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AP073(2005) J. Klopfer: Europäische Friedensordnung - DSS

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1<br />

D r e s d e n e r S t u d i e n g e m e i n s c h a f t S I C H E R H E I T S P O L I T I K ( D S S ) e . V .<br />

Die europäische<br />

Integration<br />

und der Frieden<br />

Ideen – Konzepte - Strategien<br />

Beiträge zum<br />

9. Dresdner Symposium<br />

Für eine globale <strong>Friedensordnung</strong><br />

am 27. November 2004<br />

<strong>DSS</strong>-Arbeitspapiere<br />

Heft 73 - <strong>2005</strong>


2<br />

H e r a u s g e b e r : D r e s d e n e r S t u d i e n g e m e i n s c h a f t S I C H E R H E I T S P O L I T I K e . V . ( D S S )<br />

Vorstandsvorsitzender: Prof. Dr. Rolf Lehmann Zur Erholung 13 D-01723 Kesselsdorf<br />

Die Projektgruppe „Globale <strong>Friedensordnung</strong>“ dankt der Kulturakademie Dresden<br />

für die erwiesene Gastfreundschaft und die ihrem Dresdner Symposium<br />

gewährten ausgezeichneten Arbeitsbedingungen.<br />

Inhalt<br />

WOLFGANG SCHELER Einführung 3<br />

ERNST WOIT<br />

WOLFGANG SCHELER<br />

VOLKER BIALAS<br />

HARRY PURSCHE<br />

Geostrategische und ideologische Aspekte der<br />

EU - Integration Europas<br />

Die Union kapitalistischer Staaten Europas im Blick auf eine europäische<br />

und globale <strong>Friedensordnung</strong><br />

Demokratische Mindeststandards einer europäischen<br />

<strong>Friedensordnung</strong><br />

Einige Aspekte der Einbindung der Verteidigungspolitischen<br />

Richtlinien in die EU - Sicherheitsstrategie<br />

5<br />

17<br />

29<br />

39<br />

JOACHIM KLOPFER <strong>Europäische</strong> <strong>Friedensordnung</strong>? Nicht ohne Rußland! 43<br />

Redaktion und Druckvorbereitung; V.i.S.d.P.: Prof. Dr. Siegfried Schönherr<br />

Vertrieb: Dr. Lothar Glaß Feuerbachstraße 1 0 1 2 1 9 D r e s d e n Telefon: 0351/4707918<br />

Beiträge im Rahmen der Schriftenreihe „<strong>DSS</strong>-Arbeitspapiere“ geben die Ansichten der Autoren<br />

wieder, mit denen sich Herausgeber und Redaktion nicht in jedem Fall identifizieren.<br />

Alle Rechte und Pflichten im Sinne des Urheberrechtsgesetzes liegen bei den Autoren!<br />

Nachdruck und jede andere vom Gesetz nicht ausdrücklich zugelassene Verwertung bedürfen<br />

ihrer Zustimmung; zugleich haften sie dafür, dass durch die vorliegende Veröffentlichung<br />

ihrer Ausarbeitungen nicht Schutzrechte Anderer verletzt werden.<br />

Redaktionsschluss: 20. Januar <strong>2005</strong><br />

Kostenbeitrag: 3,00 Euro<br />

S c h r i f t e n r e i h e „ D S S - A r b e i t s p a p i e r e “ I S S N 1 4 3 6 - 6 0 1 0


3<br />

Wolfgang Scheler<br />

Einführung<br />

Die Stimmung im trüben Monat November, in dem wir uns jährlich treffen,<br />

um die Möglichkeit einer globalen <strong>Friedensordnung</strong> zu diskutieren, paßt so<br />

recht zur Großwetterlage in der sicherheitspolitischen Konstellation. Seit wir<br />

auf Initiative von Volker Bialas das Projekt Globale <strong>Friedensordnung</strong> bearbeiten<br />

und es im Zusammenhang mit der realen Entwicklung überdenken, die auf<br />

dem Gebiet von Frieden und Krieg, von internationaler Sicherheit und ihrer<br />

Gefährdung vonstatten geht, hat sich der Horizont verdunkelt. Statt - aufbauend<br />

auf anfänglich hoffnungsvollen Voraussetzungen - die positiven Ansätze<br />

für friedliche Konfliktlösungen weiter auszuarbeiten, damit der Geist des<br />

Friedens sich im politischen Willen niederschlägt, endlich aufzuhören, Interessengegensätze<br />

und Konflikte in kriegerischen Formen auszufechten, mußten<br />

wir uns mit immer neuen Kriegen auseinandersetzen.<br />

Es verlangt ein gehöriges Maß an Standfestigkeit, um im allgemeinen Kriegsgeschrei<br />

und im Getöse der Kriegszüge der tonangebenden westlichen Führungsmacht,<br />

die sich als einzige Weltmacht versteht und auch so aufführt,<br />

unbeirrt den Glauben an die Möglichkeit einer globalen <strong>Friedensordnung</strong> zu<br />

behalten.<br />

Deshalb ist es ganz besonders wichtig, all jene Anzeichen zu sehen und richtig<br />

zu deuten, die dafür sprechen, daß noch nicht alle Hoffnung verloren ist.<br />

Ein solches Zeichen ist der Friedenswille in der Bevölkerung der stärksten<br />

kapitalistischen Staaten, also der Staaten, die eine Weltordnung nach ihrem<br />

Maß und ihren Zwecken einrichten wollen und sich dafür aller Instrumente<br />

ihrer überlegenen militärischen Macht bedienen. Der 15. Februar des Jahres<br />

2003, mit den bisher größten Friedensdemonstrationen in Metropolen europäischer<br />

Staaten, hat alle Chancen, in die Geschichte des 21. Jahrhunderts als<br />

der Tag einzugehen, an dem der Widerstand gegen neue imperiale Kriege einen<br />

überwältigenden Eindruck hinterließ.<br />

Doch nicht nur diese Manifestation des Friedenswillens europäischer und vieler<br />

Völker anderer Erdteile gibt zu denken. Als ein beachtenswertes Zeichen<br />

sollten wir auch wahrnehmen, daß die Haltung zum Irak-Krieg, dem vierten<br />

amerikanischen Krieg nach dem Ende der bipolaren Weltordnung, eine Spaltung<br />

im westlichen Bündnis bewirkt hat, die für die Alternative Krieg oder Frieden<br />

von Bedeutung sein kann. Aus diesem Grund scheint es geraten, sich der<br />

Rolle Europas im globalen Gefüge zuzuwenden und den Einfluß der europäischen<br />

Integration auf die globale Weltordnung zu beurteilen. Eine Form europäischer<br />

Integration war seinerzeit aus dem Bestreben heraus entstanden,


4<br />

die gefährliche Teilung Europas in sich konfrontativ gegenüberstehende Militärblöcke<br />

zu überbrücken. Das eröffnete die Möglichkeit, schließlich zu einem<br />

friedlichen Miteinander in einem gemeinsamen Haus Europa zu finden.<br />

Heute haben veränderte Interessen diese Form europäischer Integration, in<br />

die auch ein eurasischer Staat und zwei nordamerikanische Staaten mit überwiegend<br />

europastämmiger Bevölkerung einbezogen waren, an den Rand gedrängt.<br />

Ins Zentrum ist nunmehr jene Form europäischer Integration getreten,<br />

die ihre Vorgeschichte während der Zeit des fundamentalistischen Ost-<br />

West-Gegensatzes in Gestalt eines kleineuropäischen Zusammenschlusses<br />

westlicher Staaten hat und die nach der Auflösung des Ost-West-Konflikts<br />

zur <strong>Europäische</strong>n Union fortgeschritten ist und nach Osten hin ausgedehnt<br />

wird.<br />

Wie sich diese neue Tatsache auf den Frieden in Europa und in der Welt<br />

auswirkt, stellt sich als eine Frage von großer Relevanz, und eben dieser Frage<br />

widmet sich in ihren verschiedenen Aspekten die vorliegende Veröffentlichung<br />

von Ergebnissen des 9. Dresdener Symposiums Für eine globale <strong>Friedensordnung</strong>.


5<br />

Ernst Woit<br />

Geostrategische und ideologische Aspekte der<br />

EU-Integration Europas<br />

Neben und nach der NATO bildet die <strong>Europäische</strong> Union (EU) den entscheidenden<br />

zwischenstaatlichen Rahmen zur Neuordnung Europas nach dem<br />

Sieg des Kapitalismus über die seit 1917 bestehende alternative Gesellschaftsordnung.<br />

Damit markiert die Entstehung der EU einen Epochewechsel. Daß dieser<br />

Epochewechsel in Europa friedlich verlief, ist wesentlich dem KSZE-<br />

Prozeß zu danken, welcher der Entstehung der EU vorausging und am<br />

21.11.1990 mit der Annahme der Charta von Paris endete, an die heute kaum<br />

noch jemand erinnert.<br />

Historisch betrachtet ist die EU sowohl das Produkt als auch die schließliche<br />

Alternative des KSZE-Prozesses der friedlichen Koexistenz von NATO und<br />

Warschauer Vertrag. Aus Sicht des siegreichen Kapitalismus nahm die KSZE<br />

„in ihrem Ansatz die Überwindung des Ost-West-Konfliktes gewissermaßen<br />

vorweg. Zwar fehlte zunächst die gemeinsame Wertgrundlage für eine stabile<br />

europäische Normenordnung, doch konnten erste Fundamente bereits während<br />

der Konfrontation gelegt werden.“ 1 „Überwindung des Ost-West-<br />

Konfliktes“ bedeutete dabei die Auflösung des Warschauer Vertrages auf der<br />

einen Seite bei gleichzeitigem Fortbestehen der auf der anderen Seite „existierenden<br />

Verteidigungsbündnisse wie NATO oder WEU.“ 2<br />

Am 07.02.1992 wurde mit dem Vertrag von Maastricht die EU gegründet, die<br />

zu diesem Zeitpunkt 12 Staaten umfaßte. Mit dem Beitritt der bis dahin neutralen<br />

Staaten Österreich, Finnland und Schweden zum 11.01.1995 umfaßte<br />

die EU 15 Staaten. Inzwischen erhöhte sich die Zahl der Mitgliedsstaaten auf<br />

25. Dabei ist bemerkenswert, daß alle ehemaligen Staaten des Warschauer<br />

Vertrages, die inzwischen der EU angehören, erst NATO-Mitglieder werden<br />

mußten, ehe sie die Chance erhielten, in die EU aufgenommen zu werden.<br />

Gegenwärtig sind Bulgarien und Rumänien solche EU-Anwärter. Als inzwischen<br />

langjährige NATO-Mitglieder haben sie ihre militärische Dienstbereitschaft<br />

im Rahmen der imperialistischen Geostrategie durch Bereitstellung von<br />

1 H. Vetschera, Die Rolle der KSZE als Einrichtung kooperativer Sicherheit im Rahmen des<br />

„interlocking institutions“-Konzepts, in: B. v. Plate (Hrsg.), Europa auf dem Wege zur<br />

kollektiven Sicherheit?, Baden-Baden 1994, S. 151 f.<br />

2 Ebenda, S. 152.


6<br />

Stützpunkten und Soldaten - z.B. im Irak - immer wieder zu beweisen versucht.<br />

Die EU versteht sich, wie nicht zuletzt ihr Verfassungsentwurf ausweist, als<br />

eine weltweit agierende Macht. Dabei handelt sie einmal in Übereinstimmung<br />

und einmal in Nichtübereinstimmung mit den USA. J. Solana hat das so definiert:<br />

„Wir sind die größte Handelsmacht der Welt und der größte Geldgeber<br />

bei der Entwicklungshilfe. Also sind wir längst eine globale Macht. Bloß waren<br />

wir bisher noch kein militärischer Akteur. Der aber müssen wir werden,<br />

wenn wir unsere Werte verteidigen wollen. Damit machen wir uns im übrigen<br />

nicht automatisch zum Konkurrenten der USA.“ 3<br />

Geostrategische Konkurrenz auf dem eurasischen Schachbrett<br />

Nach Z. Brzezinski geht es in der Geopolitik „nicht mehr um regionale, sondern<br />

um globale Dimensionen, wobei eine Dominanz auf dem gesamten eurasischen<br />

Kontinent noch heute die Voraussetzung für globale Vormachtstellung<br />

ist.“ Deshalb hängt für Z. Brzezinski „der Fortbestand der globalen<br />

Vormachtstellung Amerikas unmittelbar davon ab, wie lange und wie effektiv<br />

es sich in Eurasien behaupten kann.“ Zur Zeit ist für ihn noch „der gesamte<br />

Kontinent von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät,<br />

von denen einige allzu gern noch fester an Washington gebunden wären.“ 4<br />

Was tributpflichtiges Vasallentum bedeutet, verdeutlichte H. Kohl, als er 1998<br />

in einem Interview erklärte, Deutschland mußte „an die zwanzig Milliarden<br />

Mark aufbringen, weil keine deutschen Soldaten am Golfkrieg teilnahmen.“ 5<br />

Für Z. Brzezinski gehört es zu den Imperativen imperialistischer Geostrategie, „Absprachen<br />

zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen<br />

der Sicherheit zu bewahren.“ 6 Das bringt es ziemlich genau auf den Begriff,<br />

wie die USA - vor allem durch ihre militärische Überlegenheit - der EU<br />

über die Dominanz der NATO gewissermaßen den geostrategischen Handlungsrahmen<br />

vorgeben. „Die europäischen Großkonzerne sind in Ermangelung<br />

einer ähnlichen militärischen Fähigkeit gezwungen, im amerikanischen<br />

Windschatten zu segeln. Die ‚Verteidigung‘ ihrer weltweiten Interessen kann<br />

daher nur im Tandem mit den US-Amerikanern geschehen und schon gar<br />

nicht gegen sie.“ 7<br />

3 Die Zeit vom 12.06.2003, S. 8.<br />

4 Z. Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Weinheim, Berlin 1997, S. 64 u. 41.<br />

5 Die Zeit vom 27.08.1998, S. 3.<br />

6 Z. Brzezinski, a.a.O., S. 65 f.<br />

7 R. Rupp, Bush for President, in: junge Welt vom 28.10.2004, S. 10.


Aber die Konkurrenz der Ziele und der politisch-militärischen Praktiken zwischen<br />

den USA und der EU verschwindet damit nicht. Im Gegenteil, sie ist<br />

gerade im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg der USA gegen den Irak<br />

deutlicher als je zuvor in Erscheinung getreten.<br />

Was die Expansion ihres Machtbereiches betrifft, gibt es grundsätzlich Konsens<br />

zwischen den USA und der EU. Bereits vor zehn Jahren votierte<br />

Z. Brzezinski für „eine Ausdehnung der Nato in das geopolitische Niemandsland<br />

zwischen Oder und russischer Grenze“ als einen „Prozeß, der aufs engste<br />

mit der Erweiterung der <strong>Europäische</strong>n Union verzahnt ist“ und in dem<br />

„eine stabile und sichere Ukraine“ die Funktion habe, „imperialen Versuchungen<br />

Rußlands“ entgegenzuwirken. 8<br />

Drei Jahre später beschrieb er die Bedeutung der Ukraine in der Expansionsstrategie<br />

von USA und EU mit kaum noch zu überbietender Offenheit so:<br />

„Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett,<br />

ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz<br />

als unabhängiger Staat zur Umwandlung Rußlands beiträgt. Ohne die Ukraine<br />

ist Rußland kein eurasisches Reich mehr. Es kann trotzdem nach einem imperialen<br />

Status streben, würde aber dann ein vorwiegend asiatisches Reich werden<br />

... Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren<br />

52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum<br />

Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangt Rußland automatisch die Mittel,<br />

ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden.“ 9 Wir<br />

erleben gerade gegenwärtig, wie USA und EU diese Strategie zur Einbeziehung<br />

der Ukraine in ihren Machtbereich verstärkt umzusetzen versuchen.<br />

Gegenwärtig dominieren in der EU die Auseinandersetzungen über Wege zur<br />

Ausdehnung ihres Machtbereiches durch Integration der Türkei. Das geschieht<br />

sowohl in Konkurrenz zu den USA als auch in grundsätzlicher - letztlich<br />

auf die NATO zentrierter - geostrategischer Übereinstimmung mit den<br />

USA. Zugleich gehen die Expansionsbestrebungen der EU in Richtung Naher<br />

und Mittlerer Osten natürlich noch über die Türkei hinaus. Aufschlußreich ist<br />

in diesem Zusammenhang folgende vor wenigen Tagen in einer konservativen<br />

deutschen Zeitung publizierte Position: „Eine mögliche Strategie könnte<br />

die Eröffnung einer gleichzeitigen Beitrittsperspektive zur EU für Israel und<br />

Palästina sein.“ Denn eine solche Strategie „würde Westeuropa erstmals in die<br />

7<br />

8 Z. Brzezinski, Die Reifeprüfung, in: Die Zeit vom 08.07.1994, S. 8.<br />

9 Derselbe, Die einzige Weltmacht, a.a.O., S. 74 f.


8<br />

Lage versetzen, eine glaubwürdige Alternative zu Amerika in seiner Rolle als<br />

regionalpolitische Ordnungsmacht zu entwickeln.“ 10<br />

Am deutlichsten differieren USA und EU bisher in ihrer Stellung zur UN und<br />

zum Völkerrecht. J. Joffe charakterisierte diese Differenz so: „Die Amerikaner<br />

stützen sich auf die Macht, der das Recht fehlt, die Europäer auf das<br />

Recht, dem die Macht fehlt.“ 11 Solange der EU eine Militärmacht fehlt, über<br />

die die USA verfügen, hält E. Bahr es für sinnvoll, „wenn Europa seine<br />

Schwäche zu seiner Stärke macht, indem es durch Verträge, durch kontrollierbare<br />

Bindungen, durch Zusammenarbeit, durch präventive Diplomatie eine<br />

Stabilität schafft, in der das Gewicht des Militärischen geringer wird.“ 12<br />

Tatsächlich sind die Unterschiede in der Stellung zur UN und zum Völkerrecht<br />

zwischen den USA und den meisten EU-Staaten gravierend. So kommt<br />

der zur Zeit in New York lehrende deutsche Politologe M. Minkenberg zu der<br />

Einschätzung, daß die Vereinten Nationen heute im Zentrum des Feindbildes<br />

der die USA regierenden Kreise stehen: „Standen in den achtziger Jahren<br />

noch der Kampf gegen den Kommunismus im Vordergrund und die Vereinten<br />

Nationen an zweiter Stelle, so rückten diese nach 1989 an die erste Stelle.<br />

Sie sind für die Christliche Rechte Ausdruck einer die USA zutiefst bedrohenden<br />

Weltordnung.“ 13<br />

Daß das keineswegs übertrieben ist, offenbarte R. Perle, einer der einflußreichsten<br />

neokonservativen Vordenker in den USA, als er in einem Kommentar<br />

für die britische Tageszeitung The Guardian anläßlich des Kriegsbeginns<br />

gegen den Irak schrieb:„Thank God for the death of the UN.“ 14 Derselbe<br />

R. Perle plädierte auf einem vom Bundesverband deutscher Banken einberufenen<br />

Forum mit folgenden Ausführungen für eine das in der UN-Charta<br />

eindeutig festgeschriebene Verbot des Angriffskrieges mißachtende Präemptivkriegsstrategie:<br />

„Präemptive Handlungen und Strategien stellen eine rechtzeitige<br />

Reaktion auf Bedrohungen dar. ... 1981 haben die Israelis etwas getan,<br />

wofür wir ihnen dankbar sein sollten: Sie haben einen Nuklearreaktor im Irak<br />

zerstört. Sie haben dies nicht getan, weil dort Nuklearwaffen hergestellt wur-<br />

10 H. W. Maull, Warum nicht Israel und Palästina in die EU?, in: Frankfurter Allgemeine<br />

Sonntagszeitung vom 07.11.2004, S. 2.<br />

11 J. Joffe, Der Realitätsschock., in: Die Zeit vom 03.04.2003, S. 1.<br />

12 E. Bahr, Der deutsche Weg, München 2003, S. 131.<br />

13 M. Minkenberg, Die Christliche Rechte und die amerikanische Politik von der ersten bis zur<br />

zweiten Bush-Administration, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zu Das Parlament),<br />

Berlin, Nr. 46/2003, vom 10.11.2003, S. 30.<br />

14 Nach Neues Deutschland vom 26.03.2003, S. 4.


den - das wäre wahrscheinlich erst Jahre später möglich gewesen -, nicht weil<br />

es eine direkte Bedrohung gab, sondern weil die Iraker nukleare Brennstoffe<br />

in diesen Reaktor einbringen wollten. ... Der Zeitpunkt dieses Präventivschlags<br />

hatte nichts mit einer unmittelbar bevorstehenden Attacke auf Israel<br />

zu tun, sondern mit Umständen, welche die Israelis nicht mehr in die Lage<br />

versetzt hätten, vernünftige Optionen zu wählen. Das ist eine vernünftige<br />

Denkweise, wenn es um Präemptivstrategien geht.“ 15<br />

Nach Ch. Johnson sind die USA „nicht das, was sie zu sein vorgeben, sie sind<br />

in Wahrheit ein militaristischer Moloch, der sich die Welt unterwerfen will.“ 16<br />

Dazu schufen sie sich „nicht ein Imperium der Kolonien, sondern ein Imperium<br />

der Militärbasen“. 17 2001 unterhielten sie mindestens 725 Militärstützpunkte<br />

außerhalb ihres Hoheitsgebietes. 2003 waren sie in 153 der 189 UN-<br />

Mitgliedsstaaten militärisch präsent und in 25 Staaten massiv präsent. Mit<br />

mindestens 36 Staaten bestanden militärische Verträge oder bindende Sicherheitsabkommen.<br />

18<br />

Zu den Unterschieden in der Einstellung zum Völkerrecht zwischen den USA<br />

und ihren europäischen Verbündeten erklärte Th. Pickering, Staatssekretär im<br />

US-Außenministerium, bereits am 10.02.1999 - unmittelbar vor dem NATO-<br />

Überfall auf Jugoslawien - vor der US-Militärakademie in West Point, es bestehe<br />

heute „zunehmend das Verlangen, sich vor dem Handeln einer eindeutigen<br />

rechtlichen Grundlage zu versichern. Am deutlichsten wird dies innerhalb<br />

der NATO, wo einige unserer Bündnispartner argumentieren, ein UN-<br />

Mandat sei für einen Einsatz der NATO außerhalb des Bündnisgebietes immer<br />

notwendig. Die Vereinigten Staaten und andere Bündnispartner stimmen<br />

hiermit nicht überein. ... Würden wir uns darauf beschränken, nur nach ausdrücklicher<br />

Zustimmung des Sicherheitsrates zu handeln, räumten wir Rußland<br />

und China praktisch ein Vetorecht gegen alle NATO-Aktionen dieser<br />

Art ein. Das ist inakzeptabel. ... Die Vereinigten Staaten werden unter keinen<br />

Umständen jemals auf ihr Recht verzichten, allein zu handeln.“ 19<br />

9<br />

15 R. Perle, Die amerikanische Sicht der Welt, in: Bundesverband deutscher Banken (Hrsg.),<br />

Atlantische und europäische Brüche. Vor einer neuen Weltunordnung? Elftes<br />

Gesellschaftspolitisches Forum der Banken. Schönhauser Gespräche, 05./06.11.2003,<br />

Berlin 2004, S. 32.<br />

16 Ch. Johnson, Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie, München 2003, S. 10.<br />

17 Ebenda, S. 36.<br />

18 Nach ebenda, S. 11 u. 394.<br />

19 junge Welt vom 22.07.1999, S. 11.


