<br />
Unternehmen eine «Kingdom<br />
Company» sein müsste, sozusagen<br />
eine Zweigniederlassung<br />
<strong>des</strong><br />
himmlischen<br />
Königreiches<br />
auf dieser Erde.<br />
Daniel<br />
albietz<br />
Der Autor ist Anwalt und Gemeinderat<br />
in Riehen BS (www.albietz.biz).<br />
legitim. Wie viele Kinder und Eltern<br />
leiden unter diesem Anpassungsdruck,<br />
wo die Einhaltung einer bestimmten<br />
Norm wichtiger ist als<br />
der Mensch? Das Endziel im Sozialismus<br />
soll ja sein, dass der Wille<br />
<strong>des</strong> Einzelnen aufgeht im Willen der<br />
Gesellschaft. Der Bindungsforscher<br />
Gordon Neufeld warnt, dass das, was<br />
heute mit Kindern gemacht wird,<br />
auf der Zellebene als Krebsbildung<br />
bezeichnet wird: Wenn zwei Zellen<br />
miteinander kommunizieren bevor<br />
sie hinreichend differenziert sind,<br />
verschmelzen sie. Wenn Kinder zu sozialer<br />
Interaktion gedrängt werden,<br />
bevor sie wissen, wer sie selber sind,<br />
werden sie konformistisch. Auch<br />
davor warnt Gordon Neufeld: Wird<br />
durch zu viel Gruppendruck und Kollektivismus<br />
der Individualisierungsprozess<br />
behindert, bleibt der Mensch<br />
im Schwarz-Weiss-Denken stecken<br />
und wird dadurch intolerant oder gar<br />
fanatisch. Das Ende der Krebsbildung<br />
ist meistens der Tod. Im wirtschaftlichen<br />
und sozialen Bereich bewegen<br />
wir uns in dieselbe Richtung.<br />
eliSabetH meier, Binningen BL<br />
Leserbriefe entsprechen nicht unbedingt<br />
der Meinung der Redaktion. Wir beachten<br />
alle Zuschriften, können aber nicht jede<br />
veröffentlichen. Kürzungen behalten wir<br />
uns vor. (red.)<br />
poDIum<br />
Sich schämen?<br />
Ich schätze es, wenn sich Bürgerinnen<br />
und Bürger mit unserer Arbeit<br />
im Parlament auseinandersetzen<br />
und uns ihre Überlegungen und<br />
Anliegen kundtun. Nicht wenige<br />
Korrespondierende, die sich berufen<br />
fühlen mir (teilweise ziemlich<br />
ungehalten) einen Spiegel vorzuhalten,<br />
tun dies aus sogenannter<br />
christlicher Verantwortung heraus.<br />
Reaktionen dieser Art treffen mich.<br />
Ich nehme sie ernst und beantworte<br />
sie auch, sofern sie – was leider öfters<br />
vorkommt – nicht einfach frech<br />
und beleidigend sind. Letzte Woche<br />
stand ich mit zwei Kritikern im<br />
Briefwechsel: «Schämen Sie sich<br />
Frau Streiff! Und lassen Sie die<br />
Finger von Themen, von denen Sie<br />
keine Ahnung haben.» Originalton<br />
eines E-Mail-Schreibers an<br />
mich im Nachgang zur Medienmitteilung<br />
über meinen Vorstoss<br />
«Stopp dem Menschenhandel<br />
zwecks sexueller Ausbeutung».<br />
Dieser wurde vom Nationalrat<br />
unbestritten angenommen. Der<br />
Bun<strong>des</strong>rat muss nun die Machbarkeit<br />
und Auswirkungen eines<br />
Verbots der Prostitution und <strong>des</strong><br />
Kaufs von sexuellen Handlungen<br />
in der Schweiz prüfen und Bericht<br />
erstatten. «Ich schäme mich für<br />
Sie!» schreibt mir ein Mitglied<br />
meiner eigenen Partei. Als<br />
Christ, wie er schreibt, finde er es<br />
unverantwortlich und inhuman,<br />
der Verschärfung <strong>des</strong> Asylgesetzes<br />
zuzustimmen. Meine Positionierung<br />
in den beiden hier erwähnten<br />
Themenbereichen beruht auf<br />
gründlicher sachpolitischer Auseinandersetzung,<br />
Aktenstudium<br />
und Kommissionsarbeit. Zum<br />
Schämen, Bereuen, Büssen sehe<br />
ich keinen Anlass. Zum Danken<br />
schon eher: Wer mir aus Glaubensgründen<br />
die Rolle <strong>des</strong> schwarzen<br />
oder verlorenen Schafes in der<br />
weissen Herde der «Richtigdenkenden»<br />
zuweist, weiss ja auch um<br />
die spezielle Zuwendung<br />
<strong>des</strong><br />
guten Hirten zu<br />
seinen schwarzen<br />
Schafen.<br />
marianne<br />
Streiff<br />
Die Autorin ist Nationalrätin der<br />
Evangelischen Volkspartei (EVP).<br />
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Die Stiftung SalZH betreibt in Winterthur drei Kitas. Die Kitas sind der<br />
Privatschule SalZH angegliedert und arbeiten auf christlicher Basis.<br />
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pflegebedürftiger Diakonissen. Hier finden auch Menschen für Langzeit-,<br />
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<strong>idea</strong> Spektrum 17.2013
Das Bild der Woche<br />
DER HERR DER HAUSKAPELLEN So viele Kapellen wie Thomas Villing<br />
(Wehingen/Schwäbische Alb) hat wahrscheinlich kein Zweiter gebaut.<br />
Denn der 43-jährige Inhaber eines metallverarbeitenden Betriebs<br />
ist der einzige Anbieter für Miniatur- und Hauskapellen nördlich der Alpen.<br />
Der Beweggrund für diese Idee war eine lebensbedrohliche Herzmuskelentzündung.<br />
Als er mitten in der Nacht in die Herzklinik eingeliefert<br />
wurde, betete er: „Wenn ich hier wieder lebendig rauskomme,<br />
baue ich eine Kirche, um Gott jeden Tag zu danken.“ Aus der einen Kirche<br />
wurde das Unternehmen „Iremia-Kapellen“ (Iremia – griech.: Stille),<br />
das jetzt Kapellen unterschiedlicher Formen und Größen herstellt. Die<br />
Bauweise ähnelt der von Fertigbauhäusern, wodurch zwischen Bestellung<br />
und Auslieferung nur rund drei Monate vergehen. Eine Hauskapelle<br />
mit rund sechs Quadratmetern Grundfläche kostet ca. 20.000<br />
Euro. Er wolle damit aber nicht in erster Linie Geld verdienen, sondern<br />
Menschen einen Ort der Besinnung und <strong>des</strong> Gebets schaffen, so der<br />
Katholik, zu <strong>des</strong>sen Kunden auch evangelische Christen gehören.<br />
b www.iremia-kapellen.de<br />
17.2013
NACHRICHTEN 17<br />
Foto: dpa<br />
Auf einem Plakat<br />
an einer Straße in<br />
Boston steht: „Ruhe<br />
in Frieden Krystle<br />
Campbell. Du wirst<br />
immer in unseren<br />
Herzen sein“.<br />
(Campbell, die zu<br />
den To<strong>des</strong>opfern<br />
zählt, hatte am<br />
Boston-Marathon<br />
teilgenommen)<br />
Wie religiös waren die Attentäter?<br />
ATTENTAT Laut Familienangehörigen waren die<br />
beiden Brüder Zarnajew „strenggläubige Muslime“.<br />
Wie religiös waren die beiden mutmaßlichen Attentäter von<br />
Bos ton, die aus Tschetschenien stammenden Brüder Dschochar<br />
A. Zarnajew (19) und Tamerlan Zarnajew (26)? Nach Erkenntnissen<br />
der Sicherheitsbehörden soll Tamerlan Zarnajew „Anhänger<br />
eines radikalen Islam“ gewesen sein. Laut seiner Tante habe<br />
er vor zwei Jahren angefangen, fünf Mal täglich zu beten. Die<br />
US-Ermittler suchen zwar in allen Richtungen nach einem Tatmotiv,<br />
vermuten aber einen islamistischen Hintergrund derzeit<br />
als naheliegendste Erklärung. Anhaltspunkte dafür liefert auch<br />
die Internetseite in einem russischsprachigen sozialen Netzwerk,<br />
die Dschochar Zarnajew zugerechnet wird. Die Seite enthält auch<br />
Links zu islamistischen Webseiten.<br />
Die Familie hatte in den USA Asyl erhalten. Die<br />
Mutter: FBI wusste, dass er ein Islamistenführer war<br />
Die Eltern der beiden mutmaßlichen Attentäter, mit denen sie<br />
vor etwa zehn Jahren in den USA Asyl erhielten, leben inzwischen<br />
nicht mehr dort. Die Mutter Subeidat Zarnajewa sagte, die<br />
US-Bun<strong>des</strong>polizei FBI habe stets gewusst, was ihr ältester Sohn<br />
Tamerlan tue: „Sie haben mir gesagt, dass er ein Islamistenführer<br />
ist und dass sie Angst vor ihm haben.“ Doch ihr Sohn habe nie<br />
gesagt, „dass er den Weg <strong>des</strong> Dschihad einschlagen will“. Der<br />
Vater, Ansor Zarnajew, der inzwischen wieder in Dagestan lebt,<br />
erklärte, dass seine Söhne zwar „strenggläubige Muslime“ waren,<br />
aber „keiner Fliege etwas antun“ könnten.<br />
P<br />
DER GEFANGENE DES MONATS MAI kommt aus Eritrea<br />
Wo ist Pastor Gebreab?<br />
Als „Gefangenen <strong>des</strong> Monats Mai“<br />
haben die Internationale Gesellschaft<br />
für Menschenrechte (IGFM) und <strong>idea</strong><br />
Pastor Leule Gebreab im nordostafrikanischen<br />
Eritrea benannt und zu seiner Unterstützung<br />
aufgerufen. Der Geistliche der<br />
(evangelischen) Apostolischen Kirche aus<br />
der Hauptstadt Asmara ist seit Ende August<br />
2007 verschwunden. Menschenrechtler<br />
gehen davon aus, dass er inhaftiert ist.<br />
Verwandte erhielten bei den Behörden keine<br />
Auskunft über den Verbleib <strong>des</strong> damals<br />
35-Jährigen. Er ist verheiratet und Vater von<br />
zwei Kindern. Das neomarxistische Regime<br />
erkennt seit 2002 nur noch die eritreischorthodoxe,<br />
die katholische und die lutherische<br />
Kirche sowie als Religion den Islam<br />
an. Mitglieder der genannten Kirchen können<br />
weitgehend ungehindert Gottesdienst<br />
feiern, werden jedoch überwacht.<br />
SUDAN<br />
ERITREA<br />
ASMARA<br />
ÄTHIOPIEN<br />
SAUDI-<br />
ARABIEN<br />
Rotes<br />
Meer<br />
JEMEN<br />
Das marxistische Regime nahm<br />
über 2.000 Christen in Haft<br />
Christen anderer Kirchen werden als illegal<br />
betrachtet und leben ständig in der Gefahr,<br />
verhaftet zu werden. Seit 2002 wurden<br />
über 2.000 vorwiegend evangelikale Christen<br />
festgenommen. Sie sind ohne Anklage<br />
in Militärlagern, unterirdischen Gefängnissen<br />
oder Schiffscontainern eingesperrt. Die<br />
IGFM und <strong>idea</strong> rufen dazu auf, Präsident<br />
Afewerki in Briefen darum zu bitten, Auskunft<br />
über das Schicksal <strong>des</strong> Pastors zu geben<br />
und seine Freilassung zu veranlassen.<br />
Von den rund fünf Millionen Einwohnern<br />
sind 50 % Muslime und 47 % Kirchenmitglieder.<br />
1,9 % sind Nicht-Religiöse und der<br />
Rest Anhänger von Naturreligionen. P<br />
Hier kann man um die Freilassung bitten:<br />
S.E. Präsident Isayas Afewerki via Botschaft<br />
Eritrea, Rue de Vermont 9, Case postale 85<br />
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E-Mail: eritrean.embassy@bluewin.ch<br />
Fax: 022/740 49 49<br />
17.2013
18 NACHRICHTEN<br />
Religion kann wie Medizin wirken<br />
HIRNFORSCHUNG Religion fördert – wie Medizin – die Gesundheit.<br />
Diese Ansicht vertritt der Wiener Hirnforscher<br />
und Psychiater Raphael M. Bonelli.<br />
In einer Studie hat er zusammen mit Wissenschaftlern<br />
der US-Duke-Universität (Durham)<br />
alle Untersuchungen zu Religiosität und<br />
seelischer Gesundheit verglichen, die seit<br />
