AP073(2005) J. Klopfer: Europäische Friedensordnung - DSS

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18 Was aber hat Europa dem entgegenzusetzen? Verhält sich das kapitalistische Europa anders zu Krieg und Frieden als das kapitalistische Amerika? 2 Und werden nicht die meisten EU-Mitglieder, vor allem die maßgeblichen, von den USA in einem Militärbündnis gefangen gehalten? An dem alten Bonmot eines Diplomaten, die NATO sei dazu da, die Amerikaner drin, die Deutschen unten und die Russen draußen zu halten, ist schließlich nur eine Funktion überholt, die gegenüber den Deutschen. Die beiden anderen behalten ihre Gültigkeit. Aber es gibt ein wichtiges, in der Friedensdebatte oft übersehenes Faktum. Immerhin ist in Europa mit der EU etwas ganz Neues und bislang Einmaliges entstanden. Diese supranationale Vereinigung europäischer Staaten ist schon eine Realität und noch im Prozeß des Werdens. Sie agglomeriert 450 Millionen Menschen und 25 Staaten ökonomisch in einem gemeinsamen Markt, politisch und rechtlich in gemeinsamen Institutionen und Verkehrsformen und viele schon in einer Währungsunion. Welche Wirkungen hat nun diese Form der europäischen Vereinigung auf den Frieden in Europa und in der Welt? Für eine Antwort auf diese Frage scheint es mir sinnvoll, sich zunächst einer alten Debatte zu erinnern, die in der sozialistischen Bewegung vor knapp hundert Jahren über eine Idee bürgerlicher Herkunft geführt worden ist, über die Idee der Vereinigten Staaten von Europa. Seinerzeit zeichnete sich die Gefahr ernster kriegerischer Verwicklungen infolge der Tatsache ab, daß ein neuer Schub kapitalistischer Expansion und eine militärtechnische Revolution unter Bedingungen europäischer Nationalstaatlichkeit vor sich ging. Als Reflex auf diese Gefahr entstand die Paneuropaidee und es formierte sich eine Paneuropabewegung, die den europäischen Frieden durch Vereinigung der Nationalstaaten erreichen wollte. In der sozialistischen Bewegung rief die Europaidee eine scharfe Kontroverse hervor. Ihre Wortführer in Deutschland waren Karl Kautsky und Rosa Luxemburg. Drei Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges hatte Karl Kautsky geschrieben, für „eine ständige Fortdauer des Friedens, die das Gespenst des Krieges für immer bannte, gibt es heute nur einen Weg: die Vereinigung der Staaten der europäischen Zivilisation in einem Bunde mit gemeinsamer Handelspolitik, einem Bundesparlament, einer Bundesregierung und einem Bundesheer - die Herstellung der Vereinigten Staaten von Europa. 2 Mit Europa ist hier, wie im Sprachgebrauch üblich, die Europäische Union gemeint, so wie mit Amerika die USA.

Gelänge dies, so wäre Ungeheures erreicht. Diese Vereinigten Staaten besäßen eine solche Übermacht, daß sie ohne jeglichen Krieg alle anderen Nationen, soweit sie sich ihnen nicht freiwillig anschlössen, dazu zwingen könnten, ihre Armeen aufzulösen, ihre Flotten aufzugeben. Damit hörte aber auch für die neuen Vereinigten Staaten selbst jede Notwendigkeit einer Bewaffnung auf. … Damit wäre die Ära des ewigen Friedens sicher begründet.“ 3 Rosa Luxemburg verwarf diesen Gedanken als eine Friedensutopie, die „mit der Denkweise und den Standpunkten der Sozialdemokratie nicht das geringste zu tun“ 4 habe. Sie hielt entgegen, alle „Illusionen in Bezug auf die Friedensmache von bürgerlicher Seite rücksichtslos zu zerzausen und die proletarische Revolution als den einzigen und ersten Akt des Weltfriedens zu erklären, das ist die Aufgabe der Sozialdemokratie angesichts aller Abrüstungspossen, ob sie in Petersburg, London oder Berlin arrangiert werden.“ 5 Die Sozialdemokratie habe „die bürgerlichen Anläufe zur Eindämmung des Militarismus als jämmerliche Halbheiten, die Äußerungen in diesem Sinne, namentlich aus Regierungskreisen, als diplomatisches Schattenspiel zu entlarven und dem bürgerlichen Wort und Schein die rücksichtslose Analyse der kapitalistischen Wirklichkeit entgegenzustellen.“ 6 Und sie führte ihren Gedanken zu dem Schluß: „Damit wäre klar zum Ausdruck gebracht, was den Kern der sozialdemokratischen Auffassung bildet: daß der Militarismus in seinen beiden Formen - als Krieg wie als bewaffneter Friede - ein legitimes Kind, ein logisches Ergebnis des Kapitalismus ist, das nur mit dem Kapitalismus zusammen überwunden werden kann, daß also, wer aufrichtig den Weltfrieden und die Befreiung von der furchtbaren Last der Rüstungen wolle, auch den Sozialismus wollen müsse.“ 7 Aus heutiger Sicht, nach den Erfahrungen zweier Weltkriege und der Bewegung gegen den Atomkrieg, wissen wir, daß es falsch und der Kriegsverhütung nicht dienlich war, Frieden und Sozialismus in einer solchen Kausalität zu sehen. Und schon viel früher hatte Engels in seiner Schrift Kann Europa abrüsten? eine ganz andere Ansicht zu der furchtbaren Last der Rüstungen vertreten. 19 3 K. Kautsky, Krieg und Frieden. Betrachtungen zur Maifeier, in: Die Neue Zeit, 29. Jg., 1910/1911, Bd. 2, S. 105 f. 4 R. Luxemburg, Friedensutopien, in: R. Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 2, Berlin 1972, S. 489. 5 Ebenda, S. 498. 6 Ebenda, S. 493. 7 Ebenda, S. 494.