10<br />

Zum geostrategischen Grundkonsens zwischen USA und EU<br />

Bei allen Unterschieden in der Stellung zur UN und zum Völkerrecht sowie<br />

hinsichtlich der bevorzugten Mittel und Methoden zur Erreichung ihrer<br />

au ßenpolitischen Ziele besteht zwischen den USA und der EU ein fundamentaler<br />

geostrategischer Grundkonsens. Er betrifft die Neuordnung der Welt im Interesse<br />

der mächtigsten global agierenden kapitalistischen Monopole durch<br />

Beseitigung der letzten Errungenschaften antiimperialistischen und antikolonialen<br />

Befreiungskampfes im 20. Jahrhundert. Eine konservative Zeitung definierte<br />

das am Tage, als die USA ihren jüngsten Krieg gegen den Irak begannen,<br />

mit den Worten: „Der Irak soll als Feind verschwinden, indem die Amerikaner<br />

ihn mit imperialen Mitteln neu gründen. Die Verwerfungen der postkolonialen<br />

Zeit werden durch einen neuen demokratischen Kolonialismus zugeschüttet.“<br />

20<br />

Dabei geht es vor allem darum, die Bodenschätze wieder zu privatisieren, die<br />

im Ergebnis des antikolonialen Befreiungskampfes Anfang der 70er Jahre des<br />

vorigen Jahrhunderts verstaatlicht worden waren, worauf bis heute z.B. auch<br />

die wirtschaftliche Stärke der OPEC-Staaten beruht. J. Woolsey, 1993/1994<br />

Chef der CIA, brachte dieses strategische Ziel unmittelbar vor Beginn des<br />

jüngsten Krieges gegen den Irak mit den Worten auf den Begriff, es gehe<br />

„nicht nur um Amerikas Abhängigkeit vom Öl, sondern um die der ganzen<br />

Welt. ... Wir müssen dem Nahen Osten die Ölwaffe wegnehmen .... Wir fangen<br />

jetzt mit dem Irak an ...“ 21 Ganz in diesem Sinne rechtfertigte R. Herzinger<br />

solche Kriege als „Instrumente der Selbstbehauptung“ der „westlichen<br />

Demokratien“ und erklärte: „Dies läuft auf einen demokratischen Neokolonialismus<br />

hinaus.“ 22<br />

Die von diesem Neokolonialismus nach dem Ende des Kalten Krieges betroffenen<br />

Völker sehen sich Mächten gegenüber, die über Monopole verfügen,<br />

denen sie bisher nichts annähernd Adäquates entgegenzusetzen hatten.<br />

S. Amin benennt fünf Monopole, „die die polarisierende Globalisierung des<br />

heutigen Imperialismus prägen: 1. das Monopol der neuen Technologien;<br />

2. das der Kontrolle über die globalen Finanzströme; 3. die Kontrolle des Zugangs<br />

zu den Bodenschätzen des Planeten; 4. die Kontrolle der Kommunikationsmittel<br />

und Medien; 5. das Monopol der Massenvernichtungswaffen.“ 23<br />

20 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.03.2003, S. 37.<br />

21 Der Spiegel, Nr. 04/2003, S. 109.<br />

22 R. Herzinger, Wo Demokraten schießen, in: Die Zeit vom 12.06.2003, S. 8.<br />

23 S. Amin, Kapitalismus, Imperialismus, Globalisierung, in: Marxistische Blätter,<br />

Heft 04/1998, S. 48.


Was Massenvernichtungswaffen betrifft, wirft S. Amin den USA und ihren<br />

Verbündeten vor, der Weltöffentlichkeit einen „heuchlerischen Diskurs“ aufzuzwingen,<br />

„der hinnehmen lassen soll, daß der Westen die Mittel behält, die<br />

anderen Völker mit dem Genozid zu bedrohen, ohne selbst in Gefahr zu geraten.“<br />

24 Er sieht die Völker der Dritten Welt von den G 7- bzw. G 8-Staaten<br />

als einer imperialen Triade bedroht: „Sie besteht aus den Ländern Europas,<br />

aus den USA und Japan.“ 25<br />

Ähnlich sieht es die indische Schriftstellerin A. Roy, die kürzlich anläßlich der<br />

Entgegennahme des Sydney-Friedenspreises erklärte: „Während der Kampf<br />

um die Kontrolle der Weltressourcen sich intensiviert, erfährt der ökonomische<br />

Kolonialismus durch militärische Aggression ein Comeback. ... Die ‚zivilisierte,<br />

moderne‘ Welt - gewissenhaft auf einem Erbe von Genozid, Sklaverei<br />

und Kolonialismus errichtet - kontrolliert jetzt das meiste Öl der Welt. Und<br />

die meisten Waffen der Welt, das meiste Geld der Welt. Und die meisten Medien<br />

der Welt ...“ 26<br />

In welchem Maße der geostrategische imperialistische Grundkonsens mit den<br />

USA bestimmend für die Außen- und Militärpolitik der EU ist, verdeutlichte<br />

J. Solana, als er in einem Spiegel-Interview auf die Frage, wird eine stärkere,<br />

geschlossen auftretende <strong>Europäische</strong> Union nicht in jedem Fall von den USA<br />

als Rivale empfunden?, erklärte: „Im Gegenteil: Eine stärkere <strong>Europäische</strong><br />

Union wird ein besserer Partner für die Vereinigten Staaten sein,“ denn - so<br />

die Begründung - „bei den wirklich wichtigen Problemen haben wir die gleichen<br />

Ziele. Wir haben allenfalls Handelsprobleme zum Beispiel mit Boeing<br />

und Airbus. Aber das betrifft nicht den strategischen Bereich.“ 27<br />

Dabei bildet die Anerkennung der Hegemonie der USA durch die EU einen<br />

festen Bestandteil der gemeinsamen Geostrategie. Das schließt die Duldung<br />

eines immer größer werdenden Außenhandelsdefizits der USA ebenso ein wie<br />

die Erfüllung US-amerikanischer Forderungen nach militärischer Aufrüstung.<br />

So hielt K. O. Hondrich der Auffassung, die USA leben wirtschaftlich bereits<br />

auf Kosten der anderen, entgegen: „Das kann man anders deuten: Die Welt<br />

gibt Amerika in Waren zurück, was sie an militärischen Diensten von ihm bekommt.“<br />

28<br />

11<br />

24 Derselbe, Das Reich des Chaos, Hamburg 1992, S. 108.<br />

25 Derselbe, Der kapitalistische Genozid, in: Blätter für deutsche und internationale Politik,<br />

Nr. 07/2004, S. 823.<br />

26 A. Roy, Die neue korporative Befreiungstheologie, in: junge Welt vom 11.11.2004, S. 11.<br />

27 Der Spiegel, Nr. 44/2004, S. 135.<br />

28 K. O. Hondrich, Die ordnende Gewalt, in: Der Spiegel, Nr. 25/2003, S. 58.


12<br />

Und selbstverständlich entspricht das aktuelle militärische Um- und Hochrüstungsprogramm<br />

der EU sowohl den imperialen Ambitionen der führenden<br />

EU-Staaten als auch entsprechenden Forderungen der USA. Die Ambitionen<br />

der EU hat H. Münkler so definiert: „Die eigentliche Frage heißt doch: In<br />

welcher Weise sind die Europäer handlungsfähig? Das ist die klassische Frage<br />

nach der militärischen Interventionsfähigkeit, die bedeutet, daß ein politischer<br />

Wille der Europäer mit militärischen Mitteln, mag er nun legitim oder illegitim<br />

sein, gegebenenfalls geltend gemacht werden kann.“ 29<br />

Das aber deckt sich weitgehend mit dem, was die USA von der Aufrüstung<br />

der EU erwarten und fordern: „Was Rumsfeld von den Europäern will, ist<br />

klar: Sie sollen ihre veralteten Riesenarmeen des Kalten Krieges schleunigst<br />

modernisieren, notfalls auf Kosten ihres Wohlstands und des sozialen Friedens.<br />

Anstatt die USA ständig moralisch zu kritisieren, sollen sie einen größeren<br />

Teil der Kriegs- und Friedenseinsätze übernehmen, um Washington zu<br />

entlasten.“ 30<br />

Ideologische Aspekte der EU-Integration<br />

Die ideologische Grundposition des deutschen Imperialismus zur Expansion<br />

seines Einflußbereiches markierte der damalige BRD-Außenminister K. Kinkel<br />

bereits 1993, indem er in einem außenpolitischen Grundsatzartikel feststellte,<br />

„nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert<br />

sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden,<br />

die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht. ... Wir sind aufgrund<br />

unserer Mittellage, unserer Größe und unserer „traditionellen Beziehungen<br />

zu Mittel- und Osteuropa“ dazu prädestiniert, den Hauptvorteil aus<br />

der Rückkehr dieser Staaten nach Europa zu ziehen.“ 31 Aufschlußreich ist dabei,<br />

mit welcher Selbstverständlichkeit K. Kinkel hier die aktuellen Ambitionen<br />

der BRD, den Hauptvorteil aus der EU-Integration zu ziehen, angesichts<br />

zweier vom Deutschen Reich verschuldeter Weltkriege als quasi dritten Versuch<br />

hinstellt, die traditionellen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa zu<br />

pflegen.<br />

Inzwischen haben sich US-Präsident Bush und BRD-Kanzler Schröder in ihrer<br />

Gemeinsamen Erklärung vom 27.02.2004 über Das deutsch-amerikanische<br />

29 Alte Hegemonie und Neue Kriege. H. Münkler und D. Senghaas im Streitgespräch, in: Blätter<br />

für deutsche und internationale Politik, Nr. 05/2004, S. 547.<br />

30 S. Koelbl, Wo die Drachen wohnen, in: Der Spiegel, Nr. 35/2004, S. 56.<br />

31 K. Kinkel, Verantwortung, Realismus, Zukunftssicherung. Deutsche Außenpolitik in einer sich<br />

neu ordnenden Welt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.03.1993.


Bündnis für das 21. Jahrhundert gerade im Zusammenhang mit dem heutigen<br />

Europa auch explizit und ohne jede Einschränkung zu den Traditionslinien<br />

des deutschen Imperialismus mit dem Satz bekannt: „Die Opfer zweier Generationen<br />

und die visionäre Führungsstärke unserer Vorfahren schufen die<br />

Voraussetzungen für ein geeintes, freies und friedliches Europa zu Beginn des<br />

21. Jahrhunderts.“ Im gleichen Dokument betonen Bush und Schröder ausdrücklich<br />

ihr gemeinsames geostrategisches Interesse an „wirtschaftlichen<br />

Chancen und Sicherheit im Nahen und Mittleren Osten“. 32<br />

Angesichts dieser als strategisch bedeutsam eingestuften Orientierung der visionären<br />

Führungsstärke der Vorfahren für die heutigen Machthaber ist es sicher kein<br />

Zufall, daß wir in Deutschland gegenwärtig eine regelrechte Kampagne der<br />

positiven Umwertung jener Personen erleben, die für die Verbrechen des Hitlerfaschismus<br />

in besonders hohem Maße persönlich verantwortlich waren.<br />

Bereits im Februar 1992 schrieb der Historiker E. Nolte: „Zeigt sich nicht,<br />

daß sogar Hitlers Vorstellung vom ‚Lebensraum‘ keine bloße Phantasie war,<br />

da doch ganz Osteuropa heute der Tätigkeit der deutschen Wirtschaft offenzustehen<br />

scheint?“ 33<br />

In diesem Jahr erschien eine von L. Gall verfaßte, über 500 Seiten umfassende<br />

Biographie des Bankiers H. J. Abs, die in den einflußreichsten deutschen<br />

Medien als ein „großer Wurf“, weil „bemerkenswert fair“ gefeiert wurde. Abs<br />

war nun wirklich keine Randfigur der Nazidiktatur. Noch kurz vor seinem<br />

Tode Anfang Februar 1994 bezeichnete ihn die US-amerikanische Zeitschrift<br />

Forbes als den „mit Abstand mächtigsten Mann in Deutschland“. Vor allem<br />

aber verkörperte er, wie V. Ullrich in einer Rezension der Abs-Biographie<br />

feststellte, „wie kein Zweiter die Kontinuität der wirtschaftlichen Eliten über<br />

die Zäsur von 1945 hinweg.“ 34<br />

Was hatte dieser Vorfahre der heutigen deutschen Machthaber im Zweiten<br />

Weltkrieg - dem nach K. Kinkel zweiten Versuch - für europäische Visionen?<br />

Am 17.07.1941 - also unmittelbar nach dem Überfall Deutschlands auf die<br />

Sowjetunion - erklärte H. J. Abs vor dem Handelspolitischen Ausschuß der<br />

Reichswirtschaftskammer: „Auch die Perspektiven, die sich für die deutsche<br />

Wirtschaft nach dem Krieg stellen und die auf einen engen Zusammenschluß<br />

aller kontinentaleuropäischen Volkswirtschaften hinauslaufen, rechtfertigen ja<br />

13<br />

32 Nach Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 04/2004, S. 502.<br />

33 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.02.1992. Nach O. Köhler, Die große Enteignung,<br />

München 1994, S. 88.<br />

34 V. Ullrich, Der Herr des Geldes, in: Die Zeit, Literatur, Oktober 2004, S. 61.


14<br />

unter außenhandelsmäßigen Aspekten eine Betrachtung, die Kontinentaleuropa<br />

dem amerikanischen Kontinent gegenüberstellt.“ Weiter sagte er: „1. sei<br />

davon auszugehen, daß Deutschland nach dem Krieg Europa beherrscht,<br />

2. Auch Europa ist nach dem Krieg auf die USA nicht angewiesen, 3. der<br />

Ferne Osten und Südamerika stehen dem europäischen Export offen ...“ 35<br />

Nach O. von Habsburg kann man in der EU „Spuren eines Gesellschaftsverständnisses<br />

finden, wie es auch das Habsburgerreich ausgezeichnet hat. ...<br />

Meine ersten politischen Ideen, die ich als junger Mann entwickelte, zielten ja<br />

auf so etwas wie die Vereinigten Staaten des Donauraumes. Da sehe ich mich<br />

jetzt durchaus bestätigt.“ Und er folgert: „Natürlich gehört die Ukraine in die<br />

EU.“ 36<br />

J. Habermas, der den Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien noch gerechtfertigt<br />

hatte, verurteilt - insbesondere seit dem Angriff der USA auf den<br />

Irak im März 2003 - den „Unilateralismus der Bush-Regierung“ in Gestalt der<br />

auf einen militärischen ‚pre-emptive strike’ setzenden ‚Sicherheitsdoktrin’<br />

prinzipiell als Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta und damit als<br />

„Ausdruck der Mißachtung einer der großartigsten zivilisatorischen Leistungen<br />

des Menschengeschlechts.“ 37 Als Alternative für Europa setzt J. Habermas<br />

auf das vom Kronjuristen des Hitlerfaschismus C. Schmitt in Anlehnung<br />

an die Monroe-Doktrin der USA entwickelte Konzept einer „völkerrechtlichen<br />

Großraumordnung“, denn diese übertrage „das Prinzip der Nichtintervention<br />

auf die Einflußsphären von Großmächten, die ihre Kultur und Lebensform<br />

gegeneinander souverän und erforderlichenfalls mit militärischer<br />

Gewalt behaupten.“ J. Habermas schreibt, er habe „diesem ursprünglich auf<br />

das ‚Dritte Reich‘ gemünzten Projekt der völkerrechtlichen Großraumordnung<br />

Platz eingeräumt, weil es einen fatalen Zeitgeist-appeal gewinnen könnte.“<br />

Damit „empfiehlt sich eine modernisierte Großraumtheorie als ein nicht<br />

ganz unwahrscheinlicher Gegenentwurf zur unipolaren Weltordnung des hegemonialen<br />

Liberalismus.“ 38<br />

Daß solche Anregungen von den durchaus in der Tradition eines C. Schmitt<br />

denkenden deutschen EU-Ideologen gerne aufgegriffen werden, demonstrierte<br />

eine konservative deutsche Zeitung, als sie kürzlich unter der Überschrift<br />

„Europa sollte ein Reich werden“ schrieb: „Carl Schmitts Großraumtheorie<br />

35 Nach R. Kühnl, Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln 1975, S. 327 f.<br />

36 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 03.10.2004, S. 8.<br />

37 J. Habermas, Der gespaltene Westen, Frankfurt a.M. 2004, S. 181.<br />

38 Ebenda, S. 192 f.


könnte helfen, dem imperialen Universalismus der Vereinigten Staaten auf<br />

kluge Weise zu entkommen.“ 39<br />

Von unmittelbar kriegsideologischer Bedeutung sind jene Publikationen, welche<br />

- angesichts der Orientierung der EU-Streitkräfte auf weltweite militärische<br />

Interventionen - die nach dem Zweiten Weltkrieg massenhaft entwickelten<br />

pazifistischen Positionen durch die Glorifizierung vergangener Kriege beseitigen<br />

sollen. Dazu gehört z.B. das dieses Jahr in der Deutschen Verlagsanstalt<br />

München erschienene Buch von J. Busche Heldenprüfung, in dem u.a.<br />

E. Jünger, E. Rommel, P. von Lettow-Vorbeck, E. Udet, O. Weddigen und<br />

P. von Hindenburg als Helden gefeiert werden. Der Historiker H.-U. Wehler<br />

fragt Cui bono?, wenn J. Busche mit diesem Buch „dringend nahe legt, das bisher<br />

‚verweigerte Erbe‘ militärischer Großtaten im Ersten Weltkrieg anzunehmen.“<br />

Und er antwortet: „Offenbar hauptsächlich deshalb, weil das Land jetzt<br />

wieder den Einsatz deutscher Soldaten unter Kriegsbedingungen zu verzeichnen<br />

hat. Die Orientierung an illustren Leitfiguren des Kriegshandwerks sei da<br />

ganz unvermeidlich, glaubt der Autor ...“ 40 Es liegt völlig in diesem Trend,<br />

wenn der Rhenania-Buchversand Koblenz seinen Kunden neuerdings neben<br />

zahlreicher, die Taten der deutscher Soldaten in beiden Weltkriegen verherrlichender<br />

Literatur auch eine Büste Hindenburgs mit dem Titel Der Sieger von<br />

Tannenberg anbietet.<br />

In der Sicherheitsdoktrin der USA unter Bush werden Sicherheit und Frieden<br />

primär über die Kriegführung definiert. So erklärte Bush am 13.02.2001 bei<br />

einem Besuch des Marinefliegerhorstes Norfolk: „Sicherheit gewinnt man<br />

durch List und Stärke, die über den langgestreckten Bogen präzisionsgesteuerter<br />

Waffen projiziert wird. Die beste Art und Weise, den Frieden zu wahren,<br />

ist, den Krieg zu unseren Bedingungen neu zu definieren.“ 41<br />

EU und auch Bundeswehr fehlen bisher noch die Mittel, um so wie die USA<br />

Krieg führen zu können. Doch die Aufrüstung, um spätestens ab 2010/2011<br />

auch so handeln zu können, ist längst beschlossen und begonnen worden.<br />

Das ist der Hintergrund dafür, daß Heeresinspekteur Generalmajor Budde für<br />

die Bundeswehr ein neues Leitbild fordert: „Wir brauchen den archaischen<br />

Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.“ Was damit gemeint<br />

ist, verdeutlichte der langjährige Chef des Kommandos Spezialkräfte,<br />

15<br />

39 C. Masala, Europa sollte ein Reich werden, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung<br />

vom 10.10.2004, S. 15.<br />

40 H.-U. Wehler, Im Gruselkabinett deutscher „Helden“, in: Die Zeit vom 24.06.2004,<br />

S. 41.<br />

41 Nach Wissenschaft und Frieden, Bonn, Nr. 03/2001, S. 43.


16<br />

General Günzel, mit den Worten: „Eine ‚neue Zeit‘ in der Militärstrategie verlangt<br />

natürlich einen Soldatentypen sui generis: Der ‚Staatsbürger in Uniform‘<br />

... hat ausgedient.“ 42 Bundeswehrexperte D. Bald betonte dazu am 06.12.2004<br />

im ARD-Magazin Report Mainz auf die Frage, ob Günzel mit dieser Meinung<br />

alleine stehe: „Günzel ist der Repräsentant der Mehrheit der Generalität der<br />

Bundeswehr.“<br />

Wir haben es also mit einer Entwicklung zu tun, in der die regierenden Politiker<br />

und Militärs auch der BRD im Rahmen der wesentlich von ihnen mitbestimmten<br />

Strategie zur Expansion des Einflußbereiches der EU immer offener<br />

auf Kriegführungsfähigkeit setzen. Es gehört zu dieser Entwicklung, daß<br />

bestimmte Publizisten nunmehr dazu übergehen, den Friedenswillen der<br />

Menschen öffentlich mies zu machen. So äußerte sich der ehemalige Chefredakteur<br />

der Sächsischen Zeitung W. Schütz im Januar 2004 in seiner Kolumne,<br />

die wöchentlich in einer kostenlos an alle Dresdner Haushalte verteilten<br />

Zeitung erscheint, folgendermaßen abfällig über die Friedensliebe der Ostdeutschen:<br />

„Gut erzogen, diese Ostdeutschen. Sich vor allem Frieden zu<br />

wünschen, ist schon mal politisch korrekt und entspringt der sozialen Erwartung,<br />

der Taktik oder dem Glauben, daß man sich gefälligst was Edles zu<br />

wünschen hat, wenn man schon so gefragt wird. Auch so ist erklärbar, daß<br />

sich selbst bei repräsentativen Umfragen kaum eine Mehrheit für Krieg ausspricht.<br />