1990 in psychiatrischen und neurologischen<br />
Fachzeitschriften publiziert wurden. Das Ergebnis:<br />
72 % der Studien weisen nach, dass<br />
die seelische Gesundheit mit zunehmendem<br />
geistlichen Engagement steigt. „Depression,<br />
Suchtkrankheiten und auch Suizid treten bei<br />
religiösen Menschen eindeutig seltener auf<br />
als bei Atheisten“, erläuterte Bonelli in einem<br />
Gespräch mit der Nachrichtenagentur kathpress.<br />
Vor allem bei Sucht, Depression und<br />
Selbsttötung seien die Hinweise auf einen<br />
Schutz durch Religiosität äußerst stark.<br />
Was der Gesundheit hilft<br />
In Einzelstudien waren Anhänger verschiedener<br />
Weltreligionen befragt worden;<br />
Atheisten bildeten die Kontrollgruppe. Die<br />
Ursache für die gesundheitsfördernde Wirkung<br />
von Religion ist laut Bonelli unklar. Zu<br />
vermuten sei, dass die Ausrichtung auf ein<br />
höheres Wesen dem Menschen helfe, sich<br />
Raphael M. Bonelli Sigmund Freud<br />
nicht nur um sich selbst zu drehen. Auch Anleitungen<br />
für ein gesun<strong>des</strong> Verhalten – etwa<br />
die Zehn Gebote – seien dazuzurechnen.<br />
Doch könne der Schutz durch Religion niemals<br />
vollkommen sein. Immer wieder würden<br />
auch religiöse Menschen seelisch krank<br />
oder nähmen sich das Leben. Therapeuten<br />
könnten aber religiösen Glauben nutzen.<br />
Wo Sigmund Freud irrte<br />
Bonelli ist Dozent an der Sigmund-Freud-<br />
Universität in Wien. Er leitet zudem das<br />
Institut für Religiosität in Psychiatrie und<br />
Psychotherapie. Die Aussage <strong>des</strong> Begründers<br />
der Psychoanalyse, Sigmund Freud<br />
(1856–1939), Religion sei eine „kollektive<br />
Zwangsneurose“, hält Bonelli für überholt.<br />
Freud scheine von antireligiösen Vorurteilen<br />
gesteuert gewesen zu sein. P<br />
Katholische Kirche widerspricht EKD-Chef<br />
ÖKUMENE Zwischen Benedikt XVI. und Franziskus „volle Kontinuität“<br />
Der Präsident <strong>des</strong> Päpstlichen Rates zur<br />
Förderung der Einheit der Christen, der<br />
Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch, hat<br />
Äußerungen <strong>des</strong> EKD-Ratsvorsitzenden,<br />
Nikolaus Schneider (Berlin), widersprochen.<br />
Schneider hatte nach einem Meinungsaustausch<br />
mit Papst Franziskus am 8. April im<br />
Vatikan erklärt, er habe den Eindruck gewonnen,<br />
dass der Papst bereit sei, Fenster<br />
und Türen zu öffnen, um Neues im Miteinander<br />
der Kirchen zu ermöglichen. Wie<br />
Koch nun sagte, habe Schneider damit den<br />
Eindruck vermittelt, als gäbe es mit dem<br />
neuen Papst eine neue Ära in der Ökumene<br />
im Sinne von „Diskontinuität“ gegenüber<br />
früher. Das habe er mit „Erstaunen“ zur<br />
Kenntnis genommen. Er sehe nämlich im<br />
Gegensatz zu Schneider zwischen Benedikt<br />
XVI. und Franziskus „volle Kontinuität“.<br />
So habe Franziskus bei der Begegnung mit<br />
Schneider unter anderem an die zwei Reden<br />
Benedikts XVI. in Erfurt 2011 erinnert.<br />
Was die Ökumene erschwert<br />
Nach Kochs Ansicht hat die Ökumene 50<br />
Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen<br />
Konzil (1962–1965) mehrere große Probleme.<br />
Die Zersplitterung im Protestantismus<br />
habe weiter zugenommen. Außerdem<br />
seien in den letzten Jahren die Differenzen<br />
zwischen Katholizismus und Protestantismus<br />
in ethischen Fragen noch stärker<br />
geworden, was auf unterschiedliche Menschenbilder<br />
zurückzuführen sei. P<br />
NOTIERT<br />
Zentralafrika: Granaten<br />
schlugen in eine Kirche ein<br />
Bei Kämpfen in der Hauptstadt der Zentralafrikanischen<br />
Republik – Bangui – ist<br />
ein Kirchengebäude beschossen worden.<br />
Dabei starben sieben Gottesdienstbesucher.<br />
Zahlreiche weitere wurden verletzt,<br />
darunter auch Kinder. Bei Zusammenstößen<br />
zwischen Einwohnern und Rebellen<br />
<strong>des</strong> Bündnisses Seleka („Allianz“) wurden<br />
insgesamt min<strong>des</strong>tens 17 Menschen<br />
getötet. „2 Granaten schlugen im Kirchengebäude<br />
ein, eine weitere im Pfarrgarten“,<br />
sagte Pfarrer Mbyae Bondoi, Generalsekretär<br />
der Evangelischen Allianz in der Republik.<br />
Nach Angaben der Polizei kam es<br />
zu den Zusammenstößen, als die Rebellen<br />
in Bangui nach Waffen suchten. Der Chef<br />
der Seleka-Koalition und Übergangspräsident,<br />
Michel Djotodia, beschuldigte das<br />
Lager <strong>des</strong> gestürzten Staatschefs François<br />
Bozizé, für die Toten verantwortlich zu<br />
sein. Die Seleka-Rebellen unter Djotodia<br />
hatten die Hauptstadt am 24. März eingenommen,<br />
Bozizé floh daraufhin ins<br />
Ausland. Die Zentralafrikanische Republik<br />
ist seit der Unabhängigkeit von Frankreich<br />
1960 immer wieder Schauplatz von Aufständen.<br />
Das Land hat rund 3,7 Millionen<br />
Einwohner, von denen etwa 70 % Kirchenmitglieder<br />
und 15 % Moslems sind.<br />
Frei: „Gefangener <strong>des</strong> Monats April“<br />
Der in Libyen inhaftierte ägyptische<br />
Christ Sherif Ramsis Gad Mechaeal ist freigelassen<br />
worden. Das teilte die Internationale<br />
Gesellschaft für Menschenrechte<br />
(IGFM) mit Sitz in Frankfurt am Main unter<br />
Berufung auf Angaben der libyschen<br />
Generalstaatsanwaltschaft mit. Die IGFM<br />
hatte den Mann gemeinsam mit <strong>idea</strong> als<br />
„Gefangenen <strong>des</strong> Monats April“ benannt.<br />
Der orthodoxe Kopte war am 10. Februar<br />
von der Staatspolizei in der Hafenstadt<br />
Bengasi festgenommen worden. Er betreibt<br />
dort seit 2003 eine Buchhandlung,<br />
in der er christliche Literatur für Arabisch<br />
sprechende christliche Gastarbeiter im<br />
ansonsten islamischen Libyen anbietet.<br />
Dem Buchhändler war die Abwerbung<br />
von muslimischen Gläubigen vorgeworfen.<br />
Der IGFM zufolge hat der Generalstaatsanwalt<br />
angeordnet, den Ägypter<br />
der Botschaft zu übergeben.<br />
Fotos: PR, Getty Images<br />
17.2013
NACHRICHTEN 19<br />
Wenn evangelische Pfarrer Frauen werden wollen<br />
TRANSSEXUALITÄT Gott schuf den Menschen als Mann und Frau – so heißt es im 1. Buch Mose (1,27).<br />
In den letzten 10 Jahren sind 996 deutsche Männer Frauen geworden und 719 Frauen Männer.<br />
Immer wieder kommt es vor, dass Menschen<br />
überzeugt sind, ihr biologisches<br />
Geschlecht sei das falsche. Sie erhoffen sich<br />
Hilfe durch eine Geschlechtsumwandlung.<br />
In Bayern hat jetzt ein evangelischer Pfarrer<br />
erklärt, er sei in Wirklichkeit eine Frau.<br />
Er habe eine Hormonbehandlung zur Geschlechtsangleichung<br />
begonnen, berichtete<br />
Andreas Zwölfer der Gottesdienstgemeinde<br />
in Neufahrn bei München. Der 49-jährige<br />
verheiratete Mann will künftig als Dorothea<br />
Zwölfer amtieren. Wie er berichtete, hat eine<br />
Expertenkommission festgestellt, dass er<br />
transsexuell sei. Dies bedeute, dass er sich<br />
trotz eindeutig männlicher Geschlechtsmerkmale<br />
als Angehöriger <strong>des</strong> weiblichen<br />
Geschlechts empfinde und zu Recht bestrebt<br />
sei, als Frau anerkannt zu werden.<br />
Das Gutachten berechtige zu einer Namensund<br />
Personenstandsänderung. Laut Zwölfer<br />
wird seine Ehefrau Claudia – ebenfalls Pfarrerin<br />
– bei ihm bleiben, und die Kirchenleitung<br />
habe zugesagt, ihn weiter in seinem<br />
Beruf arbeiten zu lassen. Das Paar betreut<br />
seit Herbst 2011 die lutherische Gemeinde<br />
Neufahrn. Ende Mai wird es den Ort verlassen,<br />
damit es in der Gemeinde zu keiner<br />
Unruhe komme. Dass sich Pfarrer als Frauen<br />
fühlen und eine Geschlechtsangleichung<br />
vornehmen lassen, ist nicht neu.<br />
Von Andreas zu Dorothea Zwölfer<br />
Ich bin jetzt Pfarrerin …<br />
Im niederrheinischen Haldern gab Pfarrer<br />
Hans-Gerd Spörkel bekannt, seine Hormonbehandlung<br />
und die Formalitäten für<br />
eine Geschlechtsveränderung abgeschlossen<br />
zu haben. Er habe sich den Namen<br />
Elke-Miriam ausgesucht und müsse sich<br />
selbst „erst noch daran gewöhnen, dass<br />
ich jetzt Pfarrerin und nicht Pfarrer sage“.<br />
Von Hans-Gerd zu Elke-Miriam Spörkel<br />
Was hat sich Gott dabei gedacht?<br />
Nach Angaben <strong>des</strong> Diakonie-Fachverban<strong>des</strong><br />
für Sexualethik und Seelsorge<br />
„Weißes Kreuz“ ist der Wunsch nach einer<br />
Geschlechtsumwandlung in den vergangenen<br />
Jahren öfter aufgetreten. Es wäre<br />
aber verkehrt, von Schöpfungsvarianten zu<br />
sprechen, sagte der Leiter, Rolf Trauernicht<br />
(Kassel), <strong>idea</strong>. Warum gelegentlich Knaben<br />
mit weiblichen Sexualmerkmalen und Mädchen<br />
mit männlichen Merkmalen geboren<br />
werden, lasse sich ebenso wenig beantworten<br />
wie die Frage, warum Kinder mit unheilbaren<br />
Krankheiten zur Welt kämen. „Wir<br />
wissen nicht, was Gott sich dabei gedacht<br />
hat, aber wir glauben, dass Gott für jeden<br />
Menschen einen guten Weg vorgesehen<br />
hat“, so Trauernicht. Häufig hänge Transsexualität<br />
mit frühkindlichen Erfahrungen<br />
zusammen. Den Betroffenen rät der Seelsorger<br />
aber von einer Geschlechtsumwandlung<br />
ab. Die Hoffnung, danach beginne ein<br />
besseres Leben, bleibe vielfach unerfüllt.<br />
Bei einer so weitreichenden Entscheidung<br />
sollte man auch bedenken, dass es in der<br />
Regel kein Zurück gebe. Mit professioneller<br />
Begleitung sei es jedoch möglich, den von<br />
den körperlichen Merkmalen vorgezeichneten<br />
Weg zu gehen.<br />
P<br />
b www.weisses-kreuz.de • 05609 8399-0<br />
Fotos: privat (4)<br />
Wie kann man geschiedenen Christen helfen?<br />
LEBENSHILFE Eine neue Initiative will getrennt lebenden und geschiedenen Christen beistehen.<br />
Die erste Vorsitzende <strong>des</strong> Vereins „Scheidung<br />
überwinden“, die baptistische<br />
Diakonin Rona Gitt (Braunschweig), erklärte<br />
zu den Zielen: „Wer von Trennung oder<br />
Scheidung betroffen ist, steckt oft in einer<br />
ganz schwierigen Situation. Es gibt eine<br />
Menge zu verarbeiten, um wieder zurück<br />
ins Leben zu finden.“ Dazu wolle die Initiative<br />
Kurse anbieten. Die 2. Vorsitzende, die<br />
Pfarrerin Astrid Eichler (Dallgow-Döberitz<br />
bei Berlin), nannte es eine „traurige Tatsache,<br />
dass auch immer mehr christliche<br />
Ehen geschieden werden. Dem begegnen<br />