Gelänge dies, so wäre Ungeheures erreicht. Diese Vereinigten Staaten besäßen<br />

eine solche Übermacht, daß sie ohne jeglichen Krieg alle anderen Nationen,<br />

soweit sie sich ihnen nicht freiwillig anschlössen, dazu zwingen könnten,<br />

ihre Armeen aufzulösen, ihre Flotten aufzugeben. Damit hörte aber auch für<br />

die neuen Vereinigten Staaten selbst jede Notwendigkeit einer Bewaffnung<br />

auf. … Damit wäre die Ära des ewigen Friedens sicher begründet.“ 3<br />

Rosa Luxemburg verwarf diesen Gedanken als eine Friedensutopie, die „mit<br />

der Denkweise und den Standpunkten der Sozialdemokratie nicht das geringste<br />

zu tun“ 4 habe. Sie hielt entgegen, alle „Illusionen in Bezug auf die Friedensmache<br />

von bürgerlicher Seite rücksichtslos zu zerzausen und die proletarische<br />

Revolution als den einzigen und ersten Akt des Weltfriedens zu erklären,<br />

das ist die Aufgabe der Sozialdemokratie angesichts aller Abrüstungspossen,<br />

ob sie in Petersburg, London oder Berlin arrangiert werden.“ 5 Die<br />

Sozialdemokratie habe „die bürgerlichen Anläufe zur Eindämmung des Militarismus<br />

als jämmerliche Halbheiten, die Äußerungen in diesem Sinne, namentlich<br />

aus Regierungskreisen, als diplomatisches Schattenspiel zu entlarven<br />

und dem bürgerlichen Wort und Schein die rücksichtslose Analyse der kapitalistischen<br />

Wirklichkeit entgegenzustellen.“ 6<br />

Und sie führte ihren Gedanken zu dem Schluß: „Damit wäre klar zum Ausdruck<br />

gebracht, was den Kern der sozialdemokratischen Auffassung bildet:<br />

daß der Militarismus in seinen beiden Formen - als Krieg wie als bewaffneter<br />

Friede - ein legitimes Kind, ein logisches Ergebnis des Kapitalismus ist, das<br />

nur mit dem Kapitalismus zusammen überwunden werden kann, daß also,<br />

wer aufrichtig den Weltfrieden und die Befreiung von der furchtbaren Last<br />

der Rüstungen wolle, auch den Sozialismus wollen müsse.“ 7<br />

Aus heutiger Sicht, nach den Erfahrungen zweier Weltkriege und der Bewegung<br />

gegen den Atomkrieg, wissen wir, daß es falsch und der Kriegsverhütung<br />

nicht dienlich war, Frieden und Sozialismus in einer solchen Kausalität<br />

zu sehen. Und schon viel früher hatte Engels in seiner Schrift Kann Europa abrüsten?<br />

eine ganz andere Ansicht zu der furchtbaren Last der Rüstungen vertreten.<br />

19<br />

3 K. Kautsky, Krieg und Frieden. Betrachtungen zur Maifeier, in: Die Neue Zeit,<br />

29. Jg., 1910/1911, Bd. 2, S. 105 f.<br />

4 R. Luxemburg, Friedensutopien, in: R. Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 2, Berlin 1972,<br />

S. 489.<br />

5 Ebenda, S. 498.<br />

6 Ebenda, S. 493.<br />

7 Ebenda, S. 494.

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