So was Böses tut man eben nicht, basta. Der pauschale Friedens-<br />

Wunsch korrespondiert in gewisser Weise mit dem großen Reibach im Lotto.<br />

Die Chance, in einer von Konflikten und Krisen zerrissenen Welt Frieden zu<br />

haben, ist etwa so groß wie die Wahrscheinlichkeit eines Sechsers mit Superzahl.“<br />

43<br />

Ich halte das für eine an Zynismus kaum noch zu überbietende Kriegshetze.<br />

Verstärken wir also unsere Anstrengungen zur Enthüllung und Beendigung<br />

dieses Kriegskurses, um ihn zu stoppen, ehe es zu spät ist.<br />

Autor: Prof. Dr. Dr. Ernst Woit,<br />

Dresdener Studiengemeinschaft SICHERHEITSPOLITIK e.V.<br />

42 Nach J. Rose, Hohelied auf den archaischen Kämpfer, in: Freitag, Nr. 15, vom 02.04.2004, S. 4.<br />

43 WochenKurier, Dresden, vom 07.01.2004, S. 2.


17<br />

Wolfgang Scheler<br />

Die Union kapitalistischer Staaten Europas im Blick<br />

auf eine europäische und globale <strong>Friedensordnung</strong><br />

Angesichts der heutigen weltpolitischen Konstellation stellt sich für uns Europäer<br />

ernsthaft die Frage, in welchem Verhältnis der europäische Integrationsprozeß<br />

zu Krieg und Frieden steht. Ist die Integration europäischer Nationalstaaten<br />

gut oder schlecht für den Frieden, fördert oder behindert sie den<br />

Krieg? Kann es nicht sein, daß die Vereinigung europäischer Staaten gerade<br />

aus friedenspolitischer Sicht eine ganz besondere Bedeutung gewinnt, nämlich<br />

als Gegenmodell zu den Vereinigten Staaten von Amerika, die ihren Streitkräften<br />

den Auftrag erteilen, Kriege zu führen und zu gewinnen?<br />

Den Kriegspräsidenten Bush erneut zu wählen, beweise, so E. Krippendorf,<br />

„daß man ein großes Volk mit einer langen demokratischen Tradition, einer<br />

großen Presse, einer revolutionären und aufklärerischen Geschichte verdummen,<br />

einschüchtern, folgenlos belügen und betrügen kann, daß man ihm seine<br />

historischen Ideale der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte austreiben<br />

kann, daß man seine besten Köpfe zwar kritisch reden und schreiben lassen,<br />

aber sie gleichzeitig einfach ignorieren kann, indem man die primitivsten Masseninstinkte<br />

gegen die geistige Elite mobilisiert.“ Der Amerikaexperte, bekannt<br />

vor allem aus der Friedensforschung, fragt deshalb, Quo vadis Amerika?<br />

Und er antwortet: „Gegen den Rest der Welt - das kann nicht gut gehen und<br />

wir sind alle von diesem Gang in Richtung Abgrund Mitbetroffene. Es ist<br />

darum mehr denn je an der Zeit, daß wir die Europäer werden, als die viele<br />

sich schon jetzt fühlen, ohne daß Europa zu seiner politischen Identität gefunden<br />

hat. Diese kann und darf nicht in der Richtung liegen, in die die USA-<br />

Regierung uns führen will.“ 1<br />

In Anspielung auf den Filmtitel, der für den Abschied von einer trügerischen<br />

Menschheitshoffnung steht, Good bye Lenin, findet er für seine Folgerung die<br />

Metapher good bye America. Das ist die Botschaft, und eben das halte auch ich<br />

für den entscheidenden Ansatz. Notwendig ist das Abkoppeln Europas von<br />

den kriegerischen Vereinigten Staaten von Amerika. Also keine Mitläuferschaft<br />

und schon gar keine Mittäterschaft Europas an völkerrechtswidrigen<br />

Kriegen, am Bruch des Friedensvölkerrechts und an der Mißachtung des<br />

Kriegsvölkerrechts in einem permanenten Kriegszustand, dessen nächste<br />

Schauplätze bereits offen benannt werden.<br />

1 E. Krippendorf, Good bye, America, in: Neues Deutschland vom 08 11.2004, S. 8.


18<br />

Was aber hat Europa dem entgegenzusetzen? Verhält sich das kapitalistische<br />

Europa anders zu Krieg und Frieden als das kapitalistische Amerika? 2 Und<br />

werden nicht die meisten EU-Mitglieder, vor allem die maßgeblichen, von<br />

den USA in einem Militärbündnis gefangen gehalten? An dem alten Bonmot<br />

eines Diplomaten, die NATO sei dazu da, die Amerikaner drin, die Deutschen<br />

unten und die Russen draußen zu halten, ist schließlich nur eine Funktion<br />

überholt, die gegenüber den Deutschen. Die beiden anderen behalten ihre<br />

Gültigkeit.<br />

Aber es gibt ein wichtiges, in der Friedensdebatte oft übersehenes Faktum.<br />

Immerhin ist in Europa mit der EU etwas ganz Neues und bislang Einmaliges<br />

entstanden. Diese supranationale Vereinigung europäischer Staaten ist schon<br />

eine Realität und noch im Prozeß des Werdens. Sie agglomeriert 450 Millionen<br />

Menschen und 25 Staaten ökonomisch in einem gemeinsamen Markt, politisch<br />

und rechtlich in gemeinsamen Institutionen und Verkehrsformen und<br />

viele schon in einer Währungsunion.<br />

Welche Wirkungen hat nun diese Form der europäischen Vereinigung auf den<br />

Frieden in Europa und in der Welt? Für eine Antwort auf diese Frage scheint<br />

es mir sinnvoll, sich zunächst einer alten Debatte zu erinnern, die in der sozialistischen<br />

Bewegung vor knapp hundert Jahren über eine Idee bürgerlicher<br />

Herkunft geführt worden ist, über die Idee der Vereinigten Staaten von Europa.<br />

Seinerzeit zeichnete sich die Gefahr ernster kriegerischer Verwicklungen infolge<br />

der Tatsache ab, daß ein neuer Schub kapitalistischer Expansion und eine<br />

militärtechnische Revolution unter Bedingungen europäischer Nationalstaatlichkeit<br />

vor sich ging. Als Reflex auf diese Gefahr entstand die Paneuropaidee<br />

und es formierte sich eine Paneuropabewegung, die den europäischen<br />

Frieden durch Vereinigung der Nationalstaaten erreichen wollte.<br />

In der sozialistischen Bewegung rief die Europaidee eine scharfe Kontroverse<br />

hervor. Ihre Wortführer in Deutschland waren Karl Kautsky und Rosa Luxemburg.<br />

Drei Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges hatte Karl Kautsky<br />

geschrieben, für „eine ständige Fortdauer des Friedens, die das Gespenst des<br />

Krieges für immer bannte, gibt es heute nur einen Weg: die Vereinigung der<br />

Staaten der europäischen Zivilisation in einem Bunde mit gemeinsamer Handelspolitik,<br />

einem Bundesparlament, einer Bundesregierung und einem Bundesheer<br />

- die Herstellung der Vereinigten Staaten von Europa.<br />

2 Mit Europa ist hier, wie im Sprachgebrauch üblich, die <strong>Europäische</strong> Union gemeint, so wie mit<br />

Amerika die USA.


Gelänge dies, so wäre Ungeheures erreicht. Diese Vereinigten Staaten besäßen<br />

eine solche Übermacht, daß sie ohne jeglichen Krieg alle anderen Nationen,<br />

soweit sie sich ihnen nicht freiwillig anschlössen, dazu zwingen könnten,<br />

ihre Armeen aufzulösen, ihre Flotten aufzugeben. Damit hörte aber auch für<br />

die neuen Vereinigten Staaten selbst jede Notwendigkeit einer Bewaffnung<br />

auf. … Damit wäre die Ära des ewigen Friedens sicher begründet.“ 3<br />

Rosa Luxemburg verwarf diesen Gedanken als eine Friedensutopie, die „mit<br />

der Denkweise und den Standpunkten der Sozialdemokratie nicht das geringste<br />

zu tun“ 4 habe. Sie hielt entgegen, alle „Illusionen in Bezug auf die Friedensmache<br />

von bürgerlicher Seite rücksichtslos zu zerzausen und die proletarische<br />

Revolution als den einzigen und ersten Akt des Weltfriedens zu erklären,<br />

das ist die Aufgabe der Sozialdemokratie angesichts aller Abrüstungspossen,<br />

ob sie in Petersburg, London oder Berlin arrangiert werden.“ 5 Die<br />

Sozialdemokratie habe „die bürgerlichen Anläufe zur Eindämmung des Militarismus<br />

als jämmerliche Halbheiten, die Äußerungen in diesem Sinne, namentlich<br />

aus Regierungskreisen, als diplomatisches Schattenspiel zu entlarven<br />

und dem bürgerlichen Wort und Schein die rücksichtslose Analyse der kapitalistischen<br />

Wirklichkeit entgegenzustellen.“ 6<br />

Und sie führte ihren Gedanken zu dem Schluß: „Damit wäre klar zum Ausdruck<br />

gebracht, was den Kern der sozialdemokratischen Auffassung bildet:<br />

daß der Militarismus in seinen beiden Formen - als Krieg wie als bewaffneter<br />

Friede - ein legitimes Kind, ein logisches Ergebnis des Kapitalismus ist, das<br />

nur mit dem Kapitalismus zusammen überwunden werden kann, daß also,<br />

wer aufrichtig den Weltfrieden und die Befreiung von der furchtbaren Last<br />

der Rüstungen wolle, auch den Sozialismus wollen müsse.“ 7<br />

Aus heutiger Sicht, nach den Erfahrungen zweier Weltkriege und der Bewegung<br />

gegen den Atomkrieg, wissen wir, daß es falsch und der Kriegsverhütung<br />

nicht dienlich war, Frieden und Sozialismus in einer solchen Kausalität<br />

zu sehen. Und schon viel früher hatte Engels in seiner Schrift Kann Europa abrüsten?<br />

eine ganz andere Ansicht zu der furchtbaren Last der Rüstungen vertreten.<br />

19<br />

3 K. Kautsky, Krieg und Frieden. Betrachtungen zur Maifeier, in: Die Neue Zeit,<br />

29. Jg., 1910/1911, Bd. 2, S. 105 f.<br />

4 R. Luxemburg, Friedensutopien, in: R. Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 2, Berlin 1972,<br />

S. 489.<br />

5 Ebenda, S. 498.<br />

6 Ebenda, S. 493.<br />

7 Ebenda, S. 494.


20<br />

Selbst wenn man dem Überschwang der Kautskyschen Idee von den Vereinigten<br />

Staaten Europas nicht folgt, speziell was die Auflösung des Militärs<br />

und die Ära des ewigen Friedens betrifft, so scheint mir doch so viel daran<br />

richtig: Eine Vereinigung der europäischen Staaten hätte sicher den Krieg<br />

nicht abgeschafft, wohl aber vermeiden können, daß die europäischen Mächte<br />

übereinander herfallen und einen Weltkrieg herbeiführen, und danach noch<br />

einen zweiten.<br />

Es kommt überhaupt nicht darauf an, ob in der damaligen historischen Situation<br />

das Friedenskonzept Karl Kautskys mehr Erfolgsaussichten hatte als das<br />

Rosa Luxemburgs. Entscheidend ist vielmehr, welches von beiden in der Tendenz<br />

mehr für den Frieden bewirken kann. Und das ist für meine Begriffe<br />

jenes, das auch bürgerliche Anläufe zur Eindämmung des Militarismus trotz ihrer<br />

Halbheiten in das Ringen um einen konkreten, lebensnotwendigen Frieden<br />

einbezieht, anstatt sie zu bekämpfen.<br />

Während des Ersten Weltkrieges - das hatte ich früher gar nicht zur Kenntnis<br />

genommen - war die Idee der Vereinigten Staaten von Europa sogar vom ZK<br />

der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands zur politischen Forderung<br />

erhoben worden, um solche Kriege künftig auszuschließen. Doch genau dagegen<br />

führte Lenin eine scharfe Polemik. Ging es in der Auseinandersetzung<br />

zwischen den orthodoxen Sozialdemokraten um Karl Kautsky und den linken<br />

um Rosa Luxemburg über die Vereinigten Staaten von Europa um den möglichen<br />

Weg zum Frieden, so ging es Lenin in diesem Streit nicht um Frieden,<br />

sondern um den Weg zum Sozialismus.<br />

Für Lenin waren „die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen<br />

Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär.“ 8 Sie wären ein „Abkommen<br />

der europäischen Kapitalisten … darüber, wie man gemeinsam den<br />

Sozialismus in Europa unterdrücken“ könnte. Das rückständige, „von Altersfäulnis<br />

befallene Europa“ wäre dann „die Organisation der Reaktion zur<br />

Hemmung der raschen Entwicklung Amerikas“. Vor allem aber, und das ist<br />

sein entscheidender Einwand, seien die „Vereinigten Staaten der Welt (nicht<br />

aber Europas) … jene staatliche Form der Vereinigung und der Freiheit der<br />

Nationen, die wir mit dem Sozialismus verknüpfen“. 9 Doch auch die Losung<br />

der Vereinigten Staaten der Welt lehnte er ab, und zwar deshalb, weil „sie die<br />

falsche Auffassung von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem<br />

8 W. I. Lenin, Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, in: Lenin, Werke, Bd. 21,<br />

Berlin 1960, S. 343.<br />

9 Ebenda, S. 345.


Lande und eine falsche Auffassung von den Beziehungen eines solchen Landes<br />

zu den übrigen entstehen lassen“ könnte.<br />

Daran schließt er einen Gedanken an, mit dem, als dieser drei Jahre später in<br />

Rußland verwirklicht wurde, das Verhängnis begann. Er lautet: „Das siegreiche<br />

Proletariat dieses Landes würde sich … der übrigen, der kapitalistischen<br />

Welt entgegenstellen, würde die unterdrückten Klassen der anderen Länder auf<br />

seine Seite ziehen, in diesen Ländern den Aufstand gegen die Kapitalisten entfachen<br />

und notfalls sogar mit Waffengewalt gegen die Ausbeuterklassen und<br />

ihre Staaten vorgehen.“ 10<br />

Das war nicht ein anderer Weg zum Frieden, das war die Absage an Frieden<br />

zugunsten der Weltrevolution. Es war dies keine geniale Weiterentwicklung<br />

des Marxismus, sondern Bruch mit dem Marxismus. Als diese Strategie des<br />

Sieges des Sozialismus in einem Land realisiert wurde, machte das eine gesamteuropäische<br />

Vereinigung für lange Zeit unmöglich.<br />

Ich bin noch einmal auf diese strategischen Kontroversen eingegangen, die in<br />

der sozialistischen Bewegung am Anfang des vorigen Jahrhunderts, des Jahrhunderts<br />

der Extreme, ausgefochten wurden, weil sie die Vereinigung Europas<br />

bis auf den heutigen Tag berühren und in der theoretischen Debatte über<br />

das Verhältnis dieser Vereinigung zu Krieg und Frieden hilfreich sein können.<br />

Vor allem die Katastrophen der beiden Weltkriege haben dieser Idee zur<br />

praktischen Wirksamkeit verholfen. „In den folgenden Generationen hat die<br />

Furcht vor einer Wiederkehr der blutigen Exzesse des Nationalismus dazu geführt,<br />

auf die Vereinigung Europas zu setzen.“ 11<br />

Man kann wohl sagen, mit der <strong>Europäische</strong>n Union ist die Idee der Vereinigten<br />

Staaten von Europa in den Prozeß ihrer Verwirklichung eingetreten, wenn<br />

auch in modifizierter Form, unter veränderten historischen Bedingungen. Die<br />

Nationalstaaten der EU sind zwar geblieben und sie werden es noch lange<br />

bleiben. Sie sind aber keine Bundesstaaten wie in den USA. Aber sie haben in<br />

allen Bereichen der Gesellschaft einen Grad gegenseitiger Bindungen und<br />

Abhängigkeiten erreicht, der es, ähnlich wie in einem Bundesstaat, unnötig<br />

und auch unmöglich macht, ihre Interessenkonflikte mittels bewaffneter Gewalt<br />

auszufechten.<br />

Das kann man gar nicht hoch genug schätzen. Es bedeutet, daß mächtige<br />

Staaten, die im blutigen 20. Jahrhundert Erzfeinde waren und die furchtbarsten<br />

Kriege der bisherigen Geschichte gegeneinander geführt haben, nun<br />

21<br />

10 Ebenda, S. 345 f.<br />

11 J. Kocka, Wo liegst du, Europa?, in: Die Zeit vom 28.11.2002, S. 11.


22<br />

endlich und endgültig Frieden miteinander geschlossen haben. Krieg als Form<br />

der Politik im Verkehr zwischen den EU-Staaten ist überwunden, ich denke<br />

für immer. Ich halte das für eine der größten Errungenschaften für den Frieden<br />

in Europa. Ihre Bedeutung geht aber sogar über Europa hinaus. Mit ihr<br />

wird ein großes Gewicht in die Waagschale des internationalen Friedens gelegt.<br />

Zwischen zahlreichen, früher vielfach in Kriegen gegeneinander verfeindeten<br />

Staaten ist ein Frieden entstanden, der Dauer verspricht. Es ist ein<br />

Frieden, der nicht auf der balance of power beruht, der nicht mehr mit militärischen<br />

Fähigkeiten gesichert wird, also kein nur negativer Frieden.<br />

Ich gehe sogar so weit, ihn als einen Frieden auf eigener Grundlage zu bewerten.<br />

Seine Grundlage ist die Entscheidung der beteiligten Staaten und Nationen,<br />

ihren gemeinsamen Interessen den Vorrang zu geben und die Konflikte<br />

ihrer divergierenden Interessen ausschließlich in friedlichen Formen zu regeln.<br />

Das ist nicht bloß ein momentan vorhandener politischer Wille. Er hat<br />

bereits fest gefügte Formen erhalten, er ist politisch, wirtschaftlich und rechtlich<br />

institutionalisiert und daher irreversibel. Frieden in der <strong>Europäische</strong>n U-<br />

nion ist gesellschaftliche Praxis. Insofern hat er bereits Qualitäten eines positiven<br />

Friedens, obwohl die Staaten, zwischen denen er besteht, kapitalistisch<br />

sind.<br />

Alle, die noch die Kriegswirklichkeit in Europa erlebt haben, müßten diese<br />

Friedenswirklichkeit über alles zu schätzen wissen. Warum aber kommt uns<br />

dieser unschätzbare Gewinn so wenig zu Bewußtsein? Einen Grund dafür sehe<br />

ich in einem ungenügenden Verständnis dafür, daß es in der bürgerlichen<br />

Gesellschaft ein ambivalentes Verhältnis zu Krieg und Frieden gibt und auch<br />

die Herrschenden nicht immer frei zwischen Krieg und Frieden wählen können.<br />

Es gibt aber noch einen weiteren, noch schwerer wiegenden Grund, warum<br />

wir die Friedenswirklichkeit in der <strong>Europäische</strong>n Union gar nicht recht<br />

zu würdigen wissen: Dieses glückliche Faktum steht in einem gravierenden<br />

Widerspruch zu einem anderen Faktum, das Unglück verheißt.<br />

Wir erleben seit Jahren, daß die <strong>Europäische</strong> Union nach militärischen Kompetenzen<br />

strebt und eine global agierende Interventionsmacht werden will,<br />

wir sehen, wie Mitgliedsstaaten sich an Kriegen beteiligen. Wir mußten mit<br />

wachsender Empörung erfahren, daß auch unser Land als das Schwergewicht<br />

in der <strong>Europäische</strong>n Union geschichtsvergessen Außenpolitik wieder mit<br />

Waffen und Soldaten macht. Nach außen gebraucht die <strong>Europäische</strong> Union<br />

das Militär als Instrument der Machtprojektion und Intervention. „Bei den


neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen,“<br />

12 besagt die <strong>Europäische</strong> Sicherheitsstrategie.<br />

Also nach außen ist der Frieden nicht sicher. Der Frieden zwischen der <strong>Europäische</strong>n<br />

Union und der übrigen Welt ist noch ein bewaffneter, ein negativer<br />

Frieden, der mit Krieg schwanger geht.<br />

Nachdem die alte Weltordnung, die fünfzig Jahre lang auf zwei Säulen ruhte,<br />

zerbrochen war, ist nur eine einzige Säule geblieben, die Supermacht Amerika.<br />

Aber, so der Mitherausgeber Der Zeit, J. Joffe: „Geblieben ist auch eine Hand<br />

voll Anwärter: Europa, Rußland, China und, in einigem Abstand, das aufstrebende<br />

Milliardenvolk der Inder sowie der nun kranke Wirtschaftsgigant Japan.“<br />

13 Hier wird ein Gedanke klar ausgesprochen, nämlich daß die derzeitige,<br />

weitgehend monopolare Weltordnung von anderen Mächten der Tendenz<br />

nach in Frage gestellt wird. Es gibt Großmächte mit der Anwartschaft, tragende<br />

Säulen einer anderen, einer multipolaren Weltordnung zu werden, und<br />

zu ihnen gehört die <strong>Europäische</strong> Union.<br />

Wieder stellt sich die Frage: Ist das nun gut oder schlecht für den Frieden in<br />

Europa und in der Welt? Es ist nicht leicht, darauf eine eindeutige Antwort zu<br />

finden, denn die Sache selbst ist in sich widersprüchlich. Eine politische Friedensstrategie<br />

muß von einer Analyse der Bedrohungen ausgehen. Was aber<br />

bedroht heute den Frieden am meisten, die militärischen Ambitionen der <strong>Europäische</strong>n<br />

Union oder die militärische Übermacht der USA? Oder müssen<br />

wir beide zusammen denken und in ihrer Gefährlichkeit gleichsetzen?<br />

Hierauf gibt R. Rilling, der an der Universität Marburg lehrt, eine begründete<br />

Antwort. Nach seiner Meinung gibt es gegenwärtig nur eine durchsetzungsfähige<br />

grand strategy für die Ordnung der Welt, das ist die US-amerikanische. „Ihr<br />

Gedanke ist: Sicherung des globalisierten Kapitalismus durch ein dauerhaftes<br />

American Empire, das nicht herausgefordert werden kann.“ 14<br />

Für ein solches dauerhaftes amerikanisches Imperium gibt es eine reale Voraussetzung,<br />

nämlich eine neuartige qualitative Machtdifferenz zwischen den<br />

USA und dem Rest der Welt. Das strategische Ziel besteht darin, dieser unüberbrückbaren<br />