wir.“ Scheidung sei in Gemeinden oft ein<br />
Tabuthema: „Ich habe dort eine große Hilflosigkeit<br />
wahrgenommen“, sagte Eichler<br />
gegenüber <strong>idea</strong>. „Unser Ziel ist, dass die<br />
Betroffenen Hilfe finden, Hoffnung schöpfen<br />
und dann Heilung erfahren können.“<br />
Die geplanten Kurse <strong>des</strong> Vereins dauern<br />
jeweils 13 Wochen und können in Gemeinden<br />
von geschulten Gruppenleitern durchgeführt<br />
werden. Hauptbestandteile sind<br />
Gespräche der Betroffenen und Videos<br />
mit Erfahrungsberichten. 2013 finden erste<br />
Vorbereitungsseminare für zukünftige<br />
Gruppenleiter statt. Kurse für Geschiedene<br />
in Gemeinden sollen ab 2014 angeboten<br />
werden können. Zu den Gründungsmitgliedern<br />
<strong>des</strong> Vereins gehören u. a. die<br />
christliche Beratungsorganisation Team.F<br />
und das Netzwerk „Es muss was Andres<br />
geben“, das von Eichler geleitet wird. Es<br />
möchte Lebensperspektiven für Ledige in<br />
Lan<strong>des</strong>- und Freikirchen aufzeigen. P<br />
b scheidungueberwinden@gmx.de<br />
17.2013
20 NACHRICHTEN<br />
Wenn die Polizei in Großstädten Angst hat<br />
KRIMINALITÄT In Teilen deutscher Großstädte sind rechtsfreie Räume<br />
entstanden, in denen mafiaähnliche Strukturen herrschen.<br />
Das beklagt der Öffentlichkeitsreferent<br />
der <strong>Christliche</strong>n Polizeivereinigung<br />
(CPV), Prof. Dieter Müller (Bautzen), der<br />
an der Hochschule der Sächsischen Polizei<br />
lehrt. Die Vereinigung hat Verbindungen<br />
zu rund 4.000 Polizisten. Anlass für seine<br />
Äußerungen sind Berichte, wonach der<br />
Berliner Popstar Bushido (34) intensive<br />
Kontakte zu einem Familien-Clan libanesischer<br />
Palästinenser unterhält. Der<br />
Großfamilie Abou-Chaker werden in Berlin<br />
schwerste Straftaten wie Drogen- und<br />
Menschenhandel, Erpressung, Zuhälterei<br />
sowie zahllose Gewalttaten angelastet.<br />
Wie Müller auf <strong>idea</strong>-Anfrage sagte, trauten<br />
sich inzwischen nicht einmal mehr Polizeibeamte<br />
in bestimmte Berliner Stadtteile:<br />
„Sie fühlen sich und ihre Familien bedroht.“<br />
Rechtsstaat auf der Kippe<br />
Es gebe Bezirke, in denen sich eine „Parallelwelt“<br />
entwickelt habe, „die sich der<br />
polizeilichen Kontrolle gänzlich entzieht“.<br />
Wenn Leute wie Bushido noch damit<br />
prahlen könnten, Kontakte zu Unterweltgrößen<br />
zu haben, dann sei das eine<br />
„Bankrotterklärung“ der Gesellschaft. Laut<br />
Müller steht der Rechtsstaat auf der Kippe,<br />
wenn kriminelle Organisationen wie diese<br />
palästinensische Großfamilie Angst und<br />
Schrecken verbreiten könnten, ohne eine<br />
Bestrafung fürchten zu müssen: „Wenn<br />
Bürger den Eindruck bekommen, kriminelle<br />
Organisationen können sich alles herausnehmen,<br />
ohne dass die Polizei eingreift,<br />
weil sie sich überfordert fühlt, verlieren sie<br />
das Vertrauen in das System.“ Die Verantwortung<br />
für diese Entwicklung sieht er vor<br />
allem in der Politik. Gerade in Berlin sei die<br />
Polizei „kaputt gespart“ worden.<br />
Jude verließ Berlin wegen <strong>des</strong><br />
islamischen Antisemitismus<br />
Zu Bushidos Kontakten äußerte der Sprecher<br />
der israelischen Armee, Arye Sharuz<br />
Shalicar, der in Berlin als Sohn jüdischiranischer<br />
Einwanderer aufwuchs, an<br />
der Großfamilie komme man „in einem<br />
gewissen Milieu in Berlin nicht vorbei“.<br />
Die Mitglieder dieser Familie seien in der<br />
Lage, „aus dem Stand ein paar Hundert<br />
Männer zu mobilisieren. In Neukölln (mit<br />
seinen 320.000 Einwohnern) dominieren<br />
sie ganze Straßenzüge, darüber hinaus<br />
Das Magazin enthüllte die Kontakte.<br />
viele Läden, Imbisse, Geschäfte.“ Dadurch,<br />
dass Bushido einem hochrangigen Mitglied<br />
der Großfamilie eine umfassende<br />
Generalvollmacht erteilt habe, „hat er<br />
sich mit Haut und Haaren an diese Großfamilie<br />
verkauft“. Bushido galt jahrelang<br />
als ein Beispiel für gelungene Integration.<br />
Deshalb erhielt der Deutsch-Tunesier 2011<br />
auch vom Burda-Verlag den Integrations-<br />
Bambi. Wie es weiter in der „Berliner<br />
Morgenpost“ heißt, hat Shalicar in seiner<br />
Autobio grafie „Ein nasser Hund ist besser<br />
als ein trockener Jude“ (dtv) den „grassierenden<br />
Antisemitismus unter arabischen<br />
Jugendlichen beschrieben, dem er jahrelang<br />
in Berlin als Jude ausgesetzt war“.<br />
Von daher sei er nach Israel ausgewandert.<br />
Siehe auch den Kommentar auf <strong>idea</strong>Ost. P<br />
b www.cpv-online.org<br />
Die EKD lobt den Einsatz der CDU für verfolgte Christen<br />
SPITZENGESPRÄCH Führende Vertreter der EKD und der CDU trafen sich zum Gespräch in Berlin.<br />
Führende Vertreter der EKD haben den Einsatz der CDU für verfolgte<br />
und bedrängte Christen gewürdigt. Das verlautete nach<br />
einem etwa zweistündigen Spitzengespräch mit dem Präsidium<br />
der Union in Berlin. Zum Hintergrund: Insbesondere der Fraktionsvorsitzende<br />
im Deutschen Bun<strong>des</strong>tag, Volker Kauder, hatte das<br />
Thema auf die politische Agenda gebracht – auch bei Besuchen in<br />
islamischen Ländern. Bei der Begegnung war die Union u. a. mit<br />
der Vorsitzenden, Bun<strong>des</strong>kanzlerin Angela Merkel, und Generalsekretär<br />
Hermann Gröhe vertreten. Teilnehmer der EKD waren<br />
u. a. der Ratsvorsitzende, Nikolaus Schneider, sein Stellvertreter,<br />
Lan<strong>des</strong>bischof Jochen Bohl, die Vertreterin der Evangelikalen im<br />
Rat der EKD, Tabea Dölker, und der Vizepräses der EKD-Synode,<br />
Ministerpräsident a. D. Günther Beckstein (CSU). Laut EKD herrschte<br />
„großes Einvernehmen“, dass sich das besondere Verhältnis von<br />
Staat und Kirche in Deutschland bewährt habe. Einig waren sich<br />
Hermann Gröhe, Nikolaus Schneider, Angela Merkel, Jochen Bohl<br />
beide Seiten auch in der Diskussion über den Gesetzentwurf zur<br />
Suizidbeihilfe. Er sieht eine Strafbarkeit der gewerbsmäßigen<br />
Förderung der Selbsttötung – also mit Gewinnabsicht – vor. Die<br />
Spitzen von EKD und Union plädierten jedoch dafür, dass jede geschäftsmäßige<br />
Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt werden soll. P<br />
Foto: PR/CDU<br />
17.2013
NACHRICHTEN 21<br />
EKD-Spitzenmann lässt sein Amt ruhen<br />
KIRCHE & POLITIK Der Bevollmächtigte <strong>des</strong> Rates der EKD bei der<br />
Bun<strong>des</strong>politik in Berlin und der EU, Prälat Bernhard Felmberg,<br />
wird sein Amt „zeitlich befristet“ ruhen lassen.<br />
Die Leitung der EKD, der Rat, habe seiner<br />
Bitte entsprochen, teilte die EKD mit.<br />
Felmberg werde „vorübergehend andere<br />
Aufgaben wahrnehmen“. Die kommissarische<br />
Leitung der Dienststellen <strong>des</strong> Bevollmächtigten<br />
in Berlin und Brüssel liege bei<br />
dem stellvertretenden Bevollmächtigten,<br />
Oberkirchenrat Stephan Iro. Der 44-jährige<br />
Jurist ist erst seit Herbst letzten Jahres<br />
Vize. Zuvor ist der verheiratete Vater<br />
dreier Kinder stellvertretender Leiter <strong>des</strong><br />
Wort Jesu ‚Wer unter euch ohne Sünde<br />
ist, der werfe den ersten Stein’.“ Innerhalb<br />
<strong>des</strong> Pfarrerverban<strong>des</strong> werde derzeit diskutiert,<br />
inwieweit Pfarrerinnen und Pfarrern<br />
in Fragen der Lebensführung feste Vorschriften<br />
gemacht werden sollten. Er persönlich<br />
wünsche sich diesbezüglich mehr<br />
Zurückhaltung, so Jakubowski. Felmberg<br />
ist seit Februar 2009 Bevollmächtigter <strong>des</strong><br />
Rates der EKD und damit Chef-Lobbyist<br />
der evangelischen Kirche in Berlin und<br />
ZITIERT<br />
» Die Christen in Ägypten kommen<br />
immer mehr in eine bedrohliche<br />
Lage. Die Regierung Mursi muss<br />
endlich beweisen, dass sie alle ihre<br />
Staatsbürger schützen kann – unabhängig<br />
davon, ob sie Muslime oder<br />
Christen sind. Ich war vor einigen<br />
Wochen wieder in Kairo und habe<br />
mit koptischen Christen und säkularen<br />
Bürgern gesprochen. Sie haben<br />
alle nur noch ein einziges Thema:<br />
ihre Sicherheit und die ihrer<br />
Familien. «<br />
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bun<strong>des</strong>tagsfraktion,<br />
Volker Kauder, in der „Welt“<br />
Foto: privat<br />
17.2013<br />
(vom 17. April)<br />
Osteuropa-Referates im Auswärtigen Amt<br />
gewesen. Zum Hintergrund: Der Rat der<br />
EKD hatte Ende März ein Ermittlungsverfahren<br />
gegen Felmberg eingeleitet. Dabei<br />
gehe es um „Fragen der Lebensführung“,<br />
so EKD-Pressesprecher Reinhard Mawick<br />
(Hannover). Laut Medienberichten soll der<br />
47-jährige Theologe „amouröse“ Beziehungen<br />
zu EKD-Mitarbeiterinnen unterhalten<br />
haben. Felmberg lebt seit längerem in<br />
Scheidung. „Dieses disziplinarische Ermittlungsverfahren<br />
dient der Aufklärung <strong>des</strong><br />
Sachverhaltes. Mit Rücksicht auf das laufende<br />
Verfahren nehmen wir zu Gerüchten<br />
und Spekulationen nicht weiter Stellung“,<br />
so Mawick. Auf Grundlage der Ergebnisse<br />
dieses Verfahrens werde eine disziplinarrechtliche<br />
Entscheidung erfolgen.<br />
Pfarrer: Nicht vorverurteilen<br />
Der Vorsitzende <strong>des</strong> Pfarrerverban<strong>des</strong>,<br />
Pfarrer Thomas Jakubowski (Schifferstadt),<br />
warnte auf <strong>idea</strong>-Anfrage vor Vorverurteilungen.<br />
Vor Abschluss <strong>des</strong> Verfahrens<br />
sollte sich niemand „auf die eine oder andere<br />
Seite schlagen“, sagte er. Zwar gelte<br />
das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“,<br />
so Jakubowski. „Ebenso gilt aber auch das<br />
Brüssel. Felmberg<br />
war bis 2002 als Bun<strong>des</strong>geschäftsführer<br />
<strong>des</strong> Evangelischen<br />
Arbeitskreises der<br />
CDU/CSU tätig. Danach<br />
wurde er zum<br />
Ausbildungsdezernenten<br />
der Berliner<br />
Kirche ernannt. P<br />
Er übernimmt<br />
kommissarisch die<br />
Leitung für Felmberg:<br />
Stephan Iro<br />
» Im Falle der Frauenquote ist weniger der Inhalt Anlass zur<br />
parteiinternen Verbitterung als die ‚Methode von der Leyen’. Die<br />
Arbeits- und Sozialministerin, die sich als Schattenkanzlerin<br />
sieht, hat mit der Drohung, für den Frauenquoten-Antrag der<br />
