AP073(2005) J. Klopfer: Europäische Friedensordnung - DSS

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44 Zunächst: Gemäß eigener Erklärungen haben die USA, Europa und Rußland eine Reihe von grundlegenden gemeinsamen Interessen. Diese bestehen vor allem darin, die weitere Verbreitung von nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen zu verhindern, den Terrorismus zu bekämpfen und ihm den Boden zu entziehen sowie auf dem Territorium der vormaligen UdSSR Anarchie (und die potentielle Schaffung eines fundamentalistischen Kalifatstaates) nicht zuzulassen. Zu den wiederholt ausgesprochenen gemeinsamen Interessen der EU und Rußlands gehören zudem die Gestaltung einer multipolaren, an UN und Völkerrecht orientierten Weltordnung, die Entwicklung eines stabilen russischen Staates, der sich auf Kooperation mit Europa und anderen Mächten einlassen kann und nicht glaubt, sich auf Abschottung und Konfrontation zurückziehen zu müssen, sowie eine gegenseitig vorteilhafte Wirtschaftskooperation, besonders in den Bereichen Energie und technologische Modernisierung. Bahr beleuchtet in seiner ‚Streitschrift zu Macht, Sicherheit und Außenpolitik’ 3 jeweils eine US-amerikanische und eine (seine!) deutsche Auffassung zu „nationalen Interessen“. Die aus deutscher Sicht gemeinsamen Interessen mit Rußland hat aktuell Bundeskanzler Schröder in einem Pressebeitrag vom Juli 2004 benannt. 4 Rußland hat offiziös u.a. in der Denkschrift des Verteidigungsministeriums vom Oktober 2003 „Basisinteressen“ definiert. Es heißt da: „Für jeden Staat existieren ständige nationale Basisinteressen ... - die staatliche Souveränität, die territoriale Integrität, die sozialpolitische Stabilität der Gesellschaft, die verfassungsmäßige Ordnung, strategische Stabilität im System der Weltgemeinschaft, freier Zugang zu den lebenswichtigen wirtschaftsstrategischen Zonen und Kommunikationen und andere.“ 5 Daneben existieren freilich auch Interessenunterschiede und -gegensätze. Dazu noch einmal Egon Bahr: „Vielleicht mag man in Amerika glauben, Vorteile aus der fortdauernden inneren und äußeren Schwächung Rußlands zu gewinnen, solange nur das Chaos vermieden wird und der atomare Faktor kontrollierbar bleibt; für Europa ist ein Rußland vorzuziehen, das sich konsolidiert, 3 E. Bahr, Deutsche Interessen ..., S. 21-25. 4 G. Schröder, Deutschland und Russland: Leitmotiv Zusammenarbeit, in: "Russia in Global Affairs, Nr. 4 (Juli-August)/2004; auch http://www.deutschebotschaftmoskau.ru/de/aktuell/d99301c3-0099-11d9-ba42-000374890932.html. 5 Aktuelle Aufgaben zur Entwicklung der Streitkräfte der Russischen Föderation. Denkschrift des Verteidigungsministeriums der RF vom 02.10.2003; in: Krasnaja Zvezda, Moskau, vom 11.10.2003; auch unter URL: http://www.redstar.ru/2003/10/11_10/3_01.html; Übersetzung ins Deutsche:http://www.jokler.de/russ/milumbau/dssk3100.htm und http://www.sicherheitspolitik-DSS.de/ap/ap66jkrl.pdf.

einen Rechtsstaat etabliert statt Korruption zu erlauben, das 6 Demokratie beteuert, aber durch Dekrete regiert ...; ein sicherheitspolitisch geteiltes Europa mit Elementen potentieller Konfrontation kann sich Amerika nicht nur leisten, ein solches NATO-Europa bliebe auch stärker auf Amerika angewiesen.“ 7 Bahr hat diese Bewertung ein Jahr später bekräftigt und noch deutlicher ausgesprochen: „Amerika betrachtet Europa strategisch als Protektorat am Westrand des eurasischen Kontinents, dessen Schutzbedürfnis ebenso zu fördern ist wie die Marginalisierung Rußlands und die Schwächung seines Einflusses am Südrand der ehemaligen Sowjetunion.“ [Aus einem Thesenpapier Egon Bahrs, zitiert bei: Dieter S. Lutz, Die Europäische Friedensund Sicherheitsordnung - Vision und Realität, in: Hamburger Informationen zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Ausgabe 29/1999, Oktober 1999; auch unter http://www.rrz.uni-hamburg.de/ifsh/HI29.htm.] Auch in einem größeren Blickfeld - unter Einbeziehung wirtschaftlicher, finanzpolitischer, energiepolitischer und anderer Aspekte - wird deutlich: Das Streben der USA, seine beherrschende Rolle zu behaupten und auszubauen, beinhaltet das ebenso anmaßende wie rigorose Hintertreiben bereits der potentiellen Ansätze von eigenständigen, stabilen Gegenpolen - in Europa, in Rußland, und - noch schlimmer - in Gestalt einer Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft dieser beiden Mächte. Und weil beide, aus jeweils unterschiedlichen Positionen wirtschaftlicher und militärischer Stärke oder Schwäche, eine globale Rolle nicht ohne, jedenfalls aber nicht gegen die USA realisieren können, müssen sie für ihre eigene Konsolidierung - die EU als koordinierte politische Gesamtkraft, Rußland als stabiler Einzelstaat - ein unbelastetes Verhältnis zu den USA suchen und können eigenständige weltpolitische Aktivitäten nur unter ständiger Observierung und Obstruktion der „einzigen Weltmacht“ entwickeln. Zbigniew Brzezinski hat allen einschlägig Ambitionierten schon lange die „drei großen Imperative imperialistischer Geostrategie“ verraten: „Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, daß die „Barbarenvölker“ sich nicht zusammenschließen.“ 8 Schließlich: Auch zwischen der EU und Rußland schwelen Interessenkonflikte, namentlich bei der geopolitischen Neuordnung Europas. Sie betreffen vor allem die beiderseitigen Integrationsbestrebungen in der „geopolitischen Zwi- 45 6 Dieses „das“ kann hier wohl, ohne den Autor fehlzuinterpretieren, auch als „selbst wenn es...“ gelesen werden. 7 E. Bahr, Deutsche Interessen ..., S. 29. 8 Z. Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Weinheim und Berlin 1997, S. 65/66.