Machtdifferenz mittels einer aktivistischen Politik Dauer zu<br />

verleihen. „Der Gedanke der globalen Souveränität meint, daß die USA international<br />

unilateral Regeln … setzen, universell gültige Zielsetzungen formulieren<br />

23<br />

12 Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. <strong>Europäische</strong> Sicherheitsstrategie. Brüssel,<br />

den 12.12.2003.<br />

13 J. Joffe, Das Weltgericht der Hundert Tage, in: Die Zeit vom 27.12.2001, S. 1.<br />

14 R. Rilling, Über starke Ökonomie und starke Politik, in: UTOPIEkreativ 169, 11/2004, S. 977.


24<br />

(„expand liberty“), den Krisenfall („Notstand“) bestimmen sowie die Unterscheidung<br />

zwischen Freund und Feind wie die damit verknüpfte Entscheidung<br />

über den Einsatz von Gewalt treffen und sich damit das exklusive Recht<br />

auf präventive militärische Intervention überall auf der Welt vorbehalten<br />

können.“ 15<br />

Diese amerikanische Weltordnungspolitik wird von einer neuartigen Machtgruppierung<br />

in den USA durchgesetzt. R. Rilling charakterisiert sie so: „Unmittelbar<br />

präsentiert wird diese neuimperiale grand strategy von einer über drei<br />

Jahrzehnte hinweg sich verdichtenden Allianz aus Think-Tanks, Stiftungen,<br />

Medien, Konzernen, Staatsapparaten und politischen Organisationen. Ihre<br />

Avantgarde: eine Gruppe neokonservativer konzeptiver Ideologen aus US-<br />

Think-Tanks und strategischen Planungseinrichtungen. Zusammen mit radikalreaganistisch<br />

geprägten Militärs und der evangelikal-fundamentalistisch<br />

christlichen Rechten bilden sie den dynamischen politischen Kern der konzeptionell,<br />

strategisch und politisch dominanten nationalistisch-neuimperialen<br />

Gruppe in der zweiten Bush-Administration.“ 16<br />

Von dieser nationalistischen, imperialistischen Machtgruppierung, die dabei<br />

ist, mit Hilfe militärischer Dominanz ein unangreifbares amerikanisches Empire<br />

zu errichten, geht heute die größte Bedrohung für den Frieden aus. Sie ist<br />

der Urheber der Kriege zur Neuordnung der Welt, die schon geführt wurden<br />

und die noch in Aussicht stehen. Diese Machtgruppierung will für die USA<br />

die allgemeine Dominanz im internationalen System und sie will die besondere<br />

Dominanz in der Konkurrenzbeziehung zwischen den zentralen kapitalistischen<br />

Staaten. Beides erzeugt Gefahren für den Frieden. Die nationalistische<br />

imperiale Machtgruppierung in den Vereinigten Staaten ist derzeit vor allem<br />

der Hort des Krieges und Feind des Friedens. Auf den Widerstand aller Kräfte<br />

gegen sie muß sich die Friedensstrategie konzentrieren, ohne Scheu davor,<br />

des Antiamerikanismus bezichtigt zu werden.<br />

Mit einer konservativen Revolution im Innern hat die einzige Weltmacht sich<br />

imperialistische Handlungsfreiheit verschafft, insbesondere mit dem religiösfundamentalistischen<br />

Wertekanon von Glaube, Familie und Tradition, mit der<br />

Abkehr von einer rechtlichen Legitimation ihres Handelns und der Hinwendung<br />

zur moralisierenden Rechtfertigung auf der Basis eines euphorischen<br />

amerikanischen Patriotismus und Chauvinismus. Das ist ein für alle Welt verhängnisvoller<br />

Rückfall der ältesten Demokratie hinter die Aufklärung, die<br />

einst ihre Inspiration und Kraftquelle gewesen ist.<br />

15 Ebenda.<br />

16 Ebenda, S. 978.


Heute ist Amerika nicht mehr wie vor 100 Jahren gegenüber dem reaktionären,<br />

kolonialistischen, von Altersfäulnis befallenen Europa der Repräsentant<br />

der bürgerlich-republikanischen Freiheit und des Fortschritts. In unserer Zeit<br />

hat sich das Verhältnis zwischen Amerika und Europa umgekehrt. Jetzt sind<br />

die Vereinigten Staaten von Amerika die reaktionärste Macht, die größte<br />

Bedrohung für Frieden und sozialen Fortschritt. Und sie benutzen ihre Macht<br />

auch dazu, die Entwicklung Europas als ihres Rivalen zu hemmen.<br />

Die Strategie der Schaffung eines globus americanus zu Fall zu bringen, wird<br />

damit zur entscheidenden Voraussetzung, um Kriege zu verhindern und den<br />

Frieden sicherer zu machen. Alles andere ist nachrangig. In diesen Zusammenhang<br />

sollten wir auch die europäische Integration und die Bestrebungen<br />

einordnen, die <strong>Europäische</strong> Union zu einer militärisch handlungsfähigen<br />

Macht zu formieren.<br />

Das Verhalten der wichtigsten EU-Staaten zur imperialistischen Dominanz<br />

der USA ist ambivalent. Warum sollten große Mächte, so fragt R. Rilling, ihre<br />

dauerhafte Ausschaltung aus dem Spiel um die Welthegemonie akzeptieren?<br />

Und er antwortet: „Sie erhalten dafür eine Dienstleistung: eine globale Sicherung<br />

der kapitalistischen Weltordnung, die sie selbst oder kooperativ nicht leisten<br />

können. Wahrhaft ein Big Deal.“ 17<br />

Das könnte man als eine gewisse Form von Ultraimperialismus ansehen. Dieser<br />

Gedanke war vor 90 Jahren einmal von Karl Kautsky erörtert worden. Er<br />

erwog die Möglichkeit, daß „die jetzige imperialistische Politik durch eine<br />

neue, ultraimperialistische verdrängt werde, die an Stelle des Kampfes der nationalen<br />

Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt<br />

durch das international verbündete Finanzkapital setzte.“ 18<br />

Einem solchen Ultraimperialismus widerspricht meines Erachtens aber gerade<br />

die derzeitige Entwicklung der <strong>Europäische</strong>n Union. Maßgebende europäische<br />

Mitgliedsstaaten nehmen ihr dauerhaftes Ausschalten aus dem Ringen<br />

um die Welthegemonie nicht einfach hin. Sie wollen zwar die dauerhafte Sicherung<br />

eines globalisierten Kapitalismus. Das bindet sie an die einzige<br />

Weltmacht und zwingt sie zu einem bestimmten Grad von Solidarität in den<br />

von den USA eigenmächtig geführten Kriegen. Aber sie wollen nicht machtlose<br />

Vasallen in einem American Empire sein. In diesem Interessenkonflikt sind<br />

sie hin und her gerissen, und es liegen zwei unterschiedliche Strategien im<br />

Streit miteinander, wie Europa auf die amerikanische Herausforderung reagieren<br />

soll.<br />

25<br />

17 Ebenda.<br />

18 K. Kautsky, Zwei Schriften zum Umlernen, in: Die neue Zeit, Bd. 2, 1915, S. 144.


26<br />

Die eine liegt mehr auf der Linie des Big Deal. Sie setzt vorrangig auf den<br />

Nutzen, den die Sicherung der kapitalistischen Weltordnung durch ein amerikanisches<br />

Imperium für die eigenen Interessen haben kann, will aber mit eigenen<br />

militärischen Fähigkeiten ein Mitspracherecht und die Teilhabe an der<br />

Beute sichern. Die andere setzt mehr darauf, daß die <strong>Europäische</strong> Union ein<br />

größeres Eigengewicht in der Konkurrenz um weltpolitischen Einfluß erlangt<br />

und auf dieser Basis ihre geopolitischen Interessen auch in Entgegensetzung<br />

zu den amerikanischen verfolgen kann. Dafür will sie eigene militärische Fähigkeiten,<br />

aber diese unterscheiden sich in Stärke und Funktion qualitativ von<br />

denen der USA. Die 13 Battle Groups, die sich die EU schaffen will, sind natürlich<br />

nichts im Vergleich mit der ungeheuren Militärmacht der Vereinigten<br />

Staaten. Freilich will auch die <strong>Europäische</strong> Union mit diesen Kampfgruppen<br />

Großmachtambitionen verfolgen, entweder in Arbeitsteilung oder im Widerstreit<br />

mit den USA bei der Aufteilung von Rohstoffquellen und Märkten, also<br />

bei der Durchsetzung von Interessen des europäischen Kapitals.<br />

In einem Artikel der ZEIT gab Ch. Bertram, Direktor der Stiftung Wissenschaft<br />

und Politik, schon frühzeitig zu erkennen, mit welchem Ziel die EU zu<br />

einer Militärmacht werden will. „Die EU ist zum unerläßlichen Machtverstärker<br />

nationaler Außenpolitik geworden“, ließ er unter der Überschrift Macht<br />

ohne Grenzen wissen, und nach ihrer Erweiterung werde die EU „dann wie eine<br />

Großmacht Außenpolitik betreiben müssen.“ Seine präzise Bestimmung dafür<br />

lautet: „Die Außenpolitik dieser Großmacht wird darüber hinaus den<br />

Ehrgeiz und die Fähigkeit verlangen, nicht nur Regional-, sondern Weltpolitik<br />

zu betreiben. Dies wird die EU zugleich in ein Rivalitätsverhältnis zu anderen<br />

großen Mächten bringen. Dann spätestens wird sich offenbaren, daß da durch<br />

Ausweitung und Konzentration ein neuer, maßgeblicher Machtfaktor der internationalen<br />

Politik entstanden ist. Es wäre die ‚Großmacht Europa’.“ 19<br />

Ich denke, das ist deutlich und gibt Aufklärung über die strategischen Absichten.<br />

Die in der EU versammelten europäischen Mächte, samt und sonders<br />

viel zu klein, um allein eine weltpolitische Rolle spielen zu können, wollen<br />

durch Bündelung ihrer Kräfte zu einem Machtfaktor der internationalen Politik<br />

aufsteigen, womit sie unweigerlich in Rivalität zu anderen großen Mächten<br />

treten. Dieser Anspruch wird in dem Beschluß über die <strong>Europäische</strong> Sicherheitsstrategie<br />

ausdrücklich erhoben. Es heißt dort: „Als Zusammenschluß von<br />

25 Staaten mit über 450 Millionen Einwohnern, die ein Viertel des Bruttosozialprodukts<br />

(BSP) weltweit erwirtschaften, ist die <strong>Europäische</strong> Union, der<br />

19 Ch. Bertram, Macht ohne Grenzen, in: Die Zeit vom 08.06.2000, S. 24.


zudem ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung steht, zwangsläufig<br />

ein globaler Akteur.“ 20<br />

Die <strong>Europäische</strong> Union muß allerdings schon wegen ihrer schwachen militärischen<br />

Potenzen auf die Stärke von Ökonomie und Politik setzen, um auf<br />

der Weltbühne handlungsfähig zu sein. In seiner unübertroffenen Art, die<br />

Dinge auf den Punkt zu bringen, formuliert Egon Bahr: „Krieg ist der Feind<br />

Europas. Amerika kann auf Kriegsgewinn setzen, Europa muß die Rolle des<br />

Militärischen verringern wollen.“ 21<br />

Das ist durchaus eine objektiv gegebene Voraussetzung und ein Ansatzpunkt<br />

für eine Politik, die der nichtmilitärischen Konfliktlösung den Vorrang gibt.<br />

Dafür bestehen hier in Europa immer noch die besseren Bedingungen. Es<br />

gibt europäische „Traditionen, die dadurch begründet sind, daß sich tief ins<br />

kollektive Bewußtsein der europäischen Völker die Erfahrung von Krieg<br />

eingegraben hat. Mit Krieg als Mittel der Politik geht man inzwischen Gott sei<br />

dank sehr, sehr zurückhaltend um, ja man begreift Krieg wirklich als Ultima<br />

Ratio“, macht Gerhard Schröder geltend - als Differenz zu den USA, die<br />

Krieg im eigenen Land so nie kennen gelernt haben und deshalb „einen anderen<br />

Zugang zum und einen anderen Begriff vom Krieg“ 22 haben. Es wäre eine<br />

politische Dummheit, diese wichtige Differenz in der Haltung zum Krieg zu<br />

ignorieren, anstatt sie zu nutzen, um das irreversible Abgleiten in eine kriegerische<br />

Weltordnungspolitik zu vermeiden.<br />

Das Wichtigste für den Frieden ist, daß die Versuche, die Strategie eines amerikanischen<br />

Imperiums mit Kriegen gegen Widerständige durchzusetzen,<br />

nicht erfolgreich sind. Dazu kann die <strong>Europäische</strong> Union einiges beitragen,<br />

wenn sie ihre Stärke nicht im Militärischen sucht, sondern in ihrer Wirtschaftskraft<br />

und in ihren positiven Erfahrungen, die sie mit friedlichen Konfliktlösungen<br />

gemacht hat. Das betrifft vor allem das mit zivilen Kampfformen<br />

erreichte Ende des militarisierten Systemkonfliktes und den aus der nahezu<br />

gewaltlosen Transformation gezogenen Nutzen.<br />

In Essays in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in der Liberation haben<br />

die Philosophen J. Habermas und J. Derrida gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten<br />

angesichts des Irak-Krieges eine intellektuelle Initiative unternommen,<br />

um die europäische Rolle in der Welt neu zu definieren. Dabei<br />

27<br />

20 Ein sicheres Europa in einer besseren Welt, a.a.O.<br />

21 E. Bahr, Der deutsche Weg. Selbstverständlich und normal, München 2003, S. 131.<br />

22 G. Schröder, Die Krise, die Europa eint. Bundeskanzler Gerhard Schröder über die<br />

moralischen Grundlagen der Politik und die Weltordnung nach dem Irak-Krieg, in: Die Zeit<br />

vom 27.03.2003, S. 14.


28<br />

berufen sie sich ausdrücklich auf die machtvollen Antikriegsdemonstrationen<br />

in europäischen Großstädten. „Die Gleichzeitigkeit dieser überwältigenden<br />

Demonstrationen - der größten seit dem Ende des zweiten Weltkrieges -<br />

könnte rückblickend als Signal für die Geburt einer europäischen Öffentlichkeit<br />

in die Geschichtsbücher eingehen.“ 23 Sie knüpfen an das Ereignis des<br />

Krieges und die Reaktion der Massen den Gedanken: „In dieser Welt zahlt<br />

sich eine Zuspitzung der Politik auf die ebenso dumme wie kostspielige Alternative<br />

von Krieg und Frieden nicht aus. Europa muß sein Gewicht auf internationaler<br />

Ebene und im Rahmen der UNO in die Waagschale werfen, um<br />

den hegemonialen Unilateralismus der Vereinigten Staaten auszubalancieren.“<br />

24<br />

Dazu bedarf es aber einer europäischen Identität, die aus den positiven wie<br />

negativen Erfahrungen europäischer Geschichte und aus dem gemeinsamen<br />

Bewußtsein der Errungenschaften und guten Traditionen hervorgeht. Zu dieser<br />

politischen Identität müssen die Bürger der <strong>Europäische</strong>n Union finden,<br />

wenn Europa ein Gegengewicht zu den kriegerisch imperialistischen USA<br />

aufbringen will. Und es gibt starke Kräfte, die Europa in die Richtung amerikanischer<br />

Verhältnisse und einer Mittäterschaft an Kriegen zur Befestigung<br />

des American Empire drängen. In diesem Gegensatz bewegt sich die Auseinandersetzung<br />

um mehr oder weniger Frieden in der nahen und weiteren Zukunft.<br />

Je nach dem, in welche der beiden Richtungen die EU sich orientiert,<br />

wird sie ein größeres oder geringeres Gewicht haben, um der imperialistischen<br />

Hegemonie der USA und ihren Kriegen Grenzen zu setzen.<br />

Mit der eigenen Aktion Front zu machen gegen die amerikanische Linie und<br />

in jeder Hinsicht jene europäische Linie zu stärken, die sich entschieden davon<br />

absetzt, halte ich für eine unbedingt notwendige Orientierung der politischen<br />

Friedensstrategie. Good bye America - bezogen auf das Amerika unter der<br />

Herrschaft einer kriegerischen Machtelite - das ist heute eine Friedenslosung,<br />

und es ist zugleich eine Solidaritätsbekundung für das andere Amerika.<br />

Autor: Prof. Dr. Wolfgang Scheler,<br />

Dresdener Studiengemeinschaft SICHERHEITSPOLITIK e.V.<br />

23 J. Habermas, Der gespaltene Westen, Frankfurt a.M. 2004, S. 44.<br />

24 Ebenda, S. 45.


29<br />

Volker Bialas<br />

Demokratische Mindeststandards einer europäischen<br />

<strong>Friedensordnung</strong><br />

Demokratie und Frieden - ihr prinzipieller Zusammenhang<br />

Demokratie und Frieden sind auf einzigartige Weise miteinander verbunden.<br />

Zumindest prinzipiell ist in der politischen Form der Demokratie die Herrschaft<br />

des Menschen über den Menschen aufgehoben. Ihr oberstes Ziel ist es,<br />

ein freiheitliches Gemeinwesen zu etablieren und zu sichern als eine Assoziation,<br />

in der die Menschenrechte respektiert und durchgesetzt werden, in der<br />

zwar die Naturrechte des Einzelnen an das Gemeinwesen entäußert werden<br />

(Th. Hobbes), aber so, daß - in Umkehrung eines berühmten Marx-Wortes -<br />

die freie Entwicklung aller die Bedingung für die freie Entwicklung eines jeden<br />

ist.<br />

In einer solchen Assoziation oder Vereinigung freier Menschen gebietet die<br />

Gerechtigkeit, die Rechte aller zu schützen; sie ist also mit der Gleichheit aller vor<br />

dem Gesetz verwoben. Dagegen würde eine einseitige ökonomische Propagierung<br />

des Prinzips Nützlichkeit die Ungleichheit begünstigen (J. St. Mill) und<br />

die Menschen vorrangig nach Besitz und Leistung einteilen. In einer wahren<br />

Demokratie, die in prinzipieller Weise wohl noch nie in der Menschheitsgeschichte<br />

verwirklicht worden ist, sind die Ideale der Französischen Revolution<br />

von liberté (Freiheit des Einzelnen), von fraternité (Solidarität mit dem Anderen)<br />

und von egalité (Gleichheit vor dem Gesetz) als universelle Werte der<br />

menschlichen Gesellschaft eingelöst. Sie sind verallgemeinerungsfähig und<br />

gültig für alle Menschen.<br />

Strebt also eine freie Assoziation danach, das Wohl aller zu sichern, dann<br />

drückt sich der Allgemeinwille auch darin aus, den Frieden im Inneren wie im<br />

Äußeren, der ja allein ihre Existenz und weitere Entwicklung gewährleisten<br />

kann, zu bewahren. Jeder Androhung von Gewalt gegen andere geht eine militärische<br />

Aufrüstung voraus, die von vornherein auch den eigenen Interessen<br />

schaden muß, werden doch erhebliche finanzielle Mittel dem Auf- und Ausbau<br />

des Gemeinwesens entzogen.<br />

In einer partizipativen Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger zur politischen<br />

Entscheidungsfindung und zur Gesetzgebung befähigt sind, artikuliert<br />

sich der Allgemeinwille dahingehend, einen drohenden Krieg auf jeden Fall<br />

zu verhindern, die Ursachen eines möglichen Konflikts aufzudecken und die<br />

vorhandenen Probleme auf friedliche Weise zu lösen. Das Selbstinteresse der


30<br />

Assoziation wird einen Angriffskrieg von vornherein unterbinden und bei einer<br />

Bedrohung von außen nach gewaltfreien Wegen der Konfliktlösung suchen.<br />

In der Verallgemeinerung dieses Idealfalls einer wahrhaft demokratisch verfaßten<br />

Assoziation ist die generelle Respektierung der Menschenrechte erste<br />

Grundbedingung auch des Weltfriedens. Die Menschenrechte umfassen ja<br />

nicht nur die unveräußerlichen Persönlichkeitsrechte und Grundrechte des<br />

Einzelnen, wie sie 1948 in der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte<br />

von den Vereinten Nationen verkündet wurden. Hinzu kommen die internationalen<br />

Pakte über die bürgerlichen und politischen Rechte sowie über die<br />

wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, die 1966 beschlossen und<br />

zehn Jahre später in Kraft gesetzt wurden. Allerdings sind in der westlichen<br />

Welt die internationalen Pakte, in denen sich ein weiteres Mal die Ideen der<br />

Gleichheit und der sozialen Gerechtigkeit ausdrücken, nur Absichtserklärungen<br />

geblieben und sind nicht in geltende, einklagbare Rechtsansprüche überführt<br />

worden. 1<br />

Die repräsentative Demokratie und der negative Frieden<br />

In der politischen Praxis der Völker ist die Idee einer sozialen, emanzipatorischen<br />

Demokratie nie umfassend verwirklicht worden. Statt dessen wird seit<br />

J. Locke (1632-1704) die Idee der repräsentativen Demokratie zugrunde gelegt<br />

- als Idee der parlamentarischen Repräsentation, deren historischer Ursprung<br />

aus dem Ständewesen nicht zu verkennen ist. 2<br />

Der formale Charakter der Repräsentativdemokratie wird durch den Wahlakt<br />

ausgedrückt, der die eigentliche demokratische Begründungsfunktion zugewiesen<br />

erhält. Bereits mit dem Wahlakt erschöpft sich der substantielle Gehalt<br />

der demokratischen Idee. Unverzichtbar für das Demokratieverständnis bleibt<br />

zwar formal die Volkssouveränität, die in der Repräsentation durch die Vertreter<br />

des Volkes zum Ausdruck kommen soll. Repräsentiert wird die Volkssouveränität<br />

durch politische Parteien und deren Vertreter, so daß das Volk<br />

nur noch im Rahmen der Organisation von Parteien an der politischen Willensbildung<br />

mitwirkt, aber an den politischen Entscheidungen - bis hin zur<br />

Frage von Frieden und Krieg - nicht mehr direkt beteiligt ist.<br />

1 Siehe Th. Gebauer, Sicherheit und Menschenrechte. Über den sozialen Ausschluß oder das<br />

„Recht, Recht zu haben“, in: medico international Rundschreiben , 01/2004, S. 24-27. Vgl. hierzu<br />

besonders E. Woit, Auch mit Gewalt? Wege und Irrwege zur Durchsetzung der<br />

Menschenrechte, Witten/Dortmund, pad 2001.<br />

2 Siehe L. Lambrecht, Stichwort Demokratie, in: H. J. Sandkühler (Hrsg.), <strong>Europäische</strong><br />

Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Bd. 1, Hamburg 1990, S. 483-533.