rot-grünen Opposition zu stimmen, Merkel erpresst. Und sie war<br />
erfolgreich: Auch die Union schreibt jetzt eine gesetzliche Quote<br />
ins Wahlprogramm. Merkel wirkte erstmals hilflos gegenüber<br />
einer internen Machtströmung. Normalerweise hätte sie eine illoyale<br />
Ministerin feuern müssen ... Mit ihrer Langmut gegenüber<br />
von der Leyen erweckt Merkel aber einmal mehr den Eindruck,<br />
dass sie einseitig den linken Parteiflügel stärkt, während die<br />
bürgerlich-konservativen Kräfte regelmäßig unterliegen. Diese<br />
Einseitigkeit verstärkt den Frust und kann – zusammen mit<br />
Abwanderungen zur Konkurrenz der „Alternative für Deutschland“<br />
– die Stimmen kosten, die aus einem Kopf-an-Kopf-Rennen<br />
der Lager Sieg oder Niederlage machen. «<br />
Michael Inacker im „Handelsblatt“ (Düsseldorf)<br />
» Ein Kind, das ist der Achttausender<br />
<strong>des</strong> modernen Individualisten. Es<br />
braucht den richtigen Kletterpartner,<br />
die richtige Ausrüstung sowie Zeit,<br />
Geduld und ganz viel Mut, um<br />
dorthin zu gehen, wo die finanzielle<br />
Luft dünn wird. Kurz: Ein Kind ist<br />
das letzte Abenteuer, das man sich<br />
um seiner selbst willen leistet. «<br />
Die Wochenzeitung „Die Zeit“<br />
» Auch wenn man die Zähne verliert,<br />
kann man bissig bleiben. «<br />
Kardinal Joachim Meisner bei einer Pressekonferenz<br />
in Köln zu seinem unmittelbar<br />
bevorstehenden Zahnarztbesuch
22 NACHRICHTEN<br />
In der Berliner jüdisch-messianischen<br />
Gemeinde spielen Kinder die<br />
Geschichte von Esther nach.<br />
Kirchentag: Muslime sind erwünscht, Judenchristen nicht<br />
HAMBURG Juden, die an Jesus Christus als Messias glauben, dürfen nicht beim Deutschen Evangelischen<br />
Kirchentag vom 1. bis 5. Mai in Hamburg auftreten. Ihre Anmeldung wurde erneut abgelehnt.<br />
Die christlichen Bestseller im März<br />
Die Berliner jüdisch-messianische Gemeinde<br />
„Beit Sar Shalom“ (Haus <strong>des</strong><br />
Friedensfürsten) hatte sich für den Abend<br />
der Begegnung, den Markt der Möglichkeiten,<br />
zur Messe im Markt sowie zur Kirchenmusik<br />
<strong>des</strong> Großtreffens angemeldet.<br />
Ihre Teilnahme sei vom Kirchentag jedoch<br />
abgelehnt worden, erklärte der Pressesprecher<br />
der Gemeinde, Andrei Ignatenko.<br />
Man sei sehr traurig, dass man in Hamburg<br />
nicht mitwirken könne. Der Kirchentag lade<br />
Moslems und Buddhisten ein, schließe jedoch<br />
jesusgläubige Juden aus. Folge man<br />
dieser Logik, hätten auch die jüdisch-messianischen<br />
Apostel Petrus und Paulus keine<br />
Chance, an diesem Protestantentreffen teilnehmen<br />
zu dürfen. Beit Sar Shalom arbeite<br />
auf der Basis der Evangelischen Allianz<br />
und sei als befreundetes Werk von diesem<br />
evangelikalen Dachverband anerkannt.<br />
Juden 15.000.000<br />
Judenchristen weltweit 200.000<br />
Israel 15.000<br />
Deutschland 6.000<br />
Schweiz 70<br />
Österreich 40<br />
1 (1) Sarah Young • Ich bin bei dir • Gerth Medien • 16,95 Euro Andachten<br />
2 (4) Burpo/Vincent • Den Himmel gibt’s echt • SCM Hänssler • 14,95 Euro Biografie/Erzählung<br />
3 (-) S. Wittpennig • Maya & Domenico: Bitte bleib bei mir ! • Brunnen Basel • 11,99 Euro Roman<br />
4 (2) Lynn Austin • Am Anfang eines neuen Tages • Francke • 15,95 Euro Roman<br />
5 (3) Jürgen Mette • Alles außer Mikado • Gerth Medien • 14,99 Euro Biografie<br />
6 (5) Kyle Idleman • not a fan • SCM Hänssler • 6,95 Euro Orientierung<br />
7 (-) Sarah Young • Immer bei dir • Gerth Medien • 15,99 Euro Andachten<br />
8 (-) Petra Hahn-Lütjen • Kleine GenießerGeschichten • Brunnen • 3,50 Euro Kurzgeschichten<br />
9 (-) Stephen und Alex Kendrick • 40 Tage Liebe wagen • Luqs • 9,80 Euro Ratgeber<br />
10 (-) Preston/Wilson • October Baby • Brunnen • 17,99 Euro biografischer Roman<br />
Umfrage bei evangelischen Buchhandlungen in Zusammenarbeit mit der Vereinigung Evangelischer Buchhändler und Verleger.<br />
Messianische Juden glauben wie Christen,<br />
dass Jesus Christus der im Alten Testament<br />
angekündigte Heiland ist, halten aber an<br />
vielen jüdischen Traditionen fest.<br />
Generalsekretärin: Warum die<br />
Teilnahme nicht möglich ist<br />
Kirchentagsgeneralsekretärin Ellen Ueberschär<br />
(Fulda) erläuterte auf Anfrage von <strong>idea</strong>,<br />
dass am Kirchentag nur Organisationen teilnehmen<br />
dürften, die dialogorientiert seien<br />
und andere nicht verletzten. Zudem besage<br />
ein Beschluss <strong>des</strong> Kirchentagspräsidiums aus<br />
dem Jahr 1999, dass die Teilnahme von jüdisch-messianischen<br />
Organisationen grundsätzlich<br />
nicht möglich sei. In Übereinstimmung<br />
mit der Leitung der EKD, dem Rat, und<br />
dem Zentralrat der Juden in Deutschland<br />
lehne man eine auf Bekehrung zielende „Judenmission“<br />
aus theologischen und historischen<br />
Gründen ab. Beim Kirchentag 1999<br />
in Stuttgart wurde der Evangeliumsdienst<br />
für Israel, der messianische Gruppen unterstützt,<br />
ausgeschlossen mit der Begründung,<br />
dass diese Gruppen den christlich-jüdischen<br />
Dialog störten.<br />
P<br />
b www.BeitSarShalom.org • 030 30838130<br />
Foto: PR/<br />
17.2013
NACHRICHTEN 23<br />
Was tun bei lärmenden Kindern im Gottesdienst?<br />
OSTWESTFALEN Pfarrerin bat Vater mit einjährigem Sohn, die Feier zu verlassen.<br />
l <strong>idea</strong> Fernseh- und Hörfunk-Tipps<br />
FERNSEHEN<br />
Was soll man tun, wenn Kinder im Gottesdienst<br />
unruhig sind? Mit dieser Frage<br />
ist die Evangelische Gemeinde Hagedorn<br />
im ostwestfälischen Kirchlengern konfrontiert.<br />
Der Anlass: Pfarrerin Ulrike Schwarze<br />
bat einen Vater, den Konfirmationsgottesdienst<br />
mit seinem lärmenden Sohn zu verlassen.<br />
Daraufhin war sie von Zeitungen kritisiert<br />
worden. Die betroffene Familie sprach<br />
davon, sie sei der Kirche verwiesen worden.<br />
Wie die Pfarrerin auf Anfrage von <strong>idea</strong> sagte,<br />
hätten der Vater und sein einjähriger Sohn<br />
in der 2. Reihe gesessen.<br />
Der Mann habe<br />
„herumgehampelt<br />
und Grimassen gezogen“,<br />
das Kind „laut gejuchzt“. Schwarze: „Es<br />
Ulrike Schwarze<br />
war zu sehen, dass viele Konfirmanden und<br />
ihre Eltern sich absolut nicht mehr konzentrieren<br />
konnten. Deswegen habe ich während<br />
der Predigt darum gebeten, dass sie<br />
sich ins Seitenschiff setzen.“<br />
Kinder sind willkommen<br />
Der Pfarrerin zufolge sind Kinder in jedem<br />
Gottesdienst willkommen: „Aber es muss<br />
Rücksicht genommen werden.“ Sie habe<br />
selbst drei Kinder und kenne die Probleme,<br />
so Schwarze: „Bislang ist es uns immer gelungen,<br />
Kinder in die Gottesdienste zu integrieren.“<br />
Parallel werde eine „Kinderkirche“<br />
angeboten, deren Besucher jederzeit zwischen<br />
dem Gottesdienst und der Betreuung<br />
wechseln könnten.<br />
P<br />
b www.kirche-hagedorn.de<br />
27. April – 3. Mai<br />
Samstag, 27. April Sonntag, 28. April Montag, 29. April Mittwoch, 1. Mai<br />
16.30–17.00<br />
Für Mutter geb ich alles –<br />
Wenn Kinder ihre Eltern<br />
pflegen<br />
22.30–0.05<br />
„Tot oder lebendig!“<br />
Die USA und ihre Jagd<br />
nach dem Staatsfeind<br />
Nummer 1: Osama Bin Laden<br />
HÖRFUNK<br />
Sonntag, 28. April<br />
6.05–6.30<br />
Event oder Zeitansage? –<br />
Der Deutsche Evangelische<br />
Kirchentag in Hamburg<br />
7.05–7.30<br />
Mutter Kirche, ehrwürdige<br />
Väter und ich – wie sich<br />
Rollenbilder ändern<br />
8.30–9.00<br />
Arche – der Fernseh-<br />
Gottesdienst zum Thema:<br />
Die Segnung eines<br />
Geheiligten<br />
9.30–10.15<br />
Evangelischer Gottesdienst<br />
aus der Auferstehungskirche<br />
in Salzburg<br />
8.35–8.50<br />
„Und wie die Alten sungen“<br />
60 Jahre „Mundorgel“: das<br />
am weitesten verbreitete<br />
deutschsprachige Liederbuch<br />
9.04–9.30<br />
Kirchen im Kalten Krieg<br />
11.00–12.15 ERF 1<br />
Gottesdienst aus der<br />
Evangelisch-Freikirchlichen<br />
Gemeinde Düren Nord<br />
17.45–18.15<br />
Fenster zum Sonntag:<br />
Himmelsstürmer – u. a. mit<br />
Sarah Breiter, der Sängerin<br />
der Heilsarmee-Band<br />
9.45–10.00<br />
Evangelisch-reformierte<br />
Predigt von Pfarrer Jürg<br />
Rother aus Oberägeri<br />
10.00–11.00<br />
Evangelischer Gottesdienst<br />
aus der Schlosskirche in<br />
Chemnitz<br />
23.30–0.15<br />
Wie viel Kirche braucht das<br />
Land? – Verträgt sich ein<br />
moderner Staat mit den<br />
Volkskirchen noch?<br />
Dienstag, 30. April<br />
20.15–23.20<br />
China, die neue Supermacht<br />
11.30–12.00<br />
Camino: Nach getaner<br />
Arbeit ist gut ruh‘n – Ein<br />
Lob <strong>des</strong> Feierabends<br />
12.05–12.30<br />
Karriere statt To<strong>des</strong>strafe –<br />
In Kalifornien werden Häftlinge<br />
zu Pfarrern ausgebildet<br />
21.15–21.45 ERF 1<br />
Wert(h)e Gäste: Mit der<br />
Referentin und Seelsorgerin<br />
Hanna Backhaus<br />
0.35–0.50<br />
Kiez und Kirche –<br />
Eröffnungsbericht zum 34.<br />
Deutschen Evangelischen<br />
Kirchentag in Hamburg<br />
Donnerstag, 2. Mai<br />
20.00–20.30 ERF Plus<br />
Brennpunkt Nahost:<br />
Horst Marquardt im<br />
Gespräch mit Johannes Gerloff<br />
20.30–21.00 ERF Plus<br />
Reiseeindrücke mit Klaus<br />
Strub von der internationalen<br />
Missionsgemeinschaft EMO<br />
Foto: PR<br />
Wer reagieren möchte, kann dies unter folgenden Rufnummern tun: ARD: 089/5900-3344 | Bibel.TV: 040/4450660 | Das Vierte: 0180/5843783<br />
Deutschlandfunk und Deutschlandradio: 0221/345-1831 | DRS 2: (0)848/808080 | ERF: 06441/957-0 | HR (TV): 069/1555111 | Kabel 1: 0180/5011150<br />
KiKa: 0180/2151514 | Luth. Stunde: 04264/2436 | MDR: 0341/300-5401 | NDR: 0511/988-2393 | Phoenix: 0180/28213 | RBB: 030/97993-2171<br />
SF 2: (0)62/2059050 | SR 2: (0)681/6022222 | SWR: 07221/929-0 | WDR (Radio): 0221/5678-333 | WDR (TV): 0221/5678888 | ZDF: 06131/7012164<br />
17.2013
24 GASTKOMMENTAR<br />
» Global betrachtet befindet sich die<br />
Christenheit nicht im Niedergang, sie<br />
verändert vielmehr ihr Angesicht. «<br />
Christoph Raedel ist Professor für Ökumenische Theologie<br />
an der CVJM-Hochschule Kassel. Er nahm Mitte April als<br />
evangelischer Gast an der internationalen Tagung der<br />
deutschen katholischen Bischofskonferenz in Rom über<br />
„Evangelikale – Pfingstkirchen – Charismatiker“ teil.<br />