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Zunächst: Gemäß eigener Erklärungen haben die USA, Europa und Rußland<br />

eine Reihe von grundlegenden gemeinsamen Interessen. Diese bestehen vor<br />

allem darin,<br />

die weitere Verbreitung von nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen<br />

zu verhindern,<br />

den Terrorismus zu bekämpfen und ihm den Boden zu entziehen sowie<br />

auf dem Territorium der vormaligen UdSSR Anarchie (und die potentielle<br />

Schaffung eines fundamentalistischen Kalifatstaates) nicht zuzulassen.<br />

Zu den wiederholt ausgesprochenen gemeinsamen Interessen der EU und<br />

Rußlands gehören zudem<br />

die Gestaltung einer multipolaren, an UN und Völkerrecht orientierten<br />

Weltordnung,<br />

die Entwicklung eines stabilen russischen Staates, der sich auf Kooperation<br />

mit Europa und anderen Mächten einlassen kann und nicht glaubt, sich<br />

auf Abschottung und Konfrontation zurückziehen zu müssen, sowie<br />

eine gegenseitig vorteilhafte Wirtschaftskooperation, besonders in den<br />

Bereichen Energie und technologische Modernisierung.<br />

Bahr beleuchtet in seiner ‚Streitschrift zu Macht, Sicherheit und Außenpolitik’ 3 jeweils eine<br />

US-amerikanische und eine (seine!) deutsche Auffassung zu „nationalen Interessen“. Die<br />

aus deutscher Sicht gemeinsamen Interessen mit Rußland hat aktuell Bundeskanzler Schröder<br />

in einem Pressebeitrag vom Juli 2004 benannt. 4 Rußland hat offiziös u.a. in der Denkschrift<br />

des Verteidigungsministeriums vom Oktober 2003 „Basisinteressen“ definiert. Es heißt<br />

da: „Für jeden Staat existieren ständige nationale Basisinteressen ... - die staatliche Souveränität,<br />

die territoriale Integrität, die sozialpolitische Stabilität der Gesellschaft, die verfassungsmäßige<br />

Ordnung, strategische Stabilität im System der Weltgemeinschaft, freier Zugang<br />

zu den lebenswichtigen wirtschaftsstrategischen Zonen und Kommunikationen und andere.“<br />

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Daneben existieren freilich auch Interessenunterschiede und -gegensätze. Dazu<br />

noch einmal Egon Bahr: „Vielleicht mag man in Amerika glauben, Vorteile<br />

aus der fortdauernden inneren und äußeren Schwächung Rußlands zu gewinnen,<br />

solange nur das Chaos vermieden wird und der atomare Faktor kontrollierbar<br />

bleibt; für Europa ist ein Rußland vorzuziehen, das sich konsolidiert,<br />

3 E. Bahr, Deutsche Interessen ..., S. 21-25.<br />

4 G. Schröder, Deutschland und Russland: Leitmotiv Zusammenarbeit, in: "Russia in Global<br />

Affairs, Nr. 4 (Juli-August)/2004; auch http://www.deutschebotschaftmoskau.ru/de/aktuell/d99301c3-0099-11d9-ba42-000374890932.html.<br />

5 Aktuelle Aufgaben zur Entwicklung der Streitkräfte der Russischen Föderation. Denkschrift des<br />

Verteidigungsministeriums der RF vom 02.10.2003; in: Krasnaja Zvezda, Moskau, vom<br />

11.10.2003; auch unter URL: http://www.redstar.ru/2003/10/11_10/3_01.html; Übersetzung<br />

ins Deutsche:http://www.jokler.de/russ/milumbau/dssk3100.htm und<br />

http://www.sicherheitspolitik-<strong>DSS</strong>.de/ap/ap66jkrl.pdf.

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