Bereits J.-J. Rousseau (1712-1778) hat schwerwiegende Bedenken gegen das<br />

Repräsentationssystem erhoben. Aus den Erfahrungen der Glorious Revolution<br />

Englands des 17. Jahrhunderts, die die Errichtung des repräsentativen Parlaments<br />

gegen König und Hochadel anstrebte, kann für ihn die Souveränität<br />

des Volkes als eines Gemeinschaftswesens nur durch sich selbst dargestellt<br />

werden. 3<br />

Die Parteiendemokratie hat, wie wir aus der Geschichte der Bundesrepublik<br />

wissen, ein politisches Eigenleben entwickelt. Es ist außerparlamentarischen<br />

Einflüssen, insbesondere der Wirtschaftsverbände, ausgesetzt und entfernt<br />

sich immer mehr von der ursprünglich angestrebten Repräsentation des Allgemeinwillens<br />

des Volkes. Das plebiszitäre Element wird von den etablierten<br />

Großparteien, deren Vertreter sich selbst als Elite verstehen und der Mehrheit<br />

der Bürger eine vernünftige Entscheidungsfindung in Einzelfragen nicht zutrauen,<br />

nicht akzeptiert. Die Arroganz der politisch Herrschenden und wirtschaftlich<br />

Mächtigen in der politischen Bevormundung der Bürgerinnen und<br />

Bürger entspricht deren vorsätzlicher Entpolitisierung. Wahlmüdigkeit und<br />

Rückzug ins Private - der allerdings auch noch andere Ursachen hat - sind die<br />

Folge.<br />

Die mangelnde politische Mitbestimmung der Bürger entläßt sie aus lebenswichtigen<br />

Entscheidungen des Gemeinwesens. Wenn heute in den politischen<br />

Absichtserklärungen von Frieden und Sicherheit die Rede ist, jedoch militärische<br />

Optionen gemeint sind, widerspricht diese Programmatik prinzipiell den<br />

Lebensinteressen der Menschen. Ein derartiger Frieden, der an den substantiellen<br />

Voraussetzungen seiner Verwirklichung vorbeigeht, ist ein negativer Frieden.<br />

Ein bloß negativer Frieden, der sich allein durch Kriegsabwesenheit auszeichnet,<br />

ist fragil. Der Friedenszustand ist zerbrechlich, strukturell ungesichert<br />

und schließt von vornherein die militärische Gewaltanwendung nicht aus. Ein<br />

derartiger Zustand, in dem militärisch aufgerüstet und kriegsleitende Interessen<br />

noch vorhanden oder jederzeit wiederbelebt werden können, umfaßt eine<br />

Zeit des Nicht-Krieges, eine Zeit, die der politische Philosoph T. Hobbes<br />

nicht anders als I. Kant noch dem Kriegszustand zurechnet.<br />

Es sei hier wegen der großen Bedeutung der Begriffsbestimmung des Krieges<br />

- auch für unsere Zeit - nochmals besonders auf T. Hobbes verwiesen. Für<br />

ihn liegt das Wesen des Krieges nicht in der unmittelbaren militärischen Gewaltausübung,<br />

sondern in der Disposition dazu. In seinem Leviathan (1651)<br />

schreibt er: „Das Wesen des Krieges besteht nicht in den tatsächlichen<br />

31<br />

3 Siehe ebenda.


32<br />

Kampfhandlungen, sondern in der deutlichen Bereitschaft (disposition) dazu<br />

in der Zeit, in der man sich des Gegenteils nicht sicher sein kann.“ 4<br />

In unserer Zeit hat D. Senghaas für den fragilen Frieden den Begriff organisierte<br />

Friedlosigkeit geprägt, die gesellschaftlich-strukturell bedingt ist. Mit diesem<br />

Begriff aus der Zeit des Kalten Krieges wird die militärische Hochrüstung mit<br />

dem der Abschreckung in Beziehung gesetzt. Damit läßt sich auch nach dem<br />

Ende des Kalten Krieges die innere Verfaßtheit der westlichen Gesellschaften<br />

charakterisieren. Nur ist der Begriff der Abschreckung durch andere Ideologeme,<br />

wie friedensschaffend, humanitär und präventiv zu ersetzen. Geblieben,<br />

ja noch deutlicher hervorgetreten, ist die kapitalistische Struktur der modernen<br />

westlichen Gesellschaft, die in der neoliberalen Ideologie eine neue<br />

Form wirtschaftsimperialistischer Strategien übernommen hat.<br />

Zum Verhältnis Wirtschaftsimperialismus und Krieg hat bereits E. Bloch<br />

grundsätzlich ausgeführt: „Der moderne Krieg kommt aus dem kapitalistischen<br />

Frieden und trägt dessen schreckliche Züge. Kampf um Absatzmärkte,<br />

Konkurrenzkampf mit allen Mitteln sind dem Kapital eingeschrieben, so kann<br />

es keinen ewigen Frieden halten, so bilden die Imperialismen die Explosionssphäre<br />

eines dauernden Vorkrieges.“ 5<br />

Kann aus der <strong>Europäische</strong>n Union eine europäische<br />

<strong>Friedensordnung</strong> erwachsen?<br />

Dem Begriff einer internationalen <strong>Friedensordnung</strong> liegt die Idee des positiven<br />

Friedens zugrunde. Notwendigerweise müssen ihr zwei Bedingungen vorausgehen:<br />

Zum einen müssen alle Kriegshandlungen eingestellt werden, zum<br />

anderen muß weiter die Forderung nach allgemeiner, kontrollierter Abrüstung<br />

erfüllt sein.<br />

Zwar findet sich in dem Entwurf der Verfassung für Europa bereits in der<br />

Präambel das Bekenntnis, „auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität in der<br />

Welt hinzuwirken“, 6 und es wird als oberstes Ziel der Union deklariert, „den<br />

Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“ (Art.<br />

I 3,1). Doch lassen die näheren inhaltlichen Ausführungen des Verfassungsentwurfs<br />

keinen Zweifel daran, daß diese Friedensverpflichtung kaum mehr<br />

als ein formales Bekenntnis ist. Denn in den Bestimmungen zur gemeinsamen<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik heißt es dann: „Die Mitgliedsstaaten<br />

4 T. Hobbes, Leviathan, Hrsg. I. Fetscher, Frankfurt a.M. 1984, S. 96.<br />

5 E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1979, S. 1049.<br />

6 Entwurf. Vertrag über eine Verfassung für Europa, Präambel, S. 5.


verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Es<br />

wird ein <strong>Europäische</strong>s Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten<br />

eingerichtet, dessen Aufgabe es ist, den operativen Bedarf [an Waffen]<br />

zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern.“ (Art. I 40,3).<br />

Es fehlt also jeder positive Ansatz, den Krieg als Mittel der Politik zu ächten<br />

und eine umfassende Abrüstung einzuleiten. 7 Vielmehr soll die Disposition<br />

zum Krieg in der <strong>Europäische</strong>n Union weiterhin aufrecht erhalten werden.<br />

Neue militärische Abenteuer sind vorprogrammiert. Somit verfolgt das Friedensgebot<br />

des Verfassungsentwurfs, wenn nicht eine bloß deklaratorische<br />

Absicht mit ihm verbunden ist, allenfalls ein Friedensziel im negativen Sinn,<br />

nämlich den heißen Krieg vom Staatenbund der EU fernzuhalten.<br />

Die Friedensfähigkeit der <strong>Europäische</strong>n Union hängt zudem eng mit ihrer<br />

demokratischen Konstitution zusammen. Diese führt uns zu den von I. Kant<br />

erörterten Rechtsbedingungen, die einen positiven Friedenszustand zwischen<br />

den Staaten erst ermöglichen. Solche Rechtsbedingungen sind, wenn von dem<br />

noch nicht näher ausformulierten Weltbürgerrecht abgesehen wird, völkerrechtlicher<br />

und staatsrechtlicher Natur. Das Völkerrecht regelt traditionell das<br />

Zusammenleben zwischen den Völkern in den Nationalstaaten, so wie es bis<br />

heute in den Grundlagen der Charta der Vereinten Nationen festgelegt ist.<br />

Für die UNO ist das unbedingte Friedensgebot oberste Maxime in den internationalen<br />

Beziehungen: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen,“ - so beginnt<br />

die UN-Charta, - „fest entschlossen, künftige Geschlechter von der<br />

Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares<br />

Leid über die Menschheit gebracht hat ...“, um dann im Artikel 1 die o-<br />

bersten Ziele der Vereinten Nationen zu beschreiben, nämlich<br />

den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wahren;<br />

freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen bei Achtung der<br />

Prinzipien von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker entwickeln;<br />

internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer<br />

Art in internationaler Zusammenarbeit lösen.<br />

Hier ist also die internationale Kooperation in allen übergreifenden Fragen<br />

bei Achtung der Selbstbestimmung und Gleichberechtigung der Völker Leitlinie<br />

des positiven Friedensbezuges.<br />

33<br />

7 Siehe P. Becker, Ph. Boos, Zum Verfassungsentwurf der EU, in: Wissenschaft und Frieden,<br />

Heft 02/2004, S. 10-13.


34<br />

Neben den völkerrechtlichen Bedingungen ist aber auch in staatsrechtlicher<br />

Hinsicht die Verfaßtheit eines Staates für das Zusammenleben mit anderen<br />

Staaten in den internationalen Beziehungen von friedensrelevanter Bedeutung.<br />

Denn erst eine - nach I. Kant- republikanische Verfassung, in der die<br />

Prinzipien von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit für alle gesichert sind,<br />

besitzt eine friedensfunktionale Bedeutung und begünstigt die Etablierung einer<br />

internationalen Rechtsordnung in völkerrechtlicher Hinsicht. 8<br />

J. Habermas weist darauf hin, daß in einem politischen Gemeinwesen die<br />

Bürger als Autoren des Rechts und nicht als bloße Adressaten des Rechts zu<br />

gelten haben. Besonders im grundlegenden Prozeß der Verfassungsgebung<br />

müssen die assoziierten Bürger aktiv beteiligt sein. Nur auf einem derartigen<br />

demokratischen Weg kann die notwendige Legitimität aus Legalität erzeugt<br />

werden. 9<br />

Der Entwurf der Verfassung der <strong>Europäische</strong>n Union ist jedoch von einem<br />

Konvent ausgearbeitet worden, der vom <strong>Europäische</strong>n Rat, also den Vertretern<br />

der Regierungen, einberufen wurde. Relevante gesellschaftliche Gruppen<br />

haben nicht mitgewirkt. Die europäischen Völker sind im Konvent nicht repräsentiert.<br />

Ja mehr noch, auch nachträglich wird das Volk kaum befragt. Referenden<br />

besitzen in Deutschland, England, Spanien und Belgien keine Rechtsgrundlage;<br />

in anderen europäischen Ländern wie Polen, Schweden und Ungarn<br />

sind Volksabstimmungen möglich, aber vom Ergebnis her nicht bindend.<br />

10<br />

In den Entscheidungen der EU über übergeordnete wirtschaftliche und politische<br />

Fragen, bis hin zu den im Verfassungsentwurf kaum thematisierten<br />

Weltproblemen, wird eine direkte Bürgerbeteilung schlechthin übergangen.<br />

Die mangelnde Beteiligung der Bürger an der politischen Willensbildung<br />

innerhalb der <strong>Europäische</strong>n Union erweist sich jetzt schon als fatal und wird,<br />

wenn sie nicht geändert wird, über kurz oder lang zu einer Legitimitätskrise<br />

führen.<br />

Ein wichtiges Indiz für eine demokratische Konstitution einer Assoziation ist<br />

seit J. Locke und Ch. Montesquieu (1689-1755) die Gewaltenteilung, also die<br />

gegenseitige Unabhängigkeit der gesetzgebenden, der vollziehenden und der<br />

richterlichen Gewalt. Damit der politische Souverän die legislative Gewalt<br />

8 Siehe W. Kersting, Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein,<br />

in: O. Höffe (Hrsg.), I. Kant, Zum Ewigen Frieden, Berlin 1995, S. 87-108.<br />

9 Siehe J. Habermas, Zur Diskussion mit Kardinal Ratzinger, in: Information Philosophie,<br />

Heft 04/2004, S. 7-15.<br />

10 Siehe EU-Verfassungsreferendum - ja oder nein?, in: Freitag vom 24.09.2004, S. 7.


nicht mißbrauchen kann, wird dessen Gewalt von der exekutiven und richterlichen<br />

Gewalt getrennt.<br />

Tatsächlich ist in der <strong>Europäische</strong>n Union das Prinzip der Gewaltenteilung<br />

nicht streng gewahrt. Das EU-Parlament, das einzige direkt gewählte Organ,<br />

hat keine legislative Gewalt, sondern nur Mitwirkungsrechte und Beratungsfunktion<br />

(Art. 19,1). Dagegen besitzt die <strong>Europäische</strong> Kommission, die ernannt<br />

und nicht gewählt wird (Art. III-250), das Monopol auf Gesetzesinitiative<br />

(Art. 25,2). Sie ist neben dem Ministerrat zugleich Exekutivorgan der U-<br />

nion (Art. 25,1). Selbst die richterliche Gewalt ist eingeschränkt; denn dem<br />

<strong>Europäische</strong>n Gerichtshof wird eine Zuständigkeit für die Außen- und Sicherheitspolitik<br />

abgesprochen. 11<br />

In der Praxis wird eine Demokratie schließlich daran gemessen, wie weit die<br />

Menschenrechte eingehalten werden und ob es in sozialer Hinsicht gerecht<br />

zugeht. Nach Platon besteht Gerechtigkeit ganz einfach darin, das jeder das<br />

Seinige hat und tut 12 - also jedem nach seinen Fähigkeiten und nach seinen<br />

Bedürfnissen. Die soziale Gerechtigkeit korrespondiert also gleichermaßen<br />

mit dem, was der Einzelne leistet und zum Leben braucht.<br />

In der <strong>Europäische</strong>n Union dominiert dagegen einseitig die neoliberale Ideologie<br />

einer Leistungsgerechtigkeit, nach der der Leistungsfähige belohnt wird<br />

und der Schwache auf der Strecke bleibt. Überhaupt sind die wirtschafts-, finanz-<br />

und sozialpolitischen Umsetzungen in den einzelnen Politikbereichen<br />

der <strong>Europäische</strong>n Union in neoliberaler Handschrift geschrieben. Die wirtschaftlichen<br />

Zielvorgaben mit der Freiheit für den Personen-, Waren-,<br />

Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sollen den <strong>Europäische</strong>n Binnenmarkt<br />

verwirklichen, also die umfassende Privatisierung der öffentlichen Güter ohne<br />

Einflußnahme der Gemeinwesen vorantreiben.<br />

Notwendige Bedingungen für ein friedensfähiges Europa<br />

In absehbarer Zeit - so sind die voranstehenden Überlegungen zusammenzufassen<br />

- wird sich eine europäische <strong>Friedensordnung</strong>, die der Idee des positiven<br />

Friedens verpflichtet ist, nicht verwirklichen lassen. Dennoch, fragt man<br />

nach den Gesinnungen und Willensäußerungen der Bürger, so haben die großen<br />

Friedenskundgebungen in den verschiedenen Ländern vom 15. Februar<br />

2003 gegen den Irak - Krieg der USA einen unbedingten Friedenswillen<br />

35<br />

11 Siehe Kommission Friedenspolitik von pax Christi (Hrsg.), Eine neue Supermacht? Der<br />

EU-Verfassungsentwurf stellt die Weichen für globale Kriegsführung, Sozialabbau u.<br />

Entdemokratisierung, in: Impulse, Heft Juni/2004.<br />

12 Siehe Platon, Der Staat, 433 A-434 C.


36<br />

bekundet. J. Habermas und der kürzlich verstorbene französische Philosoph<br />

J. Derrida haben in diesem Zusammenhang von einer Wiedergeburt Europas<br />

gesprochen. Mit diesem Signal für die Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit<br />

sei das Bild eines „friedlichen, kooperativen, dialogfähigen Europas“<br />

entworfen worden. Dieses Signal zum Aufbau eines friedlichen Europa müßten<br />

die Regierenden aufgreifen und in eine „Politik der Zähmung des Kapitalismus“<br />

überführen. 13<br />

Damit ist eine erste notwendige Bedingung für einen Politikwechsel in Europa<br />

genannt. Aber ist der Kapitalismus überhaupt zu zähmen? Es entspricht<br />

seinem Wesen, auf ein ständiges Mehr, auf wachsende Warenangebote und<br />

Märkte ausgerichtet zu sein. Die einst freiheitliche, republikanische Gesellschaft,<br />

repräsentiert durch den Begriff der Polis, ist in ein großes Warenhaus<br />

verwandelt und der politische Bürger zu einem Konsumenten entmündigt<br />

worden, dessen Wertschätzung sich nach Einkommen und Kaufbereitschaft<br />

richtet. Immer stärker drängt das Kapital darauf, alle Dinge dieser Welt in eine<br />

Ware zu verwandeln und selbst die menschlichen Beziehungen nach den<br />

Vorgaben des Marktes zu regeln. Was also könnte den Kapitalismus da noch<br />

zähmen? Doch nur die Wahrnehmung seines Selbstwiderspruches, daß die<br />

grenzenlose Profitgier das eigene Fundament zerstört; nur die Einsicht, daß es<br />

natürliche Grenzen des Wachstums und damit auch der Profite gibt.<br />

Die verwundbarste Stelle der Wachstumsgesellschaft ist immer noch die Versorgung<br />

mit billiger Energie. Doch sind die fossilen Brennstoffe nicht unerschöpflich.<br />

Eine Gruppe von Fachleuten um den irischen Erdölgeologen<br />

C. Campbell hat kürzlich vor dem bald erreichten Höhepunkt der weltweiten<br />

Erdölproduktion gewarnt. Dieser Förderhöhepunkt (Peak Oil) wird bei wachsender<br />

Nachfrage, besonders aus China, etwa 2008 erreicht. Kann die Erdölförderung<br />

nicht weiter erhöht werden, ist eine Explosion der Öl- und Energiepreise<br />

und eine Depression der Weltwirtschaft zu erwarten. 14<br />

Letztlich geht es bei der Zähmung des Kapitalismus vor allem um die Besitzstandswahrung<br />

der sozialen Güter, die in langjährigen Arbeitskämpfen und<br />

unter der Bedingung der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West errungen<br />

wurden. Den Kapitalismus zu zähmen kann gegenwärtig nur heißen, die<br />

neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik zu stoppen. Hier geht es um nicht<br />

weniger als um die Erhaltung der Lebensgrundlagen der Menschen, also um<br />

13 J. Derrida, J. Habermas, Unsere Erneuerung. Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas,<br />

in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.05.1903. Wieder abgedruckt in: Friedensforum (Österreich),<br />

Heft 05/06/2003, S. 4-6.<br />

14 Siehe R. Poth, Öl: Fatales Finale?, in: Südwind. Magazin für internationale Politik, Kultur und<br />

Entwicklung, Wien, 25/2004, Heft 07/08, S. 17 f.


den Schutz der öffentlichen Güter wie Gesundheit, Wasser und Verkehr, Bildung<br />

und Kultur, um die weitere Bereitstellung von qualitativ hochwertigen<br />

öffentlichen Dienstleistungen. Deren drohende Privatisierung ist eine schwerwiegende<br />

Beeinträchtigung der grundlegenden Persönlichkeitsrechte und der<br />

sozialen und kulturellen Menschenrechte. Die errungenen sozialen Rechte<br />

sind in demokratischen Mitbestimmungs- und Entscheidungsprozessen gegen<br />

die Umsetzung der neoliberalen Grundsätze des europäischen Binnenmarktes<br />

zu verteidigen. 15<br />

Eine zweite Grundbedingung für ein friedensbereites Europa hängt eng mit<br />

der ersten zusammen und entspricht dem Kantschen Postulat, als Vorbedingung<br />

eines dauerhaften Friedens die stehenden Heere abzuschaffen, die andere<br />

Staaten mit Krieg bedrohen und das Wettrüsten vorantreiben. 16 Es liegt - wie<br />

schon ausgeführt - im Selbstinteresse einer Assoziation, daß allgemein abgerüstet<br />

wird und so Angriffskriege und militärische Interventionen von den<br />

Voraussetzungen her unterbunden werden.<br />

Eine strategische Umorientierung der Politik, weg von der Angriffsarmee,<br />

weg von der Option einer weltweiten militärischen Einmischung, hin zu einer<br />

Politik weltweiter Kooperation und Ursachenbekämpfung von Verelendung,<br />

Hunger und Gewaltbereitschaft, setzt erhebliche finanzielle Mittel frei. Diese<br />

Gelder werden dringend für den inneren Aufbau eines friedensfähigen Europa,<br />

für Bildung und Ausbildung, für alternative Energien und Klimaschutz<br />

und für die Lösung der anstehenden sozialen Probleme benötigt. Mit dem<br />

Terrorismus, den es zu bekämpfen gilt (Art. III-210,1), wird selbst in dem europäischen<br />

Verfassungsentwurf ein Feindbild festgeschrieben, wohl absichtlich<br />

in vager Formulierung. Bei Bedarf kann dann für Terrorismus vom <strong>Europäische</strong>n<br />

Rat ein Schurkenstaat, eine mißliebige politisch-religiöse Gruppe<br />

oder ein Diktator eingesetzt werden, um den beabsichtigten militärischen Angriff<br />

in Übereinstimmung mit der Verfassung zu bringen und so formal zu<br />

rechtfertigen.<br />

Hierzu erhebt A. Muschg, Schweizer Schriftsteller und Präsident der Berliner<br />

Akademie der Künste, seine warnende Stimme: „Europa hat lernen müssen,<br />

den Preis von Siegen zu bedenken. Die Erfahrung sagt den Europäern, daß<br />

der Krieg gegen den Terrorismus heute mehr Feinde erzeugt, als er überwinden<br />

kann, und damit selbst zu den Übeln gezählt werden muß, die er auszurotten<br />

37<br />

15 Siehe attac Deutschland, Mehr Demokratie und weniger Maastricht. Eine Kritik des<br />

Verfassungsentwurfs von der Euromemorandumgruppe, in: Friedensforum, Bonn,<br />

Heft 02/2004, S. 41 f.<br />

16 Siehe I. Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, 3. Präliminarartikel,<br />

in: I. Kant, Werkausgabe, Frankfurt a.M. 1981, S. 197.


