AP073(2005) J. Klopfer: Europäische Friedensordnung - DSS

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34 Neben den völkerrechtlichen Bedingungen ist aber auch in staatsrechtlicher Hinsicht die Verfaßtheit eines Staates für das Zusammenleben mit anderen Staaten in den internationalen Beziehungen von friedensrelevanter Bedeutung. Denn erst eine - nach I. Kant- republikanische Verfassung, in der die Prinzipien von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit für alle gesichert sind, besitzt eine friedensfunktionale Bedeutung und begünstigt die Etablierung einer internationalen Rechtsordnung in völkerrechtlicher Hinsicht. 8 J. Habermas weist darauf hin, daß in einem politischen Gemeinwesen die Bürger als Autoren des Rechts und nicht als bloße Adressaten des Rechts zu gelten haben. Besonders im grundlegenden Prozeß der Verfassungsgebung müssen die assoziierten Bürger aktiv beteiligt sein. Nur auf einem derartigen demokratischen Weg kann die notwendige Legitimität aus Legalität erzeugt werden. 9 Der Entwurf der Verfassung der Europäischen Union ist jedoch von einem Konvent ausgearbeitet worden, der vom Europäischen Rat, also den Vertretern der Regierungen, einberufen wurde. Relevante gesellschaftliche Gruppen haben nicht mitgewirkt. Die europäischen Völker sind im Konvent nicht repräsentiert. Ja mehr noch, auch nachträglich wird das Volk kaum befragt. Referenden besitzen in Deutschland, England, Spanien und Belgien keine Rechtsgrundlage; in anderen europäischen Ländern wie Polen, Schweden und Ungarn sind Volksabstimmungen möglich, aber vom Ergebnis her nicht bindend. 10 In den Entscheidungen der EU über übergeordnete wirtschaftliche und politische Fragen, bis hin zu den im Verfassungsentwurf kaum thematisierten Weltproblemen, wird eine direkte Bürgerbeteilung schlechthin übergangen. Die mangelnde Beteiligung der Bürger an der politischen Willensbildung innerhalb der Europäischen Union erweist sich jetzt schon als fatal und wird, wenn sie nicht geändert wird, über kurz oder lang zu einer Legitimitätskrise führen. Ein wichtiges Indiz für eine demokratische Konstitution einer Assoziation ist seit J. Locke und Ch. Montesquieu (1689-1755) die Gewaltenteilung, also die gegenseitige Unabhängigkeit der gesetzgebenden, der vollziehenden und der richterlichen Gewalt. Damit der politische Souverän die legislative Gewalt 8 Siehe W. Kersting, Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein, in: O. Höffe (Hrsg.), I. Kant, Zum Ewigen Frieden, Berlin 1995, S. 87-108. 9 Siehe J. Habermas, Zur Diskussion mit Kardinal Ratzinger, in: Information Philosophie, Heft 04/2004, S. 7-15. 10 Siehe EU-Verfassungsreferendum - ja oder nein?, in: Freitag vom 24.09.2004, S. 7.

nicht mißbrauchen kann, wird dessen Gewalt von der exekutiven und richterlichen Gewalt getrennt. Tatsächlich ist in der Europäischen Union das Prinzip der Gewaltenteilung nicht streng gewahrt. Das EU-Parlament, das einzige direkt gewählte Organ, hat keine legislative Gewalt, sondern nur Mitwirkungsrechte und Beratungsfunktion (Art. 19,1). Dagegen besitzt die Europäische Kommission, die ernannt und nicht gewählt wird (Art. III-250), das Monopol auf Gesetzesinitiative (Art. 25,2). Sie ist neben dem Ministerrat zugleich Exekutivorgan der U- nion (Art. 25,1). Selbst die richterliche Gewalt ist eingeschränkt; denn dem Europäischen Gerichtshof wird eine Zuständigkeit für die Außen- und Sicherheitspolitik abgesprochen. 11 In der Praxis wird eine Demokratie schließlich daran gemessen, wie weit die Menschenrechte eingehalten werden und ob es in sozialer Hinsicht gerecht zugeht. Nach Platon besteht Gerechtigkeit ganz einfach darin, das jeder das Seinige hat und tut 12 - also jedem nach seinen Fähigkeiten und nach seinen Bedürfnissen. Die soziale Gerechtigkeit korrespondiert also gleichermaßen mit dem, was der Einzelne leistet und zum Leben braucht. In der Europäischen Union dominiert dagegen einseitig die neoliberale Ideologie einer Leistungsgerechtigkeit, nach der der Leistungsfähige belohnt wird und der Schwache auf der Strecke bleibt. Überhaupt sind die wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Umsetzungen in den einzelnen Politikbereichen der Europäischen Union in neoliberaler Handschrift geschrieben. Die wirtschaftlichen Zielvorgaben mit der Freiheit für den Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sollen den Europäischen Binnenmarkt verwirklichen, also die umfassende Privatisierung der öffentlichen Güter ohne Einflußnahme der Gemeinwesen vorantreiben. Notwendige Bedingungen für ein friedensfähiges Europa In absehbarer Zeit - so sind die voranstehenden Überlegungen zusammenzufassen - wird sich eine europäische Friedensordnung, die der Idee des positiven Friedens verpflichtet ist, nicht verwirklichen lassen. Dennoch, fragt man nach den Gesinnungen und Willensäußerungen der Bürger, so haben die großen Friedenskundgebungen in den verschiedenen Ländern vom 15. Februar 2003 gegen den Irak - Krieg der USA einen unbedingten Friedenswillen 35 11 Siehe Kommission Friedenspolitik von pax Christi (Hrsg.), Eine neue Supermacht? Der EU-Verfassungsentwurf stellt die Weichen für globale Kriegsführung, Sozialabbau u. Entdemokratisierung, in: Impulse, Heft Juni/2004. 12 Siehe Platon, Der Staat, 433 A-434 C.