Warum wachsen die Kirchen im Süden?<br />
Kirchen werden geschlossen, Gemeinden zusammengelegt,<br />
die Zahl der Mitglieder geht zurück.<br />
Das ist die in Deutschland dominierende<br />
Wahrnehmung. Sie ist nicht falsch – aber nur<br />
ein kleiner Ausschnitt aus einem größeren Bild.<br />
Global betrachtet befindet sich die Christenheit<br />
nicht im Niedergang, sie verändert vielmehr ihr<br />
Angesicht. Was Lutheraner, Anglikaner,<br />
Pfingstler, Methodisten in aller Unterschiedlichkeit<br />
eint, ist dies: In den Ländern der südlichen<br />
Hemisphäre wachsen sie, mehr oder weniger<br />
stark. In traditionell katholischen Mehrheitsgesellschaften<br />
wie Brasilien, Guatemala<br />
oder den Philippinen nehmen sie zulasten der<br />
katholischen Kirche zu, in vielen Gebieten Afrikas<br />
oder Asiens aber gemeinsam mit ihr. Die<br />
Flut hebt alle Boote.<br />
Was läuft im Süden besser?<br />
Was ist den wachsenden Kirchen im Süden weithin<br />
gemeinsam? Sie predigen das Evangelium<br />
von Jesus Christus als Botschaft, die in den – oft<br />
schwierigen – Alltag hineinspricht und die Hilfe<br />
bei der Bewältigung bedrängender Lebensfragen<br />
bietet. Sie sind offen für das unverfügbare Wirken<br />
<strong>des</strong> Heiligen Geistes. Sie leben als Gemeinschaft,<br />
in der Menschen Zuwendung und Unterstützung<br />
erfahren. Na klar, wer sich als religionskritischer<br />
Journalist aufmacht, wird auch sie finden: obskure<br />
Heiler, feurige Prediger eines Wohlstandsevangeliums,<br />
fragwürdige Mischformen <strong>des</strong> Glaubens.<br />
Sie ergeben eine gute Story, bilden aber nicht<br />
ab, was weithin im Süden geschieht. Viele Kirchen<br />
<strong>des</strong> Nordens verstehen ihre Tochterkirchen im Süden<br />
nicht mehr: Anglikaner, Lutheraner, Methodisten<br />
tragen denselben Namen, doch fällt ihnen<br />
die Verständigung schwer.<br />
Die Missionsrichtung hat sich gedreht<br />
Geteilter Himmel über den Kirchen: Heilungen<br />
und Wunder (im Süden) stehen für Grunddifferenzen<br />
im Gottesverständnis, praktizierte Homosexualität<br />
(im Süden strikt abgelehnt) für Grunddifferenzen<br />
in Menschenbild und Ethik. Längst<br />
hat sich die Missionsrichtung gedreht: Nigerianer,<br />
Ghanaer, Brasilianer und Koreaner gründen Gemeinden<br />
in Europa. Sie sind dankbar für Segensströme,<br />
die einst von hier ausgingen, und fühlen<br />
sich berufen, jetzt etwas zurückzugeben an Glauben,<br />
Liebe und Hoffnung. Der Süden missioniert<br />
heute den Norden.<br />
Neue Wege mit Gott gehen<br />
Ich danke Gott dafür, dass der Weg seines Volkes<br />
in dieser Welt weitergeht. Leidenschaftlich, lebendig,<br />
lebensrelevant. Was bleibt zu lernen? Erstens:<br />
Wer mit der Zeit geht, wird schnell zur Vergangenheit.<br />
Dann tragen andere die Fackel weiter.<br />
Zweitens: Dass Gott seiner Gemeinde – unter Anfechtung<br />
– Wachsen und Gedeihen schenkt, ist<br />
Geschenk. Analysen der Experten helfen, Aufbrüche<br />
zu verstehen, aber sie bringen sie nicht hervor.<br />
Drittens: Wenn Gott segnet, dann gibt er reichlich<br />
und für alle Kirchen, die der Kraft seines Wortes<br />
vertrauen. Sich gegeneinander zu profilieren, ist<br />
wenig verheißungsvoll.<br />
17.2013
THEOLOGIE 25<br />
Foto: Werk eines unbekannten Künstlers<br />
Ein unbekannter Künstler stellte sich so den Durchmarsch durch das Rote Meer vor. Für den Autor <strong>des</strong><br />
Beitrages – Lan<strong>des</strong>bischof Bohl – macht es wenig Sinn, dafür eine rationale Erklärung zu suchen.<br />
Vor einigen Jahren sah mein Sohn mich am<br />
Schreibtisch, fragte, was ich denn mache – Predigt<br />
über das Gleichnis vom Senfkorn – und wie<br />
ich denn vorankäme – langsam, zögerlich –, und meinte, so<br />
schwer könne das ja wohl nicht sein, ich müsste es doch inzwischen<br />
verstanden haben, nachdem ich mich mein ganzes<br />
Leben mit der Bibel beschäftige. Ich musste kurz schlucken;<br />
vermutlich werden ja nicht wenige ähnlich denken.<br />
Die Bibel erschöpft sich nicht<br />
Aber so ist es nicht, im Gegenteil – je länger ich mit der Heiligen<br />
Schrift lebe, <strong>des</strong>to größer wird das Staunen darüber,<br />
dass sie mir immer wieder überraschende Impulse gibt,<br />
dass ich nicht mit ihr fertig werde. Wie oft habe ich einige<br />
ihrer Texte bedacht und ausgelegt, den Auszug aus Ägypten,<br />
die Seligpreisungen und die Gleichnisse – und entdecke<br />
immer noch Unerwartetes darin. Unzählige Predigten<br />
werden landauf, landab und Sonntag für Sonntag über ein<br />
und denselben Text gehalten – und jede von ihnen trägt ein<br />
eigenes Profil. Es mutet an wie ein Wunder: Die Bibel erschöpft<br />
sich nicht, nicht in meinem Leben und auch nicht<br />
im Leben der Kirche. Woran das liegt? In der Heiligen<br />
Schrift begegnet uns das Gotteswort, die Frohe Botschaft,<br />
mit der Gott uns anredet und den Zugang zu der göttlichen<br />
Wahrheit öffnet, die menschliche Verstehensmöglichkeiten<br />
übersteigt, höher ist als alle Vernunft. Die Menschen sind<br />
SCHRIFTVERSTÄNDNIS Ein<br />
Thema, das viele Christen<br />
bewegt – besonders<br />
wenn Kontroverses angesprochen<br />
wird, wie<br />
beispielsweise Homosexualität.<br />
Darüber gibt es<br />
in den beiden pietistisch<br />
geprägten Lan<strong>des</strong>kirchen<br />
Sachsen und Württemberg<br />
Auseinandersetzungen.<br />
In <strong>idea</strong> ist dabei<br />
auch manche Kritik<br />
am sächsischen Lan<strong>des</strong>bischof<br />
Jochen Bohl<br />
(Dresden) veröffentlicht<br />
worden. Im Folgenden<br />
schreibt er, wie er die<br />
Bibel versteht.<br />
Wie ist die Bibel heute zu verstehen?<br />
fehlbar, irrtumsverhaftet, und das entdecken wir nicht zuletzt<br />
in der Begegnung mit der Heiligen Schrift und der<br />
Wahrheit, von der sie kündet und der wir nicht gerecht<br />
werden. Darum verbraucht die Bibel sich nicht.<br />
Nicht den Respekt verlieren<br />
Es wäre schlimm, wenn wir den Respekt vor der Schrift verlieren<br />
würden, ihre Heiligkeit uns verloren ginge. Es soll ein<br />
Moment der Fremdheit bleiben, das aus dem Wissen kommt,<br />
dem Gotteswort zu begegnen, das in meiner Erfahrungswelt<br />
nicht aufgeht, sondern mir gegenübersteht. Jeden Text, auch<br />
die vertrauten wie das Gleichnis vom Senfkorn, lesen wir<br />
so, als versuchten wir, ein noch nicht entdecktes Geheimnis<br />
zu ergründen. Dann werden wir hoffen dürfen, neue Entdeckungen<br />
zu machen, von denen wir bereichert werden<br />
und wachsen „in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn<br />
und Heilands Jesus Christus“ (2. Petrus 3,18).<br />
Wenn biblische Aussagen stören<br />
Allerdings – es bleiben auch Texte, die dauerhaft fremd anmuten<br />
und denen wir uns nicht zu nähern vermögen. Vieles<br />
in der Offenbarung ist mir bis heute unvertraut und abständig.<br />
Diese Fremdheit der Bibel empfinden wir als etwas<br />
Stören<strong>des</strong>; und das gilt vielleicht umso mehr, wenn wir uns<br />
in ihr beheimatet fühlen. Störungen aber sind niemals willkommen,<br />
darum haben wir gewisse „Techniken“ entwi- O<br />
<strong>idea</strong>Spektrum 17.2013
26 THEOLOGIE<br />
der irdischen Kontingenz entziehen. Für das Gelingen <strong>des</strong><br />
Auszugs aus Ägypten und die wundersame Querung <strong>des</strong><br />
Roten Meeres macht es wenig Sinn, eine rationale Erklärung<br />
zu suchen, wie auch nicht für die Stillung <strong>des</strong> Sturms<br />
auf dem galiläischen Meer oder die Heilung <strong>des</strong> Gelähmten<br />
oder die Erscheinung <strong>des</strong> Paulus vor Damaskus; oder<br />
gar die Auferstehung <strong>des</strong> Herrn. Die historisch-kritische<br />
Erforschung der Schrift ist notwendig, weil sie uns helfen<br />
kann zur vertieften Erkenntnis der Wahrheit; aber sie sollte<br />
sich stets der Gefahr bewusst sein, die Göttlichkeit Gottes<br />
nicht gelten lassen zu wollen. Der Glaube fragt nicht<br />
danach, was Gott unmöglich sei, sondern freut sich an dem<br />
Unwahrscheinlichen, was er mir Gutes wirkt. Darum darf<br />
die Historizität einer biblischen Geschichte nicht zum<br />
Gradmesser ihrer Wahrheit gemacht werden.<br />
Lan<strong>des</strong>bischof der Evangelisch-Lutherischen Lan<strong>des</strong>kirche Sachsens<br />
ist seit 2004 Jochen Bohl aus dem westfälischen Lüdenscheid.<br />
ckelt im Umgang mit ihnen. Drei von ihnen will ich benennen,<br />
die eine ständige Gefahr für das geistliche Leben sind.<br />
1. Es gibt keinen Gegensatz zwischen Glaube und Wissen<br />
Zuerst und besonders naheliegend: Man wertet die biblischen<br />
Aussagen ab, indem man sie für überholt erklärt.<br />
Die empirischen Naturwissenschaften sind eine relativ<br />
junge „Erfindung“, von der die Bibel noch nichts weiß –<br />
aber sie prägen unser Leben am Anfang <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts.<br />
Allerdings findet sich die besondere wissenschaftliche<br />
Denkbewegung, nämlich wissen zu wollen, wie die<br />
Welt beschaffen ist und wie ihre vielfältigen Erscheinungen<br />
zusammenhängen und das Menschenleben bedingen,<br />
sehr wohl in der Bibel und ist mit dem Glauben an<br />
Gott verbunden. Es gibt keine Erkenntnisverbote in ihr<br />
(sieht man davon ab, dass wir uns kein Bildnis Gottes machen<br />
sollen), und das ist ein Grund, dass die Wissenschaften<br />
in der jüdisch-christlichen Tradition zu dieser Höhe<br />
entwickelt wurden; und begründet auch unsere Überzeugung,<br />
dass es keinen Gegensatz gibt zwischen Glauben<br />
und Wissen. Karl Barth (1886–1968) hat gesagt, dass ein<br />
Gott, der den Weltbildern der Menschen entsprechen<br />
würde, nicht der Gott der Bibel wäre. Und das sehen nicht<br />
nur Theologen so, sondern auch gläubige Physiker, Biologen<br />
und Mathematiker.<br />
Die Historizität darf nicht Gradmesser der Wahrheit werden<br />
Der Unglaube aber macht die (jeweils geltenden) Maßstäbe<br />
<strong>des</strong> Verstehens zur Grundlage <strong>des</strong> Urteilens. Das hat zu<br />
tun mit den wundersamen Erzählungen der Bibel von außerordentlichen<br />
Ereignissen, die sich den Gegebenheiten<br />
2. Es ist gefährlich, dem Zeitgeist zu folgen<br />
Eine zweite Gefahr <strong>des</strong> Umgangs mit der Schrift liegt darin,<br />