38<br />

behauptet. Die Kreuzzüge der Vergangenheit sind von Europa ausgegangen,<br />

darum ist es dafür nicht mehr zu haben.“ 17<br />

Schließlich ist noch eine dritte notwendige Bedingung zu nennen, die leicht<br />

übersehen wird: Die Bürger müssen das Heft zum Handeln selbst in der<br />

Hand haben, sie müssen sich einmischen, wo es nur irgend geht, wenn es um<br />

das eigene Wohl und um das der Gemeinschaft geht. Sie müssen unmittelbar<br />

teilhaben am politischen Leben - das ist der Grundgedanke der partizipativen<br />

Demokratie, wie er formal auch im Verfassungsentwurf festgelegt ist<br />

(Art. 46). Dort ist allerdings nur von einem Austausch von Ansichten<br />

(Art. 46,1), von einem offenen Dialog zwischen den Organen der EU und der<br />

Zivilgesellschaft (Art. 46,2) sowie von Anhörungen der Betroffenen durch die<br />

<strong>Europäische</strong> Kommission (Art. 46,3) die Rede.<br />

Jedoch erstarrt die lebendige Demokratie im Formal-Demokratischen. Die<br />

Bürger sehen sich von lebenswichtigen Entscheidungen ausgeschlossen und<br />

stehen dem Institutionen-Gewirr der EU mißtrauisch gegenüber. Dieses demokratische<br />

Manko ist selbst von dem designierten Kommissionspräsidenten<br />

X. Barroso wahrgenommen worden, der eine Kommissarin für Transparenz<br />

und Bürgerkontakte benannt hat, um den Bürgern Europa zu erklären. Große<br />

Worte sollen künftig die unzulänglichen demokratischen Prozesse schönreden.<br />

Die Zivilgesellschaft verfügt aber selbst über eine mächtige Stimme, die<br />

von den Herrschenden in Wirtschaft und Politik gefürchtet ist.<br />

Eine lebendige Demokratie, in der der oberste Souverän den allgemeinen Willen<br />

verwirklicht, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Weg zu Frieden<br />

und sozialer Gerechtigkeit. Die mangelnden demokratischen Strukturen und<br />

Entscheidungsprozesse zeigen an, wie weit die <strong>Europäische</strong> Union davon entfernt<br />

ist, den Aufbau einer internationalen <strong>Friedensordnung</strong> zu verwirklichen.<br />

Autor: Prof. Dr. Volker Bialas,<br />

Wissenschafts- und Philosophiehistoriker, München.<br />

17 A. Muschg, Kerneuropa. Gedanken zur europäischen Identität, in: Neue Zürcher Zeitung<br />

vom 31.05.2003. Wieder abgedruckt in: Friedensforum (Österreich), Heft 05/06/2003,<br />

S. 7 f. (Zitat auf S. 8).


39<br />

Harry Pursche<br />

Einige Aspekte der Einbindung der Verteidigungspolitischen<br />

Richtlinien in die EU-Sicherheitsstrategie<br />

Im Zusammenhang mit der Absicht, die Verteidigungspolitischen Richtlinien des<br />

Verteidigungsministers von 1992 (VPR) zu überarbeiten, umriß P. Struck die<br />

künftigen Aufgaben der Bundeswehr wie folgt: „Meine weiteren Überlegungen<br />

gehen von der Annahme aus, daß der Schwerpunkt der Aufgaben der<br />

Bundeswehr auf absehbare Zeit im multinationalen Einsatz und jenseits unserer<br />

Grenzen liegen wird.“ 1 Folgerichtig heißt es dann in den VPR: „Die Sicherheitslage<br />

hat sich grundlegend gewandelt (und) verlangt veränderte Fähigkeiten“<br />

2 seitens der Bundeswehr. Eine durchaus realistische Aussage, die<br />

generell für Europa insgesamt zutreffend ist. Dem Rechnung tragend, zählt<br />

dann das Bekenntnis zur multinationalen Sicherheitsvorsorge zu den Kernaussagen<br />

der VPR, in denen wiederholt die besondere Verantwortung der BRD für die<br />

Konfliktverhinderung und Krisenbewältigung beschworen wird.<br />

In den VPR wie auch in der Sicherheitsstrategie der EU gibt es allerdings einige<br />

Aussagen, die im Kontext, wie Kriege im ausgehenden 20. und beginnenden<br />

21. Jahrhundert gemacht wurden, der kritischen Betrachtung bedürfen.<br />

Da wäre erstens die Umdeutung des Begriffs Verteidigung zu nennen. Im Abschnitt<br />

1 der VPR heißt es dazu: Die „Neugewichtung der Aufgaben der<br />

Bundeswehr und die daraus resultierenden konzeptionellen und strukturellen<br />

Konsequenzen entsprechen dem weiten Verständnis von Verteidigung, das<br />

sich in den letzten Jahren herausgebildet hat.“ 3 In den Kernaussagen wird<br />

hervorgehoben, daß Bundeswehr-Einsätze „auch über das Bündnisgebiet hinaus“<br />

vorgesehen sind. Verteidigungsminister Struck läßt keinen Zweifel daran,<br />

daß die Verteidigung nicht schon am Hindukusch endet, sondern weltweit geführt<br />

wird. Diese Interpretation von Verteidigung ist ihrem Wesen nach eher<br />

eine Umschreibung von Angriff und Präventivschlag. Aufmerksam zu verfolgen<br />

gilt, was sich hinter dem „ gesamte(n) Spektrum sicherheitspolitisch relevanter<br />

Instrumente und Handlungsoptionen“ verbirgt. 4 Sich auf das Bundesverfassungsgericht<br />

und den Bundestag berufend, soll die geographisch nicht<br />

1 www.NGO-online.de vom 12.03.2003.<br />

2 Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich<br />

des Bundesministers der Verteidigung (VPR ), www.bundeswehr.de., Berlin, S. 18 f.<br />

3 Ebenda.<br />

4 Ebenda, S. 18 f., S. 22.


40<br />

mehr eingegrenzte Verteidigung mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung<br />

gebracht werden. Nach meiner Auffassung handelt es sich hier um eine inhaltliche<br />

Veränderung des Art. 87a GG.<br />

Ein zweiter Anlaß zum kritischen Hinterfragen ist die „politische Bereitschaft<br />

und die Fähigkeit, Freiheit und Menschenrechte, Stabilität und Sicherheit notfalls<br />

auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen oder wiederherzustellen“ 5 .<br />

Wenn dann im Art. 3.28, wie auch an anderer Stelle das „Völkerrecht und<br />

insbesondere die Charta der VN“ als „Grundlage für das Handeln“ betont<br />

wird, kommen mir unwillkürlich der NATO-Überfall auf Jugoslawien und<br />

einige andere kriegerische Abenteuer unter Beteiligung der BRD in den Sinn. 6<br />

Der Verteidigungsminister beruft sich darauf, daß der Irak-Krieg, „wie zuvor<br />

schon der Kosovo-Krieg, zu neuen Impulsen für die weitere Entwicklung der<br />

europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik geführt“ habe. 7 Da sich<br />

die EU weder gegen Jugoslawien noch gegen den Irak verteidigen mußte,<br />

dürften die Impulse nur im Bereich der Verbesserung zur Führung von Angriffskriegen<br />

liegen.<br />

Drittens sind zumindest gegenwärtig Zweifel anzumelden, wenn in den VPR<br />

behauptet wird, daß Massenvernichtungswaffen „in Verbindung mit weitreichenden<br />

Trägermitteln“ 8 auch die Völker Europas bedrohen können. Analoges<br />

findet sich im EU-Dokument. In einem Stern-Interview sieht Außenminister<br />

Fischer durch die Nuklearisierung des Iran eine Bedrohung für Europa. 9<br />

Das dürfte mit der Reichweite seiner derzeitigen Trägermittel dem Iran allerdings<br />

noch etwas schwerfallen. 10 Zweifellos stellt der globale Terrorismus gegenwärtig<br />

das größte Sicherheitsrisiko für die westliche Welt dar. Darauf wird<br />

sowohl in den VPR als auch in der EU-Sicherheitsstrategie mehrmals zu<br />

Recht Bezug genommen. Allerdings wurde der sogenannte Anti-Terror-<br />

Kampf wiederholt als Kriegsdrohung und Kriegsrechtfertigung mißbraucht.<br />

Allgemein bekannt ist die Tatsache, daß der Terrorismus mit militärischen<br />

Mitteln nicht zu bezwingen ist. Auf asymmetrische Bedrohungen wie Sprengstoffanschläge,<br />

Flugzeugentführungen sowie Angriffe mit biologischen oder<br />

chemischen Kampfstoffen kann man weder mit den Fregatten vom Typ Sachsen<br />

noch mit Militärtechnik wie dem Eurofighter erfolgreich reagieren. Diese<br />

5 Ebenda, S. 22.<br />

6 Siehe ebenda, S. 21 f.<br />

7 15. Forum, Bundeswehr und Gesellschaft, www.NGO-online.de vom 12.11.2004.<br />

8 Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien ..., a.a.O., S. 20 u. 24.<br />

9 Siehe Stern vom 11.11.2004, S. 56.<br />

10 Siehe Der Spiegel vom 13.09.2004.


Art der Bewaffnung läßt eindeutig auf eine andere Zweckbestimmung schließen.<br />

So heißt es in der EU-Sicherheitsstrategie, daß die „Globalisierung ein<br />

voll handlungsfähiges Europa erforderlich“ 11 macht.<br />

Demaskierend dürften in diesem Zusammenhang solche Aussagen wie die eines<br />

ehemaligen hohen Bundeswehroffiziers sein, der den künftigen Bundeswehr-Soldaten<br />

so charakterisierte: „Diesen Typus müssen wir uns wohl vorstellen<br />

als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat bei dieser Existenz in<br />

Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln ... Eine neue Zeit in der Militärstrategie<br />

und Taktik verlangt natürlich einen Soldatentypen sui generis: Der<br />

Staatsbürger in Uniform ... hat ausgedient.“ 12<br />

Die Verknappung der nicht erneuerbaren Rohstoffe und der damit verbundene<br />

Konkurrenzkampf tragen potentiell den Keim des Krieges in sich. Bestätigt<br />

wird das durch die militärische Kopflastigkeit der EU-Verfassung. Die<br />

weitgehende Kongruenz der VPR mit dem EU-Militärprogramm ordnet die<br />

BRD dort ein. So beschwört Struck den „Schutz der Energie- und Rohstoffversorgung“<br />

als legitimes europäisches Interesse, welches ein „gemeinsames<br />

internationales Handeln der europäischen Staaten erfordern“ 13 könne.<br />

Im Zusammenhang mit anderen Äußerungen wird deutlich, daß es sich bei<br />

den materiellen Interessen vorrangig um den freien Zugang zu Ressourcen<br />

und Märkten, bei den ideellen Verpflichtungen um Verträge handelt. Erfahrungsgemäß<br />

diktiert die der Stärkere, denn die neue Weltordnung kennt keine<br />

Gleichberechtigung. Der Zugang zu Rohstoffen und Märkten, auch unter<br />

Anwendung militärischer Gewalt, hat bei allen schönen Umschreibungen o-<br />

berste Priorität. „Auch die Globalisierung macht ein voll handlungsfähiges<br />

Europa erforderlich“, heißt es dazu in den VPR. 14 Nicht zu Unrecht bezeichnet<br />

die Kölner Soziologin M. Mies den Terrorismus als optimalen Feind in<br />

einem globalisierten Kriegssystem. 15<br />

Die wiederholt betonte multinationale Zusammenarbeit und die Bündnistreue<br />

binden die VPR in die in Rom beschlossene Sicherheitsstrategie der EU ein.<br />

Das heißt, sie sind ein Teil der EU-Strategie-Kultur, die dazu dienen soll,<br />

frühzeitig, rasch und robust eingreifen und mehrere gleichzeitige Operationen<br />

41<br />

11 Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien ..., a.a.O., S. 22.<br />

12 J. Rose, Auszeit fürs Hirn, in Freitag vom 03.12.2004.<br />

13 15. Forum Bundeswehr ..., a.a.O.<br />

14 Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien ..., a.a.O., S. 22.<br />

15 Siehe M. Mies, Krieg ohne Grenzen, PapyRossa Verlag 2004, S. 12.


42<br />

führen zu können. 16 Dies soll mit dem Blick auf die „besondere Verantwortung<br />

und Leitbildfunktion“ der „größeren europäischen Nationen“ geschehen.<br />

„Kurs und Tempo (der) Umgestaltung der Bundeswehr“ müssen deshalb<br />

beibehalten werden. 17 Außenminister Fischer vertritt die Auffassung, daß die<br />

EU eine „Macht im Werden“ ist, deren „militärische Schwäche nicht zu leugnen“<br />

sei. 18 Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD R. Arnold bezeichnete<br />

die militärische Potenz der EU gar als Gestaltungsfaktor. 19<br />

Das wirft die Frage auf: Weshalb will die EU Weltmacht werden und weshalb<br />

benötigt sie dazu militärische Stärke? Ist Weltmacht nur militärisch definierbar?<br />

Das Streben der EU, sich als ökonomisch und militärisch starke Weltmacht<br />

zu etablieren - trotz aller Bündnisbeteuerungen auch in Konkurrenz zur USA<br />

- , ist nicht der Erkenntnis geschuldet, daß eine bipolare Welt durch militärische<br />

Balance sicherer sei. Die entscheidenden Triebkräfte sind ökonomischer<br />

Natur. Im Bestreben, sich einen möglichst großen Anteil an Rohstoffressourcen<br />

und Märkten zu sichern, die kampflos niemand preisgibt, sind Konflikte<br />

vorprogrammiert. Daß diese Befürchtungen berechtigt sind, macht General<br />

a.D. K. Reinhardt deutlich, der, sich auf P. Struck beziehend, ausführte: „Hohe<br />

Intensität bedeutet Krieg. Das bedeutet, daß man mit Gewalt in einem<br />

Land ein Objekt nimmt, was man glaubt, aus politischen Gründen in den<br />

Griff zu kriegen.“ 20 Schlußfolgernd muß man Struck zustimmen, daß die<br />

„Transformation der Bundeswehr und Deutschlands Engagement und Verpflichtungen<br />

in NATO und EU ... zwei Seiten einer Medaille“ sind. 21<br />

Autor: Harry Pursche,<br />

Diplomphilosoph, Leipzig.<br />

16 Siehe EU-Sicherheitsstrategie, beschlossen am 14.12.2003.<br />

17 15. Forum Bundeswehr ..., a.a.O.<br />

18 J. Fischer, Rede an der Princeton-University am 19.11.2003.<br />

19 Siehe Sendung Monitor vom 01.07.2004.<br />

20 Ebenda.<br />

21 15. Forum Bundeswehr ..., a.a.O.


43<br />

Joachim <strong>Klopfer</strong><br />

<strong>Europäische</strong> <strong>Friedensordnung</strong> - nicht ohne Rußland! ♦<br />

„Nicht ohne oder gegen Rußland, nicht ohne oder gegen Amerika<br />

ist gesamteuropäische Stabilität zu erreichen.“<br />

(Egon Bahr)<br />

1<br />

Egon Bahrs imperative Mahnung von 1998 1 deutet auf ein konfliktträchtiges<br />

Feld wechselseitiger Abhängigkeiten und Spannungen: Alle drei genannten<br />

großen Mächte verfolgen eigene geopolitische Ambitionen, ausgehend<br />

von unterschiedlichen (Ausgangs-)Positionen und Potentialen, orientiert<br />

an verschiedenen, z.T. einander ausschließenden Zielhorizonten, bei Bevorzugung<br />

jeweils anderer Mittel und Methoden.<br />

Als „einzige Weltmacht“ sind die USA derzeit militärisch uneinholbar überlegen, wirtschaftlich<br />

allen weiteren Großmächten mindestens ebenbürtig, politisch im Sinne Carl Schmidts „souverän“<br />

bis hin zur fallweisen Brüskierung internationaler Rechtsnormen und Institutionen, die<br />

sie nur in dem Maße akzeptieren, wie sie den eigenen globalstrategischen Zielen dienlich<br />

sind. Ihr Hauptziel ist es, die dominierende Rolle zu behaupten und auszubauen. Um dies zu<br />

erreichen, bevorzugen sie neben wirtschaftlichen bzw. finanziellen im besonderen militärische<br />

Machtmittel.<br />

EUROPA sieht sich als nichthegemoniale Großmacht. Es ist, obwohl wirtschaftlich stark,<br />

noch auf der Suche nach einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Obwohl es sich<br />

bisher als „Zivilmacht“ definiert, betreibt es in jüngerer Zeit die Bildung von Interventionsstreitkräften,<br />

die sowohl eigenständige europäische wie auch NATO-Aufträge realisieren sollen.<br />

Gegenwärtig und für eine mittelfristige Übergangsperiode wird es machtpolitisch de facto<br />

vornehmlich durch Frankreich und Deutschland vertreten.<br />

Trotz wirtschaftlicher Schwäche und innenpolitischer Labilität bleibt RUSSLAND durch seine<br />

territoriale Größe und Lage, wegen seines erheblichen Kernwaffenpotentials und angesichts<br />

seiner reichen Naturressourcen „eine der drei strategischen Weltmächte“, wenn auch eine<br />

„Weltmacht in der Schwebe“. 2 Seine globalpolitische Orientierung zielt auf eine multipolare<br />

Welt, in der es selbst eines der Einflußzentren sein will. Es hat gegenwärtig keine Mittel und<br />

auch keine Absichten zu imperialen Erweiterungen. (Ausführlicher dazu siehe 2.)<br />

♦<br />

Dieser Beitrag wurde schriftlich nachgereicht. Eine ausführlichere Fassung ist im Internet zu<br />

finden: http://www.jokler.de/russ/russ0412.htm. Die vorliegende abweichende redaktionelle<br />

Bearbeitung wurde vom Autor selbst vorgenommen.<br />

1 E. Bahr, Deutsche Interessen. Streitschrift zu Macht, Sicherheit und Außenpolitik,<br />

München 1998, S. 29.<br />

2 H. Schmidt, Die Mächte der Zukunft. Gewinner und Verlierer in der Welt von morgen,<br />

München 2004, S. 183, 174.


44<br />

Zunächst: Gemäß eigener Erklärungen haben die USA, Europa und Rußland<br />

eine Reihe von grundlegenden gemeinsamen Interessen. Diese bestehen vor<br />

allem darin,<br />

die weitere Verbreitung von nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen<br />

zu verhindern,<br />

den Terrorismus zu bekämpfen und ihm den Boden zu entziehen sowie<br />

auf dem Territorium der vormaligen UdSSR Anarchie (und die potentielle<br />

Schaffung eines fundamentalistischen Kalifatstaates) nicht zuzulassen.<br />

Zu den wiederholt ausgesprochenen gemeinsamen Interessen der EU und<br />

Rußlands gehören zudem<br />

die Gestaltung einer multipolaren, an UN und Völkerrecht orientierten<br />

Weltordnung,<br />

die Entwicklung eines stabilen russischen Staates, der sich auf Kooperation<br />

mit Europa und anderen Mächten einlassen kann und nicht glaubt, sich<br />

auf Abschottung und Konfrontation zurückziehen zu müssen, sowie<br />

eine gegenseitig vorteilhafte Wirtschaftskooperation, besonders in den<br />

Bereichen Energie und technologische Modernisierung.<br />

Bahr beleuchtet in seiner ‚Streitschrift zu Macht, Sicherheit und Außenpolitik’ 3 jeweils eine<br />

US-amerikanische und eine (seine!) deutsche Auffassung zu „nationalen Interessen“. Die<br />

aus deutscher Sicht gemeinsamen Interessen mit Rußland hat aktuell Bundeskanzler Schröder<br />

in einem Pressebeitrag vom Juli 2004 benannt. 4 Rußland hat offiziös u.a. in der Denkschrift<br />

des Verteidigungsministeriums vom Oktober 2003 „Basisinteressen“ definiert. Es heißt<br />

da: „Für jeden Staat existieren ständige nationale Basisinteressen ... - die staatliche Souveränität,<br />

die territoriale Integrität, die sozialpolitische Stabilität der Gesellschaft, die verfassungsmäßige<br />

Ordnung, strategische Stabilität im System der Weltgemeinschaft, freier Zugang<br />

zu den lebenswichtigen wirtschaftsstrategischen Zonen und Kommunikationen und andere.“<br />

5<br />

Daneben existieren freilich auch Interessenunterschiede und -gegensätze. Dazu<br />

noch einmal Egon Bahr: „Vielleicht mag man in Amerika glauben, Vorteile<br />

aus der fortdauernden inneren und äußeren Schwächung Rußlands zu gewinnen,<br />

solange nur das Chaos vermieden wird und der atomare Faktor kontrollierbar<br />

bleibt; für Europa ist ein Rußland vorzuziehen, das sich konsolidiert,<br />

3 E. Bahr, Deutsche Interessen ..., S. 21-25.<br />

4 G. Schröder, Deutschland und Russland: Leitmotiv Zusammenarbeit, in: "Russia in Global<br />

Affairs, Nr. 4 (Juli-August)/2004; auch http://www.deutschebotschaftmoskau.ru/de/aktuell/d99301c3-0099-11d9-ba42-000374890932.html.<br />

5 Aktuelle Aufgaben zur Entwicklung der Streitkräfte der Russischen Föderation. Denkschrift des<br />

Verteidigungsministeriums der RF vom 02.10.2003; in: Krasnaja Zvezda, Moskau, vom<br />

11.10.2003; auch unter URL: http://www.redstar.ru/2003/10/11_10/3_01.html; Übersetzung<br />

ins Deutsche:http://www.jokler.de/russ/milumbau/dssk3100.htm und<br />

http://www.sicherheitspolitik-<strong>DSS</strong>.de/ap/ap66jkrl.pdf.


einen Rechtsstaat etabliert statt Korruption zu erlauben, das 6 Demokratie beteuert,<br />

aber durch Dekrete regiert ...; ein sicherheitspolitisch geteiltes Europa<br />

mit Elementen potentieller Konfrontation kann sich Amerika nicht nur leisten,<br />

ein solches NATO-Europa bliebe auch stärker auf Amerika angewiesen.“<br />

7<br />

Bahr hat diese Bewertung ein Jahr später bekräftigt und noch deutlicher ausgesprochen:<br />

„Amerika betrachtet Europa strategisch als Protektorat am Westrand des eurasischen Kontinents,<br />

dessen Schutzbedürfnis ebenso zu fördern ist wie die Marginalisierung Rußlands und<br />

die Schwächung seines Einflusses am Südrand der ehemaligen Sowjetunion.“<br />

[Aus einem Thesenpapier Egon Bahrs, zitiert bei: Dieter S. Lutz, Die <strong>Europäische</strong> Friedensund<br />

Sicherheitsordnung - Vision und Realität, in: Hamburger Informationen zur Friedensforschung<br />

und Sicherheitspolitik, Ausgabe 29/1999, Oktober 1999; auch unter<br />

http://www.rrz.uni-hamburg.de/ifsh/HI29.htm.]<br />

Auch in einem größeren Blickfeld - unter Einbeziehung wirtschaftlicher, finanzpolitischer,<br />

energiepolitischer und anderer Aspekte - wird deutlich: Das<br />

Streben der USA, seine beherrschende Rolle zu behaupten und auszubauen,<br />

beinhaltet das ebenso anmaßende wie rigorose Hintertreiben bereits der potentiellen<br />

Ansätze von eigenständigen, stabilen Gegenpolen - in Europa, in<br />

Rußland, und - noch schlimmer - in Gestalt einer Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft<br />

dieser beiden Mächte. Und weil beide, aus jeweils unterschiedlichen<br />

Positionen wirtschaftlicher und militärischer Stärke oder Schwäche,<br />

eine globale Rolle nicht ohne, jedenfalls aber nicht gegen die USA realisieren<br />

können, müssen sie für ihre eigene Konsolidierung - die EU als koordinierte<br />

politische Gesamtkraft, Rußland als stabiler Einzelstaat - ein unbelastetes<br />

Verhältnis zu den USA suchen und können eigenständige weltpolitische<br />

Aktivitäten nur unter ständiger Observierung und Obstruktion der „einzigen<br />

Weltmacht“ entwickeln. Zbigniew Brzezinski hat allen einschlägig Ambitionierten<br />

schon lange die „drei großen Imperative imperialistischer Geostrategie“<br />

verraten: „Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre<br />

Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten<br />

fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, daß die „Barbarenvölker“<br />

sich nicht zusammenschließen.“ 8<br />

Schließlich: Auch zwischen der EU und Rußland schwelen Interessenkonflikte,<br />

namentlich bei der geopolitischen Neuordnung Europas. Sie betreffen vor<br />

allem die beiderseitigen Integrationsbestrebungen in der „geopolitischen Zwi-<br />

45<br />

6 Dieses „das“ kann hier wohl, ohne den Autor fehlzuinterpretieren, auch als „selbst wenn es...“<br />

gelesen werden.<br />

7 E. Bahr, Deutsche Interessen ..., S. 29.<br />

8 Z. Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Weinheim und<br />

Berlin 1997, S. 65/66.