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Neben den völkerrechtlichen Bedingungen ist aber auch in staatsrechtlicher<br />

Hinsicht die Verfaßtheit eines Staates für das Zusammenleben mit anderen<br />

Staaten in den internationalen Beziehungen von friedensrelevanter Bedeutung.<br />

Denn erst eine - nach I. Kant- republikanische Verfassung, in der die<br />

Prinzipien von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit für alle gesichert sind,<br />

besitzt eine friedensfunktionale Bedeutung und begünstigt die Etablierung einer<br />

internationalen Rechtsordnung in völkerrechtlicher Hinsicht. 8<br />

J. Habermas weist darauf hin, daß in einem politischen Gemeinwesen die<br />

Bürger als Autoren des Rechts und nicht als bloße Adressaten des Rechts zu<br />

gelten haben. Besonders im grundlegenden Prozeß der Verfassungsgebung<br />

müssen die assoziierten Bürger aktiv beteiligt sein. Nur auf einem derartigen<br />

demokratischen Weg kann die notwendige Legitimität aus Legalität erzeugt<br />

werden. 9<br />

Der Entwurf der Verfassung der <strong>Europäische</strong>n Union ist jedoch von einem<br />

Konvent ausgearbeitet worden, der vom <strong>Europäische</strong>n Rat, also den Vertretern<br />

der Regierungen, einberufen wurde. Relevante gesellschaftliche Gruppen<br />

haben nicht mitgewirkt. Die europäischen Völker sind im Konvent nicht repräsentiert.<br />

Ja mehr noch, auch nachträglich wird das Volk kaum befragt. Referenden<br />

besitzen in Deutschland, England, Spanien und Belgien keine Rechtsgrundlage;<br />

in anderen europäischen Ländern wie Polen, Schweden und Ungarn<br />

sind Volksabstimmungen möglich, aber vom Ergebnis her nicht bindend.<br />

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In den Entscheidungen der EU über übergeordnete wirtschaftliche und politische<br />

Fragen, bis hin zu den im Verfassungsentwurf kaum thematisierten<br />

Weltproblemen, wird eine direkte Bürgerbeteilung schlechthin übergangen.<br />

Die mangelnde Beteiligung der Bürger an der politischen Willensbildung<br />

innerhalb der <strong>Europäische</strong>n Union erweist sich jetzt schon als fatal und wird,<br />

wenn sie nicht geändert wird, über kurz oder lang zu einer Legitimitätskrise<br />

führen.<br />

Ein wichtiges Indiz für eine demokratische Konstitution einer Assoziation ist<br />

seit J. Locke und Ch. Montesquieu (1689-1755) die Gewaltenteilung, also die<br />

gegenseitige Unabhängigkeit der gesetzgebenden, der vollziehenden und der<br />

richterlichen Gewalt. Damit der politische Souverän die legislative Gewalt<br />

8 Siehe W. Kersting, Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein,<br />

in: O. Höffe (Hrsg.), I. Kant, Zum Ewigen Frieden, Berlin 1995, S. 87-108.<br />

9 Siehe J. Habermas, Zur Diskussion mit Kardinal Ratzinger, in: Information Philosophie,<br />

Heft 04/2004, S. 7-15.<br />

10 Siehe EU-Verfassungsreferendum - ja oder nein?, in: Freitag vom 24.09.2004, S. 7.

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