die jeweils geltenden Moralvorstellungen in der Bibel<br />
bestätigt finden zu wollen, dem Zeitgeist zu folgen. Das ist<br />
ein weites Feld. Im Streit um die Homosexualität wird dieser<br />
Vorwurf erhoben, bezeichnenderweise von beiden Seiten.<br />
Beispiele dafür gibt es – leider – mehr als genug. Man<br />
denke nur an die Haltung der Lan<strong>des</strong>kirchen zu den demokratischen<br />
Bewegungen im 19. und 20. Jahrhundert, die<br />
bekämpft wurden, weil man eine monarchische Ordnung<br />
unmittelbar aus der Schrift und dem Bekenntnis ableiten<br />
zu müssen meinte. Oder an die patriarchalischen Ordnungsvorstellungen,<br />
die gegen die Befreiung der Frauen<br />
beschworen wurden in der irrigen Meinung, so eine göttliche<br />
Ordnung <strong>des</strong> Geschlechterverhältnisses verteidigen<br />
zu müssen. Oder zu der Frage <strong>des</strong> Krieges. Man kann sich<br />
nur schaudernd abwenden, wenn man nachliest, was im<br />
Jahr <strong>des</strong> 400. Reformationsjubiläums, dem Kriegsjahr 1917,<br />
gepredigt wurde, wie Durchhaltewillen und Opferbereitschaft<br />
religiös überhöht wurden. „Krieg soll nach Gottes<br />
Willen nicht sein“ bezeugen wir und entsprechen damit<br />
dem Christuszeugnis – wenn es auch einzelne Weisungen<br />
an das Gottesvolk gibt, in den Krieg zu ziehen (z. B. 1. Samuelbuch<br />
15,3). Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) hat einmal<br />
gesagt, dass der Heilige Geist der rechte Zeitgeist ist.<br />
3. Die Bibel nicht zum Denkmal machen<br />
Und drittens: Man kann die Bibel auch ihrer Fremdheit –<br />
und damit ihrer Wirkung – berauben, indem man sie zu<br />
einem Denkmal macht, das gleichermaßen unberührt<br />
bleibt von dem Leben der Menschen zu seinen Füßen. Die<br />
Meinung, dass die Bibel Wort für Wort durch den Heiligen<br />
Geist diktiert worden sei, ist in meiner Sicht ein solcher<br />
Versuch, sich der Fremdheit der Schrift erwehren zu wollen<br />
– indem man je<strong>des</strong> ihrer Worte für unantastbar erklärt,<br />
offenkundige Widersprüche leugnet und Zeitbedingtem<br />
dauernde Gültigkeit zuspricht. Aber die unvermeidliche<br />
Folge ist, dass so das Gotteswort entwertet wird, und das<br />
Foto: <strong>idea</strong> / kairospress<br />
<strong>idea</strong>Spektrum 17.2013
THEOLOGIE 27<br />
soll nicht sein. Denn das bloße Fürwahrhalten biblischer<br />
Sätze steht dem Glauben entgegen, der anderes und Größeres<br />
ist, nämlich ein festes Vertrauen auf Gott. Der Geist<br />
will vom Buchstaben unterschieden sein. Die Bibel will von<br />
lebendigen Menschen gelesen und zum Maßstab ihres Fragens<br />
und Antwortens werden. Ein Steinbruch toter Steine<br />
darf sie uns nicht werden, denn dann steht sie uns nicht<br />
mehr gegenüber und verschließt den Zugang zum Gotteswort.<br />
Paulus sagt, dass der Buchstabe tötet, aber nur der<br />
Geist lebendig macht (2. Korintherbrief 3,6). Darum sehen<br />
wir es so, dass die zeitbedingten Sichtweisen in der Bibel<br />
ihre Offenbarungsqualität nicht beeinträchtigen.<br />
Die Bibel ist Gottes- und Menschenwort<br />
Wer die Bibel liest, findet in ihr das Zeugnis der großen Taten<br />
Gottes und hört das Gotteswort, Frohe Botschaft, Evangelium.<br />
Der Heilige Geist macht, dass die Leser der Bibel<br />
in ihrem Innersten bewegt werden; sie ist das Gotteswort.<br />
Menschenwort ist sie selbstverständlich auch. Die Autoren<br />
der biblischen Bücher haben aufgeschrieben, was sie selbst<br />
mit Gott erlebten oder was ihnen von anderen berichtet<br />
wurde. Sie bezeugen in ihrer Sprache und vor dem Hintergrund<br />
ihrer Wirklichkeit die Offenbarung Gottes. Darum<br />
gibt es Aussagen der Bibel, die zeitgebunden sind, den Wissensstand<br />
ihrer Entstehungszeit widerspiegeln und nichts<br />
wissen von den Erkenntnisfortschritten, die uns geschenkt<br />
wurden; Menschenwort. Zu diesen Aussagen gehört, um<br />
ein Beispiel zu geben, der Vers 3. Mose 20,13, der in der<br />
Auseinandersetzung um die Homosexualität herangezogen<br />
wird. Niemand wird diese Forderung umsetzen wollen.<br />
Es ist eben ein Wort aus vergangener Zeit.<br />
Die Vielfalt der Blickwinkel<br />
Alle geistlichen Erfahrungen sind an Menschen gebunden,<br />
der Bericht davon an die begrenzten Möglichkeiten der<br />
Sprache und zeitbedingter Gegebenheiten. Die biblischen<br />
Zeugen haben zu einer bestimmten Zeit gelebt, sie waren<br />
mit den Sichtweisen dieser Zeit auf die Phänomene der Natur<br />
vertraut. Sie drückten sich in der Sprache aus, die zu je<br />
ihrer Zeit gesprochen wurde, und es standen ihnen Leser<br />
vor Augen, deren Verstehensmöglichkeiten sie kannten. So<br />
unterschiedlich wie die Menschen, die sie verfasst haben,<br />
sind entsprechend auch die Texte der Heiligen Schrift; sie<br />
reden ja von Gotteserfahrungen höchst konkreter Personen,<br />
die vom Heiligen Geist dazu bewegt wurden, aufzuschreiben,<br />
„was (sie) wir gehört und gesehen“ haben (Apostelgeschichte<br />
4,20). Es kann also gar nicht anders sein, als<br />
dass sie vielfältig sind. Der Gott der Bibel ist kein blasser<br />
Gedanke, sondern wendet sich den Menschen zu und<br />
kommt ihnen je in ihrer Personalität nahe. Also wird, wer<br />
wissen will, wer Jesus von Nazareth war, nicht nur eines,<br />
sondern alle vier Evangelien lesen und dankbar sein über<br />
die jeweiligen Akzentuierungen, die das Werk der Evangelisten<br />
kennzeichnen; gerade auch über die besondere<br />
Prägung <strong>des</strong> Johannesevangeliums. Von Kreuz und Auferstehung<br />
Christi redet die Schrift multiperspektivisch;<br />
und erst so erschließt sich die Fülle der Gnade.<br />
Die Bibel ist Gotteswort und Menschenwort in einem;<br />
wir haben den Schatz nur in irdischen Gefäßen (2. Korintherbrief<br />
4,7) – dieser Satz <strong>des</strong> Apostels Paulus, den er auf<br />
die „Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht<br />
Jesu Christi“ bezieht, gilt umfassend. Nirgends in der Heiligen<br />
Schrift kommt diese grundlegende Gegebenheit so<br />
zum Ausdruck wie im Prolog <strong>des</strong> Johannesevangeliums<br />
– dort aber wunderbarerweise in der positiven Fassung:<br />
„das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (1,14 a).<br />
Gott bindet sich an den Menschen Jesus von Nazareth,<br />
ganz und ohne jede Einschränkung <strong>des</strong> Mensch-Seins. Wie<br />
er sich gebunden hat an sein Volk, so bindet er sich an das<br />
Kind in der Krippe, an den leidenden Menschen am Kreuz;<br />
der sich opfert, ist Gott.<br />
Christus ist die Mitte der Schrift<br />
Für Martin Luther (1483–1546) ist Christus die Mitte der<br />
Schrift. Der Mensch wird durch das Geschehen von Kreuz<br />
und Auferstehung gerecht gesprochen, von Gott angenommen<br />
– wenn er nur den Ruf zum Glauben annimmt.<br />
Von diesem Zentrum her sollen und dürfen wir die Aussagen<br />
der Bibel verstehen; in diesem Sinn interpretiert sie<br />
sich selbst. Bis dahin, dass die Schrift einzelne ihrer Aussagen<br />
gewissermaßen selbst kritisiert, und zwar an dem<br />
Maßstab „was Christum treibet“. Darum werden wir nicht<br />
alle ihre Teile für gleichbedeutend und gleichgewichtig<br />
halten, es gibt eine innere Ausrichtung auf Christus hin.<br />
Wir unterscheiden Gesetz und Evangelium, und so konnte<br />
Luther den Jakobusbrief als eine „stroherne Epistel“ bezeichnen,<br />
weil er in ihm die zentrale Botschaft der Rechtfertigung<br />
<strong>des</strong> Sünders allein aus Gnade eher verdunkelt<br />
sah. Ähnlich hat er den Hebräerbrief gelesen und darum<br />
die Reihenfolge der neutestamentlichen Bücher verändert,<br />
so dass die beiden Schriften mit dem Judasbrief an das<br />
Ende zu stehen kamen.<br />
Ein Gegenüber, das uns korrigiert<br />
Wir gehen mit den biblischen Texten so um, dass die fremden<br />
uns vertrauter werden; und übersehen in den vertrauten nicht<br />
das Fremde. Wir lassen uns durch die Bibel infrage stellen<br />
und achten darauf, dass sie uns ein Gegenüber ist, das uns<br />
korrigiert. Wir hüten uns davor, sie begriffen haben zu wollen.<br />
Wir liefern uns nicht aus an den Zeitgeist; und wir setzen<br />
nicht das Wort Gottes mit den Buchstaben der Bibel in eins.<br />
Wir lesen sie nicht in dem Wunsch, in ihr unser Verständnis<br />
bestätigt zu finden, sondern stets aufs Neue in der Hoffnung,<br />
der lebendigen Stimme <strong>des</strong> Evangeliums zu begegnen. Und<br />
lassen darin nicht nach, denn sonst würden wir uns von der<br />
Kraftquelle abschneiden, aus der wir leben. Denn „allein die<br />
Heilige Schrift“ ist die Grundlage für das Leben eines Christenmenschen,<br />
in ihr hören wir die Anrede Gottes. P<br />
<strong>idea</strong>Spektrum 17.2013
28 KIRCHENTAG<br />
Der liebe Gott und der Klabautermann<br />
KIRCHENTAG Das größte Ereignis im Protestantismus 2013 ist der Deutsche Evangelische Kirchentag<br />
vom 1. bis 5. Mai in Hamburg. 600 Seiten umfasst das Programm unter dem Motto „Soviel<br />
du brauchst“ (2. Mose 16,18). Mehr als 100.000 Teilnehmer werden erwartet. Karsten Huhn stellt<br />
Empfehlenswertes, Bedenkliches und Kurioses vor.<br />
Erst zum Eröffnungsgottesdienst am Strandkai,<br />
später ins Getümmel zum „Abend der Begegnung“,<br />
schließlich der Abendsegen mit Lichtermeer<br />
an der Binnenalster – so sieht das persönliche Kirchentagsprogramm<br />
<strong>des</strong> SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bun<strong>des</strong>tag,<br />
Frank-Walter Steinmeier, aus. Am Tag darauf wird<br />
Steinmeier die Bibelarbeit <strong>des</strong> Vorsitzenden der (katholischen)<br />
Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, besuchen und<br />
über den Markt der Möglichkeiten schlendern. Um 15 Uhr<br />
lässt sich Steinmeier im Zentrum Jugend bei der vom CVJM<br />
organisierten Veranstaltung „Junge Leute fragen Zeitzeugen“<br />
befragen, am Abend geht er zu einer Ökumenischen<br />
Vesper im Mariendom und anschließend zur Premiere der<br />
Oper „Vom Ende der Unschuld“, die das Leben Dietrich Bonhoeffers<br />
auf die Bühne bringt. Steinmeier: „Ich glaube, das<br />
wird einer meiner persönlichen Kirchentagshöhepunkte.“<br />
Was dem Kirchentag wichtig ist<br />
Bei 2.500 Veranstaltungen wird kaum ein Kirchentagsbesuch<br />