46<br />

schenzone“ - Ukraine, Belarus und Moldawien, aber auch Armenien, Aserbaidschan<br />

und Georgien sowie zentralasiatische Staaten, für Rußland traditionell<br />

„nahes Ausland“, für die EU „neue Nachbarn“. Freilich haben auch dort<br />

die US-Globalstrategen längst „vitale Interessen“ ausgemacht.<br />

2<br />

Als Wladimir Putin 1999 in die höchsten Staatsämter Rußlands aufstieg,<br />

befand sich das Land in einem katastrophalen Zustand. Mit Mühe war<br />

gerade ein Staatsbankrott abgewendet worden, die Zerrüttung der Wirtschaft<br />

schritt immer weiter fort, wenige Oligarchen hatten sich die gewaltigen Rohstoffquellen<br />

angeeignet und verschoben ihre Gewinne auf Auslandskonten.<br />

Regionale und lokale Führer ignorierten föderale Gesetze und Beschlüsse der<br />

Moskauer Zentrale. Der Krieg in Tschetschenien flammte neu auf, Korruption<br />

und Kriminalität blühten.<br />

Heute, wenig mehr als fünf Jahre später, bietet sich ein deutlich anderes Bild:<br />

Das Land ist politisch stabilisiert, das Bruttoinlandsprodukt steigt Jahr für<br />

Jahr um mehr als 5 Prozent, größere Rechtssicherheit, liberale Reformen und<br />

ein akzeptables Steuersystem haben Barrieren für Auslandsinvestitionen abgebaut,<br />

die verfassungsmäßigen Beziehungen zwischen Föderationszentrale<br />

und Föderationssubjekten wurden bereinigt und gestrafft. Putin selbst hat<br />

sich durch die Wahl vom März 2004 für eine zweite Amtsperiode legitimiert.<br />

Seine Popularität ist ungebrochen, seine Parteigänger haben in der Staatsduma<br />

eine komfortable Mehrheit. Nicht nur der präsidiale Führungsapparat, auch<br />

der „Wirtschaftsblock“ der Regierung und die allermeisten der weiteren entscheidenden<br />

Schaltstellen im Lande sind mit Leuten seines Vertrauens besetzt.<br />

Seine Konzepte der „Diktatur des Gesetzes“, einer „starken Machtvertikale“<br />

und „gelenkter Demokratie“ haben ihre Kritiker, sie werden aber von<br />

einer Mehrheit der Russen akzeptiert.<br />

Diese Konsolidierung des Landes hat - ebenso wie seine Haltung zu wichtigen<br />

Prozessen und Problemen in der Welt - sein internationales Ansehen und<br />

Gewicht wieder erhöht. In Verwirklichung seiner „Multivektor-Außenpolitik“<br />

unterhält Rußland partnerschaftliche Beziehungen zu (fast) allen bedeutenden<br />

Staaten/Bündnissen. Im Rahmen der GUS hat es neue Koalitionen initiiert.<br />

Seine Stimme als Mitglied des UN-Sicherheitsrates und der G8 hat Gewicht.<br />

Die Aufnahme in die WHO steht bevor.<br />

Rußland verfolgt wachsam bis mißtrauisch die - gewaltsamen und anderen -<br />

US-Aktivitäten zur Neuordnung der Welt, ohne diese bremsen zu können. Es<br />

vermeidet eine Konfrontation mit der Supermacht und strebt selbst eine<br />

neue, multipolare globale Ordnung an, in der es die eigenen nationalen Inte-


essen wahren und den Status einer (regionalen) Großmacht behaupten<br />

(Kernwaffenmacht) bzw. wieder gewinnen kann.<br />

Zugleich bleibt der erreichte Fortschritt unzureichend und labil.<br />

Beispiel Terrorakte, organisiertes Verbrechen: Nach dem Terrorakt von Beslan mit über 350<br />

Opfern, unter ihnen Hunderte Kinder, veröffentlichten mehrere russische Zeitungen Übersichten<br />

der schwersten Terrorakte in Rußland seit 1994. Die unvollständige Liste enthält Angaben<br />

zu 67 Terrorakten mit über 1495 + 350 (Beslan) Toten und vielen, ungezählten Verletzten.<br />

In einer Statistik des Innenministeriums werden für den Zeitraum Januar bis Dezember 2004<br />

insgesamt 9523 Straftaten terroristischen Charakters gemeldet. Eine andere Statistik aus<br />

dem Ministerium für Zivilverteidigung gibt z. B. für 2003 eine Anzahl von 19 großen Terrorakten<br />

an, bei denen 252 Menschen getötet und 926 verletzt wurden.<br />

Beispiel Korruption: In der Statistik „Korruptionsindex 2004“ erhält Rußland 2,8 von 10 möglichen<br />

Punkten; damit rangiert es auf Platz 90 der Liste. [Platz 1: Finnland (9,7), 2: Neuseeland<br />

(9,6), 3: Dänemark und Island (9,5); Platz 15: Deutschland (8,2), 17: USA, Irland, Belgien<br />

(7,5).]<br />

Quelle: http://www.transparency.de/Tabellarisches_Ranking.542.0.html.<br />

Rußlands Innenminister Nurgalijew nennt für die ersten 9 Monate 2004 eine Zahl von<br />

360 000 Wirtschaftsverbrechen, über 15 500 Steuerstraftaten und mehr als 8000 Korruptionsfälle<br />

- wohlgemerkt: als aufgedeckte Fälle bei Nachforschungen, die sich bisher auf die<br />

gewinnträchtigsten Wirtschaftszweige konzentrierten: das Kredit- und Finanzsystem, den<br />

Außenhandel und den Verbrauchermarkt.<br />

Quelle: http://www.mvdrf.ru/index.php?docid=3046.<br />

Präsident Putins Vorstoß zu Reformen in der föderalen Machtstruktur (Gouverneure)<br />

sowie die folgenden Gesetzesinitiativen, die auch den Sicherheitsorganen<br />

größere Vollmachten und mehr Rechtssicherheit geben sollen, resultieren<br />

aus der anhaltenden Schwäche des Staates gegenüber Terror, Korruption<br />

und Schattenwirtschaft, aus weiter schwelenden Sezessionsbestrebungen<br />

nicht nur in Tschetschenien und nicht zuletzt auch aus der anhaltenden geopolitischen<br />

Einschnürung.<br />

47<br />

3<br />

Für die Entwicklung kooperativer Beziehungen zwischen Europa bzw. einer<br />

„euroatlantischen Gemeinschaft“ und Rußland gibt es eine Vielzahl<br />

von Abkommen, Foren, Partnerschaften, Institutionen, Dokumenten usw.,<br />

die einen völkerrechtlichen und organisatorischen Rahmen sowie Dialogforen<br />

bieten. Einige von ihnen existierten bereits vor dem Zerfall der UdSSR, sie<br />

wurden ab 1990 wiederholt und mehr oder weniger angemessen an die sich<br />

verändernden Bedingungen angepaßt. Andere entstanden erst in der letzten<br />

Dekade des 20. Jahrhunderts.


48<br />

Von beiden Gruppen gehören zu den wichtigsten:<br />

in den EU/Rußland-Beziehungen:<br />

der Vertrag über Partnerschaft und Zusammenarbeit, 1994 unterzeichnet,<br />

in Kraft seit 1997<br />

die Gemeinsame Strategie der EU gegenüber Rußland (Juni 1999), mit<br />

halbjährlichen Arbeitsprogrammen der jeweiligen Präsidentschaft)<br />

die EU/Rußland-Gipfeltreffen mit gemeinsamen Erklärungen (Oktober<br />

1999, Mai und Oktober 2000, Mai und Oktober 2001, Mai 2002, ..)<br />

den Rußland/EU-Kooperationsrat mit jährlichen Treffen (1998, 1999,<br />

2000, ...);<br />

in den NATO/Rußland-Beziehungen:<br />

die Römische Deklaration über die Beziehungen Rußland/NATO (Mai<br />

2002)<br />

der NATO/Rußland-Rat;<br />

im Rahmen der OSZE:<br />

die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs,<br />

die jährlichen Tagungen des Rates der Außenminister.<br />

Zeittafel (Auswahl wichtiger Ereignisse)<br />

1992 Bildung des Ostseerates (9 Anrainer, Norwegen, Irland, EU-Kommission)<br />

1994 Abschluß eines Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PKA) EU - Rußland<br />

1994 NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP) von 27 Staaten<br />

1996 Rußland wird Mitglied des Europarates<br />

1997 Ständiger Gemeinsamer NATO/Rußland-Rat (als Konsultativforum)<br />

1997 Charta über besondere Partnerschaft NATO - Ukraine<br />

Mai 1997 Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat (NATO und Mitglieder der PfP)<br />

1997 bis 1999 Abschluß und Inkrafttreten von PKA der EU mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan,<br />

Kirgisistan, Moldau, Ukraine, Usbekistan<br />

16.03.1999 Polen, Tschechien und Ungarn werden NATO-Mitglieder<br />

24.03.1999 Beginn des NATO-Luftkrieges gegen Jugoslawien (ohne UN-Ermächtigung)<br />

1999 bis 2001 Suspendierung der Mitarbeit im NATO/Rußland-Rat durch Rußland (Grund: Jugosl.-Krieg)<br />

April 1999 Neues NATO-Strategiekonzept<br />

11.09.2001 Terrorakte gegen die USA<br />

Oktober 2001 Krieg gegen Afghanistan<br />

Mai 2002 SORT-Vertrag USA/Rußland und Erklärung über neue strategische Beziehungen


49<br />

Mai 2002 Neues Format der Kooperation NATO/Rußland: 19+1 (mit begrenztem Stimmrecht)<br />

Sept. 2002 Neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA (u.a.: Preemption)<br />

20.03.2003 Beginn des Irakkrieges der USA und Großbritanniens (ohne UN-Ermächtigung)<br />

Mai 2003 Vollzug der x. EU-Osterweiterung (...)<br />

06.11.2003 EU-Gipfel (Troika plus Rußland) in St. Petersburg: Gemeinsame Erklärung über die Errichtung<br />

der Vier gemeinsamen Räume auf Basis des bis 2007 geltenden PKA<br />

Dezemb. 2003 <strong>Europäische</strong> Sicherheitsstrategie<br />

März 2004 NATO-Erweiterung: Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien<br />

April 2004 Nach sechsjährigen Verhandlungen gibt die EU ihre Zustimmung zum WTO-Beitritt Rußlands<br />

01.05.2004 EU-Erweiterung: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakische Republik, Slowenien,<br />

Tschechische Republik, Ungarn, Zypern<br />

25.11.2004 14. EU/Rußland-Gipfel (Den Haag)<br />

10.05.<strong>2005</strong> 15. EU/Rußland-Gipfel in Moskau<br />

Von Beginn an wurden allerdings die anbindenden und „ruhigstellenden“ Aktivitäten<br />

des Westens von handfesten gegenläufigen Schritten begleitet. Vor<br />

allem die völkerrechtswidrigen Aggressionen gegen Jugoslawien (1999) und<br />

gegen den Irak (2003), die fortschreitende NATO-Osterweiterung (1999,<br />

2004) sowie die kaum verhüllte geopolitische Einkreisung durch USamerikanische<br />

Stützpunkte und weitere bilaterale Vereinbarungen nährten<br />

überkommene Vorbehalte und weckten neue Zweifel und Besorgnisse in<br />

Russland.<br />

4<br />

In jüngster Zeit mehren sich nun auch noch denunzierende, scharfmacherische<br />

Töne zu Präsident Putin und seiner Politik. Die entsprechenden<br />

Einlassungen wurden bereits mit Churchills „Fulton-Rede“ verglichen,<br />

die den Beginn des Kalten Krieges markierte. Bisher kommen diese Aktivitäten<br />

überwiegend als Offene Briefe, Medienbeiträge und andere inoffizielle<br />

Verlautbarungen daher, von Politikern i. O. (in Opposition) oder i. R. sowie<br />

von Politologen und Privatpersonen, und sie sind in den meisten Fällen durch<br />

US-Bürger bzw. -institutionen initiiert.<br />

Eine besondere Rolle spielt dabei, wieder einmal, der Washingtoner Globalstratege<br />

Zbigniew Brzezinski. In seinem Artikel unter dem Titel „Der Moskauer<br />

Mussolini“ (in „The Wall Street Journal“ am 20. September 2004) verkündete<br />

er u.a.: „Das Putin-Regime ähnelt in vielem dem Faschismus Mussolinis.<br />

Der Duce ... zentralisierte die politische Macht im Namen des Chauvinismus<br />

... Das faschistische Regime wurde begleitet von der Verbreitung des<br />

Gefühls nationaler Größe und Disziplin, von erhebenden Mythen über eine


50<br />

ruhmreiche Vergangenheit. Gerade so versucht Putin, die Traditionen der<br />

Tscheka (Leninsche Gestapo, in der sein eigener Großvater die Karriere begann)<br />

und der Stalinschen Führung des Landes in Kriegszeiten mit den Ansprüchen<br />

der russischen orthodoxen Kirche auf den Status eines Dritten<br />

Roms und mit slawophilen Träumereien über einen einheitlichen gewaltigen<br />

slawischen Staat zu vermengen, der aus dem Kreml geführt wird.“ 9<br />

‚Big Zbig’, wie ihn manche seiner Brüder im Geiste preisen, geht noch weiter:<br />

Er denunziert nicht nur Putin als Mussolini, in seiner Verleumdungsskala erhält<br />

Rußland insgesamt das Prädikat eines „faschistischen Erdölstaates“.<br />

Brzezinski, dessen Buchveröffentlichungen (u.a. „Die einzige Weltmacht“ 1997, „The Choice“<br />

2004) ich nicht nur wegen ihrer Unverblümtheit durchaus als „große Würfe“ aufgenommen<br />

habe, begibt sich hier mit seiner Diktion in ganz tiefe Niederungen. Mit seinem Verweis auf<br />

Putins Großvater bedient er sich überdies eines besonders miesen Verfahrens, um die unbedarfte<br />

Mehrheit seiner Landsleute so richtig das Fürchten zu lehren vor diesem schrecklichen<br />

Popanz PUTIN, der ja offenbar schon genetisch ein Ungeheuer sein muß. B. hatte Putin<br />

bereits vor vier Jahren als „Apparatschik in dritter Generation“ in Sippenhaft genommen:<br />

„sein Vater war Parteifunktionär, und schon sein Großvater diente beim Personenschutz zuerst<br />

für Lenin, dann für Stalin“. Seine Zielansprache von Feinden konnte B. offenbar seither<br />

schärfen - damals wußte er nur: „Rußlands neuer Präsident ist kein russischer Atatürk." 10 ,<br />

inzwischen ... (s.o.).<br />

In einem Interview für „Novaja Gazeta“ (Moskau) am 14.10.2004 hat er jetzt bekräftigt: "Amerika,<br />

Europa und Rußland können wirkliche Partner werden. Wenn allerdings Ihr Rußland auf<br />

die Wiedergeburt irgendeines Russischen Imperiums im Rahmen der ehemaligen Sowjetunion<br />

setzt, dann werden wir dem Widerstand leisten..." Und, unter Unterstellung eben dieser<br />

imperialen Ambitionen, verkündet er: "Der Roman mit Putin ... ist beendet." 11<br />

Für eine durch das Inszenario des jüngsten Irakkrieges „gebrannte“ und deshalb<br />

besorgte Weltöffentlichkeit weckt dies durchaus Erinnerungen und Assoziationen<br />

zu früherem Erleben. Die Tasten und Tonlagen der Manipulationsklaviatur<br />

begannen auch damals mit „Leserbriefen“, Medienbeiträgen von<br />

Journalisten, Politikern und Privatpersonen, gezielten Indiskretionen u.a.m.,<br />

denen zum passenden Zeitpunkt regierungsamtliche Lügen und, zuletzt, präsidiale<br />

Verbalaggressionen folgten. Deren schrillste entlarvten dann Saddam<br />

Hussein als entmenschten „neuen Hitler“ und Terroristenmäzenaten, den I-<br />

rak als massenvernichtungswaffenstarrenden „Schurkenstaat“. Brzezinskis giftige<br />

Entgleisungen - „Moskauer Mussolini“, „faschistischer Erdölstaat“ - sind<br />

da wahrlich nicht weit entfernt!<br />

9 Z. Brzezinski, Der Moskauer Mussolini, in: „The Wall Street Journal“ vom 20. September 2004.<br />

10 Z. Brzezinski, Leben mit Russland (Living with Russia), in: The National Interest, #61.2000; in<br />

Russisch unter URL: http://pubs.carnegie.ru/p&c/default.asp?n=index1996-2001.asp.<br />

11 Z. Brzezinski, Der Roman mit Putin ist zu Ende (Interview), in: „Novaja Gazeta“, Moskau,<br />

vom 14.10.2004.


Vielleicht aber war ja dieser Artikel, so wie wenig später der Offene Brief vom<br />

28.09.2004 12 , gar nicht an Rußland oder an das US-amerikanische Wahlvolk<br />

gerichtet, sondern zielte „nur“ darauf, die innereuropäischen Divergenzen in<br />

der Wahrnehmung Rußlands zu fördern, Deutsch/Französisch-Europa in<br />

seiner Kooperation mit der benachbarten Großmacht zu stören (Motto:<br />

„Mussolini-Putin“ und sein „faschistischer Erdölstaat“ sind nicht partnerschaftswürdig...)<br />

sowie den globalen (Wider-)Partner Europa an seine Schutzbedürftigkeit<br />

zu erinnern und klein zu halten?!<br />

Auch das Gezeter um die Ermittlungen und Sicherungsmaßnahmen gegenüber<br />

dem YUKOS-Konzern und seinem Hauptaktionär Chodorkowski gehört<br />

offenbar in diese Kampagne.<br />

Die Tatsache, daß ein texanisches Insolvenzgericht per Verfügung eine Versteigerung zur<br />

Eintreibung von Steuerschulden in Rußland unterbinden will, ist in jedem Fall ein Skandal:<br />

entweder wegen der Preisgabe der strategischen Ressource Erdöl an eine, neutral gesagt,<br />

fremde Macht - wenn es denn tatsächlich ein entsprechendes Rechtskonstrukt gibt, oder a-<br />

ber wegen der dreisten Anmaßung des US-Provinzgerichts.<br />

Lothar Rühl sieht es nüchtern: „Für Russland genügt es, dass der Weltmarktpreis für das<br />

Faß Rohöl nicht unter 18 US Dollar des Wertes von 2003 fällt, weil dort die Rentabilitätsschwelle<br />

der Förderung von sibirischem und Nordmeer-Rohöl liegt und die Investitionen in<br />

die russische Öl- und Erdgas-Industrie im notwendigen Umfang von 600 Milliarden US Dollar<br />

mit internationalem Kapital unterstützt werden, wobei die Kontrolle dem russischen Staat ü-<br />

berlassen werden soll, der als rezentralisierter Machtstaat auch seine nach außen geöffnete<br />

Volkswirtschaft beherrschen können muß - dies ist der eigentliche Hintergrund des Kreml-<br />

Jukos-Konflikts und nicht die in den Medien ausgestrahlte, angebliche persönliche Rivalität<br />

eines auch politisch ambitionierten Oligarchen mit dem Präsidenten Putin, die natürlich subjektiv<br />

hinzukommen mag, weil im Moskauer Kreml wie im Pariser Elysée oder in Kiew Macht<br />

und Geld ähnlich - wenngleich politisch auf andere Weise, demokratisch oder autoritär, - wie<br />

im Weißen Haus zu Washington oder in der Londoner City mit Whitehall eng verbunden sind.<br />

Für den Golf ist dies ohnehin selbstverständliche Voraussetzung.“<br />

[Prof. Dr. Lothar Rühl, Die Allianzkrise über den Irak-Krieg und ihre Überwindung. Vortrag im<br />

Internationalen Club La Redoute Bad Godesberg, 25. November 2004, u.a. URL:<br />

http://kultur.t-online.de/turm-galerie/galerie/club/ruehl.pdf.]<br />

Es blieb einzelnen Grünen unter den Politikern der deutschen Regierungsparteien<br />

vorbehalten, sich durch Mitzeichnung Offener Briefe und entsprechende<br />

Medienerklärungen den Initiatoren des antirussischen Feldgeschreis<br />

dienstbar zu machen.<br />

So fand sich unter den Mitunterzeichnern des genannten, offenbar in den USA formulierten<br />

Offenen Briefes vom September 2004 der zur Zeit führende GRÜNEN-Parteipolitiker Bütikofer,<br />

in trauter Gemeinsamkeit mit dem außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion<br />

51<br />

12 Offener Brief von über 100 „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“: An die Staats- und<br />

Regierungschefs der <strong>Europäische</strong>n Union und der NATO (datiert: 28. September 2004).<br />

Wortlaut: Original in Englisch u.a.<br />

http://www.worldsecuritynetwork.com/showArticle3.cfm?article_id=10308&topcID=57; Ü-<br />

bersetzung ins Deutsche u.a. http://www.taz.de/pt/2004/09/30/a0241.nf/textdruck.


52<br />

und „designierten Außenminister“ einer erhofften Unions-Regierung sowie weiteren USorientierten<br />

konservativen Personen. In diesem Brief werden westliche Politiker aufgefordert<br />

zu erkennen, „das unsere derzeitige Strategie gegenüber Russland scheitert“. Man redet allen<br />

Ernstes von einer „historisch kritischen Phase, in der der Westen die demokratischen<br />

Veränderungen weltweit vorantreibt, den weiteren Mittleren Osten einbegriffen“ („... when the<br />

West is pushing for democratic change around the world, including in the broader Middle E-<br />

ast..."), und ‚Mr. Reinhard' sowie ‚The Honorable Dr. Friedbert' haben kein Problem, diesem<br />

offenkundigen Realitätswahrnehmungsverlust ihre Unterschrift zu geben. (Rückblickend läßt<br />

sich mit Wolfgang Ullmann ergänzen, daß Pflügers Urteilsfähigkeit bereits früher anzuzweifeln<br />

war - angesichts seines besonders uneinsichtigen Eifers bei der Rechtfertigung des<br />

jüngsten Irak-Krieges, die bis hin zu der Verleumdung reichte, die Bundesregierung verfüge<br />

über unanfechtbar glaubwürdige Angaben zum Massenvernichtungsarsenal Saddam Husseins,<br />

weigere sich aber im Interesse ihrer Ablehnung des Irak-Krieges, diese Informationen<br />

zu veröffentlichen. 13 Sein außenpolitischer Altvorderer, Schäuble, hatte da längst eine eigene<br />

Kriegsbefürwortung entwickelt, die ohne ‚Saddams Massenvernichtungsarsenale’ auskam:<br />

Für ihn waren einerseits Krieg und andererseits eine ‚Demütigung der einzigen Weltmacht’<br />

etwa gleich schlimme Übel!)<br />

[Siehe dazu u.a. http://www.kas.de/publikationen/2003/1589_dokument.html.]<br />

5<br />

Die offenkundigen Differenzen zwischen Worten und Taten der euroatlantischen<br />

Akteure und die Kampagnen unangemessener Belehrungen<br />

und Vorwürfe an die Adresse Rußlands werden dort seit langem aufmerksam<br />

verfolgt und führen zu allem Anderen als zur Stärkung der „demokratischen<br />

Kräfte“ im Lande. Sie bewirken vielmehr forcierten innenpolitischen<br />

Druck auf die gegenwärtige Staatsführung des Landes, von ganz Links<br />

und ganz Rechts, von „National-Bolschewisten“ und Großmacht-Eurasiern,<br />

mit dem Ziel, Putins Kurs der Westöffnung zu korrigieren.<br />

Bis zu welchen abenteuerlichen Ideen sich derartige Anfechtungen versteigen, mag am Beispiel<br />

des „Eurasiers“ Dugin deutlich werden, der jüngst vorschlug, den Stopp der weiteren<br />

Ent-Souveränisierung Rußlands durch US-geleitete Globalisierung und die angestrebte multipolare<br />

Weltordnung auf dem Wege der Proliferation russischer Kernwaffen an geeignete<br />

andere „Großraum-Mächte“ zu erreichen und so einer absoluten US-Weltherrschaft zu begegnen.<br />

14<br />

Darüber hinaus scheint nun auch für moderatere Kräfte bald eine Schmerzgrenze<br />

erreicht. Selbst besonnene Politikwissenschaftler und bisher auf politisches<br />

Maßhalten bedachte Parlamentarier und Amtspersonen verhehlen nicht<br />

ihr Unverständnis - Enttäuschung bis Empörung - über die praktischen Behinderungen<br />

und verbalen Aggressionen. Als deren Grundmuster erkennt<br />

man immer wieder Doppelmoral und „zweierlei Standards“ bzw. „zweierlei<br />

Maßstäbe“, etwa wenn<br />

13 FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung, Berlin, Nr. 21/2004, S. 15.<br />

14 A. Dugin, Rußlands Streitkräfte im 21. Jahrhundert, in: Nezavisimoe voennoe obozrenie,<br />

Moskau, 19.11.04; Bericht in Deutsch: http://www.jokler.de/russ/milumbau/dug41119.htm.


Aktivitäten zur bloßen Abwehr von Angriffen auf legitime Besitzstände<br />

und Interessen Rußlands sowie Bemühungen um den Ausbau zwischenstaatlicher<br />

Kooperation als ‚imperialer Gestus’ und ‚Großmachtgehabe’<br />

denunziert,<br />

international übliche und akzeptierte Herrschaftspraktiken (z.B. Ernennung<br />

der Gouverneure von Landesteilen) im Falle Rußlands scharf verurteilt,<br />

bei vielen weiteren Demokratie-, Antiterror-, Wahl-, Menschenrechts- und<br />

Gesetzgebungsfragen Erscheinungen und Regelungen, die sonst kritiklos<br />

durchgehen, im Falle Rußlands als „autoritär“, unveräußerlichen westlichen<br />

Werten zuwider, inhuman usw. disqualifiziert werden.<br />

Da muß sich niemand wundern, wenn Feststellungen oder Fragen zu lesen<br />

bzw. zu hören sind, wie „Rußland - EU: auf dem Wege zu einem gemeinsamen<br />

Sicherheitsraum - oder am Scheideweg?“ (Danilow), „Konfrontation o-<br />

der Zusammenarbeit? Zum Verhältnis zwischen Rußland, der EU und der<br />

NATO“ (Balujewskij), „Die Haltung der russischen Gesellschaft zu jeder<br />

neuen Erweiterung der NATO ist überwiegend negativ.“ (Kelin)<br />

Insgesamt reichen die Diagnosen und Folgerungen von „Aufruf zu neuer<br />

Konfrontation“ (Lawrow), „gegenseitige Vertrauenskrise“ (Kossatschow),<br />

„antirussische Hysterie“ (Maximytschew), „Fortsetzung des Kalten Krieges“<br />

(Leonow) bis „Vorbereitung auf einen großen Krieg“ (Iwaschow).<br />

Igor Maximytschew, Politologe und Diplomat: „Das Verhältnis Russland - EU ist nicht in Ordnung.<br />

... Viele in Russland kommen zu dem logischen Schluss - der Westen will kein starkes<br />

und einflussreiches Russland und wird daher alles daran setzen, den Prozess seiner Erneuerung<br />

zu erschweren." 15<br />

Konstantin Kossatschow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, stellt<br />

eine „Abkühlung in unseren Beziehungen“ fest und fährt fort: „Die Vertrauenskrise ... ist gegenseitig...<br />

Der Zweifel daran, dass die EU Russland aufrichtig helfen will, ist nicht unbegründet.<br />

Zu oft wurde Moskau mit ausgeprägten eigennützigen Motiven konfrontiert... oder<br />

gar mit ausgesprochen unfreundlichen Schritten... Wir befinden uns in einer Grenzsituation..."<br />

16<br />

Kommen wir zurück auf die eingangs skizzierten gemeinsamen Interessen der<br />

USA, Europas und Rußlands. Putin wurde und wird durch seine geopolitischen<br />

Widerpartner in dem Maße akzeptiert, wie es ihm gelingt, diese Interessen<br />

zu erfüllen - nicht weniger, aber - bei Strafe der Demontage - auch keinesfalls<br />

mehr! Könnte es sein, daß seine Bestrebungen nach Stabilisierung und<br />

53<br />

15 FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr.52/2004, S. 2.<br />

16 Siehe unter URL: http://de.rian.ru/rian/index.cfm?msg_id=5079490.


54<br />

Weiterentwicklung des Erreichten zumindest dem „strategischen Partner“<br />

USA das Land zu sehr stärken?<br />

6<br />

Trotz der genannten - verantwortungslosen oder einfach nur inkompetenten,<br />

jedenfalls aber destruktiven (!) - Anfeindungen bleibt die Hoffnung,<br />

daß durch besonnenes und konstruktives politisches Handeln der<br />

Regierungen, durch das unbeeindruckte Agieren der Wirtschaft und durch<br />

mehr Gehör für kundige und daher urteilsfähige Stimmen der Schaden im<br />

Verhältnis zu Rußland und hinsichtlich originärer deutscher/europäischer Interessen<br />

in Grenzen gehalten werden kann.<br />

Sympathisanten des russischen Selbstbehauptungskampfes und Befürworter<br />

weiter entwickelter Partnerschaftsbeziehungen mit Rußland sehen sich - ungewohnt<br />

- in guter Nachbarschaft mit der in dieser Frage bisher unbeirrten<br />

deutschen Regierung. Bundeskanzler Schröder stellte dazu im Juli diesen Jahres<br />

fest: „Nie zuvor in unserer Geschichte waren die Beziehungen zwischen<br />

Deutschland und Russland so eng und entwickelt wie heute. ... Deutschland<br />

und Russland stehen am Beginn einer strategischen Partnerschaft für ein prosperierendes<br />

Europa und eine stabile Weltordnung. ... An die Stelle jahrzehntelangen<br />

antagonistischen Denkens und Handelns ist das Bewusstsein<br />

gemeinsamer Interessen und gemeinsamer Werte getreten. Mehr als 90 Prozent<br />

der Russen bringen Deutschland heute positive Gefühle entgegen.<br />

Deutschland, Europa und Russland verfolgen gleiche oder ähnliche zentrale<br />

strategische Zielsetzungen: die Schaffung einer dauerhaften <strong>Friedensordnung</strong><br />

für ganz Europa, die Stabilisierung unserer gemeinsamen Nachbarschaft im<br />

Nahen und Mittleren Osten, die Bekämpfung des Terrorismus und der<br />

Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, schließlich die Entwicklung eines<br />

„effektiven Multilateralismus“. Zugleich haben wir die Chance, zu unserem<br />

gemeinsamen Nutzen die enormen Möglichkeiten des eurasischen Wirtschaftsraumes<br />

zu entwickeln.“ 17<br />

Man wünscht den europäischen Regierungen und den EU-Institutionen Berater<br />

aus dem Kreis der unvoreingenommenen, kompetenten Kenner Rußlands,<br />

die allerdings in den deutschen Medien eher selten und weniger vernehmlich<br />

wahrzunehmen sind:<br />

Alexander Rahr, Programmdirektor der Körber-Arbeitsstelle Rußland/GUS und Koordinator<br />

des EU/Rußland-Forums (in Zusammenarbeit mit der EU- Kommission):<br />

„Auf der weltpolitischen Bühne muß man mit Rußland rechnen - als Macht. Nachdem die<br />

Sowjetunion vor über vierzehn Jahren zusammenbrach, befindet sich das Land unter Putin in<br />

17 G. Schröder, Deutschland und Russland: ..., a.a.O.


einer sehr bemerkenswerten Stabilisierungs- und Konsolidierungsphase. ... Putin ... ist ein<br />

Hoffnungsträger, der Rußland aus den Wirren nicht nur der neunziger, sondern auch der<br />

achtziger Jahre konstruktiv und effektiv herausführt. ... Es gibt keine Alternative zu ihm. Dies<br />

nicht etwa, weil er politische Gegner unterdrückt, wie es fälschlicherweise im Brief der hundert<br />

Intellektuellen und Politiker an EU und Nato Ende September dargestellt worden ist. ...<br />

Er ist ein Präsident der Hoffnung.“ (S. 42)<br />

„Viele im Westen sehen ihn als autoritären Herrscher, weil er aus unserer Sicht die Demokratie<br />

einschränkt. Unserem westlichen Denk- und Demokratiemodell entspricht das nicht.<br />

Doch aus Sicht vieler Russen ist Putin sogar noch zu schwach. ... Er hat in den ersten vier<br />

Jahren sehr viel für ein liberales, wirtschaftliches Reformpaket getan. Das liberalste der russischen<br />

Geschichte. ... Und was im Westen als „Gängelei“ oder gar „Vernichtung“ der Gouverneure<br />

kritisiert wird, ist aus Sicht anderer ein eher notwendiger Schritt, um in Russland<br />

einen einheitlichen Rechtsraum zu schaffen. ...<br />

Rußland war kein gefestigter Staat. Daraus folgte die Hauptaufgabe für einen Mann wie Putin:<br />

nach dem Machtantritt erst einmal die Russische Föderation stärken, dem Staatsverband<br />

ein einheitliches Rechts- und Wirtschaftssystem geben. Demokratisierung mußte hintenanstehen.<br />

... Im großen und ganzen denke ich jedoch, Rußland ist ein Staat, in dem Menschen<br />

leben, die ein demokratisches Modell gleichermaßen favorisieren. Aber eben nicht als<br />

Priorität begreifen wie im Westen." 18<br />

Dr. Gabriele Krone-Schmalz, Rußlandkorrespondentin der ARD (1987-1991), während eines<br />

Studiogesprächs im TV-Sender PHOENIX am 15.09.2004 zur Rede Präsident Putins<br />

über die Reform der Machtorgane in Rußland (Mitschnitt liegt vor): (u. a.)<br />

„Auf der einen Seite erwarten wir, der Westen, daß Putin dieses Riesenland reformiert, ...<br />

damit es in den Westen mit paßt. Auf der anderen Seite schreien wir jedesmal Zeter und<br />

Mordio, wenn er seine Macht ausbaut, um dieses zu transportieren. ... Rußland ist demokratiestandardmäßig<br />

natürlich nicht mit Deutschland vergleichbar. Wie sollte es auch? Wichtig<br />

ist Stabilität, wichtig ist, daß es den Menschen dort gut geht, und ich sage Ihnen eins: das ist<br />

dann nicht die Diskussion unter den Russen, welchen Standard von Demokratie man hat,<br />

sondern daß Menschenrechte gewahrt werden, so gut es geht, daß Rechtsstaatlichkeit gesehen<br />

wird und daß man langsam, aber sicher stabiler und ordnungsmäßiger lebt. ...“<br />

Und, zu Putins jüngsten Reformvorstößen: „Im Grunde ist es so was ähnliches wie der Patriot<br />

Act auf Russisch, und wenn unser Verhältnis grundsätzlich etwas vertrauensvoller wäre,<br />

dann würden wir das vielleicht auch nicht ganz so drastisch beurteilen, wie wir das tun. .. Es<br />

gibt sicher eine ganze Menge zu kritisieren. .. Das ist nicht der Punkt, daß man das alles kritiklos<br />

hinnimmt. ... Worum es mir geht - daß man nicht immer im Blick auf Rußland abgleitet<br />

in moralische Entrüstung .. und in pauschale Verurteilung. Und Fakt ist, daß Putin in erster<br />

Linie ein Riesenkorruptionsproblem hat und in zweiter Linie ein Terrorproblem.“<br />

"Auf der einen Seite erwarten wir von Putin, zu Recht, daß er sein Land reformiert. Auf der<br />

anderen Seite kommentieren wir alles, was seinem Machtzuwachs dient,... als schlecht. Wie,<br />

bitte, soll er das anstellen?“<br />

Egon Bahr sieht Rußland nicht auf einem demokratischen Weg nach westlichem Vorbild. Er<br />

erklärte (vor dem Deutsch-Russischen Forum in Berlin), der offene Brief sei die „Fortsetzung<br />

jener westlichen Illusion“, wonach die Demokratie in Rußland begonnen habe. Bahr stellte<br />

sich hinter Putin und unterstrich den Anspruch der Russen auf einen eigenen Weg.<br />

Der SPD-Außenpolitiker Erler begründete seine Unterstützungsverweigerung für den Offenen<br />

Brief damit, daß „es sich um eine aggressive Attacke handelt“. Das Schreiben enthalte<br />

55<br />

18 A. Rahr, Phänomen Putin. Ein Produkt der russischen Eliten (Interview), in: MUT, Forum für<br />

Kultur, Politik und Geschichte, Asendorf 2004, Nr. 448.


56<br />

eine Reihe von Kritikpunkten, die „überzogen, unbelegt und teilweise sachlich falsch“ seien.<br />

„Durch diesen Schritt werden die Tendenzen zur Selbstisolierung Rußlands bestärkt“, sagte<br />

der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. 19<br />

Außenminister Josef Fischer (am 03.09.2004 im Interview für "Frankfurter Rundschau")<br />

u.a.: "Wir werden die russische Seite als Partner brauchen. ... Es bleibt die Aufgabe, einerseits<br />

die Integrität des russischen Territoriums zu wahren, andererseits ein den Terrorismus<br />

begünstigendes Vakuum zu verhindern und die Menschen in Tschetschenien und ihre Rechte<br />

zu schützen. Das ist ... ein extrem schwieriges Problem, für das es keine einfache Antwort<br />

gibt. ... Wir reden hier doch auch über historische Prozesse, nicht allein über operative Politik...<br />

Aber wie reagieren denn andere, alte Demokratien unter dem Druck des Terrorismus?<br />

...". Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/ausgabe_archiv?archiv_id=6087.<br />

Bundeskanzler Gerhard Schröder (am 01.10.2004 im Interview für die "Süddeutsche Zeitung")<br />

u.a.: "Ich habe nicht die Absicht, die Russland-Politik der Bundesregierung zu ändern.<br />

... Es ist an der Zeit, sich einmal mit der Frage zu beschäftigen, vor welchen Herausforderungen<br />

der russische Präsident stand und steht. Es geht ihm um die Rekonstruktion von<br />

Staatlichkeit. Seine Aufgabe bestand zunächst einmal darin, den Staat als Garant von innerer<br />

Sicherheit, von äußerer Sicherheit und von Investitionssicherheit wiederherzustellen. ...<br />

Wenn Sie sich die Lage in der Region anschauen und erkennen, welche Auswirkungen das<br />

politisch wie ökonomisch auf Deutschland haben kann, dann kann niemand ein Interesse<br />

daran haben, dass die territoriale Integrität der russischen Föderation in Frage gestellt wird.<br />

Das ist auch die Leitlinie der Putin-Politik. Auf dieser Basis will er politische Lösungen erreichen.<br />

... Langfristig können wir Sicherheit und Wohlergehen für dieses zusammengewachsene<br />

Europa ohne eine strategische Partnerschaft zu Russland nicht garantieren." Quelle:<br />

Süddeutsche Zeitung vom 02.10.2004.<br />

Fazit<br />

Für Heinz Timmermann, den langjährigen Leiter des Forschungsbereichs<br />

Rußland/GUS an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, ist<br />

klar: „Bei allen Widersprüchen und Ungewißheiten ist Russland aufgrund seiner<br />

Größe, seiner Rolle als regionaler und globaler Akteur, seiner geographischen<br />

Nähe sowie seines Nutzens- und Schadenspotenzials als Mitspieler für<br />

vielseitige funktionale Zusammenarbeit unerlässlich.“ Und er fordert daher<br />

„EU/Russland-Beziehungen von Pragmatismus und neuem Realismus ...,<br />

damit die Partner einander nicht überfordern und die entstandene Lücke zwischen<br />

Rhetorik und Realität schließen“ können. 20<br />

Igor Maximytschew sekundiert: „Die EU wird schon in allernächster Zeit die<br />

schlichte Wahrheit zur Kenntnis nehmen müssen, dass die jüngste Wiederwahl<br />

Wladimir Putins eine wirkliche Chance bietet, auf dem Weg eines ein-<br />

19 Aussagen Bahr und Erler nach:<br />

http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E2384558E3<br />

8604A4FAF44CE4297F50562~ATpl~Ecommon~Scontent.html].<br />

20 H. Timmermann, Von Visionen zu Aktionen. Die Zukunft der europäisch-russischen<br />

Zusammenarbeit, Policy Paper 22 der Stiftung Entwicklung und Frieden, Bonn 2004, S. 11.


heitlichen Europas der Gleichberechtigung und des Friedens voran zu kommen.<br />

... Die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts haben durchaus gezeigt, dass<br />

eine Partnerschaft zwischen der EU und Russland ... möglich ist, ohne daraus<br />

einen „Block“, eine „Koalition“ oder eine „antiamerikanische Verschwörung“<br />

entstehen zu lassen. ... Es wird darauf ankommen, die sich bietenden Möglichkeiten<br />

... nicht zu verspielen. Eine Chance, die nicht allzu oft geboten<br />

wird, wie die Geschichte Europas zeigt.“ 21<br />

Beiden ist in der Sache wohl kaum zu widersprechen.<br />

Für lernwillige „Außenpolitiker“ sei noch auf einen Rat von Ernst-Otto<br />

Czempiel hingewiesen, der in einem Beitrag für den Sammelband „Weltpolitik<br />

im neuen Jahrhundert“ u.a. schreibt: „Wer im Russland Boris Jelzins die Demokratiebewegung<br />

stärken will, muss die internationale Umwelt Russlands so<br />

kooperativ gestalten, dass die vom Außendruck profitierenden Konservativen<br />

an Einfluss verlieren. Umgekehrt wird die Aufrechterhaltung einer ... zwar um<br />

20 Prozent verringerten, im Übrigen aber mitten im Modernisierungsprozess<br />

befindlichen NATO die Demokratisierungsprozesse in Russland nur negativ<br />

beeinflussen. ... Die OSZE ... könnte ... in Russland das Gefühl der Isolierung<br />

beseitigen, das die Osterweiterung der NATO zwangsläufig verbreitet. Wird<br />

sie über Polen, Tschechien, Ungarn hinaus ausgedehnt, wird die Demokratisierungsbewegung<br />

in Russland weiter geschwächt. Geopolitisch betrachtet,<br />

stellt die Besetzung des Kosovo und die Kooperation Albaniens mit der<br />

NATO nur eine weitere Variante der Osterweiterung der Allianz dar. Angesichts<br />

der evidenten strategischen Wirkungen einer solchen Politik sollte sich<br />

der Westen der Tragweite seiner politischen Entscheidungen voll bewusst<br />

sein." 22<br />

57<br />

Autor: Dr. Joachim <strong>Klopfer</strong>,<br />

Dresdener Studiengemeinschaft SICHERHEITSPOLITIK e.V.<br />

21 FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung, Berlin, Nr. 18/2004, 23. April 2004, S. 5.<br />

22 E.-O. Czempiel, Intervention, in: Karl Kaiser, Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Weltpolitik im<br />

neuen Jahrhundert, Baden-Baden 2000, S. 515.

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