dem anderen gleichen. Das evangelische Großtreffen<br />
versteht sich dabei als „offene Glaubensveranstaltung“.<br />
Der Kirchentag will jedoch keine „Missionsveranstaltung“<br />
sein „mit dem Ziel, dass möglichst viele Leute in die Kirche<br />
eintreten“. Im Mittelpunkt sollen diesmal die Themen<br />
Die Bandbreite der Kirchentagsangebote ist groß:<br />
verantwortungsvolles und nachhaltiges Wirtschaften, interreligiöser<br />
Dialog und Inklusion stehen. Was dem Kirchentag<br />
wichtig ist, zeigen auch die Bibelarbeiten am Morgen:<br />
die Forderung nach Gerechtigkeit (Lukas 18,1-8), nach<br />
einem Erlassjahr (5. Mose 15,1-11) und „Es reicht für alle –<br />
die Speisung der 5.000“ (Johannes 6,1-15). Unbedingt kennenlernen<br />
will man natürlich die Bibelarbeit „in leichter<br />
Sprache“. Sind alle anderen Bibelarbeiten dann eigentlich<br />
in schwerer Sprache verfasst?<br />
Die Halle tobt bei kabarettistischer Bibelarbeit<br />
Gehalten werden die Bibelarbeiten von allerlei Bischöfen<br />
und anderen Kirchenprofis. Daneben legen das Wort Gottes<br />
aus: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Verteidigungsminister<br />
Thomas de Maizière (CDU), der Chef der<br />
SPD-Bun<strong>des</strong>tagsfraktion Frank-Walter Steinmeier, die Sozialministerin<br />
Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig<br />
(SPD), und von den Grünen der baden-württembergische<br />
Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Bun<strong>des</strong>tagsvizepräsdentin<br />
Katrin Göring-Eckardt. Politisch bietet der<br />
Kirchentag also eine Koalition aus Schwarz-Rot-Grün.<br />
„Liturgischer Tag“ für Dorothee Sölle<br />
Gespannt sein darf man auf die Bibelarbeit <strong>des</strong> Unternehmers<br />
Johannes Kärcher, <strong>des</strong> Komponisten Dieter Falk, der<br />
Chefredakteurin der linksalternativen Tageszeitung „taz“,<br />
Ines Pohl, und <strong>des</strong> Kabarettisten Eckart von Hirschhausen.<br />
Letzterer brachte vor zwei Jahren bei seiner Bibelarbeit die<br />
Halle zum Toben. Gebetet wird auch: Es gibt Morgen-, Tag-<br />
, Abend- und Nachtgebete. Zum „Politischen Nachtgebet zu<br />
Armut und Reichtum“ laden die Ehepaare Reinhard und<br />
Renate Höppner (SPD, Magdeburg) und Nikolaus und Anne<br />
Schneider (Berlin) ein. Gleich ein ganzer „Liturgischer Tag“<br />
ist der Theologin Dorothee Sölle (1929-2003) gewidmet. Bei<br />
den Gedenkveranstaltungen huldigen neben anderen der<br />
Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer (SPD) und<br />
die Lübecker Altbischöfin Bärbel Wartenberg-Potter der umstrittenen<br />
Politfeministin. Angekündigt hat sich – wie stets<br />
– viel Prominenz: So spricht Bun<strong>des</strong>präsident Joachim<br />
Gauck mit dem nach einem Unfall querschnittsgelähmten<br />
Schauspielstudenten Samuel Koch und dem Pfarrer und Paralympics-Sieger<br />
Rainer Schmidt. Bun<strong>des</strong>kanzlerin Angela<br />
Merkel wird über die bedrohte Schöpfung sprechen, ihr Herausforderer<br />
Peer Steinbrück diskutiert über die „Soziale<br />
Marktwirtschaft im Griff der Finanzmärkte“.<br />
<strong>idea</strong>Spektrum 17.2013
Hamburg ist Gastgeber <strong>des</strong> Kirchentags 2013<br />
KIRCHENTAG 29<br />
Foto: dpa<br />
Evangelikale sind nur wenig vertreten<br />
Evangelikale Organisationen sind auf dem Kirchentag vergleichsweise<br />
wenig vertreten. So sucht man im Gruppen-<br />
Register <strong>des</strong> Kirchentagsprogramms Campus für Christus<br />
vergeblich. Der Jugendverband „Entschieden für Christus“<br />
(EC) ist nur mit seiner Ortsgruppe Weener vertreten. Die<br />
Deutsche Evangelische Allianz und die Studentenmission<br />
in Deutschland (SMD) sind nur auf dem „Markt der Möglichkeiten“<br />
dabei. Der Allianz-Vorsitzende Michael Diener<br />
taucht im Personen-Register ebenso wenig auf wie der<br />
langjährige „ProChrist“-Sprecher Ulrich Parzany oder<br />
„JesusHouse“-Redner Matthias Clausen. Dagegen ist der<br />
CVJM mit mehreren Angeboten vertreten, etwa mit Gottesdiensten<br />
und Diskussionsrunden. Eine örtliche Allianzinitiative<br />
„Gemeinsam für Hamburg“ bietet missionarische<br />
Impulse auf dem Rathausmarkt.<br />
Ein Feierabendmahl für alle, „die das Leben lieben“<br />
Eröffnet wird der Kirchentag mit Gottesdiensten an vier für<br />
Hamburg typischen Orten: der Reeperbahn auf St. Pauli,<br />
am Fischmarkt, am Strandkai sowie auf dem Rathausmarkt.<br />
Am Rathausmarkt wird zudem ein Schiff vor Anker gehen,<br />
auf dem sich die an Pfingsten 2012 gegründete Nordkirche<br />
ihren Besuchern vorstellen will. Geplant sind zudem 115<br />
Feierabendmahle in Hamburger Kirchengemeinden, darunter<br />
ein „Feierabendmahl unterm Regenbogen“ für „Lesben,<br />
Schwule und alle, die das Leben lieben“. Mit dabei ist<br />
der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker<br />
Beck; die Tischrede hält die Hamburger Bischöfin Kirsten<br />
Fehrs. In anderen Gottesdiensten wird die „Deutsche Messe.<br />
Herrenmahl nach altkirchlicher Ordnung“ gefeiert oder<br />
das „Liebesmahl in Herrnhuter Tradition“. Daneben gibt es<br />
auch Techno- und Rockgottesdienste, Gottesdienste für Motorradfreunde<br />
und für werdende Eltern.<br />
Darüber wird diskutiert<br />
Natürlich ist ein Kirchentag vor allem zum Diskutieren da:<br />
Wie verändert sich das Zusammenleben in den Megastädten?<br />
Soll die Bun<strong>des</strong>wehr im Ausland eingesetzt werden?<br />
Wie kann der Hunger bekämpft werden? Wie verändert<br />
das Internet die Demokratie? Zwei Weltanschauungsbeauftragte<br />
sprechen über „Fundamentalismus – die dunkle<br />
Seite der Religion“. Ein Podium fragt beispielsweise: „Wie<br />
viel schwul/lesbisch verträgt die Kirche?“ und ein Religionswissenschaftler:<br />
„Bi-religiös, na und?“<br />
Ein Bischof zu Gast beim Tag der Atheisten<br />
An dieser Stelle noch ein wenig Werbung für die Konkurrenz:<br />
Parallel zum Kirchentag findet in Hamburg der „Deutsche<br />
Humanistentag“ statt. Dort diskutieren etwa 1.000<br />
strenggläubige Atheisten. Bemerkenswert: Die Foren beschäftigen<br />
sich weit mehr als der Kirchentag mit Kirche und<br />
Glaube – natürlich aus kritischer Sicht. Geplant sind zum<br />
Beispiel „Religionsfreie Spiritualität“, „Die Kirche: beste Geschäftsidee“,<br />
„Säkularer Staat und Kirche“, „Medienmacht<br />
Kirche“ und „Gut ohne Gott – auf den Menschen kommt es<br />
an!“. Eingeladen ist auch der hannoversche Lan<strong>des</strong>bischof<br />
Ralf Meister. Er diskutiert mit bei der Frage „Ist Religion in<br />
der Gesellschaft wichtig?“. Statt eines Eröffnungsgottesdienstes<br />
gibt es bei den Humanisten einen „Tanz in den Mai“.<br />
„Wie viel Glaube darf’s denn sein?“<br />
Zurück zum Kirchentag: Manche Themen sind eher rhetorischer<br />
Natur, zum Beispiel: „Wie viel Dialog brauchen<br />
wir?“. Ganz viel natürlich! Oder: „Ehrenamt in der Gemeinde:<br />
Warum eigentlich?“ Naheliegende Antwort: weil sonst<br />
viel Arbeit liegen bleibt. An einen Einkauf beim Fleischer<br />
erinnert die Frage: „Wie viel Glaube darf’s denn sein?“ So<br />
nach dem Motto: „Darf’s auch ein bisschen mehr sein?“ Andere<br />
Veranstaltungen bleiben rätselhaft, zum Beispiel die<br />
<strong>des</strong> „Zentrum Menschen, Meer und Hafen“: „Der liebe Gott<br />
und der Klabautermann“: „Die (un-)heimliche Party für<br />
alle, die den Klabautermann klabautern hören wollen. Über<br />
allem die Frage: Wer ist eigentlich der Klabautermann und<br />
wie hört sich Gott an?“ Kurios klingt auch die Einladung<br />
einer Theatergruppe. Sie will „Das Evangelium nach (der<br />
Rockband) Abba“ erzählen und verspricht „das schrillste,<br />
frechste und lustigste Jesus-Musical“. Hat der Kirchentag<br />
Humor? Da klingt vielversprechend das Kabarettprogramm<br />
von Okko Herlyn: „Zu dem, was wir wirklich brauchen:<br />
… vor allem ein Autogramm von Margot K.“ P<br />
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Herzliche Einladung<br />
Besuchen Sie <strong>idea</strong> auf dem Kirchentag!<br />
Sie finden uns in der Kirchentagsbuchhandlung<br />
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<strong>idea</strong>Spektrum 17.2013
30 PRO & KONTRA<br />
Ist der Kirchentag noch evangelisch?<br />
KIRCHENTAG Vom 1. bis 5. Mai findet in Hamburg der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag statt.<br />
Unter dem Motto „Soviel du brauchst“ werden mehr als 100.000 Teilnehmer erwartet. Im Mittelpunkt<br />
sollen die Themen Wirtschaft, interreligiöser Dialog und Inklusion stehen. Kommt da das<br />
Evangelium nicht zu kurz? Ist der Kirchentag noch evangelisch (auf Deutsch: evangeliumsgemäß)?<br />
„Soziale Aktion & Evangelisation –<br />
bei<strong>des</strong> kommt auf dem Kirchentag<br />
in Hamburg zum Ausdruck.“<br />
PRO<br />
Was meint evangelisch? Ich antworte nicht institutionell,<br />
sondern komme vom Auftrag der Kirche: Was<br />
ist der Kern der Guten Nachricht von Jesus Christus? Die Erklärung<br />
der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation<br />
von 2010 hält fest: „Soziale Aktion und Evangelisation sind<br />
untrennbar.“ Hier bekenne ich, dass viele Jahre meines<br />
Christseins von einem anderen Selbstverständnis geprägt<br />
waren. Evangelisieren hatte die höchste Priorität, Diakonie<br />
war eher als Mittel zum Zweck notwendig, und gesellschaftliche<br />
Aktion fiel unter den Tisch. Von dieser Sichtweise her<br />
hätte ich die Frage, ist der Kirchentag noch evangelisch, wohl<br />
früher mit Nein beantwortet. Heute bin ich davon überzeugt,<br />
dass gerade diese Auffassung nicht evangelisch war, verkürzte<br />
sie doch die Gute Nachricht. Die Worte werden zu<br />
Hülsen, das Salz wird kraftlos und das Licht unter den Scheffel<br />
gestellt. Lausanne bringt evangelisch auf den Punkt.<br />
„Der Kirchentag ist nicht auf<br />
Christus zentriert, sondern auf den<br />
sich emanzipierenden Menschen.“<br />
KONTRA<br />
Als Gesamtprodukt ist der Kirchentag<br />
längst eher unterhaltsames und zerstreuen<strong>des</strong><br />
zivilreligiöses Happening als skandalverdächtige<br />
Proklamation <strong>des</strong> Golgatha- und Oster-Evangeliums.<br />
Was hier in selbstbezüglichen Diskursen gedacht, geredet,<br />
gefeiert und gefordert wird – abgesehen von frommen Erscheinungen<br />
am Rande –, veröffentlicht ein aufgeklärt domestiziertes<br />
Gottesbild, das menschliche Wünsche, Pläne<br />
und Erfahrungen religiös auflädt. Es ist die menschliche<br />
Kreativität, die den Kirchentag macht. Das meiste bleibt<br />
horizontal, innerweltlich und so am Ende banal.<br />
Es fehlt als alles beherrschende Mitte die geistgewirkte<br />
Vertikale, das biblische Wort Gottes, das den Himmel aufreißt<br />
und die erschreckenden Abgründe der Hölle sehen<br />
lässt, die tiefer reichen als bis Auschwitz. Der Kirchentag ist<br />
perspektivisch nicht auf Christus zentriert, der von Sünde,<br />
Pastor Detlef Pieper ist Geschäftsführer <strong>des</strong><br />
Netzwerks „Gemeinsam für Hamburg“, eine<br />
Initiative der Evangelischen Allianz Hamburg.<br />
Soziale Aktion und Evangelisation – bei<strong>des</strong> kommt auf<br />
dem Kirchentag in Hamburg zum Ausdruck. Die Evangelisation<br />
ist willkommen und gewünscht. Nicht wir fragten<br />
den Kirchentag, sondern die Leitung sprach uns als Netzwerk<br />
an, ob wir nicht missionarische Impulse von der<br />
Hauptbühne auf dem Rathausmarkt weitergeben möchten.<br />
Dieser Bitte kommen wir gerne nach. Und weil der Kirchentag<br />
evangelisch ist, gehören Fragen der gesellschaftlichen<br />
Verantwortung untrennbar dazu. Das beinhaltet<br />
auch den Dialog mit anderen Religionen, genauso wie den<br />
erhöhten Aufwand <strong>des</strong> Kirchentages, eine der umweltfreundlichsten<br />
Großveranstaltungen zu werden.<br />
Auf dem diesjährigen Kirchentag werden die Besucher<br />
Veranstaltungen erleben, die zum Glauben einladen und<br />
zur sozialen Aktion motivieren. Ja, der Kirchentag ist evangelisch.<br />
P<br />
Pastor Dieter Müller (Kiel) ist Mitglied <strong>des</strong><br />
Vorstan<strong>des</strong> der Kirchlichen Sammlung um<br />
Bibel und Bekenntnis in der Evangelisch-<br />
Lutherischen Kirche in Norddeutschland.<br />
Tod und Teufel erlöst, sondern auf den sich emanzipierenden<br />
Menschen, der die Welt gestalten will. Er ist geprägt vom<br />
Geist <strong>des</strong> aufgeklärten Relativismus in Bibelauslegung, interreligiösen<br />
Dialogen, ökumenischer Kommunikation. Die<br />
gesellschaftlich-politischen Diskurse – tiefgrün oder hellrot<br />
grundiert – ziehen ungewollt entlarvend Grenzen: Rechts<br />
geht gar nicht, religiös darf es mehr sein, als das erste Gebot<br />
erlaubt, aber messianische Juden bleiben exkommuniziert.<br />
Alles eher politisch korrekt als Christus gerecht. Relativismus<br />
<strong>des</strong> Glaubens war nie evangelisch, nicht, seit Luther<br />
geistvoll dem Wort seinen Inhalt zurückgegeben hatte, und<br />
schon gar nicht, seit Jesu Jünger das exklusiv rettende Evangelium<br />
unter Gefahr für Leib und Leben proklamierten.<br />
Auch der Kirchentag braucht in seinem Kern eine bußwillige<br />
Entweltlichung. Zurzeit verdient er das durch Märtyrer<br />
aller Zeiten qualifizierte Wort „evangelisch“ nicht. P<br />
Fotos: privat<br />
17.2013
DIE KLEINE KANZEL 31<br />
» Seid untereinander<br />
gastfreundlich, ohne zu murren. «<br />
Aus dem 1. Brief <strong>des</strong> Petrus 4,9<br />
Max Schläpfer (Bollingen bei Bern) ist<br />
Präsident <strong>des</strong> Verban<strong>des</strong> evangelischer<br />
Freikirchen und Gemeinden in der Schweiz<br />
sowie der Schweizerischen Pfingstmission<br />
Gastfreundschaft – simpel, aber wirksam<br />
Foto: PR<br />
Andere zu sich nach Hause einladen und freundlich<br />
zu Gästen zu sein, ist für jede Gemeinde von großer<br />
Bedeutung. Gerade in unserer individualisierten Gesellschaft<br />
ist Gastfreundschaft ein Zeichen der Fürsorge und<br />
der Liebe. Gastfreundschaft ist allerdings nicht immer einfach,<br />
denn sie ist auch mit Aufwand verbunden. Darum<br />
schreibt Petrus: „Seid untereinander gastfreundlich, ohne zu<br />
murren“. Dass Gastfreundschaft aber als Segen angesehen<br />
wird, erkennen wir an andern Aussagen. Im Hebräerbrief<br />
heißt es: „Vergesst nicht, gastfreundlich zu sein, denn dadurch<br />
haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ Im 3. Johannesbrief<br />
wird der Empfänger – Gaius – für seine Gastfreundschaft<br />
gelobt, und es wird erwähnt, dass er damit Gott geehrt<br />
hatte. Bemerkenswert ist zudem, dass Gastfreundschaft zu<br />
den Qualifikationen für Älteste der Gemeinde gehört.<br />
Und hier ein praktischer Weg …<br />
Gastfreundschaft ist <strong>des</strong>halb von tiefer, geistlicher Bedeutung,<br />
weil sie eine wichtige Form ist, die Liebe Gottes praktisch<br />
werden zu lassen. Wo man zusammen isst, zusammen<br />
spricht, zusammen Zeit verbringt, da wachsen Beziehungen,<br />
man kann andere ermutigen und einander im Glauben und<br />
in praktischen Lebensfragen weiterhelfen. Christen sollten<br />
aber nicht nur einander einladen, sondern auch gegenüber<br />
Menschen außerhalb der Gemeinde Gastfreundschaft praktizieren.<br />
Dadurch kann es oft zu interessanten und bereichernden<br />
Kontakten und auch zu fruchtbaren Gesprächen<br />
über den Glauben kommen. Gastfreundschaft ist also ein<br />
simples, aber wirksames Werkzeug für den Dienst der Gemeinde<br />
sowohl nach innen wie auch nach außen. Vergessen<br />
wir sie nicht, praktizieren wir sie fröhlich!<br />
P<br />
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17.2013<br />
evangelische Landschaft im Bild.»<br />
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PORTRÄT<br />
Der Sohn <strong>des</strong> Imams<br />
BEKEHRUNG 4,5 Millionen Muslime leben in Deutschland,<br />
500.000 in Österreich und 400.000 in der Schweiz. Religion<br />
ist für viele ein Lebensthema. Eine Chance für Christen, wenn<br />
sie sie denn ansprechen. Wie ein marokkanischer Muslim sogar<br />
in einem Gefängnis Christ wurde, schildert Karsten Huhn.<br />
Raschid Idrissi wird 1959 in<br />
einer muslimischen Familie<br />
in Marokko geboren (der<br />
Name ist ein Pseudonym – aus Furcht<br />
vor Anschlägen muss der wahre Name<br />
geheim bleiben). Sein gestrenger Vater<br />
ist Muslim und arbeitet als Imam, Vorbeter<br />
und Koranschullehrer, die Mutter<br />
ist Analphabetin. Schon früh besucht<br />
Raschid Idrissi die Koranschule<br />
seines Vaters; im Alter von fünf Jahren<br />
kann er bereits ein Drittel <strong>des</strong> Korans<br />
auswendig. Nach der Grundschule besucht<br />
er das Gymnasium, lernt<br />
Deutsch als Fremdsprache und beschließt<br />
nach dem Abitur, Germanistik<br />
zu studieren. Sein Studium beginnt<br />
er zunächst in Marokko. Dann bekommt<br />
er ein Visum für Deutschland<br />
und setzt das Studium in Freiburg im<br />
Breisgau und in Heidelberg fort.<br />
Anklage wegen Vergewaltigung<br />
Idrissi genießt, das Studentenleben. Er<br />
lernt Sonja kennen, bald ziehen sie zusammen.<br />
Nach zwei Jahren trennen<br />
sie sich. Er geht in Discos, beginnt Alkohol<br />
zu trinken und Haschisch zu<br />
rauchen. An einem kalten Januarabend<br />
wird Idrissi auf der Straße von<br />
einer Polizeistreife angehalten, festgenommen<br />
und in eine Zelle gesperrt.<br />
Idrissi weint, er fürchtet, abgeschoben<br />
zu werden. Ist er verleumdet worden?<br />
Um seinen Kummer zu betäuben,<br />
raucht er mit seinem Zellenkollegen<br />
Haschisch. Der Staatsanwalt wirft<br />
Idrissi vor, seine Freundin Sonja am<br />
letzten Abend vor der Trennung vergewaltigt<br />
zu haben. Idrissi bestreitet<br />
das und wirft seiner Ex-Freundin vor,<br />
die Vorwürfe erfunden zu haben.<br />
Nach siebeneinhalb Monaten Untersuchungshaft<br />
wird Idrissi zur Verhandlung<br />
geladen. Der Richter sieht<br />
die Beweislage als klar an und verurteilt<br />
Idrissi zu zwei Jahren und neun<br />
Monaten Freiheitsstrafe.<br />
Taufe im Gefängnis<br />
Im Gefängnis sieht Idrissi ein Infoblatt:<br />
„Einladung zum Bibelkreis“. Idrissi beschließt,<br />
auf seine Tischtennisstunde<br />
am Freitag zu verzichten und statt<strong>des</strong>sen<br />
mal zu den Christen zu gehen. Die<br />
Gruppe nennt sich „Schwarzes Kreuz“<br />
(die Zentrale befindet sich in Celle:<br />
www.naechstenliebe-befreit.de), der<br />
Leiter heißt Martin und ist Rechtsanwalt<br />
für Zivilrecht. Idrissi hält ihn zunächst<br />
für einen Mitarbeiter <strong>des</strong> Landgerichts.<br />
Aber ihm gefallen die Atmosphäre<br />
und die Lobpreislieder, obwohl<br />
ständig von Jesus die Rede ist. Idrissi<br />
beschließt, wieder zu kommen, und so<br />
erfährt er jeden Freitag mehr aus der<br />
Bibel. Schließlich beginnt er selbst in<br />
der Bibel zu lesen und macht dabei<br />
Raschid Idrissi<br />
mit seinem<br />
neuen Buch<br />
eine Entdeckung: Der Koran basiert<br />
gewissermaßen auf der Bibel. Bei einem<br />
Treffen liest ihm ein Mitarbeiter<br />
aus dem Johannes-Evangelium 3,16<br />
vor: „Denn Gott hat die Menschen so<br />
sehr geliebt, dass er seinen einzigen<br />
Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn<br />
glaubt, wird nicht zugrunde gehen,<br />
sondern das ewige Leben haben.“ Idrissi<br />
nimmt seinen Mut zusammen. Er<br />
bekennt sich zum christlichen Glauben<br />
und meldet sich zur Taufe an.<br />
Jetzt leitet er einen Bibelkreis<br />
Nach Verbüßung der Haftstrafe wird<br />
Idrissi 1992 entlassen und besucht<br />
eine Bibelschule. Dort lernt er seine<br />
Frau Maria kennen. Er heiratet sie und<br />
lebt bis heute mit ihr und den beiden<br />
Kindern in Süddeutschland. Seit 2007<br />
arbeitet Raschid Idrissi ehrenamtlich<br />
im Gefängnis-Bibelkreis Freiburg im<br />
Breisgau <strong>des</strong> Schwarzen Kreuzes mit.<br />
Seine Geschichte beschreibt er ausführlich<br />
im Buch „Der Sohn <strong>des</strong><br />
Imams“ (Brunnen Verlag Basel). P<br />
DAS WORT DER WOCHE<br />
» Was uns umtreiben muss, ist die Tatsache, dass einerseits noch niemals so viele Menschen<br />
unterwegs waren auf der Suche nach Sinn und Orientierung, dass aber die allermeisten<br />
von ihnen das, was sie suchen, nicht in den christlich verfassten Kirchen [...] vermuten.<br />
Wir müssen uns ernsthaft fragen, wie weit es an uns [selbst] liegt, dass diese suchenden<br />
Menschen die Botschaft Jesu nicht erkennen. «<br />
Alois Glück (Traunwalchen in Oberbayern), Vorsitzender <strong>des</strong> Zentralkomitees der deutschen Katholiken<br />
17.2013